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Die Biologie gilt vielen als die Leitwissenschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts. In diesem Buch geben bedeutende Biologen einen gut lesbaren, fundierten Überblick über die wichtigsten Fragestellungen und Ergebnisse der Wissenschaft vom Leben. Entstanden ist dabei nicht nur ein eindrucksvolles Panorama einer überaus vielfältigen Disziplin, sondern darüber hinaus eine wichtige Selbstbeschreibung der für das Leben und die Kultur gegenwärtig folgenreichsten Wissenschaft.

Produktbeschreibung
Die Biologie gilt vielen als die Leitwissenschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts. In diesem Buch geben bedeutende Biologen einen gut lesbaren, fundierten Überblick über die wichtigsten Fragestellungen und Ergebnisse der Wissenschaft vom Leben. Entstanden ist dabei nicht nur ein eindrucksvolles Panorama einer überaus vielfältigen Disziplin, sondern darüber hinaus eine wichtige Selbstbeschreibung der für das Leben und die Kultur gegenwärtig folgenreichsten Wissenschaft.
Autorenporträt
Peter Sitte, geb. 1929 in Innsbruck. Studium der Biologie, Chemie, Experimentalphysik und Philosophie in Innsbruck. 1960 Übernahme eines Extraordinariats an der Universität Heidelberg. 1966 Ordinarius für Zellbiologie in Freiburg. Forschungsschwerpunkte: Zellbiologie u. -evolution, Feinstrukturforschung, Biosymmetrie und -ästhetik, philosophische und gesellschaftliche Aspekte der Biologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Leben tun sie, der Spiegel beschlägt
Biologen zeigen bei der Selbstbeobachtung wenig Zeichen der Vitalität / Von Claus Koch

Am Schluss kommt immer die Ethik. Wenn alles getan ist, wenn eine Wissenschaft, ihre Erkenntnisinteressen und ihre Forschungsperspektiven mehr oder weniger geschickt auseinandergelegt sind, tritt das Allgemeine auf, gehüllt ins Schweißhemd der Wissenschaftlerverantwortung vor der Gesellschaft. Dann wird schlechter geschrieben. Denn zuallerletzt erwartet den Leser wie den Autor der fundamentale Appell. Und der führt meistens ins Flache, weil er in die Leere nicht führen darf.

Die Wissenschaft sieht am schönsten aus und kann am reinsten genossen werden, wenn sie in strahlender Kälte auftreten darf und nicht um soziale Rechtfertigung bemüht sein muss. Dies ist den Biowissenschaften nur in Ausnahmen vergönnt. In ihren zahlreichen Teildisziplinen sind sie tief ins gesellschaftliche Leben und damit ins Ökonomische verstrickt, mit ihm verwoben und müssen doch zugleich, eben als Wissenschaften, für sich sein. Das gibt, wenn sie sich an ein Publikum wenden müssen, oft missklingende Texte. Zumal dann, wenn sie die Anmutung, nunmehr die Leitwissenschaften zu sein, annehmen müssen - was sie leichtsinnigerweise oft gern tun.

Die Ethik in den Wissenschaften als das Ethos der Wissenschaftler wurde zum großen Thema nach dem Zweiten Weltkrieg, unter der Königswissenschaft der theoretischen Physik. Sie bewegte sich unter der Last, zur Atombombe und in die Welt absoluter Weltbedrohung geführt zu haben. Das war eine einzigartige Rolle, die Wissenschaftler-Verantwortung stand in großer Toga auf der Bühne. Die Skrupel, die man sich zu machen hatte, betrafen die letzten Dinge, die Wissenschaft und ihre Arkanverwalter standen unter Verdacht des Staatsverrats. Das ergab, wenn es ums Ethos ging, hohe Sprache, vornehmere Texte - weil auch die Aporien edler erschienen. Die theoretische Physik ging noch einmal Arm in Arm mit der Philosophie; schließlich gab es noch Hierarchien der Geltung in den Wissenschaften.

Das hat ein Ende genommen, als die Biowissenschaften, tiefer ins Gemeine getaucht, die erste Repräsentation übernommen haben. Wenn sie eine Epoche bezeichnen, dann haben sich doch jene Ränge der Geltung aufgelöst. Die Trennungen zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und technischer Entwicklung sind bei den meisten Agenten verschwunden, und als reine Disziplin kommt kaum noch eine Wissenschaft daher. Es gibt fast nur noch Mischwesen, die sich von Forschungszielen her definieren. Das macht die dauernde Not der universitären Organisation aus, die auf ein Minimum an Stetigkeit und Abgrenzungen bedacht sein muss.

Wenn mit dem vorliegenden Sammelband die Biologie den Anspruch auf die Rolle der Leitwissenschaft behaupten soll, also nicht im horizontalen Gewirr der Biowissenschaften, die ebenso Biotechnologien genannt werden dürfen, untergehen will, so ist das ein heroischer Versuch. Er scheint nicht zuletzt dem Interesse geschuldet, das in der Universität repräsentierte Fach zusammenzufassen. Das wird freilich nicht besonders begründet, Scheidungen und Abgrenzungen bleiben undeutlich. So erfährt man zu wenig über den Zusammenhang mit der Medizin, die ihrerseits, soweit es die Forschung angeht, weithin Biomedizin geworden ist. Sie mobilisiert auf dem Gesamtfeld der Biowissenschaften nicht nur gewaltige Finanzmittel und Auftragsvolumina, sondern ist auch Hauptlieferantin von Problemen fürs Ethische, zum Beispiel durch die Reproduktionsmedizin.

Die unter dem vollmundigen Titel "Jahrhundertwissenschaft" versammelten Übersichtsartikel lassen sich als gehobene Ringvorlesung verstehen. Auswahl und Lücken werden, wie bei solchen Veranstaltungen üblich, nicht erklärt, die Aufsätze sollen für sich selber sprechen. Es ist hinzunehmen, wenn neben dem üblichen Drittel an lieblos geschriebenen Texten, die nur eine "Hier!"-Meldung von Thema und Autor darstellen, und dem weiteren Drittel der sauber, aber inspirationslos redigierten Handbuchartikel eine kritische Menge an Beiträgen beigegeben ist, aus denen das Feuer der Wissenschaft, ihre Zeitgemäßheit leuchtet. Diese kritische Menge ist hier, auch wenn durchschnittlich Brauchbares in noch ausreichendem Umfang geboten wird, unterschritten.

Der Genius der Jahrhundert- und Leitwissenschaft schlägt nur wenig Funken in den Texten zur Immunbiologie, zur Ökologie und zur Bionik, er bleibt auch allzu trocken und ordentlich bei der Ethologie, bei der Zellbiologie, bei Bakterien, Viren und Seuchen. Derlei kann man überall lesen. Wo man des bewährten Wolfgang Wieser Essay von der Evolution der Evolutionstheorie auch noch ein weiteres Mal schätzen kann, bleiben vor allem viele der Beiträge, die mit empirisch gefüllten Forschungsfeldern zu tun haben, uninspiriert und weltlos, bleiben in der Wissenschaft als solcher hängen. Was bei ihnen nur selten aufscheint, ist ihr sozialer und ihr historischer Ort und ihre Beanspruchung durch Ökonomie und öffentliche Verwaltung, also durch den Staat. Diese Ausblendung führt dazu, dass das Verantwortungspathos leer bleiben muss, keinen Weg zur Organisation der Wissenschaften selbst findet. Wenn die Biowissenschaften in die Rolle von Leitwissenschaften geraten sind, dann in einem sowohl ökonomischen wie politischen wie historischen Sinn. Sie schicken sich an, das Schwungrad für den nächsten ökonomischen Großzyklus zu werden. Was im Augenblick noch der Telematik zukommt, nicht nur zentrale Bahn für technischen Fortschritt und allgemeinen Wohlstand zu sein, sondern auch Zermalmer und Umwälzer von Institutionen und Sitten, fällt immer schneller den Biowissenschaften zu. In der weltweiten Angebotsökonomie leuchten sie die Gelegenheiten für die ergiebigsten Investitionen aus und sind somit Signalgeber für die Kapitalströme. Sie tragen dazu bei, die Rechtsnormen zu verändern, häufig durch Unterlaufen; sie schaffen auch neue Gesetzlosigkeit, weil ihrer Dynamik Staat und Gesetzgeber nicht gewachsen sind.

Die Umformung der pharmazeutischen Industrie zu biotechnischen Globalunternehmen weist voraus auf künftige Sozialagenten. Und wie anstrengend sich wenigstens im alten Westen die Veränderung der Sozialitäten gestalten könnte, wird an den möglichen Folgen des Internationalen Humangenomprojekts diskutiert. Diese Ummodelung lässt kaum eine Teildisziplin der Biologie aus - was die Frage nach der Leitwissenschaft neu stellt. Diese Idee setzte ja eine relative Autonomie der Wissenschaften voraus. Sie sollte in ihrer Selbststeuerung qua Methodeneinheit weitgehend unabhängig sein in der Generierung ihrer Forschungsfragen. Das Festhalten an der Einheit der Wissenschaften hatte den Sinn, diese Autonomie und die dazu erforderlichen Solidaritäten zu bewahren. Daraus entstand dann auch, und das wird in diesem Sammelwerk wiederum deutlich, der unverdauliche Verantwortungsknuddel des Wissenschaftlers als eines heroischen Ethik-Trägers. Was sehr strapaziös ist, weil es unverbindlich bleiben muss.

Wenn das Leitende an der Biologie nur von wenigen Beiträgen ausgearbeitet wird, so zeigt doch ein Aufsatz, wie wissenschaftliche Selbstbewegtheit, Ansteckungskraft auf andere Wissenschaften und soziales Aufklärungsversprechen sich vereinigen lassen: Wolf Singer über "Die Hirnforschung an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert". Sein Ehrgeiz ist, die "Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zumindest an einigen Berührungsflächen durchlässig zu machen". Er begründet anhand von Bewusstseinphänomenen seine Zuversicht, "den reduktionistisch naturwissenschaftlichen Erklärungsansatz auf psychische und mentale Phänomene auszuweiten". Wo sich die Konstrukteure der künstlichen Intelligenz an Reizleistungen und ihrer Messbarkeit verhaken und das Naturwesen Mensch statisch fixieren, treibt Singer die Frage voran, wie Gehirne ihrer selbst und ihrer Empfindungen gewahr werden.

Man möchte nach solcher Lektüre wieder einmal den Autoren wünschen, sie könnten sich als forschende Individuen und singuläre Beweger der Wissenschaft selber reflektieren. Jeder erwachsene Wissenschaftler müsste sich doch fragen können, wie sich seine Forschungsthemen, seine Methodenpräferenzen, seine Wahrnehmungstechniken und seine Modellvorlieben mit seiner Konstitution, seiner ästhetischen Anerkennung von wissenschaftlicher Autorität, schließlich seiner Moralapparatur verbinden. Strebten die Wissenschaftler mehr nach solcher Selbstaufklärung, was schon die Ökonomie ihrers Arbeitens gebieten würde, wäre vermutlich auch ihr Verantwortungs- und Ethik-Reden erquicklicher.

Peter Sitte (Hrsg.): "Jahrhundertwissenschaft Biologie". Die großen Themen. Verlag C. H. Beck, München 1999. 453 S., 58 Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Claus Koch ist nicht gerade angetan von diesem Sammelband über die "Jahrhundertwissenschaft" Biologie. Ein Drittel der Texte sei, wie üblich, wenn Naturwissenschaftler anfingen, über sich selbst nachzudenken, lieblos. Ein anderes Drittel findet er gerade mal korrekt, "sauber, aber inspirationslos". Weder die Tatsache, dass die Biologie sich aufspalte in lauter "Biowissenschaften", noch der Zusammenhang zur Medizin, wo sich die dringendsten ethischen Fragen stellten, würden ausreichend reflektiert. Auch ein Nachdenken über den "sozialen und historischen Ort" dieser Wissenschaften, die nach der Computerrevolution die nächste Umwälzung einleiten werden, fehle in den meisten Essays. Ausdrücklich loben will Koch nur den Essay von Wolf Singer über "Die Hirnforschung an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert".

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