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Als der Glöckner und Buchdrucker Hans Skonning in Aarhus im 17. Jahrhunderts während eines schweren Gewitters plötzlich freundliche Menschen in einer Welt ohne Schmutz und Arbeit erblickt, glaubt er an eine Vision aus dem Paradies. Doch als die Visionen sich häufen, erkennt er auch Leid, Hass und Tod. Er hat in das Aarhus des 20. Jahrhunderts geschaut, wo Tobias, ein ziemlich nichtsnutziger junger Mann, gerade einen Menschen töten will. Doch der alte Mann im Rollstuhl, den Tobias ausrauben will, überredet ihn zu einem faustischen Pakt: Wenn er ein Jahr lang einfach nur ein guter Mensch ist,…mehr

Produktbeschreibung
Als der Glöckner und Buchdrucker Hans Skonning in Aarhus im 17. Jahrhunderts während eines schweren Gewitters plötzlich freundliche Menschen in einer Welt ohne Schmutz und Arbeit erblickt, glaubt er an eine Vision aus dem Paradies. Doch als die Visionen sich häufen, erkennt er auch Leid, Hass und Tod. Er hat in das Aarhus des 20. Jahrhunderts geschaut, wo Tobias, ein ziemlich nichtsnutziger junger Mann, gerade einen Menschen töten will. Doch der alte Mann im Rollstuhl, den Tobias ausrauben will, überredet ihn zu einem faustischen Pakt: Wenn er ein Jahr lang einfach nur ein guter Mensch ist, bekommt er sein gesamtes Vermögen geschenkt. Und er, Styge Skonning, erzählt ihm die Geschichte seiner Vorfahren bis hin zu jenem Buchdrucker Hans. Eine über sieben Generationen reichende, von Fabulierlust schier überbordende Zeitreise beginnt.
Autorenporträt
Svend A. Madsen, 1939 in Aarhus geboren, wo er lebt und wo auch die meisten seiner Romane spielen. Neben Romanen Krimis und Jugendbüchern verfasste Svend A. Madsen zahlreiche Hörspiele und Theaterstücke. Er gilt als der größte dänische Autor unserer Tage.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2000

Der Glöckner von Aarhus
Svend Åge Madsens Roman "Sieben Generationen Wahnsinn"

Andere Dichter zieht es in die Ferne, Svend Åge Madsen ist das heimische Aarhus Fremde genug. In den bald vierzig Jahren seiner Autorschaft ist Dänemarks renommiertester Romanschriftsteller dem nüchternen Ort an Jütlands Ostküste treu geblieben, und wenn er zwischendurch auf Reisen ging, dann auch, um bei der Rückkehr den vertrauten Ort wieder so fremd zu finden, daß er von ihm erzählen wollte. Es gehört zu Madsens bevorzugten Mitteln, die vor der Tür liegende Realität in zeitliche Distanz zu rücken. So hielt er es in seinem großen Roman "Zucht und Unzucht im Mittelalter" (1976), in dem ein Historiker aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert das Leben im Aarhus der siebziger Jahre rekonstruiert. Die umgekehrte Zeitidee liegt Madsens anderem Hauptwerk zugrunde, den "Sieben Generationen Wahnsinn" (1994). In diesem "Globusroman" erblickt eine historische Figur im Aarhus des siebzehnten Jahrhunderts das Paradies, und es weist starke Ähnlichkeiten mit dem Alltagsleben am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts auf.

Svend Åge Madsen ist ein Polyhistor, und wie andere Schöpfer literarischer Universen ist er ortsfest. Zu viel Bewegung tut wohl einem Roman, der gleichsam "more geometrico" geschrieben ist, nicht gut. Madsen ist außerdem ein studierter Mathematiker, was man vielleicht auch daran merkt, daß er die konstruktiven Elemente seiner Romane gern nach außen kehrt und den Leser über Formprobleme nachsinnen läßt. Der Roman, so wild und bunt es in ihm auch zugeht, wirkt kontrolliert. Es herrscht in ihm der Geist der Feinmechanik. Man könnte sich Svend Åge Madsen auch als Uhrmacher vorstellen.

Daß Madsen sich für Zahlen- und Buchstabenkombinatorik interessiert, liegt auf der Hand. Mit dem Titel geht es los: "Sieben Generationen Wahnsinn", oder in schlechtem Englisch "Seven Age Madness", ist eine Verballhornung von Madsens Namen. Wenn man genug Ideen hat, und das ist bei Madsen der Fall, bietet auch der eigene Name Stoff für einen Roman. Einen weiteren Ausgangspunkt bietet die schon in früheren Werken Madsens behandelte Vita des visionären Buchdruckers Skonning, einer historisch belegten Figur, die in einem (zumindest in und um Aarhus) legendären Skandal eine dubiose Nebenrolle spielte. Die Gemahlin des Bischofs, hieß es, habe mit ihrem ebenfalls geistlichen Schwiegersohn ein Verhältnis gehabt und das Kind aus jener Verbindung im Kirchengarten verscharrt; und der Buchdrucker Skonning soll zum Nachteil der Bischöfin ein falsches Zeugnis abgelegt haben. So geht die Historie, und Madsen kostümiert sich als ihr getreuer Chronist: hier schreibt, scheint es, der Stadtschreiber von Aarhus. Aber seinem erzählerischen Ansatz und Vermögen nach tendiert Madsen weniger zum historischen Roman als zum Entwurf virtueller Realitäten, zu einer mal hyperrealen, mal fantastischen Parade von Zeiten und Gestalten, für die der Romantitel ein geeignetes Signum bereitstellt: "Sieben" steht für Madsens mystisch-kombinatorische Ader, "Generationen" für die Totalität, das Chronikhafte seines Unternehmens und "Wahnsinn" für die spezifische Unordnung, der diese Chronik unterworfen ist, weil sich die Skonning-Dynastie nur sehr bedingt an die Gesetze von Raum und Zeit hält.

Alsbald erhebt sich nämlich der Roman aus den modrigen Winkeln des spätmittelalterlichen Aarhus und landet auf den Schwingen von Skonnings Vision sanft im Jahre 1993. Hier ist soeben ein Krimineller namens Tobias dabei, den letzten Sproß des Skonning-Geschlechts, den greisen Styge, in dessen Haus auszurauben. Styge bietet Tobias einen Deal an: wenn es ihm gelänge, ein Jahr "gut" zu bleiben, solle er sein Erbe werden. Tobias, der bis dahin nicht nur als Straftäter, sondern auch als theoretischer Verfechter der Amoral auffiel, willigt ein. Ein gutes, wenn auch nicht das amüsanteste Stück des Romans gehört nun Tobias' Bemühung um Güte in einer selbst in Aarhus unguten Welt. Er gerät mit akademischen Ethikexperten und psychiatrischen Hirnsammlern zusammen; er verdingt sich in einer Firma, die depressiven Witwen unaufgefordert Kühlschränke zustellt. Aber Madsen ist kein Fachmann für Satire, er ist nicht beißend und nicht wirklich komisch, und so bleiben die Passagen, die in der Gegenwart spielen, eher matt. Anfangs bemüht sich Madsen noch, die vom alten Skonning imaginierte Gegenwart zu verfremden: Rollstühle, Aufzüge, Kraftfahrzeuge, all dies sind ja staunenswerte Fremdkörper in der geheimen Offenbarung des Glöckners. Dann läßt er das Spiel bleiben, wohl wissend, daß man nicht über Hunderte Seiten von "Fahrkäfigen" und dergleichen erzählen kann.

Aber Madsen hat noch andere Spiele auf Lager. Während der alte Styge den jungen Delinquenten auf die Besserungsprobe stellt, erzählt er ihm in rückläufiger Folge, was zwischen dem ersten Skonning und ihm an Absonderlichem in seiner Familie geschah. Auch diese Chronik im Krebsgang hat man sich naturgemäß als Bestandteil der Vision des älteren Skonning vorzustellen. Jedenfalls erreicht in ihr Madsens Einbildungskraft ihre höchste Temperatur. Es gelingen ihm schwindelerregende Biographiefiktionen in historischem Gewand, von Männern, die ihren Selbstmord ein Leben lang hinausschieben, weil sie mit einer geplanten Novelle nicht zu Rande kommen, von Männern, die mit der linken Hand Kringel und mit der anderen Meisterwerke malen. Ein anderer Skonning, Roland Enevold Skonning, schreibt eine "Kritik der Ewigkeit", und sein Vater Erland lüftet das Geheimnis der Primzahlen. René Dietrich Skonning lebt bis zu seinem 23. Lebensjahr in der üblichen Zeitfolge, bis er nach einem Tranceerlebnis in Gesellschaft des Mystikers Swedenborg vom Pfad der Zeit abkommt und seinem Tagebuch den Satz anvertraut: "Verblüffend, sich selbst als junger Mensch zu sehen, nachdem man viele Jahre in mittleren Tagen herumgesprungen ist".

Solcherart sind die Einfälle des Erzählers Svend Åge Madsen. Es sind Einfälle wie aus Science-fiction-Romanen (die Madsen im übrigen auch schreibt), die er in historische Welten injiziert. Während er seinen Glöckner das Paradies am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erschauen läßt, löst Madsen mit seinem Wissen vom Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Turbulenzen in vergangenen Zeiten, im achtzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert aus. Science-fiction ist der eine Schlüssel zu Madsens Werk; den anderen liefert das Denken einer Epoche, in der Mathematik, Kosmologie, Geographie und Philosophie noch einträchtig zusammen wirkten. Diesem Denken steht Madsens barockes und postmodernes Konzept des "Globusromans" nahe, eines Romans, der die Weltkugel auf einer Fläche abbildet und die dabei zwangsläufig entstehenden Lücken für theoretische Exkurse - sieben an der Zahl - in Anspruch nimmt. "So, wie sich nutzlose Papierlumpen durch ein Wunder zu einem glatten Bogen Papier verbinden", heißt es im ersten der Exkurse, "vereinigen sich lose Historienbröckchen, beschmutzte Anekdoten, zerrissene Fabeln und tote, große Erzählungen aufs wunderbare und wiedererstehen als globale Werke." Ist dieser Roman ebenfalls ein Wunder? Dafür ist er vielleicht doch etwas zu methodisch gearbeitet. Aber ein globales Werk ist es allemal, ein Weltroman aus Aarhus, ein Meisterstück aus Svend Åge Madsens Manufaktur.

CHRISTOPH BARTMANN

Svend Åge Madsen: "Sieben Generationen Wahnsinn". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Jörg Scherzer. Ammann Verlag, Zürich 2000. 608 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2000

Sprachlosigkeit ist Tod
Der Däne Svend Åge Madsen und sein Globusroman „Sieben Generationen Wahnsinn”
Ein Hörspiel, einzelne Erzählungen in Anthologien und zwei Romane – das war seit 1984 alles, was von dem dänischen Schriftsteller Svend Åge Madsen auf deutsch vorlag. Jetzt sind zwei weitere Romane dazugekommen. Sie ergänzen zwar das Bild dieses Autors, vervollständigen es aber nicht, denn beide stammen sie aus den neunziger Jahren, so dass ein ganzes Jahrzehnt in seiner Produktion ausgespart bleibt.
Madsen ist am 2.  November 1939 in Århus geboren und hat 1963 als Romancier debütiert. Von Anfang hat er sich in multiperspektivischem Erzählen geübt, einem Erzählen, bei dem keine geschlossene Fiktionssphäre entsteht. Die Welt seiner Romane ist porös und offen für Zweit- und Nebenwelten, die Madsen gerne aus Versatzstücken der Trivialliteratur aufbaut.
Den Ort der Handlung hat er in seinen Romanen lange unbestimmt gelassen. Erst in den siebziger Jahren hat er dafür seine Heimatstadt Århus gewählt und diesen Schauplatz mit immer mehr Figuren eigener Provenienz besetzt. Am Ende wurden es so viele, dass Madsen es für angezeigt hielt, seinem Roman Den Menschen erzählen (1989) einen siebenseitigen Leporello anzuhängen, der die genealogischen Zusammenhänge verdeutlicht.
Bodenhaftung in Århus
In dieser Geschlechterübersicht erscheint auch Styge Skonning, einer der beiden Haupterzähler von Sieben Generationen Wahnsinn (1994). Styge Skonning ist Nachfahr (im vierzehnten Glied) des Buchdruckers und Schriftstellers Hans Hanssøn Skonning (1579–1651), der zur Regierungszeit Christians IV. in Århus gelebt hat. Während eines Gewitters, dem er auf dem Turm der Domkirche beiwohnte (er war früher Glöckner), hat er eine Vision: Ein Blitz reißt den Himmel auf, und darin erblickt er götterähnliche Gestalten in paradiesischen Verhältnissen, die der Leser leicht mit alltäglichen Lebensverhältnissen des ausgehenden 20. Jahrhunderts identifizieren kann.
Diese und spätere Visionen zeichnet der alte Drucker auf oder diktiert sie (seiner schlechten Augen wegen) dem Lateinschüler Bertel Jenssøn Helled, der bei seinem Onkel Christen Rømmer und dessen Frau Anne in Pension ist. Tut Hans Hanssøn Skonning Blicke in die (heutige) Zukunft, so erforscht Styge Skonning die Vergangenheit seiner Familie. Im Rollstuhl ist er knapp einem Mordanschlag entgangen und überredet den Attentäter, den stellungslosen jungen Tobias, zu einer Abmachung: Tobias soll versuchsweise ein Jahr lang gut sein, und wenn ihm das gelingt, soll er Styges sämtliche Vermögenswerte erhalten. Zu der Abmachung gehört auch, dass Tobias von seinen Erfahrungen erzählt, und dabei erzählt Styge seinerseits von seiner Ahnenforschung.
So bewegen sich der Skonning des 17. Jahrhunderts und der Skonning des 20. Jahrhunderts erzählend aufeinander zu – freilich nur in bildlichem Sinne, denn jeder für sich genommen steht in einer begrenzten vergehenden Zeitspanne, nicht anders als der Erzähler Svend Åge Madsen und der Leser von dessen Roman. Jedes Wort, indem es geschrieben oder gesprochen, jedes Wort, indem es gelesen oder gehört wird, verbraucht einen Teil dieser Zeitspanne und verkürzt sie. Zumal Styge Skonning ist das bewusst, denn Tobias kann seine Mordabsichten ja noch immer wahr machen. Tobias von seinen Ahnen erzählen bedeutet für Styge Skonning damit auch, das Sterben hinausschieben. „Sprachlosigkeit ist Tod”, heißt es gleich auf der ersten Seite des Buches.
Dessen Thema ist die Zeit, die Unausweichlichkeit des Todes, und dieses Thema umspielt und variiert Madsen aufs Vielgestaltigste – etwa mit der Geschichte von Styges Urururgroßvater Ditlev Emanuel Skonning, der weiß, dass er sterben muss, wenn er ein bestimmtes Musikstück, die einzige Komposition seines Lebens, beendet. Darum entwickelt er eine Komponierweise und am Cembalo eine Spieltechnik, die Töne in extrem langer Schwebe halten und so seinen Tod verzögern. Er ist einer von jenen „Träumern und Realisten, Verrückten und Genies, Verzagten und Größenwahnsinnigen, Lebensgenießern und Todesverehrern”, die Styge Skonnings Stammbaum ausmachen und die ihm den Schlüssel zum Verständnis seiner eigenen Situation liefern.
Auch historische Gestalten, die in den Umkreis seines Themas gehören, verleibt Svend Åge Madsen seinem Roman ein, allen voran den Astronomen Ole Rømer (1644–1710), der als erster die „Verzögerung” des Tageslichtes, also die Zeitgebundenheit auch des Lichts, entdeckte und folglich „Erde und Himmel miteinander verband”, wie Styge Skonning erklärt. Oluf Rømmer heißt er bei Madsen und kommt als Sohn von Christen und Anne Rømmer zur Welt, ist also der Vetter ihres Pensionärs, des Lateinschülers Bertel Jenssøn Helled. In Wahrheit aber – so fügen es die „Gesetze der Erzählung” – ist Bertel Olufs Vater.
Die Geburt von Marie Grubbe, der Tochter des königlichen Vogts Erik Grubbe, wird ebenfalls verzeichnet. Ihre historische Authentizität ist für die Konzeption von Sieben Generationen Wahnsinn zwar nicht entscheidend, aber wie jeder erfahrene Erzähler weiß auch Madsen, dass hochfliegende epische Unternehmen Bodenhaftung brauchen. Was für Joyce Dublin, für Grass Danzig, das ist für Madsen Århus: ein vertrautes, überschaubares Spielfeld, auf dem er sein komplexes Textgebilde errichten kann.
Weil es so vieldimensional ist, nennt Madsen es einen „Globusroman”. In sieben erzähltheoretischen und -technischen Exkursen erörtert er die Frage, wie „Buchkartografen” solche Globen am besten „auf die vertraute Buchform” projizieren können (und lässt es an Verweisen auf seine früheren Romane nicht fehlen). Dass jede mögliche Projektionsart Vor- und Nachteile hat, demonstriert er an Sieben Generationen Wahnsinn selbst: Drei selbstständige Bücher in einer Kassette? Oder die drei Haupthandlungsverläufe in drei parallelen Spalten? Oder gar eine einzige Erzählung mit Fußnoten und Anlagen?
Dehnungen des Zeitvergehens
Spielerische Überlegungen zu einem ernsten Sachverhalt. Die Zeit, in der ein Schreibender (oder Erzählender) steht, vergeht nun einmal stets in die eine, die immer gleiche Richtung und lässt sich nicht in die Gegenrichtung umleiten. Gegen diese Aporie setzt Madsen die Utopie des „Globusromans”. Literatur nämlich bietet die Möglichkeit, Umleitungen und Dehnungen des Zeitvergehens wenigstens zu simulieren, und solche Simulationen unternimmt Madsen mit größtem Einfallsreichtum, kämpferischer Phantasie und erzählerischer Verve. All das kommt der Kurzweil des Lesers zugute – ein Wort, das in Zusammenhang mit dem Grundthema des Romans einen bedenkenswerten Hintersinn erhält.
Als Styge Skonning die Erzählung von seinen Vorfahren beendet, macht er eine erstaunliche Entdeckung: Die Anfangsbuchstaben der Vornamen aller vierzehn Skonnings (einschließlich seiner selbst) ergeben, hintereinander gelesen, einen Satz. Auf deutsch besagt er: „Alles was ist, wird gedichtet. ” Hans Hanssøn Skonning, so deutet es Styge, hat seine Nachfahren buchstäblich hervorgeschrieben. „Wie haben angefangen wie Papier, sind aber gewachsen. Wir haben den Kopf erhoben. ”
Worte schaffen Sein, und ihrer Wortgeschaffenheit werden sich Madsens Figuren bisweilen inne. Beim Psychiater sieht Tobias durch einen Riss in der Decke einen alten Mann (Hans Hanssøn Skonning), der meckernd mit einer Feder schreibt – eine Art Selbstzitat, denn schon in Madsens Roman Lüste und Leichen (1968) ragt aus dem Himmel ein Rohr, an dessen anderem Ende ein Auge zu sehen ist. Bei dem Versuch, dieses Auge zu fotografieren, erzielt Finder ein Bild, auf dem eine Hand mit einem Kugelschreiber sichtbar wird.
Svend Åge Madsens Vertrauen auf die Wirkungsmöglichkeiten von Literatur ist ermutigend. Doch was als Papier anfängt, wächst und den Kopf erhebt, wird zu einem Geschöpf mit Eigenleben, das die Allmacht seines Schöpfers brechen kann. Nicht von ungefähr lässt deshalb Madsen Niklas, eine Nebenfigur, zwei Verse aus Goethes Faust II zitieren. Mephistopheles spricht sie ad spectatores, nachdem im Laboratorium Homunculus geschaffen worden ist: „Am Ende hängen wir doch ab / Von Kreaturen, die wir machten. ”
HANNS GRÖSSEL
SVEND ÅGE MADSEN: Sieben Generationen Wahnsinn. Roman. Aus dem Dänischen von Jörg Scherzer. Ammann Verlag, Zürich 2000. 607 Seiten, 49,80 Mark.
–: Die Jagd auf einen Menschen. Roman. Aus dem Dänischen von Hannes Bötticher. Freistern Verlag, Berlin 1998. 159 Seiten, 19,80 Mark.
Svend Åge Madsen lässt seinen Erzähler und dessen Vorfahren mit ihren Namen für den Satz einstehen: „Alles was ist, wird gedichtet. ”
Foto: Thorkild Amdi Christensen
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph Bartmann sieht in dem Roman, der bereits 1994 erschienen ist und jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, ein "Hauptwerk" des dänischen Autors. Das Buch, in dem ein Mensch aus dem 17. Jahrhundert in das Aarhus von 1993 gerät, sei eine Mischung aus Science-Fiction und Historienroman und warte mit allerlei "wilden und bunten" Einfällen auf. Allerdings findet der Rezensent, dass der studierte Mathematiker Madsen derart viel Gewicht auf die genaue Konstruktion seines Buches legt, dass die Fülle der Ideen mitunter allzu "kontrolliert" wirkt. Auch erscheinen ihm die Romanepisoden, die in der erzählerischen Gegenwart spielen "eher matt", da die satirischen Elemente, die der Autor einsetzt, einfach nicht "beißend" und "komisch" genug sind. Dafür ist Bartmann bei den Passagen, die im 17. Jahrhundert angesiedelt sind, richtig begeistert und er schwärmt von der enormen "Einbildungskraft" und den "schwindelerregenden Biografiefiktionen" die der Autor entwickelt. Trotz seines Hauptkritikpunkts, der Roman sei zu "methodisch" konzipiert, befindet der Rezensent abschließend, dass das Buch ein "Meisterstück" darstellt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein Weltroman aus Aarhus, ein Meisterstück aus Svend Age Madsens Manufaktur." (FAZ)