Marktplatzangebote
33 Angebote ab € 0,65 €
  • Gebundenes Buch

Die ersten siamesischen Zwillinge: Chang und Eng - zwei Brüder mit einem gemeinsamen Magen, aber sonst völlig eigenständigen Persönlichkeiten. Darin Strauss fasste ihr außergewöhnliches Leben in diesem Roman zusammen.

Produktbeschreibung
Die ersten siamesischen Zwillinge: Chang und Eng - zwei Brüder mit einem gemeinsamen Magen, aber sonst völlig eigenständigen Persönlichkeiten. Darin Strauss fasste ihr außergewöhnliches Leben in diesem Roman zusammen.
Rezensionen
Ihr Herkunftsort wird Gattungsbegriff
Ihr tragisches Schicksal machte sie in der ganzen so Welt berühmt, dass heute noch Menschen, die unter derselben Mißbildung leiden, nach ihnen benannt sind: Die 1811 auf einem kleinen Hausboot auf dem Mae Khlong geborenen Zwillinge Chang und Eng, am Brustbein durch eine fleischige Gewebebrücke verbunden.
Zwar waren sie nicht die ersten „Doppelmenschen“ der Welt (schon im Jahr 1100 gab es die „Midland Maids“, 1470 das Stuttgarter „Vertikalkind“, 1660 die „Schottischen Brüder“ u.a.), doch erlangten die beiden Asiaten durch ihre vielen Tourneen einen ungleich höheren Bekanntheitsgrad, bevor sie im Januar 1874 starben – erst Chang, dann wenige Stunden später auch Eng.
Skelett historisch korrekter Daten gekonnt mit Leben gefüllt
Der vorliegende Roman allerdings ist kein Tatsachenbericht, keine fachliche Biografie. Wohl stimmen die Eckdaten: Die Brüder lebten in der Tat beim König von Siam, kamen dann nach Amerika, wo sie der Schausteller Phineas Barnum groß herausbrachte, bevor sie zwei Schwestern heirateten, mit denen sie als Framer in North Carolina wohnten und gemeinsam einundzwanzig Kinder hatten.
Die Gefühle, Gedanken und auch die Rahmenbegebenheiten allerdings entstammen der Phantasie des Autors.
Das tut der Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil! Ausgesprochen gut nachvollziehbar sind die Empfindungen, die Strauss der Figur Eng zuschreibt: Die Zuneigung zu seinem Bruder, dem einzigen, der wirklich nachvollziehen kann, was es bedeutet, ein „Monster“ zu sein und abwechselnd verspottet und staunend begafft zu werden. Gleichzeitig aber auch die Verzweiflung über den Tatbestand der „ewigen Verbundenheit“, dieses „nie allein sein können“, nicht in den intimsten Momenten und nie ganz eigenständig entscheiden können, wohin man gehen und was man tun möchte.
Fesselnd und bewegend bis zum Schluß
Diese innere Spannung – ganz abgesehen von den offen ausgetragenen Streitigkeiten der Zwillinge sowie die Erlebnisse ihres ereignisreichen Lebens – sorgt dafür, dass der Leser das Buch, einmal aufgeschlagen, garantiert nicht wieder aus der Hand legt, bevor er auch die letzte der mehr als 400 Seiten gierig verschlungen hat.
(Michaela Pelz)
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2001

Sie küßten und sie schlugen sich
Darin Strauss' Phantasie über das Innenleben siamesischer Zwillinge

Eng Bunker doziert gerade vor zehn bibelfesten Südstaatenwitwen in North Carolina über die Verworfenheit des Alkohols, da holt sein Bruder Chang einen versilberten Flachmann aus der Tasche und bedient sich reichlich. Die Damen sind nicht amüsiert. Eng auch nicht, aber wollte er den Bruder des Raumes verweisen, müßte er selbst mit. Das ist das Problem, fast 63 Jahre lang: Wo einer von ihnen hingeht, da muß der andere auch hingehen, mit kaum mehr als einer Handbreite Abstand. Geschuldet ist das einem "fleischigen, biegsamen Band, das einem Unterarm ähnelte" und die Zwillinge zwischen Rippenende und Bauchnabel verkoppelte. Das hat sie vor gut 150 Jahren weltberühmt gemacht, als sie mit dieser Anomalie auf Tourneen zwischen Chicago und St. Petersburg geschickt wurden oder solche auch selbst organisierten. Auf den Plakaten, die ihre Auftritte ankündigten, wurden sie als "Die siamesischen Zwillinge" gehandelt.

Bei dem Begriff denkt man heute gerne an Gleichheit der Körper und besonders an Gleichklang der Herzen. Eng würde das für sich und seinen Bruder streng dementieren. Zwar waren sie zu erstaunlichen Synchronbewegungen fähig, vom gemeinsamen Handstand bis zur überraschenden Kung-Fu-Attacke im Stil eines doppelten Bruce Lee. Die körperliche Gleichheit war bis auf einen Größenunterschied von wenigen Zentimetern auch gegeben, aber geistig lebten sie auf unterschiedlichen Kontinenten.

Ihre Mutter Nok muß das schon früh erkannt haben, denn sie gab den Kindern die Maxime "Ein Doppeljunge darf nie gegeneinander kämpfen" mit. Auf der physischen Ebene haben sie sich rund sechzig Jahre daran gehalten, bis zu einer durchaus brutalen Prügelei nach einem Auftritt in New York. Der Widerstreit der Lebenskonzepte und Haltungen aber war eigentlich ständig vorhanden. So sehnte sich Eng nach einer Separation von der anderen Hälfte und hoffte bei jeder medizinischen Prüfung, daß eine chirurgische Trennung vom Bruder möglich sei. Die Ärzte, östliche wie westliche, haben davon stets Abstand genommen, aus Ungewißheit, was der Strang der gemeinsamen Organe bergen könnte.

Chang war das recht so. Er gefiel sich offensichtlich auch in der Rolle des exotischen Ausstellungsobjekts; für Eng, der dieses Begafft- und Betatschtwerden haßte, war Chang vom "Schaubudenbazillus" gepackt. Auch in der Frage des Heimatbezugs konnten sie sich nicht einigen: Drängte es Eng nach Siam und zu seiner Mutter, wußte Chang das Unternehmen immer wieder wirkungsvoll zu hintertreiben. Aber selbst dort, wo sie sich trafen, beim Wunsch nach Verheiratung, war die Harmonie fragil. So nahmen sie zwar die Gastwirtstöchter Sarah und Adelaide Yates zu Frauen, Eng meinte aber Jahrzehnte, mit Sarah die falsche Gattin erwischt zu haben, und träumte von Intimität mit Changs Adelaide.

Darin Strauss, der in New York kreatives Schreiben studiert hat, erzählt in seinem Debütroman diese Geschichte aus der Sicht von Eng, als dessen Lebenserinnerung und -beichte, verfaßt in der sehr kurzen Zeit, die ihm noch an Lebenszeit neben seinem toten Bruder verbleibt, und "wenn man weiß, daß man stirbt, stieben Selbsttäuschungen davon wie Funken eines prasselnden Feuers".

Strauss hält sich dabei auf der objektiven Ebene an die Biographie der historischen "Siamesischen Zwillinge", mit der Geburt als Kinder eines Fischerehepaars 1811 auf dem Mae Khong, eine Tagesreise entfernt von Bangkok, der erst lebensbedrohlichen Verbringung an den Hof des Königs von Siam und der anschließenden Karriere als Exotenmonster in unterschiedlichen Arenen mit den Vereinigten Staaten als Basislager. Belegt ist auch ihre Naturalisierung als US-Bürger, die Annahme des Familiennamens Bunker, die Verheiratung mit den Yates-Schwestern samt folgendem reichlichen Kindersegen und die Niederlassung in North Carolina. "Ich konnte es immer noch kaum glauben, daß wir es tatsächlich geschafft hatten: Chang und ich waren amerikanische Farmer und saßen mit unseren amerikanischen Frauen auf der Veranda", schreibt der Strausssche Eng.

Bald darauf verlor aber dieses Bild vom amerikanischen Traum an Glanz, weil die Frauen dann nicht mehr mit auf der Veranda saßen, sondern streitend in der Küche werkelten, als Ersatz für zwanzig Sklaven, die bislang solche Arbeit getan, am Ende des Bürgerkrieges aber kommentarlos die Farm verlassen hatten. Eng, der rassische Diskriminierung reichlich am eigenen doppelten Leib erfahren hatte, gibt sich ganz selbstbewußt als sklavenhaltender Südstaatler. Man mag ihm da politisch nicht zustimmen, aber man kann ihm folgen wie auch seiner Ambivalenz gegenüber dem Bruder und den Gefühlswirren gegenüber den Gattinnen. Dieser Eng erscheint plausibel als hoffendes und leidendes Fleisch, bemüht, einer bizarren Doppelexistenz etwas Selbstverständlichkeit zu erobern. Diese Geschichte wird diskontinuierlich erzählt, mit Sprüngen zwischen der Jugend in Siam und der Eheanbahnung in North Carolina, jede Episode endet mit einem Cliffhanger.

Daß ein Siamese überwiegend chinesischer Abstammung sich bei seinem prämortalen Lebensrückblick vor 140 Jahren einer solchen Dramaturgie bedient haben soll, das muß man dem Autor nicht glauben, genausowenig wie die Behauptung, Chang habe 1857 seinen Scotch in North Carolina mit Eis genommen. Aber das kann das Buch nicht nachhaltig beschädigen, ebensowenig wie die Druckfehler und Übersetzungsflüchtigkeiten der hastig erstellten deutschen Ausgabe, denn man wird gepackt und verstört, weil man es nie allein liest. Da sitzt immer einer neben einem, der sonst nicht da ist, und es ist nicht sicher, ob er einen je wieder allein lassen wird. Zur Beruhigung: Bald nach Zuschlagen des Buches ist der wieder weg. Auf einen solchen Moment hat Eng ein Leben lang gehofft.

BURKHARD SCHERER

Darin Strauss: "Chang und Eng". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gabriele Krüger-Wirrer. Europa Verlag, Hamburg und Wien 2000. 380 S., geb., 39,50 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Trotz einiger Ungenauigkeiten bei der Übersetzung und Druckfehler hat Burkhard Scherer dieses Buch mit großem Gewinn gelesen. Dies liegt vor allem daran, dass man "es nie allein liest". Denn Eng, einer der berühmten, 1811 geborenen siamesischen Zwillinge, aus dessen Perspektive dieser Roman geschrieben wurde, hat ja stets seinen Bruder Chang zur Seite. Diesen wird nach Scherer auch der Leser nicht so ohne weiteres los: man wird "gepackt und verstört", findet der Rezensent, der es nicht gewohnt ist, jede Minute des Lebens mit einem Bruder verbunden zu verbringen. Zumal dieser Bruder, wie Scherer erläutert, so ganz und gar anders ist: Anders als Eng ist Chang oft betrunken und hat Spaß daran, in Arenen als Exot aufzutreten. Und noch dazu hat Chang offenbar die attraktivere Frau geheiratet, was Eng melancholisch werden lässt. Selbstverständlich sind viele Erlebnisse in diesem Buch nicht belegt, etwa ob Chang seinen Whiskey 1857 tatsächlich mit Eis genommen hat oder wann beide auf welcher amerikanischen Veranda gesessen haben. Doch für Scherer ist dies auch nicht wichtig in der insgesamt überzeugenden Geschichte der Zwillinge. Abschließend macht der Rezensent jedoch keinen Hehl aus seiner Erleichterung, dass der Leser nach Zuschlagen des Buch wieder mit sich alleine ist - etwas, worauf Eng "ein Leben lang gehofft" hat.

© Perlentaucher Medien GmbH