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Die Erfolgsgeschichte der Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges überstrahlte bisher die Zusammenarbeit der Diktatoren in der Zeit des Stalin-Hitler-Paktes. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen erklärte die Komintern den "französisch-englischen Imperialismus" zum Hauptfeind und nicht den Agressor, Hitlerdeutschland. Thälmann und andere Kommunisten wurden verraten, unangepaßte Intellektuelle unterdrückt, Ulbricht forderte, das Wort "Nazi" aus dem Wortschatz der KPD zu streichen. Die Kommunistische Internationale und die KPD schwiegen weitgehend zu KZs und Judenverfolgung.…mehr

Produktbeschreibung
Die Erfolgsgeschichte der Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges überstrahlte bisher die Zusammenarbeit der Diktatoren in der Zeit des Stalin-Hitler-Paktes. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen erklärte die Komintern den "französisch-englischen Imperialismus" zum Hauptfeind und nicht den Agressor, Hitlerdeutschland. Thälmann und andere Kommunisten wurden verraten, unangepaßte Intellektuelle unterdrückt, Ulbricht forderte, das Wort "Nazi" aus dem Wortschatz der KPD zu streichen. Die Kommunistische Internationale und die KPD schwiegen weitgehend zu KZs und Judenverfolgung. Solch pervertiertes Denken und Handeln schockierte weltweit Antifaschisten und linke Intellektuelle.
Das Buch illustriert jene politischen Mechanismen, Propaganda und Rhetorik, die nicht unwesentlich dazu beitrugen, Europa der Kriegsmaschinerie auszuliefern und veröffentlicht bis vor kurzem noch streng geheime und unzugängliche Dokumente aus russischen, deutschen und schweizerischen Archiven.
Autorenporträt
Bernhard H. Bayerlein ist Historiker und Romanist am Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim. Autor historischer und regionaler Studien und Editionen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Portugal; publizierte u.a. Archives de Jules Humbert-Droz (Amsterdam-Boston-Zürich, 1983-2001); Georg Dimitroff: Tagebücher (Berlin 2000), Paris-Berlin-Moscou. Télégrammes chiffrés du Komintern (Paris 2003), Der Thälmann-Skandal (mit Hermann Weber, Berlin 2003), Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern (Berlin 2003), Mitherausgeber des "Jahrbuchs für historische Kommunismusforschung" (Berlin), Herausgeber des "International Newsletter of Communist Studies/Online" (Mannheim-Berlin).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2009

Ideologische Selbstamputation
Die Komintern während des Hitler-Stalin-Pakts und die Brutalisierung des Zweiten Weltkriegs

Willi Münzenbergs zorniges Verdikt gegen den sowjetischen Diktator vom September 1939 - vier Wochen nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts und eine Woche vor dem anschließenden "Grenz- und Freundschaftsvertrag" zwischen den beiden Diktaturen - liefert den Titel für die Quellensammlung zur Geschichte der Kommunistischen Internationale in jenem kurzen wie bewegten Zeitraum. Von ihren Anfängen im Jahre 1919 bis zu ihrem klanglosen Ende 1943 ist die Geschichte der Komintern die Geschichte ihrer Sowjetisierung und Indienststellung für die jeweils aktuellen außenpolitischen Ziele und Bedürfnisse des Sowjetstaates. Mit Blick auf Deutschland begann dies schon im großen Krisenjahr der Republik 1923. Solange die Regierung Cuno durch ihren passiven Widerstand gegen die französische Ruhrbesetzung die Gegensätze im "imperialistischen Lager" forcierte, praktizierten die Kommunisten auf Geheiß Moskaus eine Tolerierungspolitik gegenüber dem rechtsbürgerlichen Kabinett.

Als im September 1923 die neue Regierung unter Gustav Stresemann den Ruhrkampf abbrach und auf Entspannungskurs mit den Entente-Mächten ging, stoppte man abrupt die Tolerierung und inszenierte in Gestalt eines kläglichen Putschversuchs den "Deutschen Oktober". Ein Jahrzehnt später, nachdem Moskaus Führung die Gefährlichkeit der politischen Entwicklung in Deutschland seit der nationalsozialistischen "Machtergreifung" erkannt hatte, erfolgte die Instrumentalisierung der Komintern für die Zwecke der Politik der "kollektiven Sicherheit" und einer breitangelegten Volksfrontstrategie zur Eindämmung des "Faschismus" in Europa. Die Komintern wurde dezidiert "antifaschistisch", und die deutschen Kommunisten genossen in ihrem Kampf gegen Hitler volle Solidarität.

Dies endete plötzlich in jenen letzten Augusttagen des Jahres 1939, mit denen Bernhard H. Bayerleins Dokumentensammlung einsetzt. Der Schock der europäischen Linken über das plötzliche Arrangement der ideologischen Todfeinde saß tief, die alten, sicher geglaubten Wahrheiten gerieten ins Wanken. Es galt, den Pakt als genialen Schachzug sowjetischer "Friedenspolitik" angesichts imperialistischer Kriegstreibereien zu "verkaufen" und - solange man in Moskau von der überlegenen Stärke des britisch-französischen Lagers gegenüber den "faschistischen Achsenmächten" überzeugt war - Berlin und Rom propagandistisch den Rücken zu stärken. "Wer England, Frankreich, Sozialdemokraten und Trotzkisten nicht als Hauptfeinde denunzierte, wurde von der KP Deutschlands und der Komintern als Verräter gebrandmarkt", schreibt der Autor in seiner Einführung - ein besonders für die Lage der französischen KP schier unmöglicher Balanceakt, wie die Quellen zeigen.

Auf rund 350 Seiten präsentiert das Buch, collagehaft montiert, eine Vielzahl zumeist zeitgenössischer Texte, von persönlichen Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen über Presseartikel, offiziöse Verlautbarungen und diplomatische Dokumente bis zu internen Instruktionen und Funksprüchen der Kominternleitung an ihre europäischen "Residenturen". Sie illustrieren auf eindrucksvolle Weise die "bizarren, skurrilen, überraschenden, ja tragisch-burlesken Positionen" einer ideologischen "Selbstamputation", die die "dunkelste Phase des internationalen Kommunismus" kennzeichnete.

Mit der Verschiebung der europäischen Kräftebilanz zugunsten des "Dritten Reiches" ab Mitte 1940 begann die Komintern, wenngleich mit großer taktischer Vorsicht, ihren "antifaschistischen", soll heißen gegen das weitere Ausgreifen deutscher Besatzungsherrschaft auf dem Kontinent gerichteten Auftrag wiederzuentdecken. Als sich mit Jahresbeginn 1941 das deutsch-sowjetische Verhältnis spürbar zuzuspitzen begann, war wieder "Appeasement" angesagt. Im April des Jahres erwog Stalin nach dem Zeugnis Georgi Dimitroffs sogar den Gedanken einer Auflösung der Komintern als eine letzte Konzession zur Aufrechterhaltung des deutsch-sowjetischen Bündnisses.

Wieder änderte ein Datum die Lage buchstäblich über Nacht. Mit dem 22. Juni 1941 wurde der "Antifaschismus" wieder zur erklärten Philosophie der Komintern und in seinem Zeichen der nationale Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Europa proklamiert. Zur Hilfe für den tödlich bedrohten Sowjetstaat war nunmehr jedes Mittel recht, selbst der von der internationalen Arbeiterbewegung stets verworfene individuelle Terror. Die Anschläge zumeist jugendlich-idealistischer Kommunisten auf deutsche Soldaten in Frankreich und die nachfolgenden Repressalien der deutschen Besatzungsmacht vom Herbst 1941 waren weitgehend Ausfluss einer von Moskaus akuten Interessen diktierten Desperadotaktik, für die viele Unschuldige büßen mussten und durch die das deutsch-französische Verhältnis über so lange Zeit belastet wurde. Damit, so Bayerleins These, habe auch die Komintern ihren Beitrag zur Brutalisierung des Zweiten Weltkrieges geleistet.

Vieles im Buch klingt sehr nach linker politischer Romantik und Sentimentalität. Bayerleins Perspektive ist die der durch Moskaus pure Machtpolitik in ihren Idealen und Erwartungen auf internationalistische Solidarität betrogenen europäischen Linken. Dies gibt dem Ganzen einen anklägerischen Grundton, was aber insgesamt den Wert der Materialsammlung für die Geschichte der Komintern nicht mindert.

MANFRED ZEIDLER

Bernhard H. Bayerlein: "Der Verräter, Stalin, bist Du!". Vom Ende der linken Solidarität. Komintern und kommunistische Parteien im Zweiten Weltkrieg 1939-1941. Aufbau Verlag, Berlin 2008. 540 S., 29,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erhellend findet Manfred Zeidler diese von Bernhard Bayerlein vorgelegte Quellensammlung zur Geschichte der Komintern und der kommunistischen Parteien während des Hitler-Stalin-Pakts. Beeindruckend verdeutlicht der Band für ihn mit einer Fülle von Dokumenten die "ideologische Selbstamputation", die dieser Pakt für die Linke in Europa darstellte. Zeidler beschreibt Bayerleins Perspektive als die der europäischen Linken, die "durch Moskaus pure Machtpolitik" in ihren Idealen betrogenen wurde. Das verleiht dem Band seines Erachtens einen "anklägerischen Grundton". Allerdings wertet er dies nicht weiter negativ, da es für ihn die Relevanz des Bands als Materialsammlung für die Geschichte der Komintern nicht beeinträchtigt.

© Perlentaucher Medien GmbH