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Die Entstehung der modernen Naturwissenschaft
Das Bewußtsein der nahenden Apokalypse war im mittelalterlichen Christentum allgegenwärtig. Wann aber genau würde der Weltuntergang stattfinden? Wie ließen sich die himmlischen Zeichen zuverlässig deuten? Diese Schlüsselfragen des apokalyptischen Denkens enthalten ein Element der modernen Wissenschaft, das Johannes Fried in seiner aufregenden Studie freizulegen versucht. Der Untergang, der stets zu kommen schien und nie tatsächlich kam, artikulierte sich im mittelalterlichen Denken nicht nur als eschatologische Erfahrungsbereitschaft, sondern…mehr

Produktbeschreibung
Die Entstehung der modernen Naturwissenschaft

Das Bewußtsein der nahenden Apokalypse war im mittelalterlichen Christentum allgegenwärtig. Wann aber genau würde der Weltuntergang stattfinden? Wie ließen sich die himmlischen Zeichen zuverlässig deuten? Diese Schlüsselfragen des apokalyptischen Denkens enthalten ein Element der modernen Wissenschaft, das Johannes Fried in seiner aufregenden Studie freizulegen versucht. Der Untergang, der stets zu kommen schien und nie tatsächlich kam, artikulierte sich im mittelalterlichen Denken nicht nur als eschatologische Erfahrungsbereitschaft, sondern auch als ein drängendes Wissenwollen des Ungewissen. Die Flut der Deutungen verlangte nach Prüfung und Kontrolle des Wissens, um der exegetischen Irrungen Herr zu werden. Der apokalyptische Denkstil stimulierte eine immer umfassendere Weltkenntnis auf allen Gebieten - mit weitreichenden Folgen für das Handeln und das Erkennen, für Verhalten und Wissen.

In seinem glänzend geschriebenen Essay geht Johannes Fried diesem Zusammenhang zwischen Apokalyptik und moderner Wissenschaft nach. Er vermag dabei nicht nur zu zeigen, daß die Grenze zwischen beiden fließender war, als wir gemeinhin annehmen. Die Lehre vom Endgericht erscheint in der Deutung Frieds sogar als ein "Baumeister der okzidentalen Kultur" und entscheidender Impuls für die physikalische Verwissenschaftlichung des Weltbildes.
Autorenporträt
Johannes Fried ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt. Er war von 1996 bis 2000 Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands. 1995 erhielt er für sein Werk Der Weg ins Mittelalter den Preis des Historischen Kollegs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2009

Weiter denken auf den Schultern fremder Riesen
Johannes Fried taucht das Mittelalter in helles Licht

Geschichte des Mittelalters in Zeiten der Globalisierung zu schreiben ist eine überaus reizvolle Aufgabe. Der Historiograph könnte sich zuständig erklären für die ganze bewohnte Welt in jenem Jahrtausend zwischen 500 und 1500 und das europäische Periodenschema mit Antike und Neuzeit verabschieden, das dem Medium Aevum das Schandmal der Barbarei und Finsternis aufgeprägt hat. Die alte Trias der Kontinente Europa, Asien und (Nord-)Afrika stünde weiterhin im Vordergrund, obzwar in ungewohnten Perspektiven. Wer vorher nur mit der Geschichte des europäischen Westens befasst war, müsste sich nun auch mit den Thesen auseinandersetzen, dass welthistorisch betrachtet bis zum Ende des achten Jahrhunderts vom Zeitalter des Buddhismus und danach wenigstens von der ökonomischen Islamisierung Europas die Rede sein müsse. Der historische Platz des "Abendlandes" würde neu zu vermessen sein.

So radikale Wege schlug Johannes Fried nicht ein, als er der Geschichte und Kultur des Mittelalters eine neue Gesamtdarstellung widmete. Frieds Ziel war bescheidener und anspruchsvoller zugleich, wollte er doch das Mittelalter rehabilitieren und im Abendland den Aufbruch in die europäische Vernunftkultur freilegen, deren letztes Ergebnis, eine Folge des unstillbaren Wissen- und Erfahrenwollens, die Globalisierung sei. Als Urheber des alten Vorurteils und dadurch selbst Opfer "vernunftloser Unmündigkeit" identifiziert er nicht die Humanisten des fünfzehnten Jahrhunderts oder Historiker wie Friedrich Schiller, sondern Immanuel Kant mit seiner wirkungsmächtigen Schrift "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" von 1764.

Nichts habe Kant davon wissen wollen, was er Peter Abaelard im zwölften Jahrhundert verdankte oder dass sein kategorischer Imperativ nur vollendete, was mit den Beschlüssen des Vierten Laterankonzils (1215) begonnen hatte: "Der Gebrauch der Vernunft verdankte sich nicht erst jener Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts; seine ,Wiedergeburt', die Konzentration nämlich auf eine in Regeln gefasste und damit kritisierbare Logik und Dialektik, die allmähliche Herausbildung formallogischer Operationen, wie sie die Entwicklungspsychologie beschreibt, setzte Jahrhunderte früher, bald ein Jahrtausend vor Kant, am Hof Karls des Großen ein, intensivierte sich im 10. Jahrhundert, steigerte sich durch fortgesetzte kulturelle Rückkopplung und gestattete dem Königsberger, sich von den Schultern ihm fremder Riesen herab umzusehen und weiter zu denken. Europa war längst vor der ,Neuzeit' aufgebrochen, um im Wechselspiel von Erfahrung und kritischem Denken die Welt zu erkunden."

Mit stupender Gelehrsamkeit belegt Fried seine These seit den Zeiten des Boethius und lässt kein Gebiet des Wissens aus, behandelt also natürlich Philosophie ebenso wie alle Arten der Naturkunde, Physik neben Astronomie und Kartographie, die Erfindungen von Theologie und Politischer Wissenschaft, nicht zuletzt auch die Musik, vor allem aber zeigt er, dass das kategoriale, rationale Denken alle Bereiche des praktischen Lebens zu durchdringen begann. In einzigartig narrativer Verdichtung stellt er wieder und wieder totale Geschichte her und evoziert dabei eine nicht willkürliche, sondern vernunftgeleitete Vernetzung des menschlichen Daseins. Am besten ist der Verfasser aber, wenn er Argument an Argument reihen kann und die sich gegenseitig stützenden Befunde präsentiert; dann wird er in mitreißender Sprache geradezu ein Rhapsode der mittelalterlichen Vernunft.

In der Tat, das Beweisziel ist die Leidenschaft wert. Vor nichts, zeigt Fried, gab die zerdenkende Energie des Mittelalters Ruhe. Der Glaube selbst sah sich einem Zweifel ausgesetzt, der fälschlich als bloß modern gilt. Als im späten vierzehnten Jahrhundert vier Philosophen befragt wurden, weshalb sich das Gute in Schlechtes wende, das Wahre in Falsches, das Gerechte in Ungerechtes, antwortete einer von ihnen: "Gott ist tot!" Nur aus Liebe zu Gott handelten die Menschen gut, "doch heute betrachten wir ihn als tot". So jedenfalls brachte es, ein halbes Jahrtausend vor Nietzsche, ein Novellist zu Pergament. Kein Wunder, dass sich neben dem Atheismus auch die Anfänge des Materialismus in jenen Jahrhunderten aufspüren lassen.

Ob Fried indessen bei aller Überzeugungskraft und Emphase das Ziel seines Buches erreichen kann? Zweifel sind angebracht. Moderne und Mittelalter haben nun einmal die gleiche Wurzel, so dass man das Mittelalter mit seiner negativen Konnotation kaum abschaffen kann, ohne mit der angeblich hellen Moderne Gleiches zu tun. Es fragt sich auch, ob dem kontrastiven Vergleich von Mittelalter und Moderne im Sinne Frieds mit einer Entwicklungsgeschichte beizukommen ist, die die neue Zeit als Ergebnis der älteren erscheinen lässt. Wissen wir nicht längst durch die Theorie des historischen Wandels, dass sich in der Geschichte nichts gleich bleibt und dabei - was schlechthin entscheidend ist - eben auch die Faktoren der Veränderung ihre Motive, Intensität und Richtungen ändern?

Fried betont immer wieder, dass der Mongoleneinfall im dreizehnten Jahrhundert den Westeuropäern einen unvergleichlichen Schub auf dem Weg zur Moderne verschafft habe. Tatsache aber ist, dass nach dem Niedergang der mongolischen Reiche, der Errichtung der Ming-Dynastie in China und dem (neuerlichen) Vordringen der Türken in Kleinasien und nach Europa, sogar noch durch die Reste byzantinischer Selbstbehauptung, den Abendländern einstweilen wieder die Wege in den Orient abgeschnitten wurden und die von den Muslimen kontrollierte Barriere in der Levante erst im Zeitalter der Entdeckungen, also seit Heinrich dem Seefahrer, umgangen werden konnte. Ist es also nicht besser, mit einem großen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts - obschon ohne dessen Geschichtstheologie - zu sagen, dass auch das Mittelalter eine Epoche "unmittelbar zu Gott" war?

MICHAEL BORGOLTE

Johannes Fried: "Das Mittelalter". Geschichte und Kultur. Verlag C. H. Beck, München 2008. 606 S., 70 Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2008

Sachbücher des Monats Dezember
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücherder Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. HELMUT KÖNIG: Politik und Gedächtnis. Velbrück Verlag, 712 Seiten, 45 Euro.
2. KARL SCHLÖGEL: Terror und Traum. Moskau 1937. Carl Hanser Verlag, 811 Seiten, 29,90 Euro.
3 .IAN KERSHAW: Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Deutsche Verlags-Anstalt, 768 Seiten, 39,95 Euro.
4. FRIEDRICH PFÄFFLIN (Hrsg.): Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersacher. Wallstein Verlag, 479 Seiten, 39,90 Euro.
5. FRANZ OVERBECK: Werke und Nachlass, Band 8: Briefe, ausgewählt, herausgegeben und kommentiert von Niklaus Peter und Frank P. Bestebreurtje. Metzler Verlag, XLVII und 558 Seiten, 84,95 Euro.
6.MARCUS MANILIUS: Astronomica/Astrologie. Herausgegeben und übersetzt von Wolfgang Fels. Verlag Philipp Reclam Junior, 531 Seiten, 16,00 Euro.
7. FRANZ WALTER: Baustelle Deutschland. Politik ohne Lagerbindung. Suhrkamp Verlag, 256 Seiten, 10 Euro.
8.-10.RICHARD DAWKINS: Geschichten vom Ursprung des Lebens. Eine Zeitreise auf Darwins Spuren. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ullstein Verlag, 928 Seiten, 29,90 Euro.
JOHANNES FRIED: Das Mittelalter. Geschichte und Kultur. Verlag C. H. Beck, 606 Seiten, 29,90 Euro.
JOSEF REICHHOLF: Warum die Menschen seßhaft wurden. Das größte Rätsel unserer Geschichte. S. Fischer Verlag, 320 Seiten, 19,90 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats Dezember von 2008 von Herfried Münkler: BERND GREINER, CHRISTIAN TH. MÜLLER, DIERK WALTER (Hrsg.), Krisen im Kalten Krieg. Hamburger Edition, 540 Seiten, 35 Euro.
Die Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Matthias Kamann, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Johannes Saltzwedel, Albert von Schirnding, Norbert Seitz, Eberhard Sens, Hilal Sezgin, Volker Ullrich, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel.
Redaktion: Andreas Wang (NDR Kultur)
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste der Sachbücher des Monats erscheint am 30. Dezember.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Valentin Groebner ist von dieser Studie über die Entstehung der modernen Wissenschaft sehr angetan. Die zentrale These des Buches laute, dass die Themen der Apokalypse und des Weltuntergangs die Gelehrten des Mittelalters auf eine Art und Weise beschäftigten, dass sie die moderne Wissenschaft mit ihrer sprachlogischen Analyse und Ursachendefinition vorbereiteten, fasst Groebner zusammen. Die Stärke des Buches liege damit auch in der differenzierten Analyse der intellektuellen Impulse, die von den Schriften der Gelehrten ausgingen. Es sei, wie Groebner befindet, eine "Meistererzählung" von "beeindruckender Gelehrsamkeit" und überdies brillant formuliert. Den einzigen Wermutstropfen sieht er in der etwas schematischen Abhandlung über den Islam und dessen apokalyptischen Strömungen.

© Perlentaucher Medien GmbH