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»Tut mir leid, es dir so zu sagen, kann jetzt aber nicht anders. Meine kollegin maike anfang ist gestorben, die mit uns noch whisky trinken war. Einfach so. Ich weiß gar nichts mehr. Liebe grüße, korinna.«Per SMS erfährt der knapp 40jährige Eventmanager Dariusch in seinem Rückzugsort Cadaqués vom Tod einer entfernten Bekannten. Naturgemäß ist er zunächst irritiert, sogar bestürzt über die so plötzliche wie abstrakte Konfrontation mit dem Tod. Aber da er die Frau nur flüchtig kennt, findet er zunächst keinen Grund, aus der Routine des Sommerabends auszubrechen. Sein Leben und das Leben als…mehr

Produktbeschreibung
»Tut mir leid, es dir so zu sagen, kann jetzt aber nicht anders. Meine kollegin maike anfang ist gestorben, die mit uns noch whisky trinken war. Einfach so. Ich weiß gar nichts mehr. Liebe grüße, korinna.«Per SMS erfährt der knapp 40jährige Eventmanager Dariusch in seinem Rückzugsort Cadaqués vom Tod einer entfernten Bekannten. Naturgemäß ist er zunächst irritiert, sogar bestürzt über die so plötzliche wie abstrakte Konfrontation mit dem Tod. Aber da er die Frau nur flüchtig kennt, findet er zunächst keinen Grund, aus der Routine des Sommerabends auszubrechen. Sein Leben und das Leben als solches wird weitergehen, als wäre Maike Anfang nicht gewesen.Doch etwas sperrt sich in ihm dagegen, zur Tagesordnung überzugehen. Wieso stirbt Maike Anfang? Wieso stirbt jemand einfach so? Wenn ihr Tod ohne Grund war, muß es dann nicht auch sein Leben sein? In der Schlaflosigkeit des frühen Morgens beschließt er, sich in den Zug zu setzen und zurückzukehren nach Köln. Er will die Umstände des Todes erfahren oder wenigstens bei der Beerdigung anwesend sein. Er will der Verstorbenen gedenken. Kurzmitteilung ist die Geschichte einer Auflehnung gegen den Lauf der Dinge und zugleich ein höchst verstörender Kommentar zur Zeit. Ein Roman über die Alltäglichkeit des Todes und das Tödliche unseres Alltags.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967, promovierter Islamwissenschaftler und Publizist, gilt als führender Iran-Experte in Deutschland und hat zwischen 1995 und 2000 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung in Iran verfolgt. Für das Studienjahr 2000/2001 ist er an das Wissenschaftskolleg in Berlin berufen worden. 2010 wurde Navid Kermani mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille 2011" ausgezeichnet und 2011 erhielt er den "Hannah-Arendt-Preis" für seine "lagerüberwindenden, religionswissenschaftlichen und politischen Analysen". Im Jahr 2012 wurde er für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen mit dem "Kölner Kulturpreis" ausgezeichnet, im Oktober erhielt er den "Cicero Rednerpreis" für "herausragende rhetorische Leistungen". Im November desselben Jahres wurde ihm der "Kleist-Preis" verliehen. 2014 erhielt er den "Joseph-Breitbach-Preis" für sein Gesamtwerk, 2015 wurde ihm der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2007

Gefühle hatte ich für den Abend genug gesimst
Ein Ekelpaket auf der Jagd nach Liebe: Navid Kermanis Roman „Kurzmitteilung”
Der Tod ist im Leben nicht vorgesehen. Nicht so jedenfalls, „einfach so”, wie es in Navid Kermanis Roman „Kurzmitteilung” heißt. Die Nachricht erreicht den Ich-Erzähler Dariusch per SMS. Obwohl er die Tote mit dem sprechenden Namen Maike Anfang nur flüchtig kannte, ist er bestürzt. Trauer wäre für dieses existentielle Erschrecken das falsche Wort. Wie sollte man jemanden betrauern, von dem man fast nichts weiß? Und wie geht man mit dem Tod um, wenn die im Großraumabteil eines Zuges ins Handy gesprochene Beileidsbekundung zwischen zwei Funklöcher passen muss?
Als Sohn iranischer Eltern hat Dariusch kulturelle und biographische Berührungspunkte mit dem 1967 in Köln geborenen Orientalisten, Essayisten und Erzähler Navid Kermani. Der „sogenannte Migrationshintergrund”, wie es einmal heißt, spielt eine große Rolle. Migrationsliteratur, dafür ist dieser Roman ein gutes Beispiel, hat schon lange nichts mehr mit der Gastarbeiterliteratur der frühen Bundesrepublik zu tun. Figuren wie Dariusch sind integraler Bestandteil dieser Gesellschaft, auch wenn sie stets damit rechnen müssen, als „fremd” betrachtet zu werden. Sie gehören zu einer kulturellen, global agierenden Elite, die in der Welt herumjettet, die zu ihren Herkunftsländern aber nur noch schwache Bindungen hat und die Sprache der Eltern allenfalls mit Akzent zu sprechen vermag.
Dariusch ist es gewohnt, auf der Oberfläche des Lebens zu agieren. Er ist ein Typ, der zum Dreitagebart gerne weit aufgeknöpfte weiße Hemden trägt und sich für einen unwiderstehlichen Frauenflachleger hält. Er lebt in Köln, wenn er sich nicht gerade in seinem katalanischen Zweitwohnsitz aufhält, und verdient viel Geld als Event-Manager, der für große Firmen Kulturveranstaltungen organisiert. Er ist so etwas wie ein multikultureller André Heller, der seine säkulare muslimische Identität als Wettbewerbsvorteil erkannt hat. Bei der Vorbereitung eines Abschiedsfestes für einen Ford-Vorstandsvorsitzenden lernte Dariusch Maike Anfang kennen.
Gemäß seines sozialen Koordinatensystems, wonach Frauen in vögelbare und nicht-vögelbare einzuteilen sind, interessierte er sich mehr für deren reizvollere Kollegin Korinna. Maike wird für ihn erst mit ihrem Tod so richtig attraktiv. Er ahnt eine Liebesgeschichte, die nicht stattgefunden hat, etwas Verpasstes, das nicht wieder einzuholen ist, es sei denn, er macht sich die Tote zu eigen.
Also beschließt er in seinem spanischen Domizil, nach Köln zur Beerdigung zu reisen und 500 Euro für die Fahrt mit dem TGV auszugeben. In Köln verwandelt er sich in einen eigenartigen Detektiv, der in einem fremden Leben herumschnüffelt, um mehr über Maike Anfang und die Umstände ihres Todes zu erfahren. Er trifft sich mit ihrem Freund, sucht ihr Elternhaus in einem Provinznest auf, lernt ihre Mutter kennen und begleitet sie in ihrer Trauer bis vors gerichtsmedizinische Institut. Er ist ein das Leid betrachtender Voyeur, der durch die Teilhabe an fremder Trauer die Intensivierung des eigenen Daseins erlebt, weil er mit eigenen Gefühlen so seine Schwierigkeiten hat.
„Gefühle hatte ich für den Abend genug gesimst”, heißt es an einer Stelle, als er mit Korinna einen SMS-Flirt versucht. Das sexuelle Begehren, das seine Wahrnehmung steuert, ist seine Methode, das Skandalon des Todes mit Lebendigkeitsübungen zu beantworten. Seine Sekretärin kommandiert er nach Lust und Laune zum Beischlaf ins Nebenzimmer und glaubt, ihr damit eine Freude zu machen. Er ist ein Chef, der die Abhängigkeiten, die er produziert, noch nicht einmal bemerkt. Auch mit einer Ex-Freundin sucht er die Wiederaufnahme der Beziehung auf sexueller Basis. Doch sie ist längst eingeschlafen, als er sich an ihr zu schaffen macht wie an einer Sexpuppe: „Sechs, sieben heftige Stöße, bis ich mich endlich mit einem Grunzen erleichterte, nicht unähnlich dem Geräusch meines Handys, wenn es eine Kurzmitteilung empfängt.” So abstoßend die Szene ist, so reflektiert beschreibt der Ich-Erzähler sich selbst und sein Agieren. Er ist ein Ekel, aber er weiß es und beschönigt nichts.
Es ist, als wäre dieser Dariusch eine Doppelgestalt: halb höchst fragwürdige Kunstfigur, halb aber auch Sprachrohr des Autors selbst. Ausgangspunkt des Schreibens war für Kermani der plötzliche Tod der Kölner Schauspielerin Claudia Fenner. Ihrem Gedenken ist der Text gewidmet. Dieser reale Erzählanlass wirkt in die Figur des Ich-Erzählers hinein und mindert seine karikaturhafte Künstlichkeit. Man kann das als Schwäche des Textes sehen, und doch macht gerade diese Unentschiedenheit den eigentümlichen Reiz dieser Prosa aus.
Auch in seinem Zorn über den medialen Umgang mit dem Thema Islam spricht Dariusch immer wieder Originaltext des Essayisten Navid Kermani. Erzählzeit ist der Sommer 2005 mit den Terroranschlägen in London. Dariusch erregt sich über „die Hetze der Medien gegen den Islam”, die in jedem Araber einen fundamentalistischen Muslim wittern. „Wenn ich Terrorist wäre”, denkt er, „würde ich als erstes die Experten liquidieren. Oder ich würde in die Mikrophone kleine, ferngesteuerte Fäuste einbauen, die dem Sprecher unters Kinn fahren, sobald seine Erklärung die Grenze zum Schwachsinn überschreitet.” Die Terroristen hält er dagegen gemäß seiner sexualisierten Wahrnehmung für Leute, „die alle nicht genug gefickt haben. Und diese Mullahs, die ihnen den Schwachsinn einflüstern, sollte man gleich mitficken.”
Nach ein paar Tagen in Köln reist Dariusch überstürzt ab, ohne an der Beerdigung teilzunehmen, wie er es doch eigentlich vorhatte. Mit einer letzten SMS an Korinna hätte das Buch einen Schluss gehabt und ein offenes Ende. Denn es ist ja keineswegs klar, ob es Dariusch gelingt, das alte Leben im kulturellen Jetset wieder aufzunehmen. Stattdessen aber hat Kermani ein so überflüssiges wie kitschiges, zudem unglaubwürdiges Kapitel angefügt, das als kursiv gesetzter Brief an einen „Freund” schon graphisch aus dem Rahmen fällt.
Demnach stieg er wieder aus dem Zug aus, reiste zurück und hatte ein religiöses Erweckungserlebnis. Ausgerechnet der scheidende Ford-Vorstand bekehrte ihn zum echten Leben im Kreis der Scientology oder einer anderen Sekte, deren Weltanschauung sich profitorientiert verwerten lässt. Da wäre einem der Sex-Zyniker dann doch lieber gewesen. Außerdem taucht eine Computer-Datei von Maike Anfang auf, von der man nur erfährt, dass es sich wohl um eine Liebesbekundung an Dariusch handelt. Damit ist ein irritierendes Buch endgültig zum Kitschroman degradiert. Man sollte beim Lesen vor dem letzten Kapitel aufhören.JÖRG MAGENAU
NAVID KERMANI: Kurzmitteilung. Roman. Ammann Verlag, Zürich 2007. 158 Seiten, 17,90 Euro.
Der Autor und Islamwissenschaftler Navid Kermani Foto: Brigitte Friedrich
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Man kennt diese Menschen, die "in Kultur machen", die ebenso gepflegt über Walter Benjamin wie Susan Sontag plaudern können und sich freuen, wenn ihnen ein Freund sein nicht sonderlich gelungenes Buchmanuskript schickt. Navid Kermani hat einen solchen Unsympath zum Helden seiner Erzählung "Kurzmitteilung" gemacht. Rezensent Marco Stahlhut findet diesen Typus mit dem Kulturmanager Dariusch offenbar recht gut getroffen, dessen "moralisch-metyphysische Obdachlosigkeit" und die vergeblichen Versuche, seinem Leben einen Sinn zu geben, offenbar werden, als er per SMS erfährt, dass eine Frau, die er kurz zuvor kennengelernt hat, gestorben ist. Ganz deutlich wird nicht, was den Rezensenten für diesen Roman eingenommen hat, aber er betont, dass Kermani in ihm die "analytische Schärfe" und das "literarische Können" aufweist, die Stahlhut auch an seinen Feuilletons schätzt.

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