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Mit Polemik und beißender Ironie brachte die sozialdemokratische und linkskommunistische Presse im Sommer 1928 ans Licht, daß Ernst Thälmann Unterschlagungen seines Freundes John Wittorf vertuscht hatte. Im September wurde der Hamburger Arbeiterführer durch einen einstimmigen Beschluß des Zentralkomitees als Vorsitzender der KPD abgesetzt. Nach Stalins Intervention war er binnen kurzem rehabilitiert, doch um den Preis einer völligen Abhängigkeit vom großen Hausherrn im Kreml und einer zersetzten KPD, die als Instrument sowjetischer Politik der Gefahr Hitler konzeptionslos gegenüberstand. Die…mehr

Produktbeschreibung
Mit Polemik und beißender Ironie brachte die sozialdemokratische und linkskommunistische Presse im Sommer 1928 ans Licht, daß Ernst Thälmann Unterschlagungen seines Freundes John Wittorf vertuscht hatte. Im September wurde der Hamburger Arbeiterführer durch einen einstimmigen Beschluß des Zentralkomitees als Vorsitzender der KPD abgesetzt. Nach Stalins Intervention war er binnen kurzem rehabilitiert, doch um den Preis einer völligen Abhängigkeit vom großen Hausherrn im Kreml und einer zersetzten KPD, die als Instrument sowjetischer Politik der Gefahr Hitler konzeptionslos gegenüberstand.
Die Thälmann-Affäre erweist sich als bedrückendes Lehrstück über den Stalinismus und die deutsch-russischen Beziehungen. Dank der Archivöffnung in Rußland können die Innen- und Außenwirkungen des Politskandals nach 75 Jahren erstmals detailliert dargestellt werden. Bis vor kurzem geheime Dokumente fügen sich zu einem realen Bild des diktatorischen Systems Stalins, das letztlich mittels eines Geflechts geheimer persönlicher Beziehungen funktionierte. Zahlreiche erstmals veröffentlichte Briefe von Stalin, Thälmann, Molotow, Clara Zetkin, Ulbricht (der sich als aktiver Denunziant erweist), Bucharin und anderen, decken die Verstrickungen der KPD-Führer auf. All diese Materialien enthüllen, wie sich der in »kritiklose Selbsttäuschung« verfallene Thälmann (Clara Zetkin) mißbrauchen ließ. So konnte Stalin die KPD und die internationale kommunistische Bewegung säubern und neu ausrichten.
Autorenporträt
Hermann Weber, geb. 1928, Dr. phil., Dr. h. c., ist em.Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim.
Rezensionen
"Einblicke in eine Geheimkorrespondenz." (Neues Deutschland (22./23.03.03))

"...zum großen Teil erstmals veröffentlichte Dokumente..." ((Leipzigs Neue, 1/03))

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Der bunte Ernst
Nur mit Stalins Hilfe blieb der brave Gefolgsmann Thälmann KPD-Chef / Von Jochen Staadt

Seit 1986 steht am Prenzlauer Berg in Berlin ein riesiger Hohlkopf aus Bronze. Das Machwerk, das Ernst Thälmann, genannt "Teddy", darstellen soll, weist jedoch peinlicherweise eine gewisse Ähnlichkeit mit Benito Mussolini auf. Der Entwurf stammt von dem russischen Bildhauer Lew Kerbel. Erich Honecker persönlich hatte ihm Anfang der achtziger Jahre gegen alle Bedenken den Zuschlag für den Bau der proletarischen Kultfigur erteilt. Nach dem Ende der DDR erschien dem Berliner Senat ein Abriß des Kolosses zu kostspielig und - wegen der Ermordung Thälmanns im Konzentrationslager Buchenwald - politisch brisant. Deswegen steht der "Führer des deutschen Proletariats" noch immer am Eingang eines nach ihm benannten Parks und ballt die Faust zum ewigen Gruß. Wenn der alte "Teddy" zu bunt wird, weil ihn junge Wilde in nächtlichen Heimsuchungen über und über mit Graffiti besprüht haben, rücken Säuberungstrupps der PDS an und schrubben mit allerlei Lösungsmitteln am Arbeiterführer herum, bis er endlich wieder so farblos wie zu seinen besten Zeiten aussieht.

Farblos bleibt er auch nach der Lektüre der Briefsammlung, die unter dem reißerischen Titel "Der Thälmann-Skandal" jene hinlänglich bekannten Cliquenkämpfe zwischen kommunistischen Parteifunktionären auswalzt, die sich zwischen 1927 und 1929 zugetragen haben. Historisch war das Ereignis, um das es geht, bislang als "Wittorf-Affäre" bekannt. Der Hamburger KPD-Sekretär John Wittorf, ein alter Kumpan Thälmanns, hatte dreitausend Reichsmark aus der Parteikasse entwendet. Vermutlich handelte es sich dabei um sowjetische Gelder, die über die Handelsmission in Amsterdam zur Unterstützung der Thälmann-Gruppe nach Hamburg transferiert worden waren.

Als die Unterschlagung bei einer Kassenrevision herauskam, hielten Thälmann und der ebenfalls später von den Nationalsozialisten ermordete John Schehr die Angelegenheit geheim. Das geschah mit guten Gründen, denn weder sollte die Herkunft des Geldes bekanntwerden, noch die bürgerliche und sozialdemokratische Presse über Korruption im Umfeld Thälmanns höhnen können. Was aber prompt eintrat, nachdem die Geschichte von Thälmanns innerparteilichen Gegnern hochgespielt worden war und das KPD-Zentralkomitee am 26. September 1928 seinen Vorsitzenden suspendiert hatte. Der sozialdemokratische "Vorwärts" machte am folgenden Tag mit der ironischen Schlagzeile auf: ",Reichspräsident' Thälmann gestürzt! Auf der Flucht nach Moskau - Welche Clique kommt jetzt heran?" Doch die Anti-Thälmann-Fronde in der KPD hatte ihre Rechnung ohne die Moskauer Führung gemacht. Stalin sorgte persönlich dafür, daß sein braver Gefolgsmann innerhalb von zwei Wochen wieder an der Parteispitze stand. Als deutsche Vertrauensleute des KPdSU-Chefs taten sich dabei vor allem Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck hervor.

Eine andere Ikone des deutschen Kommunismus, Clara Zetkin, stellte sich gegen Thälmann. Sie beschrieb ihn gegenüber dem KPdSU-Politbüromitglied Nikolai Bucharin - ihn ließ Stalin 1938 hinrichten - als "kenntnislos und theoretisch ungeschult". Die KPD-Führung bezeichnete Zetkin als von "Cliquentreibereien zersetzt". Es sei verhängnisvoll für die Partei, daß ihr Vorsitzender "in kritiklose Selbsttäuschung und Selbstverblendung hineingesteigert wurde, die an Größenwahn grenzt und der Selbstbeherrschung ermangelt". Thälmann glaube allen Ernstes, daß er der "deutsche Lenin" sei.

Die Herabwürdigung Thälmanns durch die Altkommunistin steht ziemlich am Anfang der Briefsammlung und gehört zu den wenigen lesenswerten Texten dieses Dokumentenbandes. Thälmanns ebenso langatmige wie langweilige Berichte an Stalin über den inneren Zustand der KPD bestätigen wie auch die gegenseitigen Denunziationsschreiben der anderen beteiligten KPD-Funktionäre das seit langem bekannte Bild: Diese Genossen waren schon lange vor dem großen Terror von 1937 untereinander "Parteifreunde" im schlimmsten Sinne. Herausgeber Bayerlein interpretiert das von ihm zusammengestellte Schriftgut als "Parabel des Stalinismus". Gut die Hälfte der insgesamt neunzig Dokumente wurde bereits an anderer Stelle veröffentlicht oder war im Bundesarchiv zugänglich. Der Rest stammt aus dem Moskauer Präsidialarchiv.

Etwas verwunderlich nehmen sich zwei ziemlich aus der Luft gegriffene Behauptungen aus, die Hermann Weber in sein kurzes Vorwort eingeflochten hat. "Thälmann und die deutschen Kommunisten spielten vor 1933 eine widersprüchliche Rolle, doch sie waren keine politischen Rabauken, die die Arbeiterschaft aufwiegelten und der späteren SED-Diktatur den Weg bahnten." Weber meint, "breite innerparteiliche Demokratie" sei in der KPD 1919 "noch eine Selbstverständlichkeit" gewesen. Erst seit der Vereinigung mit dem linken Flügel der USPD Ende 1920 seien die Kommunisten für die Diktatur des Proletariats und das Rätesystem in Deutschland eingetreten. Doch worum ging es denn Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg während des Spartakusputsches? Schon im Dezember 1918 lehnten sie den mit überwältigender Mehrheit vom Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte gefaßten Beschluß zur Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung ab und forderten die Errichtung einer "sozialistischen Diktatur". Im Januar 1919 unterstützten sie dann sogar den Putschversuch gegen die sozialdemokratische Übergangsregierung.

Auch alle späteren Versuche der KPD, die Weimarer Republik durch bewaffnete Aktionen aus den Angeln zu heben, mißlangen, weil die deutsche Arbeiterschaft keine russischen Verhältnisse wollte. Sollen der "Hamburger Aufstand" und die späteren Umtriebe des von Thälmann geführten Roten Frontkämpferbundes oder gar die von ihm gebilligte und durch Erich Mielke im August 1931 ausgeführte hinterhältige Ermordung von zwei sozialdemokratischen Polizeibeamten auf dem Berliner Bülow-Platz etwa kein politisches Rabaukentum gewesen sein? Wer will, mag Sammelbände mit mehr oder weniger interessanten Marginalien über kommunistische Fraktionskämpfe füllen - das historische Bild der Weimarer KPD wird sich dadurch kaum verändern. Sie war der sowjetischen Diktatur verpflichtet und eine von antirepublikanischem Furor getriebene Partei des politischen Abenteurertums. Wer die SED-Diktatur errichtet hat, darf als bekannt vorausgesetzt werden.

Hermann Weber / Bernhard H. Bayerlein: Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin. Aufbau-Verlag, Berlin 2003. 368 Seiten, 22,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Recht aufschlussreich findet Rezensent Alfred Cattani diesen von Hermann Weber und Bernhard H. Bayerlein herausgegebenen Band. Den Titel "Der Thälmann-Skandal" hält er allerdings ein wenig für irreführend: nicht Thälmann, sondern Stalin und die Umformung der KPD nach seinem Willen stehe im Mittelpunkt des Bandes. Die zahlreich abgedruckten Dokumente zeigen nach Ansicht Cattanis ein "gespenstisches Bild" des Kommunismus in der Zeit der Weimarer Republik und von Stalins Hatz auf "Abweichler", "Versöhnler" und "Ultralinke". Bei den abgedruckten Dokumenten handelt es sich zumeist um Aktenbestände aus dem ehemaligen Archiv des Zentralkomitees der KPdSU und dem Komintern-Archiv in Moskau, von denen viele zum ersten Mal veröffentlicht wurden, hält Cattani fest. Der Band führt seines Erachtens "eindrücklich" vor Augen, "wie Stalin sein Herrschaftssystem über ein verwickeltes Geflecht persönlicher Beziehungen zu seinen Untergebenen und Informanten aufbauen und sichern konnte".

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