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Produktdetails
  • Lyrik im Europa Verlag
  • Verlag: Europa Verlag
  • Seitenzahl: 64
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 178g
  • ISBN-13: 9783203843049
  • ISBN-10: 3203843048
  • Artikelnr.: 09782113
Autorenporträt
Sabine Scho, 1970 in Ochtrup/Westfalen geboren, lebt heute in Berlin und São Paulo. 2012 wurde sie mit "Anke Bennholdt-Thomsen-Lyrikpreis" der Deutschen Schillerstiftung ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: "Sabine Scho, die auch fotografiert und zeichnet, malt und performt, trägt in ihrer lyrischen Sprache Worte aus allen Bereichen und Sprachen zusammen und erreicht dadurch eindrucksvolle Wortneuschöpfungen. Sie überträgt Verfahren der Fotografie und anderer Sparten der bildenden Kunst in ihre Lyrik, die beobachtet, konstatiert, spielt und provoziert, mit bebender Kühle und sachlicher Erotik lockt und trifft."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2002

Sätze aus der Sortiermaschine
Sabine Schos Poesiealbum tötet die Nostalgie im Kälteschock

Jede Literatur tritt heute in Konkurrenz zum Bild. Für die Lyrik gilt das ganz besonders. Wer den Fehdehandschuh aufnimmt, den die allgegenwärtigen Bildmedien demjenigen hinwerfen, der die Wirklichkeit in der Schwarzweißmalerei weniger Zeilen einer bedruckten Buchseite erfassen will, der muß sich seines sprachlichen Auflösungsvermögens und der Schärfe seiner Objektive sicher sein. Die Fotokunst gibt längst den Maßstab der Mimesis vor, an der sich auch avancierte Lyrik messen lassen muß.

Schlicht "Album" betitelt die 1970 im nordrhein-westfälischen Ochtrup geborene Lyrikerin Sabine Scho ihren Debütband, den der Europa Verlag in seine interessante Lyrikreihe aufgenommen hat, in der jeweils ein anerkannter Meister des Fachs ein noch zu entdeckendes Werk unter seine Fittiche nimmt. Thomas Kling hat in diesem Fall das überschwenglich lobende, aber doch konzise Vorwort zu dem thematisch dicht geschlossenen Band verfaßt.

Seine Texte nehmen von Fotografien ihren Ausgang, von privaten Erinnerungsfetzen, die vom Flohmarkt, aus alten Familienalben oder aus Zeitschriften stammen könnten. In der lyrischen Nachzeichnung werden sie als Archiv deutscher Mentalitätsgeschichte der Kriegs- und Nachkriegszeit zum Sprechen gebracht: "ausnahmslos stockig, doch / sachlich geschildert" faßt das ein erstes, programmatisches Stück zusammen. In - leider schlecht reproduzierten - Ausschnitten sind einzelne Fotos dem Text zur Seite gestellt, weniger als Gegenprobe für den Leser denn als zusätzliche Ebene der Lektüre. Die Bilder werden nicht einfach beschrieben, sondern produktiv anverwandelt und filmisch in Bewegung gesetzt. So kreisen einige Gedichte gleich zu Beginn buchstäblich in purer Luftakrobatik: "der Wind / hat gedreht jetzt fängst du an zu / turnen, die Bodenrunen rutschen / in den Flattersatz, ferne Motoren / und wunderbar getroffen greift das / Newtonsche Gravitationsgesetz" ("Kanadier im Anflug").

Andere Texte verhackstücken philosophische Fragmente, wie das "Gruppenbild" einer Klasse von Schwesternhelferinnen: "die bloße An- / schauung (auf einem Auge blind) bildet es ab / retuschiert die Unterschiede, die man schlicht / Ungerechtigkeiten nennt, wovon man erst den / Begriff (sonst stumm) durch Aufnahmen gewinnt . . . soviel schwesterliche Philanthropie sofortentwickelter / Bilder, gruppiert um eine Mitte, in der narkotisiert / ein hehrer Wunsch abstirbt nach einer Familie / von Freien und Gleichen" ("Gruppenbild"). Die Sprachbauklötze, die Kant einst für jede Abiturrede im humanistischen Geist lieferte, werden hier zum Steinbruch des Gedichts, das Ideale und miefige Nachkriegswirklichkeit aufeinanderprallen und Rilkes "Panther" als Vorbild für vergeudete Lebensenergien anklingen läßt.

Die Vergangenheit ist bei Scho noch nicht vergangen; sie ragt lexikalisch in den grausig-unbekümmerten Sound der Wirtschaftswunder-Ära: "nudeln und stopfen, Schmalz, Blut, Leber / ,da bleibt man im Geschäft' über lange Zeit / hinaus entstäuben, waschen, trocknen, kühlen / plus Seife- und Bläuezufuhr, da hast du ein Bett / in den Daunen, erinnert an Wolken, aus der Luft / gegriffener Alp einer Unschuld vom Lande". Wie hier in einem Gedicht über ein "Richtfest für den Sortiermaschinen-Anbau" der Bierzeltatmosphäre Satz für Satz die Bedrohlichkeit aus allen Poren schwitzt, bis plötzlich Celans "Todesfuge" anklingt, das ist virtuos.

Scheint manches der Sprachspielereien auch von der Entdeckerlust und den Kalauern jüngerer Rap-Poeten beeinflußt, bricht der stockende Zeilenfluß solche Leichtigkeit. Nicht nur das Rollensprechen und die staunende Ausstellung ungebräuchlicher Wendungen erinnern an Marcel Beyers Band "Falsches Futter". Scho wirft einen bösen Blick aufs vordergründig harmlose Idyll, auf "Vater, Mutter und Karin" oder auf "Horst mit seinem neuen Opel", dem die "Wucht zur Stoßzeit, die Zertrümmerungswucht, die sich zusammensetzt aus Masse und Geschwindigkeit" innerhalb von Zehntelsekunden "die Tour vermasselt". Alltagssprache und Zitate, fremdsprachliche Wendungen und Fachjargon gelangen hier in eine poetische Sortiermaschine, die die Spreu vom Weizen trennt. Wer zeitgenössische Lyrik noch immer überwiegend für Selbstbespiegelung oder leer kreisende Sprachmusik hält, wird sich auch bei Sabine Scho eines Besseren belehren lassen können.

RICHARD KÄMMERLINGS

"Thomas Kling entdeckt Sabine Scho". Lyrik im Europa Verlag. Europa Verlag, Hamburg, Wien 2001. 64 S., geb., 12,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Richard Kämmerlings ist von diesem Lyrikdebüt, das von einem Vorwort Thomas Klings eingeleitet wird, ziemlich begeistert. Er findet, dass die Texte eine "zusätzliche Ebene" zu den beigegebenen Bildern schafft, wobei er allerdings die schlechte Qualität der Fotoausschnitte bedauert. Dies bleibt aber die einzige Kritik an dem Gedichtband, dessen Verse er, ob sie die stickige Atmosphäre der Wirtschaftswunderzeit festhalten oder "philosophische Fragmente verhackstücken", als "produktiv" und "virtuos" preist. Für Kämmerlings ist das Buch einmal mehr ein Beweis dafür, dass sich moderne Lyrik durchaus nicht nur in "Selbstbespiegelung" oder reiner Sprachartistik ergeht, weshalb er die Autorin nachdrücklich lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH