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Die Entwicklung des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts in Deutschland seit Beginn der Reformation ist nur aus der steten Wechselwirkung der juristischen Probleme und Dynamik mit ihren theologischen und politischen Ursachen und Folgen zu erfassen. Erst durch ihre Umsetzung in Rechtsformen führen die geistigen und gesellschaftlichen Kräfte und Bewegungen zur umwälzenden Veränderung oder beharrlichen Verfestigung ihrer Epoche. Durch seine rechtshistorischen Aspekte und Analysen will dieses Werk auch den theologischen und historischen Nachbardisziplinen dienen, auf deren…mehr

Produktbeschreibung
Die Entwicklung des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts in Deutschland seit Beginn der Reformation ist nur aus der steten Wechselwirkung der juristischen Probleme und Dynamik mit ihren theologischen und politischen Ursachen und Folgen zu erfassen. Erst durch ihre Umsetzung in Rechtsformen führen die geistigen und gesellschaftlichen Kräfte und Bewegungen zur umwälzenden Veränderung oder beharrlichen Verfestigung ihrer Epoche.
Durch seine rechtshistorischen Aspekte und Analysen will dieses Werk auch den theologischen und historischen Nachbardisziplinen dienen, auf deren Vorarbeiten es fußt. Es ist problemgeschichtlich ausgerichtet. Es sucht die Entstehung und Wandlung der rechtlichen Institutionen aus den geistlichen und weltlichen Ursprüngen, die dem modernen Empfinden fremd geworden sind, verständlich zu machen und zugleich das Bewußtsein der Kontinuität zu stärken, die unsere pluralistische Geisteswelt und Rechtsordnung mit ihren geschichtlichen Wurzeln verbindet und bis heute prägt und bedingt. Es erstrebt keine handbuchartige Vollständigkeit. Manche Phänomene werden daher detailliert in Nahsicht, andere distanziert im Überblick behandelt.
(Aus dem Vorwort)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2016

Wie hält es ein Christ mit der Obrigkeit?
Ein monumentales Werk als Summe eines Gelehrtenlebens: Martin Heckel legt dar, was die Theologie Luthers für die Entwicklung des Rechts bedeutete

Wer heute ein Buch über die "Entwicklung der Theologie Luthers und ihre Wirkungen auf das Recht" schreiben will, muss die theologische, kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Literatur von fünf Jahrhunderten durchqueren und bewerten. Das kann nur jemand, der sein ganzes wissenschaftliches Leben darüber gearbeitet, immer wieder die Thematik umkreist hat und nun im hohen Alter auf fast tausend Seiten eine Summe zieht, eine Summe nicht nur zu Luther, sondern auch der eigenen Forschung von mehr als fünfzig Jahren.

Er musste dabei - wie ein Restaurator - ältere Übermalungen des Lutherbildes abtragen, ihre zeit- und konfessionsbedingte Sicht erklären, sich aber ebenso davor hüten, die eigene "lutherische" Sicht für die einzig mögliche zu erklären. Der Tübinger Gelehrte Martin Heckel, der Staatsrecht, Kirchenrecht und Rechtsgeschichte vertritt, löst dies so, dass er den Theologen Luther ins Zentrum rückt und ihn möglichst selbst zu Wort kommen lässt. Das ergibt ein Fundament; denn Luther bewahrte seine einmal gewonnene Glaubensüberzeugung bis an sein Ende. Die Spannung ergibt sich daraus, dass der Reformator in weltlichen Fragen zu verschiedenen Lebenszeiten und je nach politischer Lage daraus unterschiedliche Konsequenzen zog, ja ziehen musste.

Um dies zu verstehen, müssen die gesamte theologische Vorgeschichte und die dramatische politisch-theologische Geschichte nach 1517 einbezogen werden. Von da aus führt das Buch über die Jahrhunderte bis zum Religionsverfassungsrecht der Gegenwart und zur Lage des evangelischen Kirchenrechts. Dass dieser gewaltige Bogen so geschlagen werden kann, ohne an Kraft zu verlieren, liegt an der immensen Gelehrsamkeit Heckels, aber auch an der Festigkeit der ihr zugrundeliegenden persönlichen Fundamente. Ohne Wiederholungen geht es nicht, aber das muss auch so sein, um die Detailfragen mit dem theologischen Fundament zu verbinden.

Nach einer Einführung in das heutige religionsverfassungsrechtliche System und nach gründlicher Auseinandersetzung mit der älteren Forschung beginnt das Buch mit Kapiteln über den Ablassstreit von 1517, über die Reaktion Roms und den Kirchenbann. Luthers theologische Ausgangspositionen werden ebenso eindringlich erläutert wie die europaweite publizistische Reaktion auf die zentralen Schriften des Wittenberger Mönchs seit 1520. Nachdem die lange lebendigen Hoffnungen auf Erhaltung der einen und einzigen Kirche in Rom und nördlich der Alpen gesunken waren, mussten auf evangelischer Seite alle Fragen kirchlicher Selbstorganisation erst einmal ausbuchstabiert werden.

Im Schatten der blutig niedergeschlagenen bäuerlichen Revolten in Südwestdeutschland und in Thüringen, aber auch der Unerreichbarkeit eines klärenden gemeinsamen Konzils mussten die "Protestanten" oder "Lutheraner", wie sie nun genannt wurden, im Schutz der ihnen geneigten Landesherren ihr Gemeindeverständnis und ihre geistlichen Ämter schaffen, ohne sich aber ganz der weltlichen Gewalt, dem von Luther ursprünglich gar nicht intendierten "landesherrlichen Kirchenregiment", auszuliefern. Ob die Verantwortung der Landesherren für ihre Kirchen die Entstehung des frühmodernen Staates befördert hat und, wenn ja, wie, ist bis heute umstritten. Wenn die Dynastie einer anderen Konfession angehörte als die Untertanen, häuften sich die Schwierigkeiten. Aber auch im Bündnis von Thron und Altar gab es Abgrenzungsprobleme - bis zum heutigen Tag in Republik und Demokratie.

Der in das Grundgesetz inkorporierte Artikel der Weimarer Reichsverfassung von 1919 bezeugt es, wenn es dort scheinbar einfach heißt, jede Religionsgesellschaft ordne und verwalte "ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Der säkulare Staat schützt die Freiheit jeglichen Glaubens und Unglaubens als Grundrecht, fordert aber bei der öffentlichen Entfaltung des Glaubens die Einhaltung der weltlichen Rechtsordnung. Was bedeutet das genau, wenn es etwa um Schwimmunterricht für muslimische Mädchen geht?

Heckels Buch ist trotz der immensen Fülle des Stoffs mühelos lesbar, nicht nur wegen des für Heckel typischen kraftvollen und direkten Stils, sondern auch wegen der Typographie. Es markiert die zentralen Sätze in Großdruck, erläutert sie dann kommentierend im Kleindruck, so dass keine Verwirrung entsteht, wo man sich gerade befindet. Erläutert werden die theologischen Kernfragen (Sakramente, Priestertum der Gläubigen und Ämterlehre, Erlösung durch Glauben und Gnade, Gesetz und Evangelium), das Zusammenwachsen der Gemeinde- und Städtereformationen mit denen des Territorialstaats, weiter der Aufbau der Landeskirchen, die Folgeprobleme auf der Ebene des Reichs, insbesondere die Entstehung eines religionsneutralen Verfassungsrechts seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, die Trennung des Luthertums von radikalen Außenseitern (Spiritualisten, weltliche Revolutionäre, Wiedertäufer, Mennoniten, Antitrinitarier), die Grundlagen und der Wandel des dabei eingesetzten "Naturrechts".

Und weiter: Der Theologe Luther war permanent als Konfliktberater gefragt. Den Rechtsfragen war gar nicht auszuweichen, so im "Bauernkrieg", der ihn zu rigoroser Gesetzlichkeit driften ließ, offenbar aus Angst vor dem Zusammenbruch der gesamten öffentlichen Ordnung und aus Zorn über den Missbrauch des Evangeliums. Ebenso suchte er, manchmal schwankend, einen Weg zwischen theologischer Vermittlung und Unterdrückung von "Abweichungen". Und durfte man wirklich den gebotenen Gehorsam gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit aufkündigen? Das waren äußerst heikle Fragen, bei denen die weltlichen und geistlichen Kompetenzen in immer erneuten Anläufen abgesteckt werden. Wie steht der Christ zum Kriegsdienst und wie zur Frage von Präventivkriegen?

Nicht zuletzt geht es um Luthers anfänglich tolerante und theologisch werbende Einstellung zu den Juden, bis hin zu den bekannten hasserfüllten Äußerungen der Spätzeit wegen deren "Halsstarrigkeit" in Glaubensdingen. Gerade zu dieser heute verstörenden Facette Luthers findet Heckel klare Worte. Sie ändert nichts daran, dass es sich um eine Person der Weltgeschichte handelte, tief im Mittelalter verankert und stets den Satan vor Augen, aber auch ebenso tief in die folgenden Jahrhunderte hineinwirkend, im Glauben, in der deutschen Sprache, in Kirchenlied und Volkskultur. Um die folgenschweren Spaltungen des sechzehnten Jahrhunderts zu verstehen, kommt man um Luther nicht herum. Hierzu bietet dieses Buch einen nicht zu übertreffenden Reichtum an Material und eindringlichen Deutungen.

In den hier mit aller Gelehrsamkeit entfalteten historischen, kirchen- und staatskirchenrechtlichen Stellungnahmen wird neben dem Rechts- und Theologiehistoriker Heckel auch der um konkrete Lösungen ringende Lutheraner sichtbar. Gegen Ende des Buchs beklagt er das Schwinden der theologischen Dimension des evangelischen Kirchenrechts. Er verweist auf das Vermächtnis Luthers und deutet für die immer wieder durchschimmernden Probleme religiöser Pluralisierung an, wo er die Grundlinie für aktuelle Lösungen sieht; denn es sollen selbstverständlich freiheitliche Lösungen im Rahmen des allseits akzeptierten Verfassungsrechts sein.

Hier gibt es keine Patentrezepte, sondern nur vorsichtige Abwägung im Respekt vor den Überzeugungen anderer. So ist dieses Buch nicht nur ein monumentales Werk über die theologische und kirchenrechtliche Entwicklung vom sechzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart, sondern auch ein in seiner Intensität ergreifendes Buch zur existentiellen Frage, wie ein Christ, gleich welcher Konfession, in der Welt leben und ihren Ansprüchen gerecht werden kann, ohne seine Glaubensgrundlage zu verletzen.

MICHAEL STOLLEIS

Martin Heckel: "Martin Luthers Reformation und das Recht".

Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2016. 988 S., geb., 69,- [Euro].

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