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Im Eckhaus, am Anfang der Raimundstraße, wohnt Frau Fenkert. Inzwischen wohnt sie allein dort. Sie hat zwei Töchter, beide Juristinnen, erfolgreich, verheiratet, kinderlos. Und von rassiger Schönheit. Ich schreibe diese Worte zum ersten Mal in meinem Leben nieder.

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Produktbeschreibung
Im Eckhaus, am Anfang der Raimundstraße, wohnt Frau Fenkert. Inzwischen wohnt sie allein dort. Sie hat zwei Töchter, beide Juristinnen, erfolgreich, verheiratet, kinderlos. Und von rassiger Schönheit. Ich schreibe diese Worte zum ersten Mal in meinem Leben nieder.
Autorenporträt
Köhlmeier, Michael
Michael Köhlmeier, 1949 in Hard am Bodensee geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Bei Hanser erschienen die Romane Abendland (2007), Madalyn (2010), Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013), Spielplatz der Helden (2014, Erstausgabe 1988), Zwei Herren am Strand (2014), Das Mädchen mit dem Fingerhut (2016) und Bruder und Schwester Lenobel (2018), außerdem die Gedichtbände Der Liebhaber bald nach dem Frühstück (Edition Lyrik Kabinett 2012) und Ein Vorbild für die Tiere (Gedichte, 2017) sowie die Novelle Der Mann, der Verlorenes wiederfindet (2017) und zuletzt Die Märchen (Mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, 2019). Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und 2019 mit dem Ferdinand-Berger-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2004

Die Katze ist im Topf
Schrecklich, komisch, perfekt: Michael Köhlmeiers Stories

Michael Köhlmeier ist ein Perfektionist. Das zeigt sich weniger an seinen ausladenden griechischen Epen im modernen Gewand ("Telemach", "Kalypso") als an kleinen, ausgefeilten Erzählungen wie "Sunrise" oder zuletzt "Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war". In ihnen triumphieren Kalkül und angelsächsische Lakonik, kein Spannungsbogen bleibt offen, keine Pointe wird verschenkt: literarische Patiencen, die freilich die Geduld des Lesers niemals strapazieren, weil sie stets aufgehen.

Um so mehr überrascht der Bruch, der in Köhlmeiers neuem Buch zutage tritt. Der "Roman von Montag bis Freitag" ist keiner, sondern, wie der Untertitel erst auf dem Vorsatzblatt verrät, eine Sammlung von "38 stories". Einige Personen kommen zwar in mehreren Geschichten vor, auch bezieht sich der Erzähler hie und da auf bereits Erwähntes, ein struktureller Zusammenhang ergibt sich daraus aber nicht. Der Etikettenschwindel im Titel verdankt sich wohl jener Weisheit im Verlagsgeschäft, die besagt, daß Romane sich allemal besser verkaufen als Erzählungsbände - eine Weisheit, die man nur ungläubig nachbeten kann, müßten sich doch eigentlich in unruhigen Zeiten wie diesen kleine Leseportionen wegen ihrer leichteren Zwischendurch-Konsumierbarkeit besonders empfehlen.

Köhlmeiers "stories" wirken nun weder ausgeklügelt noch abgerundet, sondern unfertig, beinah roh. Das mag daran liegen, daß es sogenannte wahre Geschichten sind oder zu sein vorgeben, solche, die der Autor selbst erlebt hat, die Freunden oder Bekannten zugestoßen sind. Sie sind komisch, und sie sind schrecklich, aber die schrecklichste Geschichte steht nicht im Buch, sie stand im letzten Sommer in allen Zeitungen: Da war Michael Köhlmeiers Tochter Paula bei einem Spaziergang zur Burgruine im heimatlichen Hohenems tödlich verunglückt. Ihr ist der Band gewidmet.

Einige dieser Kurz- und Kürzestgeschichten spielen in der Welt der Kindheit und beleuchten ihre unbekümmerte Brutalität in einem kalten Licht. Manchmal gibt es dazu eine Rahmenhandlung, manchmal auch zwei, etwa in "Die Katze": Der Autor trifft Norbert Gstrein im Zug, der ihm von einer Heimsuchung durch fanatische Tierschützer berichtet. Da fällt Köhlmeier eine Geschichte ein, die er zu erzählen vergißt - was er jetzt nachholt. Er hat sie von einer Jugendfreundin, die "nach der Liebe" gern wahre Begebenheiten zum besten gab. Diese würde man auf den ersten Blick kaum für erotisierend halten, handelt sie doch davon, wie sie als kleines Mädchen die Katze in einen großen Topf getan, den Deckel geschlossen und sich daraufgesetzt hat, solange bis das Toben unter ihr ein Ende hatte - nur, um das arrogante Tier endlich zu einer Reaktion zu bewegen.

In einer anderen Story trifft der Autor einen armen Buben, der auch Michael heißt, lädt ihn zu sich nach Hause und wirft ihn hochkant hinaus, weil er ihn für einen Lügner hält. Da spricht wohl ein Spiegelbild: Erzählen ist ein gefährliches Geschäft. Der Keim der Bizarrerie, der hier angelegt ist, kommt anderswo zu voller Blüte: Gefängnis-Existenzen, entwurzelte Fremde und Sonderlinge zuhauf, einer will Bundespräsident werden, einer hat sein Herz auf Übergröße trainiert, einer röstet Ameisen, einer zieht auf seinem Grund einen Rohbau auf, nur damit die Behörde von einer Enteignung Abstand nimmt und er dort in Ruhe seinen Most trinken kann. Der Erzähler beobachtet sie und sich selbst mit klinischem Interesse, sie bleiben rätselhaft, die Geschichten brechen ab, wie eben auch unser Wissen über den und jenen, den wir kennen, eines Tages abbricht. Sie halten keinen Trost bereit außer dem (wenn es denn einer ist), daß nach Jahrzehnten ohnehin kein Stein auf dem anderen bleibt.

"Montag bis Freitag", das klingt nach einem Fortsetzungsroman, einem Versuch über den Alltag, den Werktag, auch über die alltägliche Gemeinheit, das alltägliche Grauen, das unsere Nachbarn trifft und genausogut uns treffen könnte. Hier ist ein Erzähler, der auf der verstörenden Naivität des Kinderblicks beharrt, einer, der viel vom Erzählen redet, der seine Macht auskostet. Neugier ist eine Form der Gier: Köhlmeier beschreibt sich als süchtig nach fremden Schicksalen, berichtet von seinen Lauschangriffen im Kaffeehaus und versteht es, uns mit seiner Manie anzustecken.

In den besten Geschichten ereignet sich so etwas wie ein Gipfeltreffen von Tschechow, Raymond Carver und Thomas Bernhard am Bodensee. Zum Beispiel in der "Liebesgeschichte aus einem Mund": Eine Frau mit einem Sprachfehler bedient sich ihres Mannes als Sprachrohr, sie läßt ihn ihre Stichworte aufgreifen und zu Argumenten erweitern, so daß er bei einer Debatte zwischen den beiden scheinbar im Widerstreit mit sich selbst liegt. Ein Fausthieb des Mannes war schuld daran, daß die Frau sich vor Jahren die halbe Zunge abbiß. Weshalb der Erzähler seine liebe Not hat, dies als "Liebesgeschichte" zu verkaufen.

Nicht immer geht das Konzept der Alltagssplitter auf, bisweilen wird in den Stories zuviel gedacht, zuviel geredet, zuviel erklärt. Mitunter spielt sich das Merkwürdige nur im Kopf des Erzählers ab, und die Wirklichkeit steht daneben allzu dürftig da. In "Der Talisman" berichtet Köhlmeier von seiner Lust, auch seiner Gier, im Wald unscheinbare kleine Dinge zu finden. Ähnlich verhält es sich mit seinen literarischen Fundstücken. Gerade mit ihnen demonstriert er Virtuosität: Der wahre Könner kann eben auch aus nichts etwas machen. Michael Köhlmeier ist ein Perfektionist.

Michael Köhlmeier: "Roman von Montag bis Freitag". 38 Stories. Deuticke Verlag, Wien 2004. 166 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensentin Daniela Strigl kann diesen Erzählungen einiges abgewinnen. Und um Erzählungen handelt es sich ihren Informationen zufolge, nicht um einen Roman, wie der Titel behauptet. Trotzdem wirkt die Edition auf die Rezensentin manchmal wie ein Fortsetzungsroman, ein Versuch über den Alltag und die alltägliche Gemeinheit. In den besten dieser Geschichten ereignet sich für sie "eine Art Gipfeltreffen von Tschechow, Raymond Carver und Thomas Bernhard am Bodensee". Andere dieser Kurzgeschichten spielen in der "Welt der Kindheit" und beleuchten ihre unbekümmerte Brutalität in einem kalten Licht. Überhaupt beschreibt die Rezensentin den Erzähler als einen, der auf der verstörenden Naivität des Kinderblicks beharrt. Bisweilen wird in den Stories für den Geschmack der Rezensentin allerdings "zuviel gedacht, zuviel geredet, zuviel erklärt".

© Perlentaucher Medien GmbH"