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B "Im Knast hatte er etwas gegolten, auf einmal war er ein Nichts mit einer Million Mark." S Als er nach vier Jahren Haft entlassen wird, weiß Paul Holbig niemanden, zu dem er gehen kann. Sein bester Freund ist tot: Er, Paul, hat ihn auf dem Gewissen. Noch kann er ruhig schlafen - er hat für seine Tat gebüßt. Als freier Mann will er nun die anonyme "Haftentschädigung" genießen, die sich mysteriöserweise auf seinem Konto findet. Und die Stadt Berlin bietet sich Paul dar, lockt ihn in ihre makellosen Warenhäuser, betört ihn mit ihren monumentalen Bauten. Eine neue Gründerzeit hat alte Spuren…mehr

Produktbeschreibung
B "Im Knast hatte er etwas gegolten, auf einmal war er ein Nichts mit einer Million Mark." S Als er nach vier Jahren Haft entlassen wird, weiß Paul Holbig niemanden, zu dem er gehen kann. Sein bester Freund ist tot: Er, Paul, hat ihn auf dem Gewissen. Noch kann er ruhig schlafen - er hat für seine Tat gebüßt. Als freier Mann will er nun die anonyme "Haftentschädigung" genießen, die sich mysteriöserweise auf seinem Konto findet. Und die Stadt Berlin bietet sich Paul dar, lockt ihn in ihre makellosen Warenhäuser, betört ihn mit ihren monumentalen Bauten. Eine neue Gründerzeit hat alte Spuren verweht, das Berlin seiner Studienjahre, die Stätte einer unverbrüchlichen Freundschaft, existiert nicht mehr. So wie der berühmte Franz Biberkopf verloren über den pandämonischen Alexanderplatz der zwanziger Jahre lief, irrt Paul Holbig über den seelenlosen Potsdamer Platz von heute. Doch unter der spiegelblanken Fassade der Stadt gärt die Vergangenheit. Immer drängender wird für Paul die Frage, was in jener Todesnacht tatsächlich vorgefallen ist. - Unter der Stadt liegt der Schlüssel zu dieser verschütteten Zeit. Christian Försch hat den Entwicklungsroman eines Menschen und einer Stadt im Aufbruch geschrieben. Mit stechender Lakonie und absurdem Witz entfaltet er eine packende Krimihandlung und ein genaues Porträt unserer Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2001

Spaghetti in der Straßenschlucht
Christian Förschs Berlin-Roman verliert unterwegs seine Leser

Alfred Döblins Franz Biberkopf, diesen ewig Untoten der Großstadtliteratur, sollte man endlich ruhen lassen. Auch wenn er im Klappentext als Vorbild beschworen wird, hat er mit dem Romanhelden Paul Holbig noch weniger zu tun als der Potsdamer Platz von heute mit dem Alexanderplatz der zwanziger Jahre. Zwar wird auch Holbig zu Beginn aus dem Gefängnis entlassen und muß versuchen, sich im Leben draußen wieder zurechtzufinden. Doch das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit des bläßlichen Neue-Mitte-Berliners mit dem kernigen Proleten von einst.

Christian Försch hat sich mit seinem Debüt "Unter der Stadt" ans marktgängige Genre des Berlin-Romans herangewagt und eine Art Krimi geschrieben. Die Tat, um die es geht, liegt allerdings schon vier Jahre zurück und ist weniger mysteriös als die rätselhafte Gegenwart. Damals hat Paul seinen Freund Hans im Affekt in eine Baugrube gestoßen und getötet, kann sich aber an den genauen Tathergang nicht mehr erinnern. Als er nach der Haftentlassung ein gut gefülltes Girokonto und ein auf seinen Namen ausgestelltes Aktiendepot im Wert von knapp einer Million Mark vorfindet, kommen ihm jedoch Zweifel an der eigenen Schuld. Wer will sich da sein Schweigen erkaufen? Und wofür? Gibt es andere Verdächtige? Was geschah wirklich in jener Nacht? Wieso hat Kurt, der Dritte im damaligen Freundesbund, in der Zwischenzeit eine so atemberaubende Karriere gemacht? Was haben Yvonne, die Schwester des Toten, und Ines, Kurts Frau, zu verbergen?

Fragen über Fragen. Die Ungewißheit ist auch nötig, um das Leseinteresse wachzuhalten. Denn Christian Försch nimmt sich sehr viel Zeit. Etwa hundert Seiten braucht er, um seinen Helden mit Pensionszimmer, Auto, Computer und Currywurst auszustatten, und bis die Geschichte dann etwas an Tempo gewinnt, sind auch schon die nächsten hundert Seiten vollgeschrieben. Der behaupteten Hektik der Großstadt steht eine Behäbigkeit des Erzählens gegenüber, als wolle der Autor in grenzenloser Geduld demonstrieren, wie rettungslos sein Held aus der Zeit gefallen ist. Immerhin könnte die Rückkehr nach der haftbedingten Abwesenheit Gelegenheit bieten, die Veränderungen der Stadt wie mit fremden Augen in den Blick zu nehmen. Das Berlin zwischen Grunewald und Schönhauser Allee, das Paul Holbig dabei abschreitet, ist auch recht ordentlich beobachtet, doch überraschende Perspektiven sucht man in diesem Roman vergeblich. Wo früher Baugruben gähnten, erheben sich nun Glaspaläste, man hat es geahnt. Und wie sich bald zeigt, sind alle Spuren, nach denen Paul Holbig forscht, unter ihren Fundamenten im märkischen Sand vergraben.

Das Verpuffenlassen der Spannung, die Inszenierung eines Geheimnisses, das sich allmählich in Nichts auflöst, könnte ja vielleicht eine reizvolle Erzählstrategie sein. Die Kriminalhandlung müßte dann nicht mehr als roter Faden durch den unsortierbaren Alltag funktionieren, sondern diente nur noch dazu, den Leser demonstrativ an der Nase herumzuführen, um ihm klarzumachen, daß es die Logik im Ablauf der Ereignisse, nach der er verlangt, nicht gibt. Dann aber müßte die Sprache in jedem Moment Klarheit und Schärfe besitzen, um nicht einfach nur ein gelangweiltes Schulterzucken zu produzieren. Belanglosigkeit läßt sich nicht erzählen, indem man sie erzählerisch verdoppelt. Konsequenzlosigkeit läßt sich nicht darstellen, indem man beliebige Geschehnisse aneinanderreiht und Details aufhäufelt, die nichts zur Sache tun. Christian Försch versucht, einfach und geradeaus zu erzählen, traut aber seiner Wahrnehmung nicht. Deshalb neigt er zu metaphorischen Vergleichen, die rücksichtslos in den Vordergrund drängen. Wenn Sonnenstrahlen "wie Spaghetti in die Straßenschluchten stechen" oder die Blätter der Bäume im Wind rotieren "wie ausgekugelte Glieder", wünschte man sich einen Lektor, der beherzt eingegriffen hätte. Vielleicht wäre ja noch etwas zu machen gewesen.

JÖRG MAGENAU

Christian Försch: "Unter der Stadt". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2001. 304 S., geb., 34,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Schnellebigkeit des Literaturbetriebes erinnert Gerrit Bartels heute häufig an die Modewelt oder an MTV. Bei den rasant wechselnden Trends habe sich dabei nur einer gehalten: das Interesse am Großstadtroman, und so erstaunt es nicht, dass ein Autor sich mit seinem Romandebut an diesem Genre versucht. Der Held von "Unter der Stadt" erinnert den Rezensenten zunächst auffällig an Franz Biberkopf aus Döblins "Berlin Alexanderplatz", wenn er wie dieser, gerade aus dem Gefängnis entlassen, Berlin durchstreift. Försch erzähle klar und ohne Schnörkel, mal linear und mal in introspektiven Einschüben, informiert der Rezensent, doch fragt er sich, ob die Geschichte nicht ebensogut in Braunschweig spielen könnte. Man lerne an diesem Buch aber, dass man in Berlin scheitern dürfe, auch an einem Berlin-Roman. Gelungen findet er den Roman in der psychologischen Ausstattung seiner Figuren und im atemlosen Ende.

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