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Pisa 1945: Der junge deutsche Nachrichtensoldat H. C. erkundet mitten im Krieg die Schönheit der Landschaft. Unweit der Stadt wird ein amerikanischer Dichter von der US-Army interniert und in das "Todeszelt" gebracht, weil er antisemitische Tiraden über den Rundfunk verbreitet hatte: Ezra Pound. - Nach über fünfzig Jahren kehrt H. C. zurück an die Stätten des Krieges. Er begibt sich auf die Suche nach Ezra Pounds Spuren, taucht ein in die geheimnisvolle Welt seiner Dichtung, und versucht den Ort des Straflagers ausfindig zu machen. Aber das einstige Lager umgibt ein Mantel des Schweigens. Die…mehr

Produktbeschreibung
Pisa 1945: Der junge deutsche Nachrichtensoldat H. C. erkundet mitten im Krieg die Schönheit der Landschaft. Unweit der Stadt wird ein amerikanischer Dichter von der US-Army interniert und in das "Todeszelt" gebracht, weil er antisemitische Tiraden über den Rundfunk verbreitet hatte: Ezra Pound. - Nach über fünfzig Jahren kehrt H. C. zurück an die Stätten des Krieges. Er begibt sich auf die Suche nach Ezra Pounds Spuren, taucht ein in die geheimnisvolle Welt seiner Dichtung, und versucht den Ort des Straflagers ausfindig zu machen. Aber das einstige Lager umgibt ein Mantel des Schweigens. Die Italienreise wird zu einer Reise in die Vergangenheit; die Bilder des Krieges verschwimmen, mischen sich mit Reflexionen über die Vergänglichkeit, die Toskana, Ezra Pound und die Poesie.
Autorenporträt
Hanns Cibulka (1920-2004) wurde im mährisch-schlesischen Tuchmacherstädtchen Jägerndorf geboren, ein Berufsleben lang war er Bibliothekar in Gotha.
Rezensionen
In Hanns Cibulkas Buch spricht sich eine tiefe Skepsis aus über unsere Gegenwart, die Fähigkeit der Menschheit, noch zur Vernunft zu kommen. Noch nie, meint er, war unser Leben so zerbrechlich wie heute - "unter den Sternen zeichnet sich eine Katastrophe ab". Sonnenflecken über Pisa ist ein leises und nachdenkliches, ein schönes Buch, so, wie seine Leser es von Hanns Cibulka seit langem kennen. Sächsische Zeitung

Cibulkas neues Buch ist eine ergreifende autobiographische Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und Poesie, dicht und lebendig, frei von Sentimentalität und Schwarzweiß-Malerei. Der Autor begnügt sich nicht mit der Oberfläche der Dinge und Worte, er schürft, forscht, erinnert, zweifelt und hinterfragt. Manchmal verschwimmen die Bilder des Krieges und vermischen sich mit Reflexionen über Gegenwart und Zukunft unseres Planeten. Thüringische Landeszeitung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2000

Erinnerungen eines Kriegers
Schlußbetrachtung: Hans Cibulkas "Sonnenflecken über Pisa"

Jahrhundertzeuge - ein Titel, der leichtmündig vergeben wird, wenn frühe Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts den Nachgeborenen von alten Zeiten berichten. Wie aber kann man es treffender ausdrücken, daß ein persönliches Schicksal zum Modell geriet für eine Ära, aus der unser aller Gegenwart hervorging? Hans Cibulka, Schriftsteller, wird heute achtzig, und er hat das just vergangene Säkulum nicht nur durchlebt, er hat es gewissermaßen auch protokolliert. Die bisher letzten Seiten des Protokolls finden sich in einem soeben erschienenen Reclam-Bändchen mit dem Titel "Sonnenflecken über Pisa".

Cibulka stammt aus Jägerndorf in Mähren, gehört also zu den Sudetendeutschen, die 1938 als Spielmaterial in Hitlers ersten Kriegsbestrebungen mißbraucht wurden, später im Westen als Vertriebene, im Osten als Umsiedler figurierten. Den Weltkrieg, der dazwischen lag, hat Cibulka von Anfang an mitmachen müssen, am bitteren Ende folgten drei Jahre amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Sizilien. Warum wählte er, als er heimkehrte, den Ostteil Deutschlands? Vielleicht ließ er sich von den Propagandasprüchen jener ersten Nachkriegszeit verführen, die dem besiegten Volk eine antifaschistisch-demokratische Erneuerung verhießen. Die Losungen schienen die Lehren des Vaterhauses zu bestätigen, von denen er in seinem jüngsten Buch sagt: "Mein Vater war Appreturmeister in einer Tuchfabrik, ein alter Sozialdemokrat und Gewerkschafter. Er hat sein Leben lang gegen den Anschluß an das Deutsche Reich gekämpft, wenige Tage vor dem Einmarsch hat er mit anderen Männern noch Straßensperren gebaut."

Über die Enttäuschungen, die in den DDR-Jahrzehnten folgten, erfahren wir wenig. Cibulka gehörte dem Vorstand des Schriftstellerverbandes an, nicht aber der SED. Er bekam allerlei Literaturpreise, niemals aber den Nationalpreis. Er leitete die Stadt- und Kreisbibliothek im provinziellen Gotha, kein Prominentenamt in Berlin. Das muß nicht viel bedeuten, kann es aber. Schauen wir in seine Gedichte, so finden wir Zeilen wie die folgenden aus dem Jahr 1954: "Immer nur fremd in der Fremde die Wasser zu schöpfen ist bitter. / Was in den Händen verblieb, war unser eigener Schrei."

Cibulka sagte selten geradeheraus, was er dachte, man mußte sich in seine Stimmungen einfühlen. Das galt für seine ersten, die lyrischen Dichterjahre wie, seit den Siebzigern, für seine Prosa, die in Tagebuchform daherkam. 1971 erläuterte der Autor: "Jeder Tag ist eine neue Tür, man hält Ausschau nach dem Bruder, ist auf der Suche nach dem eigenen Ich." Das eigene Ich war nun nicht gerade der literarische Gegenstand, auf den die DDR ihre Schriftsteller zu verpflichten trachtete. Also kündigte sich in der Wahl von Form und Aussage irgendwie schon der Ärger an, den Staat und Dichter ein Jahrzehnt später miteinander hatten. Im Tagebuch "Swantow" (1982) nämlich übte Cibulka Kritik am heimischen Kulturbetrieb, am Umgang mit der Umweltproblematik, an des Menschen mangelnder Einsicht in die Bedingungen seiner Existenz. Die DDR zog sich den Schuh an, durchaus zu Recht, aber des Dichters Schelte galt nicht nur der eingemauerten Gesellschaft, sondern der ganzen Welt. Ein DDR-Lyriker hatte sich zum kosmopolitischen Prosaisten gemausert.

Und das ist er geblieben, wie sein jüngstes Werk, "Sonnenflecken über Pisa", bezeugt. Der Verlag hat die Bezeichnung "Roman" auf die Titelseite gedruckt, weiß der Himmel, warum. Cibulka hat keinen Roman verfaßt, offenkundig auch keinen verfassen wollen. In Tagebuchmanier, wie seit langem, steigt er hinab in seine Vergangenheit und fördert aus ihr Erkenntnisse für die Gegenwart. Der Ort seiner Grübeleien ist Italien, teils die toskanische, teils die sizilianische Region. Die Zeit, in die er uns führt, ist ein kleines Stückchen Heute, aus dem der Italien-Reisende ins Gestern zurückblickt, und eine große Menge von jenem Gestern. Im großen und ganzen handelt es sich also um eine Rückschau in die Kriegsjahre, in denen Cibulka die Weltgegend kennenlernte, die ihm, je älter er wurde, mehr und mehr als seine eigentliche Heimat vorkommen wollte.

Cibulka gibt den Kriegsgeschehnissen reichlich Raum, er stützt sich dabei auf den Soldatenalltag. Rapporte über die militärische Gesamtlage, also das dräuende Schicksal über den Soldatenköpfen, überläßt er den Wehrmachts- und Generalstabsberichten, die immer wieder in den Text gestreut sind. Erinnerungen eines Kriegers also? Ja, wenn man vom Material ausgeht, das der Dichter nutzt. Nein, wenn man genau untersucht, was er daraus macht. Dann nämlich wird schnell deutlich, daß er für seine Aussage auch eine andere Periode hätte wählen können, hätte er sich darin so gut ausgekannt wie im italienischen Feldzug.

Cibulka will an seine Leser durchaus keine Weltkrieg-II-Anekdoten loswerden. Vielmehr sollen sie sich die Lehren vergegenwärtigen, die der Menschheit in den Kriegen von Jahrtausenden zuteil wurden, bis auf den heutigen Tag ohne befriedigendes, weil ohne befriedendes Ergebnis. Also stellt er neben seine deutschen Landser die Griechen, Phönizier, Römer, Araber, Normannen, alle, die um irgendwelcher Ziele willen auf italienischem Boden Kriege führten. "Wie ein Raster schiebt sich die Geschichte zwischen Auge und Landschaft", schreibt er und klagt: "Feuer in die fremden Schiffe, brennendes, schwelendes Holz, weithin sichtbar die Rauchsäulen." Cibulka bemüht nicht nur die Historie an sich, sondern auch berühmte Sprecher verblichener Epochen. Sein Maß an kulturgeschichtlichem Wissen imponiert. Ausführlich läßt er Empedokles zu Worte kommen, dringt in das Werk Giacomo Leopardis ein, forscht nach den Spuren Ezra Pounds. Vor allem Pound beschäftigt ihn, der Parteigänger des Duce, den die amerikanischen Sieger im April 1945 in ihr Straflager bei Pisa sperrten, bevor sie ihn in eine amerikanische Irrenanstalt verlegten. Cibulka möche wissen, ob Pound im Pisa-Lager tatsächlich unter so grausigen Umständen vegetieren mußte, wie berichtet wird. Er sagt nicht, warum ihn gerade das so sehr interessiert. Vielleicht hat es ihn verstört, sich einen bedeutenden Dichter in der Falle politischen Unrechts vorstellen zu müssen und die Befreier vom Unrecht in der Rolle grausamer Kerkermeister. Cibulka sucht vergebens nach jenem Lager, niemand weiß nach einem halben Jahrhundert mehr, wo es war, was sich darin begab. Von Pounds italienischer Zeit zeugt allein noch die Literatur. Wieder und wieder zitiert Cibulka eine Wendung aus den "Pisaner Gesängen": "die ungeheure Tragik des Traums im gebeugten Rücken des Bauern". Es scheint, als hätte er gern einem Mann, der so etwas sehen und sagen konnte, post mortem etwas mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen.

SABINE BRANDT

Hans Cibulka: "Sonnenflecken über Pisa". Roman. Reclam Verlag, Leipzig 2000. 182 S., br., 16,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wieso der Verlag diesen Band als Roman angekündigt hat, bleibt Sabine Brandt ein Rätsel. Für sie handelt es sich hier vielmehr um tagebuchähnliche Aufzeichnungen und Reflexionen eines "Jahrhunderzeugen" - obwohl sie dieses Wort nur mit Vorsicht verwenden mag. Schwerpunkt des Buchs sind, wie der Leser erfährt, Rückblicke auf die Kriegsjahre, das Dasein als Soldat und Kriegsgefangener des Autors auf Sizilien. Dabei weiß es die Rezensentin sehr zu schätzen, dass Cibulka "keine Weltkrieg-II-Anekdoten loswerden" will, sondern mit einem imponierenden kulturgeschichtlichen Hintergrund über die Lehren, die aus Kriegen gezogen bzw. eher nicht gezogen worden sind, nachdenkt. Und so stehen neben Cibulkas eigenen Erlebnissen auch Exkurse über die Kriege von "Griechen, Phöniziern, Römern, Arabern und Normannen" (Cibulka konzentriert sich auf Italien) und auch Überlegungen zu Empedokles, Giacomo Leopardi und Ezra Pound, dessen Schicksal in einem Straflager in Pisa sich jedoch auch von Cibulka nicht mehr rekonstruieren lasse. Brandt zeigt sich durchaus angetan von diesem Band, auch wenn sie es zu bedauern scheint, dass man über Cibulkas "Enttäuschungen, die in den DDR-Jahrzehnten" für ihn folgten, nur wenig erfährt.

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