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Der Journalismus ist einer der letzten Berufsstände in Deutschland, der sich einer systematischen Reflexion seiner Rolle im NS-Staat und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erfolgreich verweigern konnte. Bis heute herrschen über Funktion und Selbstverständnis des Journalismus vor und nach 1945 weiterhin Mythen, Legenden und Amnesien vor. Dieser Band befasst sich erstmals mit der Nachkriegswirklichkeit von "Zeit" und "Spiegel", "FAZ" und "Süddeutscher Zeitung", "Stern" und "Frankfurter Rundschau" - jener Blätter also, die heute auf die Meinungsbildung der bundesrepublikanischen Gesellschaft…mehr

Produktbeschreibung
Der Journalismus ist einer der letzten Berufsstände in Deutschland, der sich einer systematischen Reflexion seiner Rolle im NS-Staat und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erfolgreich verweigern konnte. Bis heute herrschen über Funktion und Selbstverständnis des Journalismus vor und nach 1945 weiterhin Mythen, Legenden und Amnesien vor.
Dieser Band befasst sich erstmals mit der Nachkriegswirklichkeit von "Zeit" und "Spiegel", "FAZ" und "Süddeutscher Zeitung", "Stern" und "Frankfurter Rundschau" - jener Blätter also, die heute auf die Meinungsbildung der bundesrepublikanischen Gesellschaft insgesamt einen besonders großen Einfluß haben. In vorangestellten Essays werden diese Portraits in den allgemeinen Kontext der zeithistorischen, medienpolitischen und biographischen Entwicklung nach 1945 eingebunden.
Autorenporträt
Lutz Hachmeister arbeitet als Medienforscher, Regisseur und Produzent in Köln. Er war Direktor des Adolf-Grimme-Instituts und Leiter des Kölner Fernseh- und Filmfests.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2002

Die Unfähigkeit zum Nachdenken
Ein neues Buch über die Verdrängungskraft der deutschen Elite-Zeitungen und ihrer wichtigsten Journalisten nach dem Ende des Dritten Reichs
Gar nicht lange her, herrschte im ansonsten heftig rauschenden deutschen Blätterwald tiefes Schweigen – den Blätterwald selbst betreffend. Die Nachkriegspresse dünkte sich „zu foin”, hamburgisch gesprochen, voneinander Notiz zu nehmen und übereinander zu schreiben. Außerdem waberte in der bürgerlich-liberalen Publizistik eine latente Arroganz, wonach es den gemeinen Leser nicht interessiere, respektive (etwas drohend): einen feuchten Kehricht angehe, wer das Zeitungs-Süppchen zubereite, würze, finanziere. Andererseits, aus durchsichtigen Gründen, war ein Herumschnüffeln Außenstehender in den seltsam lückenhaften Biografien der Zeitungsmenschen nicht genehm, in jener Gründungszeit der neuen demokratischen Publizistik nach fünfundvierzig.
Prinzipiell ist dies anders geworden. Jedes anständige Blatt hält sich eine Medienredaktion, eine Medien-Seite. Die „Presse-Polemik” ist auferstanden, man findet durchdringende Sottisen und blendende Recherchen betreffs Kollegen, Verlage und Konkurrenten, quer durchs Genre und genießbar nicht nur für Insider. Bloß, dass seit Monaten eine melancholische, bisweilen hochdramatische Klang-Farbe den eigentlich kecken Medienstücken beigemischt ist, das Heulen der Krisensirenen, seit ein komplexes „Finanz-Desaster” selbst große Blätter heimsucht und existenziell ängstigt.
Gleichwohl: Endlich Publizität in eigener Sache, in gewissen Grenzen freilich. Die Gegenwart verschlingt Aufmerksamkeit und kostbar gewordenen Platz. Am Rest, einer riesenhaften geschichtlichen Gedächtnis-Lücke, setzt nun an die Anthologie der Herausgeber-Autoren Lutz Hachmeister und Friedemann Siering zur Frühgeschichte des (west)deutschen Elite-Journalismus nach 1945.
Als das Buch entstand, war nicht abzusehen, dass die eben noch schwerreichen Großblätter einmal verschämte Arme sein würden; der materielle Komfortstatus aber war Merkmal der Elite-Presse und Teil ihres Selbstverständnisses. Dass diese Prämisse nicht mehr zutrifft, mindert nicht den zeitlosen Wert einer tiefgehenden Vermahnung. Hachmeister und Siering bemühen sich einerseits um wissenschaftliche Korrektheit; andererseits, wie Hachmeister in einem fulminanten Essay über „Das Problem des Elite- Journalismus” ironisiert, hält man sich weit entfernt vom deprimierenden terminologischen Nebel einer linkstheoretischen Medienwissenschaft – von „binnenakademischen Mode”.
Man serviert unangenehme Wahrheiten. Die Selbstreflexion der Zeitungen/ Journalisten sei äußerst dürftig, ebenso der Beitrag zur zeitgeschichtlichen Aufklärung in eigener Sache. Dabei gehe es nicht um den längst erbrachten Nachweis, dass in der meinungsführenden deutschen Tagespresse nach 1945 ehemalige Nazis prominent wirkten und schrieben – sondern? Um das Denken und Schreiben in doppelten Standards. „Wer vergangenheitspolitische Abrechnungen und Analysen zum täglichen Geschäft zählt, kann die eigene Geschichte nur um den hohen Preis moralischer Indifferenz und geistiger Konjunkturabhängigkeit verpanzern.” Oft genug wird er bezahlt.
Zehn Aufsätze über den Elite-Journalismus nach 45 „erzählen” die Gründungs- oder Lizenzgeschichte von Spiegel und Zeit, von FAZ, SZ, Welt, Frankfurter Rundschau sowie etliche „Sonderaspekte”. Als da wären der späte, zwiespältige „Fall Werner Höfer”, das groteske Verhältnis einer ahnungslosen Hannah Ahrend zu ihrem Piper-Lektor Rößner, einem ehemaligen SS-Obersturmbandführer; die mystische Beziehung Axel Springers zu einem Mentor und „Tatkreis”-Chef Hans Zehrer.
Im Blick auf derzeitige Geld- und Eigentümerkrisen könnte die Lektüre manchen Lesers Auge öffnen. Wobei selbst Eingeweihte erschrecken sollten, mit welcher Verdrängungskraft und moralischen Unbedenklichkeit vermeintlich große Journalisten sich neu zu orientieren imstande waren.
Nach dem Tode Rudolf Augsteins gewinnt übrigens das Kapitel „ Spiegel und sein NS-Personal” neues Gewicht. Hachmeister datiert die „mentale” Geburtsstunde des eigentlichen, des demokratischen Spiegel auf den Oktober 62, den Beginn der Spiegel-Affäre. Und er mahnt an die bis auf diesen Tag beschwiegene Diskrepanz zwischen dem Selbstbildnis vom „antifaschistischen Geschütz” (so auch zahlreiche Augstein-Nachrufe) und personellen wie inhaltlichen Realitäten des Spiegel-Journalismus vor 1962.
Für alle Zeiten eines so genannten Elite-Journalismus aber gilt: Finde den Balken im eigenen Auge, ehe du Nazi-Splitter beim publizistischen Bruder recherchierst.
CLAUS HEINRICH MEYER
Lutz Hachmeister, Friedemann Siering Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, 2002
Zeitungs-Journalist Hans Zehrer.
SZ
TV-Journalist Werner Höfer.
dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einen wichtigen Beitrag zu einem lange tabuisierten Thema haben die Herausgeber und Autoren des vorliegenden "lehrreichen" Bandes nach Ansicht von Astrid von Pufendorf geleistet. Nachhaltig gelinge diesem Kompendium, was Herausgeber Lutz Hachmeister einleitend ankündige: mit dem berufsständischen Mythos aufzuräumen, die meinungsführenden Blätter der Nachkriegszeit hätten hierzulande entscheidend zur Demokratisierung beigetragen. Dabei rechnet die Rezensentin den "jungen Autoren" dieses Bandes hoch an, dass sie nicht den Stab über das Verhalten der "damals Handelnden" brechen, sondern vielmehr deren "moralische Indifferenz und geistige Konjunkturabhängigkeit" darstellen und kritisieren. Pufendorf zufolge zeichnet der Band nach, wie Zeitungen (u.a. FAZ, ZEIT, Stern) samt deren Gründer aus NS-Organen beziehungsweise -Zeitungen hervorgegangen waren. Wie beispielsweise die "ZEIT" an das "Renommierblatt des NS-Staates, 'Das Reich'" anknüpfte und auch der publizistische Mythos von dem aus der "Stunde Null" hervorgegangenen "Stern" nicht stimme, da diese Zeitschrift bereits Ende der dreißiger Jahre ein in Deutschland bekannter Markenartikel mit rund einer Million Leser gewesen sei. Am deutlichsten lasse sich anhand der von Hachmeister skizzierten Geschichte des jungen "Spiegel" ein "kompliziertes Geflecht aus NS-Kumpanei, der Sicherung von Insiderinformationen und dem auflagesteigernden Thema Nationalsozialismus" ablesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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