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Das "Lexikon der Vertreibungen" ist das erste Nachschlagewerk zu einem Thema, das in letzter Zeit sowohl in der Forschung wie in der breiten Öffentlichkeit heftig diskutiert worden ist. Es hat zum Ziel, den derzeitigen Stand der Forschung zur Geschichte der Deportationen, Zwangsaussiedlungen und ethnischen Säuberungen in Europa zwischen 1912 und 1999 zu bilanzieren. Als Ergebnis einer internationalen wissenschaftlichen Kooperation umfasst das Lexikon mehr als 300 Artikel von über 100 Experten aus verschiedenen Ländern Europas. Die betroffenen ethnischen Gruppen und Akteure, die wichtigsten…mehr

Produktbeschreibung
Das "Lexikon der Vertreibungen" ist das erste Nachschlagewerk zu einem Thema, das in letzter Zeit sowohl in der Forschung wie in der breiten Öffentlichkeit heftig diskutiert worden ist. Es hat zum Ziel, den derzeitigen Stand der Forschung zur Geschichte der Deportationen, Zwangsaussiedlungen und ethnischen Säuberungen in Europa zwischen 1912 und 1999 zu bilanzieren. Als Ergebnis einer internationalen wissenschaftlichen Kooperation umfasst das Lexikon mehr als 300 Artikel von über 100 Experten aus verschiedenen Ländern Europas. Die betroffenen ethnischen Gruppen und Akteure, die wichtigsten Vertreibungs- und Aufnahmegebiete werden im Lexikon ebenso systematisch erschlossen wie zentrale Begriffe aus Wissenschaft und Recht sowie historische Ereignisse, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitiken. Zur Erleichterung weiterer Recherchen sind jedem Lexikontext Literaturhinweise beigegeben. Das Werk ist zudem mit einem Personen-, Orts- und Sachregister ausgestattet.
Autorenporträt
Holm Sundhaussen, Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Freien Universität Berlin und Co-Direktor des Berliner Kollegs für vergleichende Geschichte Europas. Stefan Troebst, Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig. Detlef Brandes war Professor für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2010

Gewalterfahrungen
Mit europäischem Ansatz: "Lexikon der Vertreibungen"

Das Thema Vertreibungen hat Konjunktur. Dies ist abzulesen am Erfolg der Ausstellungen "Flucht, Vertreibung, Integration" des Bonner "Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" (2005) und "Erzwungene Wege" der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" (2006), an den hohen Einschaltquoten entsprechender Fernsehsendungen und an den vor allem publizistisch geführten Debatten um die 2008 gegründete Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Mit dem "Lexikon der Vertreibungen", teils finanziell, teils wissenschaftlich unterstützt vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vom Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität, vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig sowie vom Bundesbildungsministerium, liegt nun ein bislang vermisstes, wichtiges Nachschlagewerk vor. Zwar ist der Publikation - wohl auch als Konsequenz der Tatsache, dass die mehr als 100 Autoren der 308 Lemmata mehrheitlich Deutsche sind - ein Schwerpunkt auf deutschen Themen anzumerken. Doch ist der Ansatz insgesamt als im besten Sinne europäisch zu bezeichnen.

Der Europa-Begriff wird hierbei weit ausgelegt, so wird etwa das frühere Osmanische Reich mit seinen levantinischen und kaukasischen Territorien ebenso einbezogen wie Sibirien und die innerasiatischen Republiken der früheren Sowjetunion. Die Herausgeber verweisen zu Recht darauf, dass der Zusammenbruch der mittelost-, ost- und südosteuropäischen Imperien nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Staatsbildungsschub geführt habe, der mit dramatischen Bevölkerungsverschiebungen verbunden gewesen sei. Vertreibungen habe es zwar auch vor dem 20. Jahrhundert gegeben. Jedoch erhielten sie durch die Aufwertung der Ethnizität zum staatsbildenden Prinzip und, so wird man hinzufügen dürfen, durch die machtpolitischen Möglichkeiten des modernen Staates eine völlig neue Intensität. Der europäische Ansatz des Lexikons führt jedoch nicht dazu, dass die unterschiedlichen Gewalterfahrungen der von Vertreibungen betroffenen Menschen gleichsam eingeebnet würden im Sinne etwa eines naiven Verständnisses des bekannten Schlagworts vom "Jahrhundert der Vertreibungen". So wird beispielsweise der Begriff "Genozid" ausführlich abgehandelt und dargelegt, warum es sich bei den Vertreibungen in der Folge des Zweiten Weltkriegs nicht um Genozide handelt.

Aufnahme in das Lexikon fanden auch die "im Kontext ethnischer Purifizierungen zu sehenden Menschheitsverbrechen des Völkermords", etwa der an den europäischen Juden oder an den Roma, deren Schicksal in eigenen Lemmata differenziert dargestellt wird. Der Ansatz der Herausgeber entspricht damit in gewisser Weise den Überlegungen des Berliner Zeithistorikers Michael Wildt, der die nationalsozialistische Vernichtungspolitik als Teil einer Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert ansieht. Es wäre beckmesserisch, angesichts des großen Wurfs, der das Lexikon darstellt, kleinere Mängel über Gebühr hervorzuheben. So ist bedauerlich, dass "primär als Flucht einzustufende Zwangsmigrationsbewegungen" nicht aufgenommen wurden. Und man wundert sich doch, warum ein Lemma "Bund der Vertriebenen" oder "Vertriebenenverbände" fehlt. Stattdessen werden lediglich ausgewählte Landsmannschaften behandelt, die nur einen Ausschnitt aus dem Verbändewesen der deutschen Vertriebenen darstellen. Dem Lexikon sind weite Verbreitung und viele interessierte Leser zu wünschen.

MATTHIAS STICKLER.

Detlef Brandes/Holm Sundhaussen/Stefan Troebst (Herausgeber): Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Böhlau Verlag, Wien 2010. 801 S., 99,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Dieses Buch sei ein "epochaler Meilenstein" und mache Mut, schreibt Andreas Kossert über die von ihm als "solides Nachschlagwerk zu einem schwierigen Thema" sehr gelobte Enzyklopädie. Denn diese "außergewöhnliche Neuerscheinung" dokumentiere die miteinander verschränkte Geschichte der Länder Europas, Verschränkungen, die im 20. Jahrhundert mit dem Mittel der ethnischen Säuberungen und Vertreibungen zerstört werden sollten und die nun erst, 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, thematisiert werden könnten. Das Kompendium biete Einträge von mehr als hundert europäischen Autoren zu insgesamt 308 Stichwörtern zum Thema und damit Einblicke in ein hochgradig vermintes Terrain. Beeindruckt ist der Kritiker auch vom entspannten Umgang mit dem Stoff, der in dieser Präsentationsform der Auftakt einer europäischen Erzählung sein könnte, in die man später die Biografien der Betroffenen einweben könne.

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