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Das hier erstmals nach den Handschriften veröffentlichte Material entstand während der privaten Sommerreisen Freuds, die er zwischen 1895 und 1923 unternahm. Das Material besteht aus 172 Post-, Ansichts- und Briefkarten sowie aus 56 Briefen, von denen bisher nur 15 publiziert wurden. Ein Großteil der Abbildungen stammt aus Freuds eigener Sammlung von Drucken und großformatigen Fotos.

Produktbeschreibung
Das hier erstmals nach den Handschriften veröffentlichte Material entstand während der privaten Sommerreisen Freuds, die er zwischen 1895 und 1923 unternahm. Das Material besteht aus 172 Post-, Ansichts- und Briefkarten sowie aus 56 Briefen, von denen bisher nur 15 publiziert wurden. Ein Großteil der Abbildungen stammt aus Freuds eigener Sammlung von Drucken und großformatigen Fotos.
Autorenporträt
Sigmund Freud wurde 1856 in Freiberg (Mähren) geboren. Nach dem Studium der Medizin wandte er sich während eines Studienaufenthalts in Paris, unter dem Einfluss J.-M. Charcots, der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2002

Man sehnt sich und weiß nicht recht, wonach
Er kam, sah, shoppte: In seinen Reisebriefen erweist sich Sigmund Freud als entschlossener Genießer des Hier und Jetzt

Ende August 1902 macht Sigmund Freud wieder einmal Station in Venedig: "Bei köstlichstem Cafe u Wasser Erholung nach den Strapazen der Reise. Vor uns den Trümmerhaufen des Campanile hinter Bretterzäunen. Die Kirche ist schöner denn je, wie eine junge Witwe nach dem Tod des Herrn Gemahl." Sechs Wochen vorher war der Campanile eingestürzt. Freuds charmante Metapher für diesen traurigen Fall kennt wohl nicht ihresgleichen. In leichter Variation gilt eben auch hier: Jeder Traum ist eine Wunscherfüllung. Und für Sigmund Freud ist Reisen die Erfüllung seiner Träume. Der Band mit seinen Reisebriefen aus den Jahren 1895 bis 1923 ist ein unverhoffter, hinreißender Cicerone in die Welt von gestern, wie sie ein genialischer Schreiber von Postkarten und gelegentlichen launigen Exkursen aus der Ferne seinen Lieben daheim widerspiegelt.

"Mein Zimmer habe ich jetzt mit Gipsen der Florentiner Statuen geschmückt. Es war eine Quelle außerordentlicher Erquickung für mich; ich gedenke reich zu werden, um diese Reisen zu wiederholen. Ein Kongreß auf italienischem Boden! (Neapel, Pompeji)." Freud schreibt das am 6. Dezember 1896 aus Wien an den Berliner Freund Wilhelm Fließ. Es ist ein zentraler Brief aus dieser Korrespondenz; in ihm greift Freud voraus bis hin zu seiner vielleicht kühnsten Schrift, "Jenseits des Lustprinzips" von 1920, in der er das Prinzip des Todestriebs ausformulieren wird: als ob die Florentiner Gipse ihn bei seiner Reflexion beflügeln, ihre pure Anwesenheit ihn inspiriert. Von seiner ersten Italienreise im Sommer 1896 hat er sie mitgebracht. Es sind keine Antiken oder Kopien von solchen, sondern Repliken von Renaissance-Werken, zum Beispiel Michelangelos "Sterbender Sklave".

Sie sind seine allerersten Reiseerinnerungen, noch wenig erlesene Zeugen seiner Italien-Sehnsucht. Freuds Vater liegt damals im Sterben, und die Souvenirs gelten als Beginn seiner Sammeltätigkeit, gern in schöner Anwendung der Freudschen Lehre interpretiert als Kompensation des Schmerzes über den nahen Verlust. Er selber spart diese Deutung in seiner Selbstanalyse aus - er mag den blinden Fleck gewollt haben, der ihm die Freiräume des Genießens im Süden gestattet.

Im Sommer 1896 ist er also in der Toskana, begleitet von seinem Bruder Alexander, der sein Tempo offenbar nicht ganz halten kann - "Alex todt, ich lebensfrisch", schreibt er an seine Frau Martha aus Bologna, die er nur unzureichend zerknirscht im September 1901 vorauseilend aus Rom trösten wird: "Sei nicht böse, wenn ich gar nichts mitbringe außer alte Scherben, die Gelegenheit kommt lange nicht wieder." Die ersten Reproduktionen waren nur die Einstiegsdroge für den Seelenarzt, der das Kokain längst hinter sich gelassen hat: Ganz anders kann er sich unterwegs erweitern und berauschen.

Sigmund Freud ist, das weiß man, ein begnadeter Briefschreiber. Der Korpus seiner Korrespondenz indes harrt noch immer der breiten Erschließung. Ein aufregender Schritt in diese Richtung sind die jetzt erschienenen Reisebriefe an seine Familie - gerade weil sie, oberflächlich betrachtet, so gar nichts der Geschichte der Psychoanalyse hinzuzufügen scheinen. Doch selbst im vom beschränkten Platz erzwungenen Kürzelsystem der Postkarten ist der geniale Stilist erhalten, und in frivoler Anverwandlung eines zentralen Begriffs seiner Theorie ließe sich da von Verdichtung sprechen: "Man schwimmt in Kunst u wird hochmüthig, etwas blasiert. Gestern war ein fürchterlicher Dursttag." So zunächst auf einer Karte an Martha aus Florenz am 6. September 1896: Der Mann ist für sich selbst inkognito unterwegs. Einen Tag später, in einem ausführlichen Brief an seine "Theure", den er übrigens mit gerade erobertem Wissen nur so spickt, bringt er es auf den Punkt: "Für die Kunst kommt ein Moment, wo man im gleichmäßigen Genießen schwimmt, glaubt, es müsse so sein, keine Ekstase mehr zusammenbringt, wo einem Kirchen, Madonnen, Beweinungen Christi ganz gleichgiltig werden u man sich nach etwas Anderem sehnt, man weiß nicht recht, wonach." Das weiß man auch 1901 in Rom noch nicht, als man erst im Pantheon gewesen ist und "dann plötzlich in der Kirche S. Pietro in Vincoli den Moses von Michelangelo gesehen (plötzlich durch Mißverständnis)" hat. Das Mißverständnis wird sich klären und am Ende zu der 1914 anonym veröffentlichten Studie "Der Moses des Michelangelo" führen; Freud bekennt sich namentlich erst Jahre später zu diesem seinem "nicht analytischen Kind".

Doch viel reizvoller als solche Fährten sind die alle Sinne aktivierenden Vereinigungen von Düften und Genüssen, von sich darbietenden Ausblicken und dem gereichten Wein, von den eigenen Befindlichkeiten und den Eigentümlichkeiten der Ferne. Es ersteht eine Synästhesie des Südens, die den anderen Sigmund Freud erscheinen läßt: den Genußfähigen, Oberflächenverliebten, Verschmelzungsseligen. Dabei sind Freuds Anmerkungen und Beobachtungen messerscharf - wie in Livorno am 4. September 1897: "Hier keine Kunst, keine Geschichte, alles modern. Sehr viel Juden, schöne Frauen, aber schlecht rasirt"; und umwerfend komisch - am 1. Sept. 1904 auf der "Urano" bei der Überfahrt nach Athen: "Unter den Damen gibt es einige ,Löwinnen aus Vanilleeis', die 4mal im Tage die Toilette wechseln. So thun übrigens auch einige Amerikanerinnen, die sich sehr fröhlich u ungenirt benehmen u wie Alex. behauptet, als Eccentrias für Affen engagiert sind."

Als er 1909 nach Amerika fährt mit dem Schiff, sicher sein persönlicher Triumph, was sein Ringen um die Anerkennung seiner Lehre angeht, bleibt er witzig distanziert: "Ich lasse mir nicht imponiren, berufe mich darauf, daß ich schon soviel Schöneres gesehen habe, freilich nichts Größeres u Wilderes" - soweit New York. Obwohl "der stärkste Gott, der Dollar", auch ihn ein wenig beängstigt, gestaltet sich der Trip am Ende finanziell durchaus vorteilhaft: "Die Reise hat mich bis jetzt nichts gekostet. Alles Erübrigte habe ich bei Tiffany ausgegeben, aber die ,Mitbrachten' leiden unter der Höhe der Dollarpreise." Freud und der Glasladen von Louis Comfort Tiffany in New York! Im richtigen Moment erinnert hier die Fußnote daran, daß Dorothy Burlingham, seine spätere Schülerin und enge Freundin seiner Tochter Anna, Tiffanys Tochter war. Überhaupt hat der Herausgeber Christfried Tögel seine Edition großartig unterfüttert mit Kommentaren und geschmückt mit zeitgenössischen Fotografien und Drucken, die Freud selbst unterwegs erworben und nach Hause mitgebracht hat.

Ähnlich wenig warm wie mit Amerika wird er mit England, wohin seine zwei erwachsenen Halbbrüder ausgewandert waren, und selbst mit London, wo es Freud eher aus Gesittung denn aus, gewissermaßen libidinös geleiteter, Neigung hinzieht; obendrein ist er dort allein unterwegs, was ihn wohl arg in seinem Mitteilungsbedürfnis behindert. So schreibt er in der National Portrait Gallery "Bemerkungen über Gesichter u Männer" zusammen, eine Art charakterologische Studie (die gewiß nie unter seine Hauptwerke gezählt werden wird, aber an dieser Stelle erstmals überhaupt veröffentlicht ist). Freud dringt nicht allzu tief in die Physiognomien vor: "Es ist natürlich, daß man den Leuten nichts ansieht als das Maß ihrer - groben Sublimierung: Philosophen, Geistliche", so findet er, "nicht Ärzte u Gelehrte, die bei ihrer Arbeit grobe Befriedigung beibehalten haben können."

Anders hat ihn da im Jahr zuvor ein Wiedersehen in Rom angesprochen: "Denk dir nur meine Freude, als ich nach so langer Einsamkeit heute im Vatikan ein bekanntes liebes Gesicht sah, das Erkennen war aber einseitig; denn es war die Gradiva, hoch oben auf der Wand." Freud meint das Relief in den Vatikanischen Museen, in das sich der Held von Wilhelm Jensens pompejanischem Phantasiestück "Gradiva" verliebt hat, dem er im Sommer zuvor seine hübsche literarische Studie gewidmet hatte. Ein Gipsabguß der Gradiva hängt bei Freud zu Hause: Hommage an die Archäologie gewiß, vor allem aber ständige Erinnerung an die Lebendigkeit der Leidenschaft. Denn Jensens kleine Erzählung löst gerade die Fixierung auf die untergegangene Vorzeit in jedem Sinne durch die warme Gegenwart einer Liebesbeziehung.

Es ist dieses pulsierende Hier und Jetzt, das sich in Freuds Reisekarten und -briefen wiederfindet. Dabei insistieren, schon fast komisch, seine Prägungen: so immer wieder die Sorge um das Geld, als ersehnter Garant der Unabhängigkeit, der die väterliche Sphäre, die Traumata der dürftigen Kindheit aufsprengen kann. Aber zum Ausgleich befällt Freud gelegentlich etwas nachgerade Konsumfreudiges: Einkaufen - heute hieße es: Shopping - ist unerläßlicher Bestandteil seiner Reisen. So blitzt allenthalben der Geist des Meisterdenkers auf. Nichts verweist da auf den Erfinder der Seelenkunde, außer dem Glitzern der Sprachkraft auch im kleinsten Detail.

Eine "Erinnerungsstörung auf der Akropolis" schildert 1936 der fast achtzig Jahre alte Freud, als Gabe zum siebzigsten Geburtstag von Romain Rolland, in einem berühmt gewordenen Brief. Wir kennen jetzt die Umstände von damals. die er im September 1904 aus Athen an Martha berichtet: "Das schönste Hemd zum Besuch der Akropolis angezogen, auf der wir seit 2 St herumsteigen. Sie übertrifft alles was wir je gesehen u was man sich vorstellen kann." Da ist es schon, das too good to be true, das er Romain Rolland schildern wird als innersten Kern eines Lebens. Im Reisendürfen erfüllt sich Sigmund Freud der Traum seiner Kindheit - zu schön, um wahr zu sein. Ihre untergründige Demut und ihre liebenswürdige Klugheit machen diese jetzt edierten Nachrichten aus der Fremde zum anrührenden und elektrisierenden Erlebnis, weit über die Neugier auf ihren Absender hinaus: Denn wer ein Herz hat, dem zeigt es doch nach dem Süden - beim nächsten Mal mit diesem Buch im leichten Gepäck.

Sigmund Freud: "Unser Herz zeigt nach dem Süden". Reisebriefe 1895 - 1923. Herausgegeben von Christfried Tögel unter Mitarbeit von Michael Molnar. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 422 S., zahlr. Abb., geb., 25 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Michael Schröter schwärmt geradezu von dem von Christfried Tögel herausgegebenen und "kompetent" erläuterten, "schönen, reich bebilderten" Band, der Freuds Reisebriefe an seine Familie versammelt. Auf Anhieb erkennbar ist für Schröter der scharfe Beobachter Freud, ein Schriftsteller ersten Ranges. Neben einigen Briefen, die Schilderungen der südlichen Landschaften, Museen, Palästen, Kirchen und Ruinen in "behaglicher Breite" enthalten, findet Schröter Postkarten mit gedrängten Nachrichten, die einen Eindruck von Freuds "unersättlichen Beobachtungslust und Erlebnisgier" vermitteln. Besonders gefällt Schröter, dass die vorliegenden Reisebriefe an die Familie - im Unterschied etwa zu Briefen an seine Schüler - einen Freud zeigen, der "nicht so sehr konzentriert, gezügelt und zur Größe stilisiert, sondern unangestrengt, lebhaft, alltäglich" ist.

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