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Produktdetails
  • arte Edition
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 638
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 810g
  • ISBN-13: 9783251004676
  • ISBN-10: 3251004670
  • Artikelnr.: 24801331
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2000

Lass den Tanz beginnen!
Ein biografischer Salut zu Louis Armstrongs 100.  Geburtstag
Er nimmt sich jede Zeit der Welt, lässt sich bei seinem Unternehmen, die Dimensionen dieses Lebens zu entfalten, von keiner Rhythmusmaschine in die Hektik jagen. Auf 639 Seiten erzählt Laurence Bergreen die Geschichte Louis Armstrongs. Die braucht er auch, wenn er zusammenführen will, was zusammen gehört. Diese Geschichte einer Musik und eines Musikers in wechselnden Zeiten und Landschaften, vor einem rassistisch verfinsterten Hintergrund, der mehr auf Verzweiflung deutet als auf „High Society”, und in all diesen Turbulenzen ein Mann, von dem Bergreen rechtens behauptet, er habe dem regionalen Sonderfall Jazz den Rang einer Weltmusik geschenkt.
Er ist der erste nicht, der davon erzählt. Aber er ist am ausführlichsten, und das ist nicht als Tadel gemeint. Wohl ergibt sich beim ersten Hinsehen kein überraschend neues Bild – wie denn auch bei diesen Mississippi-Fluten von Literatur?! –, aber kundig ausgebreitete Details rauen das nur scheinbar Sonnige, Unkomplizierte dieser Erfolgs-Story vom Gelegenheitszuhälter zum Weltstar auf. So liegt auf dem Schinken der nicht eben selbstverständliche Doppelsegen: Der Newcomer lernt. Der Kenner entdeckt Finessen in dieser hoch komplizierten afro-amerikanischen Entertainment-Welt, in dieser Ballermann-Bordell-Ballade, die dem Wort „geil” seinen schönen postpubertären Sinn zurückschenkt.
Einleuchtend und pfiffig die Idee, die Wegstrecken dieses Lebens von New Orleans, Raddampfer-Jobs, Chicago, New York in die weite Welt durch Kapitel-Überschriften zu kennzeichnen, die Armstrongs größte Erfolge zitieren. Bei „Lazy River” kommt sogar ein bisschen schillernder Humor ins Spiel. Denn faul war der knapp 20-jährige Louis nicht, als er zwei Sommer lang auf dem Ausflugsdampfer Sidney zum Tanz spielte. Er hat Noten gelernt, und schon diese eher beiläufige Information hilft der Aufklärung. Schätzt doch der Opus-Mensch den schwarzen Jazzmusiker, wenn überhaupt, als genialischen Legastheniker, als schönen, wenngleich schwitzenden Wilden.
Nun hat natürlich jeder Jazz-Freund geahnt, gewusst oder zwischen den Zeilen gelesen, dass in dem Viertel, aus dem Armstrong stammt, die Verhältnisse nicht so waren, wie der Sittenwächter es gern hätte. Aber dass es so arg zuging wie auf den ersten 150 Buchseiten, hätte niemand zu träumen gewagt. Aus lauter Kneipen und Bordellen, Huren und Zuhältern besteht der Alltag, und von fern erinnert das an Zilles „Hurengespräche”: ganz und gar amoralisch, mit eigenen Gesetzen, doch frei von Selbstmitleid und gesprenkelt mit einem rabiaten Humor. Gut gedüngt sind die Roots, aus denen der „Westend Blues” gen Himmel treibt. Halbseide umflattert die frühen Jahre. Da ist der Jazz wie das Boxen.
Bergreens schafft es, Armstrongs Persönlichkeit wie Leistung in so viel Umwelt nicht untergehen zu lassen. Dabei entwirft er immer wieder auch Porträts von Menschen, die in Satchmos Leben wie in der Jazz-Geschichte eine Rolle gespielt haben: Bix Beiderbecke, Bessie Smith und Lil Hardin, Armstrongs zweite Frau und als ausgebildete Pianistin ein frühemanzipatorischer Sonderfall in dieser Männerwelt.
Der Apparat ist reich und nützlich, listet die umfangreiche Literatur auf, auch die beiden Autobiografien Satchmos, nutzt sie, und manchmal erweckt das Ganze denn auch den Eindruck, als befinde sich ein Zitatenschatzkästlein auf dem Weg zur Computer-Collage. Im Vorwort schwärmt der Autor von der deftigen Ausdrucksweise Armstrongs. Doch dann pfeift er seine Zitierwut halbherzig zurück, und das Wort „Lahmarsch” markiert den waghalsigsten Ausbruch in die Welt des Obszönen. Schade, schade!
Auch wird endlich einmal ausgesprochen und dokumentiert, dass Armstrong nicht am sinnschweren 4. Juli 1900, sondern am 4. August 1901 zur Welt kam. Doch ein Mythos überlebt die Korrektur, auch wenn sie sich der Desillusionierung nähert.
WERNER BURKHARDT

LAURENCE BERGREEN: Louis Armstrong – ein extravagantes Leben. Übersetzt von Juliane Zaubitzer. Arte edition, Haffmans. 640 Seiten, 39,90 Mark.
Besame Satchmo: Louis Armstrong spielt hier 1956 auf einer Fürstenhochzeit
Foto: SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die bislang ausführlichste Biographie des Jazzmusikers Louis Armstrong liegt nun auch auf Deutsch vor, und diese Ausführlichkeit ist ihr Werner Burkhardt zufolge nicht zur Länglichkeit geraten. Der Rezensent lobt das Buch, das aufschlussreich für den Novizen und reich an kleinen überraschenden Details für den Kenner sei. Keine glatte Erfolgs-Story, die das derbe Herkunftsmilieu Armstrongs weder ausspare noch dramatisiere. Nebenbei zeichne der Autor lebendige Porträts wichtiger Weggenossen Armstrongs wie etwa von Bix Beiderbecke, Bessie Smith oder Lil Hardin, Satchmos zweiter Frau. Auch den umfangreichen Apparat findet Burkhardt nützlich; er bedauert einzig, dass der Autor nicht den Mut gehabt hat, sich der kräftigen Ausdrucksweise zu bedienen, die er an Armstrong so bewundert.

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