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Für die »Kirchliche Zeitgeschichte interdisziplinär. Beiträge 1984 - 2001« hat Kurt Nowak (1942-2001) noch selbst den Aufriss projektiert; 24 Beiträge in sechs Abschnitten sind der Zeit von der Spätaufklärung bis zum Kirchengeschichte im Zeitalter des Historismus; Judaica; Biologiepolitik, Kirche und Diakonie im Dritten Reich; Herrschaft, Politik und Gesellschaft; Kirche in der zweiten deutschen Diktatur. Ein siebter Abschnitt mit drei Beiträgen behandelt Methodenfragen. Die Arbeiten repräsentieren das von Nowak mitentwickelte Projekt einer Christentumsgeschichte zwischen Religionsgeschichte…mehr

Produktbeschreibung
Für die »Kirchliche Zeitgeschichte interdisziplinär. Beiträge 1984 - 2001« hat Kurt Nowak (1942-2001) noch selbst den Aufriss projektiert; 24 Beiträge in sechs Abschnitten sind der Zeit von der Spätaufklärung bis zum Kirchengeschichte im Zeitalter des Historismus; Judaica; Biologiepolitik, Kirche und Diakonie im Dritten Reich; Herrschaft, Politik und Gesellschaft; Kirche in der zweiten deutschen Diktatur. Ein siebter Abschnitt mit drei Beiträgen behandelt Methodenfragen. Die Arbeiten repräsentieren das von Nowak mitentwickelte Projekt einer Christentumsgeschichte zwischen Religionsgeschichte und Kirchengeschichte. So wird hier nicht allein das Vermächtnis eines herausragenden Gelehrten, sondern zugleich ein Beitrag zur Kirchlichen Zeitgeschichte vorgelegt, deren Weg in den vergangenen zwei Jahrzehnten Nowak maßgeblich mitgeprägt hat.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2002

Noch wandeln wir im Glauben, nicht im Schauen
In seiner kirchlichen Zeitgeschichte lehrt Kurt Nowak, einen biblisch realistischen Blick auf den Menschen als Sünder zu werfen
Der Leipziger Kirchenhistoriker Kurt Nowak wollte Christentumsgeschichte auf der Höhe des aktuellen allgemeinhistorischen Bewusstseins schreiben. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte seine Disziplin eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung des modernen Historismus gespielt. Die radikale Historisierung von Dogma, Lehre und Ritus drohte allerdings überkommene Geltungsansprüche des christlichen Glaubens zu unterminieren und gab religiöse Symbole kritischer Relativierung preis.
Viele Theologen der damals jüngeren, vom Ersten Weltkrieg traumatisierten Generation inszenierten in den zwanziger Jahren deshalb eine „antihistoristische Revolution”, um durch neue, steile Dogmatik dem relativistischen Elend des Historismus zu entkommen. Für das Fach Kirchengeschichte hatte dies ruinöse Folgen. Protestantische Kirchenhistoriker verloren den Kontakt zur Allgemeinhistorie, entwickelten eine theologische Ghettomentalität und forschten nur noch über Epochen wie die Reformation und den Pietismus, in denen sie überzeitlich gültige Glaubenswahrheit zu finden hofften. Ihre theologisch induzierte Selbstmarginalisierung verstärkte bei vielen Neuzeithistorikern die Neigung, Religion für eine belanglose Nebensache zu halten.
Kurt Nowak litt unter dieser Entwicklung. In Studien zur Wissenschafts geschichte seiner Disziplin knüpfte er an die große Zeit protestantischer Kirchenhistoriographie um 1900 an. Methodenfragen galt seine besondere Aufmerksamkeit. Er überführte Kirchengeschichte in eine Christentumsgeschichte, die die Prägekraft des Christlichen in der Gesellschaft und die vielfältigen Beeinflussungen von Kirchen und Theologie durch Staat, Recht, Politik, Ökonomie und andere kulturelle Akteure analysierte. Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag liegen die Aufsätze des verfrüht Verstorbenen nun in einer soliden Auswahl vor, die der Marburger Kirchliche Zeithistoriker Jochen Christoph Kaiser besorgt hat. Die im Anhang gebotene Bibliographie von Nowaks Publikationen weist leider zahlreiche Lücken auf.
Kaiser konnte auf eine Gliederung Nowaks zurückgreifen. Vier Studien zur Religionsgeschichte von Aufklärung und Romantik folgen drei Aufsätze zur Kirchengeschichtsschreibung im Historismus. Nowak liebte es bisweilen, sich als ein neuer Harnack zu inszenieren. Wie der berühmte Chefhistoriker des Kulturprotestantismus kultivierte er protestantisch innerweltliche Askese zu einem schier unermüdlichen Forscherfleiß. Intensiv nahm er die religiöse Umwelt der christlichen Konfessionen in den Blick.
Er schrieb über die staatliche Judenpolitik, den Antisemitismus und die Überformung der Religionsdiskurse durch biologistische Sprachen von Blut und Rasse. Seit seiner Dissertation über „,Euthanasie‘ und Sterilisierung im , Dritten Reich‘” beschäftigte ihn die „Biologiepolitik” der Nationalsozialisten, die auch in vielen diakonischen Einrichtungen der beiden großen Kirchen umgesetzt wurde. Dank seiner DDR-Sozialisation entwickelte Nowak politische Lesarten der neueren Christentumsgeschichte. Texte über den protestantischen Staatsdiskurs und den „langen Weg der deutschen Protestanten in die Demokratie” spiegeln auch das Leiden eines sensiblen Bildungsbürgers an den Machtverhältnissen in der DDR.
Nach der Wende konzipierte Nowak Forschungsprojekte zu „Religion, Kirche und Gesellschaft in der DDR”. Der Protestantismus hatte sich in der zweiten deutschen Diktatur erneut als politisch äußerst schillernd und vielfältig gezeigt. Das Spektrum politischer Grundhaltungen reichte von emphatischer Systemunterstützung über pragmatische Anpassungsbereitschaft zu demonstrativer Fundamentalopposition.
Gedächtnisort 1989
Kurt Nowak kannte diese Lebenswelten aus eigener Anschauung, setzte in seiner DDR-Forschung aber demonstrativ auf methodische Distanz. Er ließ seine Vergangenheit durch schnelle Historisierung des DDR-Staates hinter sich. Für den deutschen „Gedächtnisort 1989” trage die protestantische Theologie besondere Verantwortung. Der Prediger in den Universitätsgottesdiensten der Nikolaikirche war davon überzeugt, dass sich ein Freiheit symbolisierender „Gedächtnisort 1989” nicht rein politisch konstruieren lasse. Gelungene memoria bedürfe religiöser Elemente und symbolischer Vergegenwärtigung der Endlichkeit des Lebens. Nur ein biblisch realistischer Blick auf den Menschen als Sünder erlaube es, Schuldzusammenhänge ohne moralisierendes Überlegenheitsgefühl gegenüber den Tätern zu bedenken.
Im Schlussteil finden sich drei Essays zu Methodenproblemen. Die Grundfrage der modernen protestantischen Theologie „Historische oder dogmatische Methode?” beantwortete Nowak mit einem weisen „sowohl – als auch”, das Kirchenhistoriker auf rein historische Reflexionsstandards verpflichtet und Systematischen Theologen Chancen zur Erschließung normativen Orientierungswissens lässt. Kirchliche Zeitgeschichte und Allgemeinhistorie wurden eng verknüpft. Protestantische Überlieferung reformulierte Nowak im kritizistischen Imperativ, Grenzen des historischen Erkennens anzuerkennen. Er betonte den fragmentarischen Charakter aller Erkenntnistätigkeit. Den methodischen Pluralismus pries er, weil der Historiker durch einen Sinn für Vielfalt seine unhintergehbare positionelle Bedingtheit anerkenne.
Gern zitierte er den Apostel Paulus, dass wir im Glauben wandeln, noch nicht im Schauen. Die religiöse Selbstbegrenzung verband sich mit einer hohen Rezeptionsbereitschaft für höchst unterschiedliche Theorieentwürfe. Das symbolische Kapital der protestantischen Theologie wollte Nowak mehren, indem er Religion in nüchterner Sprache als eine polymorphe Prägekraft moderner Gesellschaften darstellte. Er schrieb Christentumsgeschichte mit Methoden der Gesellschafts- und neuen Kulturgeschichte. Damit trug er dazu bei, dass jüngere Allgemeinhistoriker die jüdischen und christlichen Religionsgeschichten der Moderne zu erforschen beginnen. Die Geschichte der Religion lässt sich aber nicht ohne theologische Ideen- und Diskursgeschichte schreiben. Der hohe intellektuelle Reiz von Kurt Nowaks „kirchlicher Zeitgeschichte interdisziplinär” liegt in der dichten Verknüpfung allgemeinhistorischer Methoden mit theologischem Bildungswissen. Auch darin folgte der Leipziger Kirchenhistoriker seinem Harnack.
FRIEDRICH WILHELM
GRAF
KURT NOWAK: Kirchliche Zeitgeschichte interdisziplinär. Beiträge 1984 - 2001. Hrsg. von Jochen-Christoph Kaiser (Konfession und Gesellschaft, Band 25). W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2002. 560 Seiten, 40 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Friedrich Wilhelm Graf schätzt die "solide Auswahl" an Aufsätzen des verstorbenen Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Nowak, die Jochen-Christoph Kaiser zusammengestellt hat. Nur die mangelhafte Bibliografie, die "leider zahlreiche Lücken" aufweise, gibt Graf Grund zur Klage. Ansonsten, so der Rezensent, liege hier ein guter Querschnitt durch Nowaks Werk vor, der in seinen Studien in der BRD und DDR die Prägekraft des Christlichen auf die Gesellschaftsgeschichte und umgekehrt die vielfältigen Beeinflussungen der Kirchen und der Theologie durch Staat, Recht, Politik, Ökonomie und andere Akteure der Gesellschaft analysiere.

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