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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2002

Nur die Gitarre blieb ihm treu
In hundert Vogelstimmen: Michael Ritters Lenau-Biographie

Kopfschmerz, Reizbarkeit, Magenleiden, Seitenstechen, rheumatische Verstimmungen, Appetitlosigkeit, zu flacher Schlaf, Schweißausbrüche und "ganz garstige stockfinstere Gedanken": das war der Alltag des Melancholikers Nikolaus Lenau, der wie kaum ein anderer Dichter im Schmerz der Welt wühlte und den "Geist des schwermüthigen Hinsterbens, der durch die ganze Natur weht", in wohlklingende Verse brachte. Dabei war Lenau keineswegs eine Elendsgestalt, sondern ein auf Frauen wirkender Mann mit Husarenschnäuzer, elegant gekleidet in schwarzem Samtrock und Lackstiefeln, wie es sich für einen Star gehörte. Denn der unrettbar traurige und schließlich dem Wahnsinn verfallene Dichter war einer der erfolgreichsten und bestbezahlten Autoren seiner Zeit; vergleichbare Honorare bekam damals sonst nur noch Uhland. Mit Recht stellt Michael Ritter diesen Umstand gleich auf den ersten Seiten seiner Lebensdarstellung heraus. "Zeit des Herbstes" ist nach 150 Jahren die erste gründliche Lenau-Biographie, also zunächst einmal ein verdienstvolles Buch.

Franz Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau wurde heute vor zweihundert Jahren, am 13. August 1802, im Banat geboren. Der Vater suchte der Einengung des Beamtenlebens mittels Alkohol, Glücksspiel und Bordellbesuchen zu entkommen. Die bedrückende Stimmung in der Familie vermittelt ein Ereignis aus dem Winter 1802. Eine Schwester Lenaus erkrankte schwer; der Vater sollte nach Temesvár eilen, um einen Arzt zu holen. Statt dessen verspielte er dort die riesige Summe von 17 000 Gulden. Als schließlich nicht der Arzt, sondern zwei Spielkumpane vor der Tür standen, um das Geld einzufordern, mußte Therese Niembsch einen Schuldschein unterschreiben, der sie das Erbe dreier Generationen kostete. Die Tochter starb.

Lenau wuchs in Armut auf und wurde von der geliebten Mutter trotzdem, wo nur möglich, bevorzugt und verwöhnt. Während die überlebenden Schwestern Schwarzbrot essen mußten, bekam "Niki" sein tägliches Kipferl. Der junge Mann studierte in Wien Philosophie, Mathematik, Weltgeschichte und später auch Medizin, alles ohne rechten Nachdruck. Er beeindruckte durch die hundert Vogelstimmen, die er imitieren konnte, spielte viel auf seiner "treuen Guittar", lernte dazu noch Geige und verbrachte ansonsten die Tage im legendären Neuner'schen Kaffeehaus. Bald war er als ausgezeichneter Billardspieler und starker Raucher bekannt: "Ich vermöchte keine Zeile zu schreiben ohne meine Pfeife im Munde."

1831 reiste er erstmals nach Württemberg, das ihm zur zweiten Heimat werden sollte - sofern das Wort bei Lenau anwendbar ist. Gustav Schwab machte ihn in den literarischen Zirkeln Stuttgarts bekannt. Er freundete sich mit dem Mediziner, Magnetiseur und Geisterseher Justinus Kerner an. Gemeinsam sympathisierte man mit den Polen, deren Aufstand gegen die Zarenherrschaft soeben von russischen Truppen niedergeschlagen worden war. Das Kernerhaus in Weinsberg war ein Mittelpunkt von Hilfsaktionen. Der Meister selbst zog auf den Dachboden, damit mehr polnische Flüchtlinge Platz fänden.

Schon früh hatte sich Lenau mit Auswanderungsphantasien getragen; 1832 wagte er die große Reise nach Amerika. Er wollte "den Niagara rauschen hören und Niagaralieder singen . . . Ich verspreche mir eine wunderbare Wirkung davon auf mein Gemüt." Im Staat Ohio kaufte er sich für ein paar hundert Dollar 162 Hektar Land. Für das harte Siedlerleben war er, der die Axt mit Glacéhandschuhen führte, jedoch nicht geschaffen. In Briefen brachte er seine Enttäuschung über die Bewohner der Neuen Welt zum Ausdruck: "rauhe Menschen", "himmelanstinkende Krämerseelen".

Er kehrte nach Europa zurück. Glücklicherweise war er inzwischen berühmt geworden: Seine Gedichte, von denen ein erster Band bei Cotta erschienen war, hatten Furore gemacht. Lyrik war eine begehrte Textsorte; sie versprach Unterhaltung, man trug sie in Gesellschaft vor. Lenau war kein formaler Neuerer, sondern ein geschmeidiger Virtuose, der seine Kunst allerdings niemals leichtnahm: "Ich will mich selbst ans Kreuz schlagen, wenns nur ein gutes Gedicht gibt." Er illustrierte seine düsteren Stimmungen mit dunklen, unwirtlichen Naturszenerien. Moore, Heiden, umschilfte Seen - das waren Chiffren einer neuen Traurigkeit, die nicht jedermanns Sache war. Grillparzer empfand Lenaus "unselige Schwermuth, die sich nicht durch das Gedicht kopfaufwärts befreien, sondern kopfabwärts tiefer hineinarbeiten will", als widerwärtigen "Qualm".

Umgekehrt war Lenau im Urteil über Kollegen nicht zimperlich. Heines Werke, deren Ironie ihm fremd blieb, bezeichnete er als "literarisches Zuckerwerk", und mit Genugtuung vernahm er von Cotta, daß sich von Goethes Gedichtbänden kaum 40 Exemplare pro Jahr verkauften. "Daß Goethe einen Faust geschrieben hat, kann mich nicht schrecken. Faust ist ein Gemeingut der Menschheit, kein Monopol Goethes." So schrieb Lenau selbst einen "Faust", den jeder, der Goethes Verse im Ohr hat, als zweitrangig empfinden muß. Auch einen "Don Juan" verfaßte er. Die Figur ist bei Lenau alles andere als ein naiver Genießer; sie wird von der Unzulänglichkeit aller Freuden in den Daseinsekel getrieben. Deshalb bedarf es am Ende auch nicht der moralischen Verurteilung durch das Eingreifen einer höheren Macht. Die Psychologie des Überdrusses reicht völlig aus: Im Duell läßt sich Don Juan von dem bereits besiegten Gegner aus Langeweile erstechen.

Für den heilsbedürftigen Autor mußte die Religion zumindest zeitweilig Faszination besitzen. Das Versepos "Savonarola" sucht geistigen Halt im Rückgriff auf die weltüberwindende Kraft eines erneuerten Christentums. Bald jedoch ließ Lenau das Kreuzzugsepos "Die Albigenser" folgen, dessen apokalyptischen Schreckensbildern die totale Desillusionierung der religiösen Hoffnungen abzulesen ist. Zunehmend stilisierte er seine Melancholie. Besucher konnten in seinen häufig wechselnden Unterkünften drei symbolträchtige Lebensbegleiter bewundern: einen Totenschädel, einen ausgestopften Geier und eine Büste des geliebten, als wahlverwandte Leidensnatur empfundenen Beethoven.

Michael Ritter ist nicht der erste, der Sophie von Löwenthal eine erhebliche Mitschuld an Lenaus Verfall gibt. Die Freundin und Partnerin seines bedeutendsten Briefwechsels war eine verheiratete Frau mit einem entschiedenen Widerwillen gegen die biologische Seite des Ehelebens; nach der Geburt des dritten Kindes verweigerte sie ihrem Mann weiteren sexuellen Kontakt. Auch die Beziehung mit Lenau war ein Sehnsuchtsspiel unter der Bedingung der Unerreichbarkeit, ein nervenaufreibender Minnedienst: "Mein Leben ohne dich ist ein fortwährendes stilles Bluten meines Herzens", schrieb der Dichter. Schon im Stuttgarter Freundeskreis hielt man seinerzeit Sophie für die "Zirze", die Lenau in den Wahnsinn getrieben habe. Die von ihr auferlegte Askese habe seine Nerven vollends zerrüttet.

Weil sie ihn in Abhängigkeit hielt, scheiterten seine Heiratsversuche. Die Verlobung mit der Opernsängerin Karoline Unger wurde wieder aufgelöst, und auch im Fall der Marie Behrends, mit der Lenau noch im Unglücksjahr 1844 Hoffnungen auf "häusliches Glück" hegte, mißlang die Abnabelung von der Minneherrin. Statt dessen faßte er ein Dreiecksverhältnis ins Auge und durchlitt neue Nervenkrisen. Im Herbst folgten auf einen Schlaganfall die ersten Ausbrüche von Irrsinn. Lenau hatte die Wahnvorstellung, als Mörder Sophies hingerichtet zu werden. Nach Selbstmordversuchen ließ sich die Einlieferung in die Heilanstalt nicht mehr vermeiden, wo er die letzten sechs Jahre seines Lebens verbrachte.

Ritter erschließt das Leben Lenaus mit großer Genauigkeit. Er verzeichnet jede Querele mit der Zensur, jede beiläufige Bekanntschaft, jede der zahlreichen Reisen - in späteren Jahren fuhr Lenau wie ein Gehetzter mit der Postkutsche zwischen Wien und Schwaben hin und her. Selbst der Name des Mannes, bei dem der Dichter seinen Tabak kaufte, wird mitgeteilt. Das Werk muß sich dann mit wenig Platz begnügen. Zum Gehalt der "Albigenser" findet man nicht mehr als eine halbe Seite, aber man erfährt, wie hoch Honorar und Auflage waren, an welchem Tag der Autor den Verlagsvertrag unterschrieb und wie viele Freiexemplare er bekam. In der Fülle von Fakten und Details vermißt man gedankliche Linien. Oft bleibt es bei vagen Charakterisierungen: Da ist die Rede vom "balladesken und spannenden Ton", der die Gedichte auszeichne, oder davon, daß Lenau "das ungarische Land und die ungarischen Menschen, vor allem aber Husaren- und Zigeunerklischees effektvoll in Szene zu setzen verstand". Auch die geistige Tektonik der Epoche wird nur angedeutet. Keine "erneute literaturhistorische Einordnung" will Ritter bieten, sondern eine zuverlässig recherchierte Lebenserzählung. Diesem Anspruch wird er gerecht. Aber was ist das Leben eines Schriftstellers ohne sein Werk?

WOLFGANG SCHNEIDER.

Michael Ritter: "Zeit des Herbstes". Nikolaus Lenau. Biografie. Deuticke Verlag, Wien 2002. 381 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2002

Ich allein – allein
Da bleibt nur Thränenpflege: Das Leben des Nikolaus Lenau
Amerika! Einmal nach Amerika, sich selbst auf den Kopf sehen und endlich gesunden! Nichts weniger als ein neues Ich hoffte Franz Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau alias Nikolaus Lenau zu finden, als er Ende Juli 1832 in Amsterdam die „Baron van der Kapellen” bestieg. Zweieinhalb Monate später betrat er den Strand von Baltimore. Hier sollte sich, wie er rückblickend schreibt, „etwas wie Taufe” ereignen, schließlich war er nach dem Vorbild des Heiligen Johannes in eine menschenleere Wüste gezogen. Andererseits wollte der Dreißigjährige den Urwald durchwandern, „den Niagara rauschen hören und Niagaralieder singen. Das gehört nothwendig zu meiner Ausbildung. Meine Poesie lebt und webt in der Natur, und in Amerika ist die Natur gewaltiger als in Europa.”
Statt einer „Fülle göttlicher Auftritte” erlebte er die Vertreibung der Ureinwohner und einen bitterkalten Winter. Er kaufte 162 Hektar Land. Es war eine Fehlinvestition. Die Amerikaner lernte er als „himmelanstinkende Krämerseelen” kennen. Den Indianern galt sein Mitgefühl wie zuvor den Zigeunern; in einem Gedicht stürzen Vater, Sohn und Bruder sich den Niagarafall hinunter, um der Sklaverei zu entgehen. Uneingelöst blieb die Hoffnung auf Zweisamkeit: „Urwald in deinem Brausen / Und ernsten Dämmerschein / Mit der Geliebten hausen / Möcht' ich allein – allein!” Ende Juni 1833 ist Lenau wieder in Bremen. Die Mahnung seines Protegés, des Dichterkollegen Justinus Kerner, die Sehnsucht nach dem Urwald könne nur eine „Affenlust” sein, hatte sich bewahrheitet.
Zurecht nannte Lenau seine Gemütsverfassung „amphimelas – ringsum schwarz”. Er sah tatsächlich „die Welt in Todesbanden” blühen, über jeder Freude erblickte er „den Geier bald, der sie bedroht.” Ebenso wenig außer Frage stehen jedoch die Folgen eines kommerziell sehr erfolgreichen Debüts. Sein erster Gedichtband, 1831 bei Cotta verlegt, hatte dem heute vor 200 Jahren im ungarischen, mittlerweile rumänischen Csatád geborenen Sohn eines Amtsschreibers einen, wie er schnell merkte, geldwerten Ruf eingebracht: Er galt als Meister der traurigen Empfindung. Fallendes Herbstlaub und gebrochene Herzen sind seine liebsten Sujets, Zähre und Grab die häufigsten Vokabeln. Dank ihrer und natürlich auch dank einer enormen poetischen Phantasie wird Lenau der erste Lyriker des 19. Jahrhunderts, der von seinen Gedichten leben kann. Er wollte also und er konnte nicht vom Weltschmerz lassen. Wo er es dennoch tat, bezog er polemisch oder witzig Position – gegen Metternichs Zensurbehörde, gegen die russische Herrschaft in Polen, gegen kirchliche Dogmen und auch gegen Heinrich Heine.
Lenaus Leben war selbst in den Briefen und Notizen von einer „tieferen Sehnsucht nach einem anderen Dasein” geprägt. Den „Erdenplunder” verachtete er – mit Ausnahme vielleicht teurer Lackstiefel, Samtröcke, Handschuhe und Halstücher, die er sogar im amerikanischen Urwald getragen hatte –, süß schien ihm jene Region, wo „meine Freund- in Särgen, Leich- an Leiche” ruhen. Psychologisch wie historisch ist diese Todesliebe gedeutet worden: Keine einzige Liebesbeziehung glückte dem Dichter, er nahm Reißaus, wurde verstoßen oder verstrickte sich wie im Falle der verheirateten Sophie von Löwenthal in hoffnungslose Abhängigkeiten.
Gewiss haben der frühe Tod des Vaters und die enge Bindung an die Mutter einen großen Anteil am psychischen Desaster: Therese Niembsch verwöhnte ihren „Niki” hemmungslos, ließ ihn kaum aus den Augen. Noch der 17-jährige Lenau will im selben Bett wie sie schlafen. Glaubt man einem Gedicht, dann hat der Sohn am Sterbetag der Mutter das von ihr übrig gelassene Frühstück, „ein Stücklein Kuchen”, Krümel für Krümel aufgegessen: ein letzter Vereinigungswunsch.
Der Lyriker Günter Kunert wies am entschiedensten auf die historische Dimension dieses Leidens an der Welt hin. Während der Restauration sei die Melancholie die Krankheit der Epoche gewesen: Metternich habe die „Ordnung des Friedhofs” einführen wollen, „und wer das spürt, dem wird eben der Friedhof zur dichterischen Chiffre.” Nimmt man die politischen Gedichte und das Versepos „Die Albigenser” zum Maßstab, ein wütendes Plädoyer für die Freiheit von staatlichen und kirchlichen Zwängen, kann in Lenau durchaus ein Aufrührer gesehen werden.
Ein Drittes aber scheint bedeutender. Lenau durchlebte so zeitig und so brutal wie sonst niemand das moderne Drama der nachmetaphysischen Subjektivität. Er wusste zu viel, um sich den Kinderglauben an die gütige Schöpfung zu bewahren. Dass „der Mensch gebrochen mit seinem Gotte”, war ihm Status quo. Schnell erfuhr er, wie viel Glaubensstärke indes nötig wäre, um ausschließlich dem Diesseits zu trauen – jener Welt also, die mal der Nebel, mal die Nacht, mal der Rausch „von hinnen” nehmen soll oder eintauschen gegen den ewigen Schlaf. Er verzweifelte an der Aufgabe, aus intellektueller Redlichkeit kein Paradies mehr erwarten zu dürfen und das Hier und Jetzt nicht genießen zu können.
Die „Thränenpflege” wurde die einzige mögliche Aktivität, da der Himmel verstellt, die Erde unbewohnbar war. Auch die Natur war bloß ein Gegenüber, das Jenseits des Menschen, an Christi Stelle „an des Kreuzes leere Stätte' genagelt. Das lyrische Ich, das Wälder und Auen durchstreift, ist bei Lenau solch ein leerer Platzhalter: ein Ich im Vakuum, das redet, als wäre es lebendig.
Wie er gestrickt war
Im Oktober 1844 versuchte Lenau erstmals sich umzubringen. Er musste nun ständig beobachtet werden, wurde aggressiv und litt unter Wahnvorstellungen. Man brachte ihn in die Heilanstalt von Winnental, 1847 dann nach Oberdöbling in eine private Pflegestätte, wo er wenige Tage nach seinem 48. Geburtstag am 22. August 1850 starb.
Ein Chronist aus Wien erzählt nun ohne jeden stilistischen Ehrgeiz Tag für Tag aus diesem schlingernden Leben nach, um herauszufinden, „wie Lenau charakterlich gestrickt war”. Der Leser erfährt, dass „Lenaus Lebenssteuerung” darin bestand, „in den genetischen Fußstapfen seines Vaters” zu wandeln, ehe er „recht eintönig” seinem Beruf nachging und hierbei „verschiedene Höhepunkte” erlebte, „die gar nicht alle positiv” waren.
Zwar kennt Michael Ritter, Redakteur des „Lenau-Jahrbuches”, jede Person, die Lenaus Lebensweg einmal kreuzte, mit Namen, er vergisst keinen Schullehrer, nicht den Heidelberger Tabakhändler und auch nicht Jugendfreund Anton Keiller aus Schmölnitz in Oberungarn, doch mit dergleichen, wie Lenau gesagt hätte, „steriler Enumeration” erschöpft sich die Leistung des ungelenken Buches.
Das Besondere wird eingeebnet, das Konventionelle breit ausgewalzt. Am Ende steht Lenau in der langen Reihe „historischer Persönlichkeiten”, von denen bekannt ist, dass sie bekannt sind. Schade, dass es keine Biografie über ihn gibt.
ALEXANDER KISSLER
MICHAEL RITTER: Zeit des Herbstes. Nikolaus Lenau. Biografie. Deuticke Verlag, Wien 2002. 382 Seiten, 39,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wolfgang Schneider hält Michael Ritter "Zeit des Herbstes" zunächst einmal für ein verdienstvolles Buch, da es seit 150 Jahren die ersten gründliche Biografie Nikolaus Lenaus sei, der "wie kaum ein anderer Dichter im Schmerz der Welt wühlte". In seiner Rezension zeichnet Schneider selbst vor allem Lenaus Leben ausführlich nach, dessen Alltag, abgesehen von seiner Liebe zu Sophie von Löwenthal, "Kopfschmerz, Reizbarkeit, Magenleiden, rheumatische Verstimmungen, Appetitlosigkeit, zu flacher Schlaf, Schweißausbrüche und, ganz garstige stockfinstere Gedanken' bestimmten, wie der Biografie offenbar zu entnehmen ist. Doch dass Ritter Lenaus Leben mit großer Genauigkeit erschließe, ist dem Rezensenten nur ein bedingtes Lob wert. Zwar erfahre man von jeder beiläufigen Bekanntschaft, jeder Querele mit der Zensur und sogar den Namen von Lenaus Tabakhändler, doch darüber hinaus bleibe vieles im Vagen: Charakterisierungen, die geistige Tektonik der Epoche und vor allem die literaturhistorische Einordnung des Werkes. Die wolle Ritter zwar auch gar nicht leisten, räumt Rezensent Schneider ein, sondern eine zuverlässig recherchierte Lebensgeschichte. Aber, fragt Schneider, "was ist das Leben eines Schriftstellers ohne sein Werk?"

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