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Produktdetails
  • Verlag: edition ost
  • Repr. d. Ausg. v. 1968.
  • Seitenzahl: 446
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 1002g
  • ISBN-13: 9783360010339
  • ISBN-10: 3360010337
  • Artikelnr.: 10284620
Autorenporträt
Norbert Podewin, geboren 1935 in Berlin und dort aufgewachsen, studierte von 1961 bis 1966 Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1974 Promotion zum Thema deutsch-deutsche Beziehungen. In den 60er Jahren gehörte er dem Autorenkollektiv an, das die Fakten zum "Braunbuch" zusammentrug (eine Publikation, die die personelle Kontinuität vom Nazireich zur Bundesrepublik nachweist). Von 1970 bis 1975 Arbeit als außenpolitischer Referent des amtierenden Staatsratsvorsitzenden Friedrich Ebert. Später Honorardozent an der Fachschule für Außenwirtschaft der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst und Sekretär des Nationalrats der Nationalen Front.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2002

Zuverlässig
Lob des antifaschistischen
Rentners: Reprint des Braunbuchs
Die braun kartonierte Schwarte erschien 1965 im Staatsverlag der DDR und trug den Titel „Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin”. Sie richtete sich gegen die „Machthaber Bonns”, herausgegeben hatte sie der Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland, erarbeitet ein von der Stasi gelenktes Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung. Als spiritus rector darf Albert Norden gelten, der Chefagitator der SED, dessen Vater Joseph 1942 aus Hamburg nach Theresienstadt deportiert wurde und dort ein Jahr später starb. Das Braunbuch konfrontierte die Öffentlichkeit mit der NS- Vergangenheit von fünfzehn Bonner Ministern und Staatssekretären, von hundert Generälen und Admiralen der Bundeswehr, knapp tausend hohen Justizbeamten, Staatsanwälten und Richtern, 245 Angehörigen des Auswärtigen Amtes, 297 leitenden Beamten der Polizei und des Verfassungsschutzes.
In der alten Bundesrepublik galt der Band lange als politische Pornographie. Natürlich handelte es sich dabei um Propaganda,in wenigen Ausnahmefällen sogar um Fälschungen, aber ein gedankenloses Machwerk war das Braunbuch nicht. Vielmehr erwiesen sich seine empirischen Grundlagen als äußerst beständig, die Irrtumsquote lag deutlich unter einem Prozent. Das zeichnete das Agitprop-Buch vor zahllosen historischen Nachschlagewerken aus.
Der Haupteinwand, der heute gegen das Braunbuch erhoben werden kann, besteht darin, dass es zu wenige Namen nannte. Eben wegen der kompakten Fülle angesehener westdeutscher Adressen erweckte es ungewollt auch die Illusion, alle Nichtgenannten hätten mit dem Nationalsozialismus nichts oder nur wenig zu tun gehabt. Davon konnte keine Rede sein, wie die Forschungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen. Dennoch erlaubt das Braunbuch eine kurze präzise Information zum Beispiel über die NS-Karriere des FDP-Abgeordneten Siegfried Zoglmann, über Erhards kurzzeitigen Vertriebenenminister Hans Krüger, der schon 1923 beim Hitler-Putsch mitmarschierte und später im besetzten Polen Todesurteile fällte.
Trabantgrünes Findhilfsmittel
Da erscheinen der Jurist Theodor Schöllgen, der vom Oberamtsrichter beim Sondergericht Wuppertal zum Landgerichtsdirektor in Mönchengladbach avancierte, und Franz Sixt, der Chef des Amtes II in Heydrichs Sicherheitshauptamt, der – schnell begnadigt – Anfang der fünfziger Jahre Werbechef der Porsche-Diesel-Motorenbau GmbH wurde. Über Hans Constantin Boden liest man, er sei vor 1945 Wehrwirtschaftsführer gewesen und danach als Chef der AEG einer der einflussreichsten, auch in staatlichen Beratungsfunktionen beschäftigten Manager der Bundesrepublik. Dass Boden 1944/45 Wirtschaftsbevollmächtigter des Deutschen Reiches in Ungarn war, zuständig für Ausplünderung des Landes und für die nützliche „Überführung jüdischen Vermögens”, steht nicht im Braunbuch.
Bei aller politischen und zeitbedingten Beschränktheit erscheint der Reprint der dritten und letzten Auflage des Braunbuchs von 1968 aus mehreren Gründen berechtigt. Er dokumentiert eine Phase des binnendeutschen Kalten Krieges, gibt einen extrem parteiischen, aber in der Sache nicht falschen Einblick in die Nazikontinuitäten der alten Bundesrepublik und verschweigt jeden Hinweis auf vergleichbare Kontinuitäten in der einstigen „DDR”. Das Vorwort des Herausgebers Norbert Podewin schenkt man sich besser. Er schwadroniert über das angebliche Unvermögen der Bundesrepublik, das Thema „Zwangsarbeit” angemessen zu behandeln und verschweigt, dass die DDR bis zum Ende sämtliche Unterlagen über die Schicksale einzelner Zwangsarbeiter in den Fabriken der späteren DDR systematisch sekretierte. Das geschah mit der Begründung, man wolle auf diese Weise möglichen Entschädigungsforderungen entgehen.
Die geringe Fehlerquote des Braunbuchs hatte ihren Grund. Die Arbeit wurde mit hohem Aufwand systematisch betrieben. Mehrere Hundert antifaschistische Rentner durchforsteten Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre die Stadt-, Kreis- und Betriebsarchive der DDR, ebenso die NS- Überlieferungen in den Staatsarchiven Potsdam und Merseburg und in den Landesarchiven. Unter fachlicher Anleitung von Archivaren erstellten sie im Lauf der Jahre 4,5 Millionen Karteikarten über die Fundstellen für einzelne Namen. Diese Braunbuchkartei wurde später durch Auswertung der in den USA und in Großbritannien verfilmten NS-Bestände ergänzt.
Heute findet man die trabantgrünen Din-A5-Karten in der Außenstelle des Bundesarchivs in Dahlwitz-Hoppegarten. Neben der Zentralkartei in Ludwigsburg über die altbundesdeutschen NS-Ermittlungen, neben den Dateien des einstigen Berlin Document Centers in Berlin-Lichterfelde und der so genannten NS-Vorgangskartei der ehemaligen DDR-Staatssicherheit bildet die Braunbuchkartei das vierte wichtige Findhilfsmittel, um die Rolle einzelner NS- Funktionsträger zu ergründen. Sie wird etwas verschämt behandelt, manchmal fast versteckt. Und doch ist sie das auf die Dauer wichtigste Ergebnis des Braunbuch-Projekts.
GÖTZ ALY
NORBERT PODEWIN (Hrsg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Reprint der Ausgabe 1968. Edition ost, Berlin 2002. 446 Seiten, 22,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In der alten Bundesrepublik galt der Band, der 1965 erstmals im Staatsverlag der DDR erschienen war, lange als "politische Pornografie", weiß Rezensent Götz Aly. Ohne Frage handelte es sich bei dem Band, der die deutsche Öffentlichkeit mit der NS-Vergangenheit von Ministern und Staatssekretären, von Generälen und Admiralen der Bundeswehr, Justizbeamten, Staatsanwälten und Richtern, und weiteren Berufsgruppen konfrontierte, um Propaganda, räumt Aly ein. Doch ein "gedankenloses Machwerk" ist es nicht, hält der Rezensent fest. Er hebt hervor, dass sich die "empirischen Grundlagen" des Braunbuchs als äußerst beständig erwiesen haben und die Irrtumsquote deutlich unter einem Prozent liegt, was das Buch seines Erachtens vor zahllosen historischen Nachschlagewerken auszeichnet. Der größte Einwand, der aus heutiger Sicht gegen das Braunbuch erhoben werden kann, ist für Aly, dass es zu wenige Namen nannte. So habe es ungewollt auch die Illusion geweckt, alle Nichtgenannten hätten mit dem Nationalsozialismus nichts oder nur wenig zu tun gehabt. Den Reprint des Buches hält Aly aus drei Gründen für berechtigt: Es dokumentiere eine Phase des binnendeutschen Kalten Krieges, gebe einen extrem parteiischen, aber in der Sache nicht falschen Einblick in die Nazikontinuitäten der alten Bundesrepublik und verschweige jeden Hinweis auf vergleichbare Kontinuitäten in der einstigen "DDR".

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