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"Wir waren wie Kinder, geradezu unverschämt jung. Einfaltspinsel waren wir, Partisanen." Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der voller Heldenmut die Schule verlässt und kurz darauf dem Tod in die Arme läuft. Der im Mut die Sinnlosigkeit erkennen muss, die historische Schuld bei allem Recht, die Naivität im Heroismus. Fünf Jahrzehnte konnte der große israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk nicht über seine Erlebnisse im Unabhängigkeitskrieg von 1948 schreiben. Jetzt erzählt er in unwiderstehlich schönen Bildern und schockierenden Momentaufnahmen von dem Kampf, der zur Entstehung des…mehr

Produktbeschreibung
"Wir waren wie Kinder, geradezu unverschämt jung. Einfaltspinsel waren wir, Partisanen."
Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der voller Heldenmut die Schule verlässt und kurz darauf dem Tod in die Arme läuft. Der im Mut die Sinnlosigkeit erkennen muss, die historische Schuld bei allem Recht, die Naivität im Heroismus.
Fünf Jahrzehnte konnte der große israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk nicht über seine Erlebnisse im Unabhängigkeitskrieg von 1948 schreiben. Jetzt erzählt er in unwiderstehlich schönen Bildern und schockierenden Momentaufnahmen von dem Kampf, der zur Entstehung des Staates Israel führte.

Mit historischer Karte, Zeittafel, Glossar und einem Porträt des Autors im Anhang.
"Kaniuk hat sich nie gescheut, bis an die Grenze des Sagbaren zu gehen, und manchmal darüber hinaus." FAZ
Autorenporträt
Kaniuk, Yoram
1930 in Tel Aviv geboren, verkörpert Yoram Kaniuk zionistische und israelische Geschichte. Er wurde im Unabhängigkeitskrieg verwundet, zog für zehn Jahre nach New York, kehrte 1961 nach Israel zurück. Für seine Romane, Geschichten und Kinderbücher erhielt er zahlreiche Preise, zuletzt den renommierten Sapir-Preis für "1948". Die Universität Tel Aviv verlieh ihm 2011 die Ehrendoktorwürde. Sein Roman "Adam Hundesohn" wurde in 20 Sprachen übersetzt und 2008 verfilmt.Yoran Kaniuk starb am 8. Juni 2013 in Tel Aviv.

Achlama, Ruth
Ruth Achlama, geboren 1945, lebt seit 1974 in Israel und übersetzt seit Anfang der 1980er Jahre hebräische Literatur, darunter Werke von Amos Oz, Meir Shalev, Yoram Kaniuk und Ayelet Gundar-Goshen. Für ihre Arbeit wurde sie unter anderem mit dem deutsch-israelischen Übersetzerpreis (2015) ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dass der Autor, einst Untergrundkämpfer, dann Kritiker seines eigenen Staates, in seinem Land posthum zur anerkannten Stimme gegen Israels offiziellen Staatsgründungsmythos geworden ist, registriert Stefana Sabin mit Genugtuung. Yoram Kaniuks autobiografisches Erinnerungsbuch gefällt ihr denn auch am besten in seinen slapstickartigen Momenten, etwa wenn der Autor beschreibt, wie er als junger, hundemüder Partisan die israelische Staatsgründung quasi im Schlaf mitbetrieben hat. Kaniuks implizite Klage gegen den Partisanenkrieg und seine moralische Rechtfertigung hört Sabin freilich immer mit. Dem Buch verleiht diese Kritik laut Sabin eine historisch-kritische Dimension.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2013

Zwei Seelen
In diesen Wochen feiert Israel seine Staatsgründung vor 65 Jahren:
Yoram Kaniuks Roman „1948“ verweigert die Feier des Heroischen
VON THORSTEN SCHMITZ
Mit 17 Jahren hielt Yoram Kaniuk zum ersten Mal in seinem Leben eine Waffe in der Hand und schoss auf Menschen, die er nicht kannte. Mit 17 Jahren zog er tote Kameraden aus einem Panzerwagen, „sie sahen aus wie Fleischstücke in der Metzgerei“. Mit 17 Jahren sah er einen Kameraden der Palmach, der von Arabern gehenkt worden war, das abgetrennte Geschlechtsteil in seinen Mund gesteckt. Mit 17 Jahren erreichte Kaniuks Kompanie das umkämpfte Jerusalem, und in den jüdisch-orthodoxen Vierteln wurden sie mit Steinen beworfen – weil Schabbat war.
  Über 60 Jahre hat es gedauert, bis sich Kaniuk traute, seine Erinnerungsschachtel zu öffnen und aufzuschreiben, wie er den Krieg von 1947/1948 erlebte. Einen Krieg, der im Mai 1948 zur Gründung Israels führte und den die Araber bis heute als „Nakba“ (Katastrophe) bezeichnen. Schon der erste Satz seines Reports stellt klar: „Es war einmal oder auch nicht, so oder anders, keine Erinnerung hat einen Staat, kein Staat hat eine Erinnerung.“
  Was ist wahr, was Erfindung? Was hat sich tatsächlich zugetragen, was hat die Zeit geschönt? Wer war Kaniuk vor über 60 Jahren, als 17 Jahre alter Kindersoldat in der jüdischen Untergrundorganisation Palmach? Der Schriftsteller hat eine elegante, faszinierende Form gefunden für seine Memoiren: Der 83 Jahre alte Kaniuk von heute beschreibt den Kaniuk von damals. Der damals selbstgerechte Bub wird von dem heute weisen und selbstkritischen Autor beschrieben. Das Buch soll Roman sein, ist in Wahrheit aber: Autobiografie.
  Kaniuk verleiht dem Yoram von damals die Stimme und die Gedanken des Kaniuk von heute. Er räsoniert, nörgelt, lamentiert, weint, lacht, fürchtet sich und hat vor nichts Angst. Das Größte für den jungen Kaniuk damals war: Als junger Soldat den Heroentod sterben. Das Sinnloseste für den alten Kaniuk heute ist: Kriege führen, sich gegenseitig töten. Sein Buch ist auch ein Pamphlet zum Waffeneinmotten. Für das Buch, das in Israel vor drei Jahren erschienen ist, hat Kaniuk den hochdotierten Sapir-Literaturpreis gewonnen. Es hat ihm aber auch viel Kritik eingebracht: In Israel gibt es viele, die Kaniuks Buch verdammen, weil es ihre faltenlosen Erinnerungen trübt.
  Der Kaniuk von damals bricht mit 17 Jahren das Gymnasium ab und meldet sich freiwillig zum Dienst in der Palmach. Heute schreibt er: „Klug waren wir nicht. Kluge Menschen gehen nicht mit siebzehn, achtzehn oder auch zwanzig Jahren freiwillig in den Tod. Kluge Menschen geben bestehenden Staaten den Vorzug vor erträumten. Kluge Menschen rackern sich nicht ab, um neue Staaten in einem heißen Landstrich zu gründen, der von arabischen Einwohnern wimmelt und inmitten feindseliger arabischer Staaten liegt.“ Zwei Stimmen wohnen in Kaniuks Brust. Als die Truppe des jungen Kaniuk Jerusalem erreicht, spricht der Kaniuk von heute: „Man muss ein Vollidiot sein, ja mehr noch als das, um durch Minenfelder zu laufen und zu glauben, das sei für die Nation, zumal ich diese noch gar nicht persönlich kennengelernt hatte.“
  Solche unverschämten Sätze entsprechen nicht dem offiziellen Erinnerungskanon Israels, sondern einem ernüchterten Schriftsteller, der nach Israels Staatsgründung einer Verwundung wegen in die USA fuhr und dort zehn Jahre blieb. Da spricht auch der Kaniuk, der vor kurzem in Israel für Aufregung sorgte, weil er vor dem Obersten Gerichtshof erstritten hat, dass in seinem Pass als Religionszugehörigkeit nicht mehr „jüdisch“ steht – Kaniuk hatte damals in den USA seine nicht-jüdische Ehefrau kennengelernt und findet es bis heute ungerecht, dass seine Kinder und Enkelkinder deshalb als nicht jüdisch gelten.
  „1948“ unterscheidet sich fundamental von Israels offizieller Staats-Chronik. Jedes Jahr feiert sich das Land und seine Unabhängigkeit, mit Feuerwerken, Flugparaden über den Stränden, Grillparties und epischen Heldengeschichten. Allerdings gibt es auch bei den Palästinensern heute nur eine Geschichtsschreibung: Die von der „Nakba“. Sie blendet etwa aus, dass es die arabischen Staaten waren, die den UN-Beschluss von 1947 ablehnten, Palästina in einen jüdischen und in einen arabischen Staat zu teilen.
  Israel schöpft aus den Heldengeschichten seine Kraft und formt damit eine gesamtgesellschaftliche Identität des Zusammenhalts. In „1948“ bricht Yoram Kaniuk diese eindimensionale, staatlich orchestrierte Geschichtsschreibung. Eine der eindrucksvollsten Passagen des Buches beschreibt, wie er die Städte Ramla und Lud erlebt hat. Ramla und Lud waren früher komplett arabisch bevölkert. Als der junge Kaniuk Anfang 1948 in Ramla eintrifft, findet er einen leeren und mit Stacheldraht eingezäunten Ort vor, „ein großer Besen war durch die Stadt gefahren und hatte alle hinweggefegt, Kinder, Frauen, Alte, Junge, nur ihre Hohlräume hinterlassen“. Es ist eine apokalyptische Szene, die Kaniuk beschreibt. So hat man noch nie vom Unabhängigkeitskrieg gelesen: „In den Häusern sah man gedeckte Tische, ein Kamel kaute langsam, schien nicht zu begreifen, wohin sein Besitzer verschwunden war, Esel irrten iahend durch die öden Straßen.“ Kaniuk trifft einen israelischen Soldaten und fragt: „Wer hat ihnen verboten, in Ramla zu sein, es ist ihre Stadt gewesen.“ Aus dem Soldat spricht das neue Israel: „Sei kein Dummkopf, sie ist es nicht mehr.“
  Zwei Tage später kommen Hunderte Holocaust-Überlebende in Lastwagen, viel zu warm gekleidet für den heißen Sommer: „Sie gingen nicht auf die leeren Häuser zu – sie stürzten sich darauf! Sie erstürmten sie hungrig, gierig, während die Eigentümer fern hinterm Zaun standen, sich sehnlich zurückwünschten.“ Kaniuk ordnet ein, was er sieht, allerdings mit seinen zwei Stimmen: „Der Anblick der Juden, die jedes Haus in Beschlag nahmen, war grauenhaft, aber auch von einer menschlichen Schönheit, die sich jedem Urteil entzog.“
  Kaniuks Roman liest sich, als sei Israel nur durch Zufall zustande gekommen. Er schreibt von kampfdurstigen, aber kampfunerprobten Befehlshabern, von faulen Kriegern und Offizieren, die in Dünen Prostituierte treffen. Grandios und gefühlvoll hat Ruth Achlama Kaniuks „1948“ vom hebräischen Original ins Deutsche übertragen. Seine Rückblenden sind so gestochen scharf, als habe er eine Lupe über die Kriegswochen gehalten.
  Mit einer Lupe betrachtet Kaniuk auch das heutige Israel: In dem jüdischen Staat ist die Palmach ein Mythos. Doch auch vor diesem Mythos macht Kaniuk nicht halt. Mit seinem Buch kratzt er an der dicken Schicht aus Staatsgründungsepos und beschreibt, mit einem Schuss Ironie, wie sich die Palmach-Veteranen heute selbst belohnen: Mit Palmach-Museen, Palmach-Gedenkkongressen und Palmach-Filmen. Kaniuk stellt fest, dass es heute mehr Palmach-Kämpfer gebe als damals: „Sie haben sich nach dem Tod auf wundersame Weise vermehrt!“
  Immer wieder schreibt Kaniuk, dass er sich geirrt haben mag in diesem oder jenem Detail. Aber er weiß auch, dass das nicht ausschlaggebend ist: „Ich bin nicht sicher, woran ich mich tatsächlich erinnere, traue dem Gedächtnis ja nicht, denn es ist trügerisch und enthält mehr als eine Wahrheit. Und warum sollte die Wahrheit so wichtig sein? Eine Lüge, die aus der Suche nach Wahrheit entsteht, kann wahrer sein als die Wahrheit selbst.“
Yoram Kaniuk: 1948. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Aufbau Verlag, Berlin 2013. 248 Seiten, 19,99 Euro.  
„1948“ unterscheidet
sich fundamental von Israels
offizieller Staats-Chronik
Alljährlich feiert Israel seine Staatsgründung, hier mit einer Flugparade über dem Strand von Tel Aviv Ende April 2012.
FOTO: AP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2013

Der blutige Kampf um ein Irrenhaus in der Wüste

Mit dem Roman "1948" hat der vor einer Woche verstorbene israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk sein literarisches Vermächtnis geschaffen: ein Buch, das Israels Unabhängigkeitskrieg aus der Sicht eines Siebzehnjährigen schildert und den Mythos, der die Staatsgründung bis heute umgibt, umfassend in Frage stellt.

Schon wieder ein Buch vom Krieg. Muss das sein? Ja, es muss sein. Denn dieses Buch ist das Vermächtnis eines großen Schriftstellers. Denn dieses Buch erzählt von einem Krieg, von dem die meisten von uns nur sehr wenig wissen. Denn dieses Buch führt zurück in eine Zeit, in der ein Traum Wirklichkeit wurde und damit ein Konflikt begann, für den seit mehr als sechzig Jahren so verzweifelt wie vergeblich nach einer Lösung gesucht wird.

Als Yoram Kaniuk 1930 in Tel Aviv geboren wurde, lag die Gründung der Stadt nur zwei Jahrzehnte zurück. Der Staat Israel existierte noch nicht. Drei Einwanderungswellen hatten stattgefunden, seitdem 1882 die ersten Juden, vor allem aus Rumänien und Russland, ihre alte Heimat verlassen hatten und nach Palästina gekommen waren. In die Zeit der vierten Einwanderungswelle, die von 1924 bis 1931 dauerte, fiel Kaniuks Geburt.

Das Osmanische Reich war zusammengebrochen, seit 1920 stand Palästina unter britischem Mandat. Im selben Jahr wurde die Hagana gegründet, eine paramilitärische Untergrundorganisation, aus der später die regulären israelischen Streitkräfte hervorgingen. Die Hagana sollte die jüdischen Siedlungen vor Übergriffen schützen, wurde aber schon 1941 um eine Einsatztruppe namens Palmach ergänzt. Angehörige der Palmach kämpften im Zweiten Weltkrieg in der Jüdischen Brigade gemeinsam mit den Alliierten gegen die Deutschen, erfochten den Sieg im Unabhängigkeitskrieg von 1947/48 und stiegen danach wie Mosche Dayan und Jitzhak Rabin in höchste politische Ämter auf. Die Palmach ist ein wichtiger Bestandteil des israelischen Gründungsmythos. Deshalb ist "1948" mehr als nur ein Roman, in dem die Kriegserinnerungen eines alten Mannes literarisch verarbeitet werden. Kaniuks Buch stellt die prekäre Frage, auf welchem historischen Fundament der Staat Israel heute steht, ohne sich der Illusion hinzugeben, eine eindeutige Antwort auf diese Frage wäre möglich.

"Es war einmal oder auch nicht, so oder anders, keine Erinnerung hat einen Staat, kein Staat hat eine Erinnerung", heißt es zu Beginn des Buches. Kaniuk verzichtet gleich im ersten Satz auf den vermeintlich größten Schatz des Zeitzeugen: den Anspruch auf Deutungshoheit, der sich aus der Überzeugung speist, es besser zu wissen als all die anderen, die nicht dabei gewesen sind. Kaniuk sichert sich ab und attackiert zugleich. Sein erster Satz ist defensiv und zugleich ein Angriff, der ins Zentrum zielt, wenn es heißt, kein Staat habe eine Erinnerung. Denn damit spricht Kaniuk der Institution Staat das Recht ab, eine gleichsam offizielle Version historischer Ereignisse und Abläufe zu prägen und zu verbreiten. Ein Staat, soll das heißen, darf keine Erinnerung haben. Warum nicht? Die Antwort gibt Kaniuk mit seiner Definition von Erinnerung: "Erinnerung ist das, was ich als Erinnerung aufzeichne."

Ein Jahr nach Kriegsende ist Kaniuk Matrose auf der "Van York". Das Schiff wird eingesetzt, um Holocaustüberlebende ins Land zu bringen. An Bord schreibt er sein erstes Buch, es handelt vom Krieg. Schon damals, 1949, entstand kein Tatsachenbericht, sondern ein Roman, für den sich jedoch niemand interessierte. Das Manuskript ging verloren. Danach muss Kaniuk viele vergebliche Versuche unternommen haben, seine Kriegserfahrungen literarisch zu verarbeiten. Erst nachdem er im Jahr 2005 infolge einer schweren Infektion mehrere Wochen lang im Koma gelegen hat, kann er seine traumatischen Erfahrungen in Worte fassen.

Doch der Zweifel bleibt. Es ist der Zweifel eines alten Mannes, der seinem Gedächtnis nicht traut, weil es wie jedes Gedächtnis trügerisch ist und mehr als eine Wahrheit enthält. Nur eines scheint unzweifelhaft festzustehen: "Ich war ein Junge von siebzehneinhalb Jahren, ein braves Tel Aviver Kind mitten im Blutbad." Aber ist das wirklich die Wahrheit?

Im Juli 1947 liegt die "Exodus" vor Palästinas Küste, an Bord befinden sich etwa 4500 jüdische Flüchtlinge, die illegal einwandern wollen. Die britische Marine unternimmt zahlreiche Versuche, das Schiff zu entern, es kommt zu Toten und Verletzten. Der mehrstündige Kampf um die "Exodus" wird vom Bordfunker live an die Hagana-Zentrale übertragen und ist im ganzen Land im Rundfunk zu hören. Im November desselben Jahres verlässt Kaniuk von einem Tag auf den anderen die Schule und meldet sich freiwillig zur Paljam, der Marineeinheit der Palmach. Er will dabei helfen, Flüchtlinge, die übers Meer kommen, sicher an Land zu bringen.

Einige Monate später herrscht Krieg, er hat eine Grundausbildung durchlaufen, während deren er exakt einen Schuss abgegeben hat, und nun liegt er mit seiner kleinen Einheit in einer befestigten Stellung. Es ist die Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1948. Als sich einer der jungen Männer für einen Moment aufrichtet, wird er von einem Geschoss getroffen, das "ihn buchstäblich durchhieb, als wäre die Granate scharf wie ein Messer". Sie decken den Leichnam mit ihren Mänteln zu, dann schlafen sie ein. Als sie aufwachen, erreicht sie die Nachricht, dass David Ben Gurion in Tel Aviv die Gründung des Staates Israel ausgerufen hat. Neben der zweigeteilten Leiche wird die Nationalhymne gesungen, die Männer tanzen im Kreis, dann schlafen sie, bevor sie ins nächste Gefecht geschickt werden. Und das, schreibt Yoram Kaniuk, ist "das Komischste, was mir in jenem Krieg passiert ist: Dass ich einen Staat gegründet habe, während ich schlief oder neben einem namenlosen Kameraden, den es in zwei Teile gerissen hatte, Hora tanzte."

Es ist die Perspektive des jugendlichen Yoram Kaniuk, fast noch ein Kind, ein "Einfaltspinsel", die dieses Buch bestimmt. Nur nach und nach versteht der Heranwachsende, in welches Land er geboren wurde, welche Lasten auf den Menschen in seiner Umgebung liegen. Sein Vater, ein gebildeter, melancholischer Mann, erhält eines Tages Besuch aus der Vergangenheit. Ein Verwandter, der irgendwo in Galizien den Holocaust überlebt hat, während der Vater rechtzeitig ausgewandert war. Jetzt steht der Cousin vor der Tür, ein zerstörter Mensch, ein Dämon und ein Racheengel. Überlebende wie er werden als "Sabonim" bezeichnet. Das ist das hebräische Wort für Seife.

Es sind Männer wie Kaniuks Vater, die ihre Söhne, schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet, mit wenig Waffen und dem Gegner zahlenmäßig unterlegen, in den Krieg schickten: "Sie schickten uns mit Begeisterung aus, einen Staat für ihre ermordeten Verwandten zu errichten, einen Staat für ihre Toten, ohne zu ahnen, dass dieser Staat eine Art Irrenhaus in der Wüste werden würde, über und über bestäubt mit dem Knochenmehl der Juden, die nicht lebend eingetroffen waren."

Kaniuks Sprache ist drastisch, sein Sarkasmus ätzend, seine Bilder sind beklemmend. Nüchtern registriert er, dass unschuldige Araber drangsaliert, getötet oder vertrieben wurden und die Anführer der Palmach einen Großteil des Landes und der zurückgelassenen Güter unter sich aufteilten. Männer, von denen viele kaum selbst gekämpft hatten, bildeten ein Netzwerk legendärer Kriegshelden, in deren Händen jahrzehntelang viele Fäden zusammenliefen. Yoram Kaniuk, der vor einer Woche gestorben ist, sah den Staat, für dessen Errichtung er damals ahnungslos gekämpft hatte, gegen Ende seines Lebens in den Händen von "Dummköpfen, Narren, Räubern, Bösewichten, die vergessen haben, woher sie gekommen sind". Viele, die mit siebzehn in den Krieg zogen, mussten ihr Leben lassen. Andere, die überlebt haben, konnten nie wieder ein normales Leben führen. Das brave Tel Aviver Kind, das Yoram Kaniuk gewesen war, hat etwas kennengelernt, was man nur im Krieg kennenlernen kann: "Diesen ungeheuren Drang zum Töten, wenn du einmal dabei bist." Die Erinnerung daran, sie ist nicht trügerisch.

HUBERT SPIEGEL.

Yoram Kaniuk: "1948". Roman.

Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Aufbau Verlag, Berlin 2013. 248 S., geb., 19,99 [Euro].

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" Der Schriftsteller hat eine elegante, faszinierende Form gefunden für seine Memoiren. " Christopher Schmidt Süddeutsche Zeitung 20130515