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Die gesammelten Werke von Alfred Andersch in zehn Bänden - die erste Edition mit begleitenden Kommentaren.

Produktbeschreibung
Die gesammelten Werke von Alfred Andersch in zehn Bänden - die erste Edition mit begleitenden Kommentaren.
Autorenporträt
Alfred Andersch, geboren 1914 in München, wurde 1933 wegen seiner politischen Aktivität im Kommunistischen Jugendverband im KZ Dachau interniert. Nach seiner Desertion aus der Wehrmacht 1944 verbrachte er über ein Jahr in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Zurück in Deutschland, arbeitete er als Journalist und Publizist, namentlich beim Radio. Andersch zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, seine Bücher sind längst Schullektüre. Er starb 1980 in Berzona/Tessin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2005

Die Masken des Mondänen
Aus dem Zwielicht zurückgekehrt: Der Diogenes Verlag widmet Alfred Andersch eine Werkausgabe
Wer heute von Alfred Andersch spricht, kommt nicht umhin, auch über W. G. Sebald zu sprechen. In seinem 1993 in der Zeitschrift „Lettre” erschienenen Essay hat Sebald mit überraschender Heftigkeit das angebliche oder tatsächliche Selbstbild von Andersch in Zweifel gezogen, das des Deserteurs, des Widerständlers oder wenigstens des inneren Emigranten. Wo immer Sebald in Anderschs umfangreichem Werk die Probe nahm, ob an der frühen Programmschrift „Deutsche Literatur in der Entscheidung” von 1948 oder an dem späten Skandalgedicht „Artikel 3 (3)” von 1976, immer lief dabei sein Befund auf ein „äußerst zweifelhaftes Adaptionsgeschick”, auf einen „Prozess der Verundeutlichung” und auf vielsagende „Auslassungen” hinaus.
Andersch habe seine Lebensgeschichte in immer neuen Anläufen um- und umgeschrieben, weil er etwas zu verbergen hatte - vor allem die Ehescheidung von 1942, die seine Frau, eine „Halbjüdin” in größte Gefahr gebracht habe, während sie Andersch für die angestrebte Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer von Nutzen gewesen sei. Der Widerständler war Sebald zufolge ein Opportunist, der Deserteur ein Etappenhase, und selbst Anderschs späteren Bemühungen um die Einfühlung in jüdische Lebensläufe, etwa in dem Roman „Efraim”, wird ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Ohne es zu merken, habe Andersch in seinen jüdischen Protagonisten „einen deutschen Landser hineinprojiziert”. Einmal Landser, immer Landser, so etwa ist Sebald zu verstehen. Wen wundert es da, wenn er auch an Anderschs spätem Wutausbruch über die Praxis der „Berufsverbote” kein gutes Haar lässt?
Seit Sebalds Attacke ist jedenfalls das Ansehen von Alfred Andersch in der literarischen Öffentlichkeit, um es vorsichtig auszudrücken, beschädigt. Die zehnbändige Andersch-Werkausgabe im Diogenes-Verlag, edel gemacht wie sonst nur die Klassiker im Deutschen Klassiker-Verlag, wird nicht aus dem Stand eine Andersch-Renaissance einleiten. Das wäre auch deshalb zu viel verlangt, weil viele von Anderschs Büchern zu ihrer Zeit Bestseller waren und noch heute, in Schulen und jenseits von ihnen, Leser finden. Nicht um die Verbreitung seiner Werke muss man sich Sorgen machen, sondern allenfalls um ihren Rang.
Ein Pionier der Publizistik
Dass sich Alfred Andersch neben (oder manchmal auch vor) Thomas Mann und Ernst Jünger als eine epochale literarische Erscheinung ansah, hat schon Weggefährten wie Hans Werner Richter irritiert. Vielleicht wäre bei der Würdigung von Andersch ein mittlerer Weg ratsam, der einerseits Korrekturen an seiner Selbsterhöhung vornimmt, andererseits aber von Sebalds moralischem Verdikt abrückt. Dass die deutsche Nachkriegsliteratur, die Gruppe 47 allen voran, selten den Sebaldschen Lauterkeitsrichtlinien entsprochen hat, ist bekannt. Wer Andersch moralisch-literarisch beurteilen will, sollte ihn besser nicht mit W. G. Sebald, sondern mit Zeitgenossen wie Max Frisch oder Arno Schmidt vergleichen. Dabei würde sich herausstellen, dass Verbergungsstrategien, wie Andersch sie offenbar pflegte, unter den Schriftstellern seiner Generation so selten nicht waren.
Anders als die später Geborenen Grass, Walser oder Lenz hatten diese auch oft genug etwas zu verbergen; und hätten sie nichts zu verbergen gehabt, gäbe es womöglich auch ihr Werk nicht - wenn es denn, wie Sebald meinte, als große und planmäßig-unbewusste „Verundeutlichung” eines schuldhaften Hergangs zu begreifen ist.
Dieter Lamping, der Herausgeber der Werkausgabe, hat in seiner Einführung vorsorglich eine Rubrik „Vorbehalte” eingerichtet, in der er auf Sebalds „moralischen Prozess” gegen Andersch zu sprechen kommt. Dieser beruhe „auf starken, durchweg einseitigen Interpretationen, die von heftiger Abneigung gegen den Autor und sein Werk geleitet” seien. Mehr beschäftigen ihn und uns Anderschs „Verdienste”. Andersch, so sein Herausgeber, war lebenslang ein politisch engagierter Schriftsteller; unter anderem wegen der deutschen Wiederbewaffnung Mitte der fünfziger Jahre hatte er Deutschland verlassen und seinen Wohnsitz neben Max Frisch in Berzona im Tessin bezogen.
Andersch war außerdem einer der Pioniere der deutschen Publizistik nach dem Krieg und namentlich als Leiter des „Radio-Essays” beim Süddeutschen Rundfunk der vielleicht wichtigste Förderer der jungen literarischen Generation. Andersch, so Lamping weiter, habe früher als die meisten Zeitgenossen das deutsch-jüdische Verhältnis zum Thema gemacht; was ihm Emigranten wie Jean Améry und Ludwig Marcuse hoch anrechneten, während sich Marcel Reich-Ranicki (und Sebald in der Folge) gerade daran stießen.
Vor allem aber sei Andersch ein großer Erzähler gewesen, „der alle epischen Formen von der Kurzgeschichte bis zum Roman gemeistert hat”. Inspiriert von Faulkner und anderen Amerikanern, die er in der Kriegsgefangenschaft frühzeitig kennen lernte, trug Andersch einen beinahe mondänen, jedenfalls weltläufigen, souveränen Ton in die Gegenwartsliteratur hinein, den ihm manche Kritiker nie verziehen. Von „Stuyvesant-Stil” ist in einer „Spiegel”-Besprechung von „Efraim” (1967) zu lesen. Man findet diesen Stil auch bei Max Frisch, etwa in „Homo Faber”, hat ihn Frisch aber nie besonders übel genommen. Man findet ihn bestimmt nicht bei Arno Schmidt und Heinrich Böll. Frisch und Andersch waren früh gereist, hatten früh ein Auskommen gefunden und, vor allem, sich früh für die Welt außerhalb des deutschen Sprachraums interessiert. So etwas kann zu Stuyvesant-Stil führen. Es wäre nur konsequent gewesen, Andersch auch die Erwähnung von Dizzy Gillespie oder Michel Foucault vorzuwerfen: bei Böll oder Grass wäre so etwas nicht vorgekommen. Andersch aber war eine Art Weltmann und brauchte sich hierzu nicht einmal besonders in Pose zu werfen.
Ein Weltmann war Alfred Andersch, ein Cees Nooteboom der fünfziger Jahre, der Reiseberichte schrieb und Fremdsprachen sprach, was man zu Hause nicht gern sah. Dass ihm genügend Selbstgerechtigkeit zu Gebote stand, darf ebenfalls als gesichert gelten. 1948 trägt er vor der Gruppe 47 seinen berühmt gewordenen Text „Deutsche Literatur in der Entscheidung” vor. Er unterscheidet darin rückblickend „Deutsche Literatur als innere Emigration” und „als offener Widerstand” und findet hellsichtige Worte für sein späteres Idol Ernst Jünger: der „Symbolismus Jüngerscher Prägung” könne „in der Nachbarschaft einer Literatur der echten Freiheit . . . zur eitlen Stelzengeherei werden”, was dann auch prompt eintrat.
Ein temporärer Nihilismus
Nun aber befinde sich die Literatur „im Vorraum der Freiheit”. Ein „temporärer Nihilismus” sei als Gegenmittel gegen die „permanente Langweiligkeit unserer ‚werthaltigen‘ Literatur” anzuraten. Ein Sartrescher Existenzialismus tue Not als „Vorstufe einer neuen und umfassenden Anthropologie”. Man kann diese Stunde-Null-Rhetorik belächeln, wird sich aber trotzdem fragen, welche andere und bessere geistige Orientierung einem Kriegsheimkehrer des Jahrgangs 1914 zur Verfügung hätte stehen sollen. Trübe Ingredienzien gibt es in Anderschs (wie in Sartres) Denken bestimmt genug, antidemokratische womöglich, wie er sie bereits als junger Kommunist in der späten Weimarer Republik kennen gelernt hatte. Dass Anderschs Dezisionismus eine Deck- und Verbergungsfigur darstellt, dass er, vereinfacht gesagt, aus schlechtem Gewissen Kontinuität bestreiten und einen absoluten Anfang postulieren soll, steht ganz außer Frage und kann doch kein Schlüssel zur Beurteilung seines Ranges sein.
Die zehn Andersch-Bände geben Gelegenheit, sich Erfolgstitel von einst wie „Die Kirschen der Freiheit”, „Sansibar”, „Die Rote”, „Efraim” oder „Winterspelt” erneut oder erstmals vorzunehmen oder aber Entdeckungen zu machen, wie etwa bei Anderschs Reiseberichten oder bei seinen literarischen Essays. Der ausführliche Werkkommentar macht vor allem eines deutlich: unumstritten war der Schriftsteller Andersch nie. Nicht politisch und noch weniger literarisch. Gerade „Efraim” und „Winterspelt” haben die Kritik gespalten und Verrisse ebenso nach sich gezogen wie Hymnen. Gerade deshalb ist wohl eine Wiedervorlage der Sache Andersch wünschenswert.
Liest man etwa heute in „Winterspelt” (1976), Andersch ambitioniertestem, bei der Kritik jedoch eher durchgefallenen Roman, der letztmalig sein Lebensthema Desertion durchspielt, dann empfindet man Respekt für diesen großzügigen epischen Entwurf, der, ganz im Geist des Modernismus, Fakten mit Fiktionen konfrontiert, Möglichkeiten sondiert, Stimmen orchestriert und aus alledem eine existentielle Dringlichkeit hervortreten lässt, wie sie nicht einfach erfunden werden kann. Neben seinem Altersgenossen Max Frisch, um eine Vergleichsgröße zu nennen, behauptet sich der Schriftsteller Alfred Andersch nicht schlecht.
Vielleicht sei, schreibt Andersch am Ende seines letzten, posthum erschienenen und im Sommer 1980 in dieser Zeitung vorabgedruckten Buches, „Der Vater eines Mörders”, vielleicht sei „unter allen Masken das Ich die Beste”. Das ist keine schlechte Maxime, nicht für Alfred Andersch und nicht für irgendeinen anderen Schriftsteller.
CHRISTOPH BARTMANN
ALFRED ANDERSCH: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Herausgegeben von Dieter Lamping. Diogenes Verlag, Zürich 2004. Zusammen 480 Euro.
Im Vorraum der Freiheit: Der Schriftsteller Alfred Andersch (1914-1980) bei der Arbeit
Foto: Diogenes Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jochen Schimmang bricht eine Lanze für einen Kollegen: "Andersch war ein erstklassiger Romancier, Erzähler und Essayist." Deutlich nimmt er Alfred Andersch gegen W. G. Sebalds 1993 veröffentlichte Attacke in der Zeitschrift "lettre" in Schutz, die Schimmangs Empfinden nach eine Hinrichtung sein wollte, nach deren Motiven man noch fahnden müsste. Auch die teilweise rabiaten Urteile zeitgenössischer Kritiker kann der Rezensent nicht nachvollziehen. Nein, Schimmang ist ehrlich begeistert von der Wiederbegegnung mit dem Schul-Klassiker. Anderschs Werken aus den drei von ihm bedienten Gattungen konzediert er "erstaunlich wenig Patina". Davon soll der Leser sich doch bitteschön anhand der jetzt erschienenen zehnbändigen Werkausgabe selbst überzeugen.

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»Alfred Andersch ist aus der Literatur und dem geistigen Leben Deutschlands nach 1945 nicht wegzudenken.« Karl Otto Conrady / Frankfurter Rundschau Frankfurter Rundschau