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Produktdetails
  • Verlag: Verlag Bauwesen
  • Seitenzahl: 264
  • Abmessung: 275mm
  • Gewicht: 1398g
  • ISBN-13: 9783345006777
  • ISBN-10: 3345006774
  • Artikelnr.: 08346582
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2001

Wachstumsschübe präpotenter Bauten
An Wolken kratzt man nicht gern allein: Zwei Bände über die hochhaushohen Monumente der modernen Warenwelt

Machtdemonstrationen sind es allemal. In der westlichen Welt kehren Hochhäuser die wirtschaftliche Potenz privater Bauherren heraus, während kommunaler Ehrgeiz sich nur selten in ihnen ausgedrückt hat. In planwirtschaftlich verwalteten Ländern waren sie als staatssozialistische Antwort auf den Kapitalismus der Systemgegner gedacht. Entwicklungsländer machen von ihnen Gebrauch, um - wie Bruno Flierl in seinem Hochhaus-Buch anmerkt - ökonomischen Aufstieg zu feiern, noch ehe er eingetreten ist. Darin unterscheidet sich die neue Dritte Welt nicht von der alten Ersten. Auch im Ancien régime wurden Kolossalbauten ins Werk gesetzt, um politische Ansprüche zu formulieren, lange bevor sie einzulösen waren. Daß Kurfürsten Königsschlösser bauten, war nicht Verschwendungslust, sondern diplomatische Strategie. Aus ähnlichen Gründen lassen die Kurfürsten unserer Tage Hochhäuser errichten.

Hoch gebaut wird nicht nur in Europa und Amerika, sondern vor allem in den Boomstädten Ost- und Südostasiens. In Hongkong und Shenzen, Schanghai und Pudong, Djakarta und Seoul, Bangkok und Taipeh schießen Hochhäuser empor, denen weder städtebaulicher Kompositionsehrgeiz noch umweltbedingte Skrupel im Wege stehen. Die derzeit höchsten Türme erheben sich in Kuala Lumpur und Schanghai. In keiner Region der Welt drängen sie sich dichter als im Pearl River Delta: glänzende Bürotürme der Banken in der City Hongkongs, armselige Wohntürme in den New Towns. Einst löste der Wildwuchs der New Yorker Skyscraper bei jedem europäischen Besucher Faszination und Grauen aus. Diese Wirkung geht heute von den Sonderwirtschaftszonen des Fernen Ostens aus. Das Hochhaus ist in sein asiatisches Jahrhundert eingetreten, auch wenn seine Renommierstücke noch von westlichen Architektenstars entworfen werden.

Von anderen gleichzeitig erschienenen Büchern unterscheidet sich Flierls Untersuchung durch den umfassenden Blick des theoretisch geschulten Praktikers. Er hat seit vielen Jahren am Thema gearbeitet; entsprechend gründlich ist das Buch geraten. Baurechtliche Vorschriften und Veränderungen in der Bauherrschaft (vom Konzern zum Developer) werden berücksichtigt, konstruktive und betriebstechnische Voraussetzungen erörtert. Neuzeitliche Baustelleneinrichtung hätte übrigens auch dazugehört. Ohne Skelettbau, hydraulische Aufzüge, Sanitärinstallationen, Klimaanlagen und Kommunikationstechniken - erst das Telefon, dann die Datenanschlüsse - war kein moderner Hochhausbau möglich, aber auch nicht ohne Dampframmen und Turmdrehkräne.

Als gelernter Architekt entwickelt der Autor Typologien des Wolkenkratzers - Türme, Scheiben, Blöcke - und beurteilt sie in ihrem urbanistischen Zusammenhang. Vor allem die Türme waren es, die eine eigene Ästhetik des hohen Bauens erlaubten und erforderten. Es lag nahe, ihre Vertikalität für die Form zu nutzen. Trotzdem mußte die scheinbar triviale Antwort auf die Frage Louis Sullivans, was denn das Hauptmerkmal des großen Bürogebäudes sei, erst gefunden werden: nämlich daß es sehr hoch ist. Bis dahin kaschierten zehn- oder zwölfstöckige Bauwerke ihre Körpergröße wie ein verlegener Halbstarker, der seiner Familie über den Kopf gewachsen ist. Erst der freistehende Solitär erlaubte Sullivans "mächtigen Orgelton", "das reine Frohlocken darüber, daß er vom Boden bis zum höchsten Punkt eine Einheit bildet".

Seinen Marx hat Flierl nicht vergessen: "Die Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente" war eine Grundbedingung des Hochhausbaus. Daß Hochhäuser von den Bodenwerten abhängen und sie ihrerseits hochtreiben, gehört zum Einmaleins der Stadtökonomie. Fast exakt zeichnen die Wachstumsschübe, in denen Wolkenkratzer errichtet wurden, die Zyklen von Konjunktur und Rezession nach. Auch für die sozialen Kosten, die Verdrängungsopfer der neuen Verdichtungen, findet der Chronist ein teilnehmendes Wort. Es gibt kaum eine Wolkenkratzer-City, um deren - manchmal glanzvollen - Kern sich nicht ein Ring gottverlassener Slumzonen gelegt hätte. So ist das Buch noch mehr Stadtbaugeschichte als Architekturgeschichte des Hochhauses. Seit dem Ende der DDR hat Flierl viel von der Welt gesehen und es in sein geographisch gegliedertes Opus eingebracht. Südamerika, Afrika und Australien sind die weißen Flecken auf seiner Landkarte.

Behindert wird die überaus kenntnisreiche Darstellung durch Restbestände von Fachchinesisch. "Differente ökonomisch optimale Aufwand-Nutzen-Relationen" ließen sich auch in leserfreundliches Deutsch übersetzen. Illustriert hat Flierl das Buch mit instruktiven Schaubildern und eigenen Aufnahmen. Sie gerieten respektabel, wo Wasserspiegel und Ödland dem Fotografen ausreichende Abstandsflächen boten. Wo es eng wird, erinnern die stürzenden Linien seiner Fotos unfreiwillig daran, daß das Hochhaus seit vielen Jahrzehnten auch die Erdbebenzonen dieses Globus erobert hat. Aber die Überschätzung der eigenen Fotografierkünste ist eine berufsspezifische Untugend aller Architekturschreiber, den Rezensenten nicht ausgenommen.

Ein Hochhaus kommt selten allein und ein Hochhaus-Buch auch nicht. Nach den affirmativen Beschreibungen anderer Autoren (F.A.Z. vom 8. Januar) und Flierls kritischer Übersicht schildert ein Sammelband verschiedener Autoren, Ergebnis eines Symposions, die speziell deutschen Auseinandersetzungen mit dem Vielstöcker. Es sind Beschreibungen der Versuche, die Bestie zu zähmen, das Hochhaus als wohlbedachten Akzent zu setzen, Chaos in komponierten Ensembles zu bändigen, Tabuzonen zu errichten, zumindest die historischen Erbstücke unserer Städte zu respektieren und schließlich auch die ökologischen Folgen zu bedenken. Schon in den zwanziger Jahren erschien es als Mission des Abendlandes, das Hochhaus, dieses Produkt amerikanischen Geschäftssinns, zu europäisieren und zu einem Mittel ziviler Stadtbaukunst zu machen.

Architektennamen, die in Deutschland für die vorsichtige Einführung von Hochhäusern ins Stadtbild standen und in Flierls internationalem Überblick fehlen müssen, haben hier ihren Platz: nach dem Ersten Weltkrieg Eugen Schmohl oder Bruno Paul in Berlin, Wilhelm Kreis oder Jacob Koerfer im Rheinland, Ernst Otto Oswald in Stuttgart, Hermann Leitenstorfer in München. Nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden sich die meisten Städte, deren Hochhauspolitik hier in Einzelkapiteln vorgestellt wird, für eine mehr oder weniger vorsichtige Güterabwägung, ohne das Hochhaus von vornherein abzulehnen. Meist blieb es bei Möchtegern-Wolkenkratzern, den ästhetisch unerfreulichsten Exemplaren der Gattung Hochhaus.

Die investorenfreundlichste Strategie betreibt zweifellos Frankfurt am Main. Nur hier bildete sich - wenn auch bescheiden im globalen Vergleich - so etwas wie eine neue Skyline aus. Es scheint, daß die anderen deutschen Kommunen der bundesrepublikanischen Banker-City diesen Ruhmestitel nicht neiden. Wenn es denn einer ist.

WOLFGANG PEHNT.

Bruno Flierl: "Hundert Jahre Hochhäuser". Hochhaus und Stadt im 20. Jahrhundert. Verlag Bauwesen, Berlin 2000. 264 S., 360 Farbu. S/W-Abb., geb., 148,- DM.

Marianne Rodenstein (Hrsg.): "Hochhäuser in Deutschland". Zukunft oder Ruin der Städte? W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2000. 281 S., 91 Abb., br., 68,45 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hoch gebaut wird inzwischen weltweit, als Machtdemonstration und wirtschaftliches Potenzdenkmal, auch wenn der wirtschaftliche Aufschwung, wie in vielen Ländern der dritten Welt, noch lange oder überhaupt auf sich warten lässt, erzählt Wolfgang Pehnt. So wie Hochhäuser modern sind, ist es auch das Ansinnen, darüber zu schreiben. Und so bespricht der Rezensent gleich zwei Bände, die in jüngster Zeit zum Thema erschienen sind. Bruno Flierls Buch fällt unter den vielen Publikationen zum Thema auf, findet Pehnt. Seit vielen Jahren beschäftige sich der Architekt mit Hochhäusern. Entsprechend gründlich sei auch die Auseinandersetzung damit im vorliegenden Band geraten, baurechtliche Vorschriften, konstruktive und betriebstechnische Aspekte des Hochhausbaus inklusive. Bei Flierl erfahre man viel über die Typologie des Wolkenkratzers, und vor allem mehr über den urbanen Kontext, in dem er angesiedelt ist. So findet der Rezensent, dass Flierls Buch mehr Stadtbaugeschichte denn Architekturgeschichte geworden ist. Und das bezogen auf die Metropolen weltweit, ausgenommen die in Australien, Südamerika und Afrika. Pehnt übt aber auch Kritik. Das Buch wäre seiner Ansicht nach auch ohne die Restbestände von "Fachchinesisch" ausgekommen. Und Flierls Fotografierkünste müssten nach Pehnt auch noch stark verfeinert werden.

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