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Obwohl Kulturkritik als literarische und philosophische Praxis vielseitig zum Einsatz kommt, liegt bis heute keine Theorie der Kulturkritik vor, auch keine Geschichte oder überhaupt eine Bestandsaufnahme, die zumindest die wichtigsten Namen und Fakten zusammentrüge. Diese Anthologie zieht erstmals eine markante Linie durch die theoretischen Bestände, benennt Zäsuren und dokumentiert eine kritische Theoriegeschichte. Mit Texten von Diogenes Laertius, Rousseau, Schiller, Ruskin, Nietzsche, Simmel, Valéry, Benjamin, Cassirer, Horkheimer, u. a.

Produktbeschreibung
Obwohl Kulturkritik als literarische und philosophische Praxis vielseitig zum Einsatz kommt, liegt bis heute keine Theorie der Kulturkritik vor, auch keine Geschichte oder überhaupt eine Bestandsaufnahme, die zumindest die wichtigsten Namen und Fakten zusammentrüge. Diese Anthologie zieht erstmals eine markante Linie durch die theoretischen Bestände, benennt Zäsuren und dokumentiert eine kritische Theoriegeschichte. Mit Texten von Diogenes Laertius, Rousseau, Schiller, Ruskin, Nietzsche, Simmel, Valéry, Benjamin, Cassirer, Horkheimer, u. a.
Autorenporträt
Ralf Konersmann, geb. 1955, ist Professor für Philosophie und ihre Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2001

Im Hinterland der Love-Parade
Das Ich einschalten: Ralf Konersmann betreibt weiße Kulturkritik

Auf einer Gesellschaft Platons benahm sich der Philosoph aus der Tonne einmal wieder daneben. Er stampfte auf den Teppichen des Hausherrn herum und rief: "Ich trample auf Platons Aufgeblasenheit." Der aber entgegnete gelassen: "Mit einer anderen Aufgeblasenheit, Diogenes." Wenn es sich so zugetragen haben sollte, entging auch der selbstgenügsame Kyniker nicht dem Paradox, das aller Kritik am Menschenwesen eignet. Theodor W. Adorno hat es noch unter dem Eindruck der ultimativen Katastrophe der Moderne erstaunlich launig formuliert: "Dem Kulturkritiker paßt die Kultur nicht, der einzig er das Unbehagen an ihr verdankt." Die heimliche Freude an der Schlechtigkeit des Bestehenden, die Adorno dem Kulturkritiker unterstellte, wollte er ihm in der praktischen Konsequenz skeptisch vergällen.

Trotz der im zwanzigsten Jahrhundert unübersehbar gewordenen Aufgeblasenheit der Kulturkritik bei gleichzeitiger praktischer Ohnmacht will Ralf Konersmann zufolge "bis heute niemand von ihr lassen - am allerwenigsten die Kritiker der Kulturkritik selbst". Mit seiner kleinen Anthologie kulturkritischer Schriften von Rousseau, Goethe und Schiller über Nietzsche, Simmel und Benjamin zu Horkheimer und Barthes (unter programmatischer Auslassung Adornos) möchte der Kieler Philosoph "die Entwicklung kulturkritischer Formenvielfalt" dokumentieren und zugleich für eine Neuorientierung eintreten. Dafür grenzt er die pessimistische und antimodernistische Tradition, die auf Leitbilder und Generalsubjekte setzt, ebenso aus wie die aufgeblasenen Selbstdenker und Dekonstruierer (mit Ausnahme Nietzsches) und propagiert eine versöhnliche "weiße" Kulturkritik, die sich lebenszugewandt darauf beschränkt, "Prozesse der Reflexion in der veränderten Welt zu studieren und selber voranzutreiben". Angesichts der falschen Alternativen "der Bereitschaft zum Rückfall in die Vormoderne wie der Propagierung eines unbeschwerten Laisser-faire", die zum Beispiel die Gentechnologie-Debatte kennzeichne, könne eine Gewinne und Verluste historisch bewußt bilanzierende Kulturkritik zur "Chance" werden.

Die Fragen, die eine vor der blinden politischen Praxis innehaltende Kritik zu stellen hätte, sind offenbar bewußt nicht originell formuliert: "Woher wir kommen; was uns angeht; wohin wir es gebracht haben; ob es das ist, was einmal gewollt war" und so fort. Kulturkritik in Konersmanns Sinn geht auf den ursprünglichen Impuls der abendländischen Philosophie zurück: auf die Frage nach dem richtigen Leben. Nur, daß die Antworten nunmehr ganz in die Zuständigkeit des auf sich gestellten Individuums gegeben sind. Ein selbstbewußtes und sich historisch reflektierendes Subjekt findet nach der Zuversicht Konersmanns und seines Beiträgers Gustav Seibt Spielräume sowohl in der Kultur wie in sich selbst. Denn die moderne Gesellschaft ist "nicht nur durch eine alles durchdringende funktionale Integration gekennzeichnet, sondern ebenso durch eine relative (übrigens durchaus wandelbare, im Moment eher wachsende) Autonomie gesellschaftlicher Sphären".

So endet das selektive Paradigma nicht zufällig mit Seibts "kulturkritischer Diätetik", die Adornos grimmiges Konzept einer "gesellschaftlichen Physiognomik" als Verdinglichungskritik heiter überschreitet und die Vorzüge "der erfreulich entspannten Existenz des spätmodernen Individuums" preist. Die besteht vor allem in der Freiheit, zwischen den Bewußtseinsebenen "hin und her gleiten zu können", ohne die Reflexion auf die eigene Geschichtlichkeit zu vernachlässigen: "Man kann es schön finden, daß heute eine beruhigend dekadente Jugend im Technorhythmus die Lampen Albert Speers auf einer von Hitlers Aufmarschstraßen zum Schwingen bringt, und guten Gewissens dazustoßen; oder man kann es vorziehen, sein Ich angeschaltet zu lassen und im menschenleeren Hinterland der Love-Parade ein Buch mit den Oden antiker Meister zu lesen oder moderne Denkmethoden zu lernen."

Diese Entspanntheit wirkt bei der Lektüre in die historischen Beiträge zurück, ohne Goethes Besorgnis ganz tilgen zu können, daß bei allem schönen Nutzen der versammelten Betrachtungen für den einzelnen "das Ganze mit unaufhaltsamer Gewalt forteilt". Die gute alte aggressive Lust an der Schlechtigkeit der Welt, die von je die Einverstandenen mit brillanten Verwerfungen geärgert hat, kommt in dem Bändchen ohnehin zu kurz, und so wird der boshafte Leser Konersmanns vernünftiger Kulturkritik bei aller Zustimmung ein paar schwarze Spritzer an die weiße Weste wünschen.

FRIEDMAR APEL

"Kulturkritik". Reflexionen in der veränderten Welt. Hrsg. von Ralf Konersmann. Reclam Verlag, Leipzig 2001. 213 S., br., 28,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Bei Reclam Leipzig hat Ralf Konersmann ein Studienbuch mit dem Titel Kulturkritik. Reflexionen in einer veränderten Welt herausgegeben. Seine Einleitung ist ebenso ausgezeichnet wie die Auswahl der Texte

von Barthes, Benjamin, Cassirer, Goethe, Horkheimer, Diogenes Laertios, Nietzsche, Roussseau, Ruskin, Schiller, Seibt und Simmel." Die Zeit

"Die Kulturkritik hat keinen guten Ruf. Ihr haftet der Geruch des Altväterlichen, Nostalgischen und Rückwärtsgewandten an. Darüber hinaus steht sie in dem Verdacht konservativer Modernitätsfeindlichkeit und pessimistischer Schwarzmalerei. Gegen diese gängigen Vorurteile setzt sich Ralf Konersmann in einer Einführung zur Wehr, die er einer Sammlung einschlägiger Texte vorangestellt hat. Seine These lautet: ´Kulturkritik ist Kritik der Kultur im Namen der Kultur.´" Neue Zürcher Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Philosoph Konersman versammelt in diesem Band kulturkritische Aufsätze bedeutender Denker von Rousseau bis Roland Barthes. Gezielt vermieden werden die großen Schwarzseher und Pessimisten, vielmehr geht es um den Gegenentwurf einer "weißen", eher versöhnlich gestimmten Kulturkritik. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Rezensent Friedmar Apel dem Beitrag von Gustav Seibt, den er so referiert, dass ein kulturkritischer Impetus gar nicht mehr sichtbar ist. Oder wie soll man Seibts Rede von der "erfreulich entspannten Existenz des spätmodernen Individuums" anders als affirmativ verstehen? Das jedenfalls geht Apel denn doch zu weit, er wünscht sich als Antidot "die gute alte aggressive Lust an der Schlechtigkeit der Welt" und Konersmanns "vernünftiger Kulturkritik" gelegentliche Eintrübungen.

© Perlentaucher Medien GmbH"