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Rudolf Bultmann hielt das Rezensieren für einen unverzichtbaren Bestandteil akademischer Arbeit und verfaßte zwischen 1908 und 1969 über 250 Rezensionen und Forschungsberichte. Mit der hier vorliegenden Auswahl wollen Matthias Dreher und Klaus W. Müller alle Aspekte der wissenschaftlichen Arbeit Bultmanns abdecken: Seine theologische Entwicklung, seine Prägung und seine Ablösung von seinen Lehrern, seine Auseinandersetzung mit bedeutenden Theologen seiner Zeit - all das soll ebenso zur Geltung kommen wie sein sich weit in Altphilologie und Philosophie entfaltendes Forschungsgebiet. Dabei fällt…mehr

Produktbeschreibung
Rudolf Bultmann hielt das Rezensieren für einen unverzichtbaren Bestandteil akademischer Arbeit und verfaßte zwischen 1908 und 1969 über 250 Rezensionen und Forschungsberichte. Mit der hier vorliegenden Auswahl wollen Matthias Dreher und Klaus W. Müller alle Aspekte der wissenschaftlichen Arbeit Bultmanns abdecken: Seine theologische Entwicklung, seine Prägung und seine Ablösung von seinen Lehrern, seine Auseinandersetzung mit bedeutenden Theologen seiner Zeit - all das soll ebenso zur Geltung kommen wie sein sich weit in Altphilologie und Philosophie entfaltendes Forschungsgebiet. Dabei fällt das Hauptgewicht auf Formgeschichte, Religionsgeschichte, Jesus und die Urgemeinde, Paulus und Johannes. Die Frage des Geschichtsverständnisses und damit zusammenhängend auch die Frage nach sachgemäßer Exegese und Hermeneutik verbinden sich naturgemäß mit diesen Themen und ziehen sich durch das ganze rezensorische Werk Bultmanns. Ein umfangreiches Register hilft, den Gesamtbestand der Rezensionen erschließen. Die Auswahl-Edition erlaubt Einblicke in die akademische Werkstatt eines der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts und belegt eindrücklich Bultmanns bekanntes Votum, daß ihm "...entscheidend daran gelegen" habe, "die Einheit von Exegese und Theologie zu erstreben, und zwar in der Weise, daß der Exegese der Primat zukommt." (Exegetica, S. XXII).
Autorenporträt
(1884-1976) Studium in Tübingen, Berlin und Marburg; 1910 Promotion; 1912 Habilitation; 1916 a.o. Professor in Breslau; 1920 als Nachfolger Wilhelm Boussets o. Professor in Gießen; 1921 bis zur Emeritierung im Jahre 1951 o. Professor für Neues Testament in Marburg.

Geboren 1970; Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Wien und Marburg, Kirchliches Examen; 2004 Promotion; Referent für Homiletik und Kasualien am Gottesdienst-Institut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg.

Geboren 1944; 1971-74 Assistent für Neues Testament in Erlangen und Tübingen; 1974-82 Theologischer Geschäftsführer am Institut für Praktische Theologie an der Universität Tübingen; 1981 Promotion; 1982-89 Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen; seit August 1989 Ausbildungsleiter an der Kirchlichen Ausbildungsstätte der Karlshöhe Ludwigsburg und ab 1994 Rektor der Ev. Fachhochschule für Diakonie in Ludwigsburg; seit 1998 Direktor des Pfarrseminars der Ev. Landeskirche in Württemberg, Stuttgart-Birkach.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2002

Individualismus, aber bitte nur methodisch
Das Rezept des Rezensenten: Auch Langweiler wußte Rudolf Bultmann geisteserotisch aufzubereiten

Begeistert berichtet der junge Rudolf Bultmann 1907 seinen Eltern, Martin Rade habe ihm die Besprechung neutestamentlicher Neuerscheinungen in der "Christlichen Welt" übergeben. Der Dreiundzwanzigjährige hat soeben sein erstes theologisches Examen abgelegt. Als Repetent an der Marburger Stipendiatenanstalt schreibt er eine Dissertation über den "Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe". Dank Rades Angebot kann er sich in der führenden liberalprotestantischen Kulturzeitschrift als "wissenschaftlicher Nachwuchs" empfehlen. "Ein hübscher Nebenvorteil ist ja auch der, daß die Exemplare der recensierten Bücher mein Eigentum verbleiben." Bald besitzt der Doktorand eine eigene Forschungsbibliothek. Mit achtundzwanzig Jahren habilitiert er sich. Vier Jahre später wird er Extraordinarius, mit sechsunddreißig Jahren Ordinarius. Zur schnellen Karriere trägt die intensive Rezensionstätigkeit bei. Bultmann nutzt die Analyse fremder Werke, eine neue theologische Hermeneutik, die "existentiale Interpretation" des anredenden Gotteswortes, zu entwickeln.

Kleinarbeit macht skeptisch.

Von 1908 bis 1969 hat Rudolf Bultmann über zweihundertfünfzig Buchbesprechungen und Forschungsberichte veröffentlicht. Matthias Dreher und Klaus W. Müller präsentieren nun siebenundneunzig Texte in einer soliden, durch Verzeichnisse und Register gut erschlossenen Edition. Neben Besprechungen zur neutestamentlichen Exegese und antiken Religionsgeschichte werden auch kaum bekannte Rezensionen zur Systematischen Theologie und klassischen Philologie dokumentiert. Die Auswahl überzeugt. Der Band wird eröffnet mit Bultmanns erster, im Frühjahr 1908 erschienener Besprechung von Georg Heinricis Studie "Der literarische Charakter der neutestamentlichen Schriften". Den Schluß bilden Texte "Zur Interpretation des Johannesevangeliums" und zum Streit um Bultmanns "Entmythologisierungsprogramm". "Der Leser findet mehr, als er erwartet", beginnt die erste Rezension. Dies gilt auch für die wunderschöne Sammlung von Bultmanns Kritiken und Forschungsberichten.

Sichtbar werden die diskursiven Kontexte, in denen Bultmann seine Sicht des Kerygmas entwickelt hat. Der einflußreichste Neutestamentler des zwanzigsten Jahrhunderts erweist sich als ein äußerst penibler Historiker, der noch in scheinbar nebensächlichen philologischen Details Spuren von Gottes Wort findet. Der harte Arbeiter liest Neuerscheinungen schnell und genau. Luzide stellt er ihren Inhalt und wichtige Thesen dar. Vertreter abweichender Positionen werden mit ausgesuchter Höflichkeit und Fairneß geschildert. In glänzender Wissenschaftsprosa bedenkt Bultmann sensibel mögliche Verstehenshorizonte seiner Leser. Seit 1921 schreibt er für die "Frankfurter Zeitung", deren Feuilleton-Redaktion damals protestantische Liberale beherrschen. Auch hier bleibt der Gelehrte sachlich-nüchtern. Er beschreibt, erläutert und wägt behutsam das Für und Wider von Hypothesen ab; selbst populären Unsinn religionshistorisch dilettierender Literaten nimmt er ernst. Mit entschiedenen, klaren Urteilen gibt er deutlich zu erkennen, was er vom besprochenen Werk hält. Der Sproß einer alten Pfarrerdynastie zeigt sich als Bildungsbürger par excellence. Ob Sophokles oder Goethe, Platon oder Kant, Burckhardt oder Nietzsche - der Absolvent des Humanistischen Gymnasiums Oldenburg kennt seine Klassiker. Sie verhelfen ihm zu ironischer Distanz gegenüber den eitlen Selbstinszenierungen vieler akademischer Fachmenschen. Nicht jedes neue Buch bietet innovative Erkenntnis.

Läßt sich ein Buch lesen, das aus Texten über Bücher besteht? Man sollte mit den Übersichten zu Tendenzen der Forschung beginnen oder mit Rezensionen berühmter Werke. 1926 berichtet Bultmann in seiner "Frankfurter" über "Die evangelisch-theologische Wissenschaft in der Gegenwart". Komplexe Diskussionslagen stellt er problemgeschichtlich, von ungeklärten, umstrittenen Fragestellungen her, dar. Die theologische Arbeit der Gegenwart drehe sich im Kern um ein einziges Problem: den modernen Historismus. Die ältere Generation der Harnack und Troeltsch habe die Theologie als Historische Kulturwissenschaft von Religion und Christentum konzipiert, so daß sich die normativen Disziplinen der Theologie, Dogmatik und Ethik, in Kulturphilosophie auflösten.

Die Theologie dürfe aber nicht nur phänomenologisch von frommen Gefühlen und Riten reden, "sondern müsse notwendig auch vom Gegenstand des Glaubens handeln"; "als Wissenschaft vom Glauben muß sie zugleich Wissenschaft von Gott sein". Theologen könnten aufgrund ihrer langen Arbeit an den Konflikten um "Glaube und Geschichte" Klügeres zum Historismus sagen als viele Historiker und Philosophen. Den Apologeten der historistischen Resignation tritt Bultmann mit mildem Spott gegenüber. Deutschlands Allgemeinhistoriker begegneten der Krise des Historismus mit diffusem Geschichtspantheismus. In ihrem Rest-Idealismus wollten sie im Geschichtlichen irgendeinen metahistorischen, zeitlosen Ideengehalt erfassen. Dies sei naiv. "Geschichte" müsse radikal, als unaufhebbare "Geschichtlichkeit" des Individuums gedacht werden. Erst die existentielle Selbstwahrnehmung jedes einzelnen, sich in seinem Dasein als kontingent zu erfahren, provoziere die Frage nach einem unbedingten, transzendenten Grund.

Die Grundzüge seiner komplizierten Daseinsanalytik entwickelt Bultmann schon vor der Begegnung mit Martin Heidegger. Durch kritische Exegese gewinnt er die Einsicht, daß Gott kein an sich seiendes, allgemeines Wesen repräsentiert, sondern sich "der lebendige Gott" nur in den Lebensvollzügen des einzelnen, in individueller Selbsterfahrung erschließt. Viele Antihistoristen der zwanziger Jahre rufen zum Kampf gegen die relativistische Republik von Weimar. Als liberaler Demokrat engagiert sich Bultmann hingegen für die Deutsche Demokratische Partei. Die Kleinarbeit an neutestamentlichen Texten stimmt ihn skeptisch gegen das hohle Pathos totalitärer Ganzheitsdenker. Sein methodischer Individualismus verhindert es, Menschen biologistisch, bestimmt durch Rasse und Volk zu sehen. Exegetische Einsicht läßt ihn 1934 die Einführung des "Arierparagraphen" ins kirchliche Dienstrecht kritisieren.

Allergisch gegen Kollektivbegriffe.

Als der Göttinger Theologe Emanuel Hirsch 1936 das Johannesevangelium für einen NS-affinen Neuidealismus in Anspruch nimmt, weist Bultmann in einer betont sachlichen Besprechung tiefe Differenzen zwischen einer völkischen Geschichtstheologie und der johanneischen Eschatologie nach. Sein Konzept der "Entmythologisierung", das er erstmals 1941 vorträgt, muß auch politisch gelesen werden, als subtile Kritik am "Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts", der sich im Lichte des Evangeliums als kommunitäre Regression erweist.

Eschatologische Differenzwahrnehmung bildet das Zentrum seiner Ethik. Erst prinzipielle Distanz von dieser Welt ermögliche souveräne Freiheit in der Welt. Mit der lutherischen Zwei-Reiche-Überlieferung betont Bultmann die Autonomie des Individuums in allen Fragen der Weltgestaltung. Kirchliche Sozialethik und politisierende Kleriker sind ihm ein Greuel, weil das Evangelium keine Visionen materialer Gerechtigkeit enthält, sondern gemäß der libertas christiana die Verantwortung des einzelnen für sein Tun und Lassen einschärft. In den Fiktionen ihres Naturrechts suchten Kirchenfunktionäre nur klerikale Machtansprüche zu begründen, erklärt Bultmann 1950.

Nun nimmt er Begriffe Kants auf, den er einst bei Hermann Cohen und Wilhelm Herrmann las. Ob der totalitären Potentiale der Moderne reformuliert er Autonomie als kritische Selbstbegrenzung des Individuums, das sich sub specie Dei der Sünde der Selbstverabsolutierung inne wird. Auf Kollektivbegriffe reagiert der alte Bultmann zunehmend gereizter. Der trotz seines weltweiten Ruhms bescheidene Gelehrte wird skeptischer, gelassener. In vielen Besprechungen spielt nun das Wort "Dank" eine wichtige Rolle. Nehmen wir es auf, zollen wir Bultmanns Editoren Respekt. Sie haben faszinierende Texte von hohem Rang erschlossen. Rudolf Bultmann ist das seltene Kunststück gelungen, selbst zu langweiligen Büchern geisteserotisch spannende Rezensionen zu schreiben.

FRIEDRICH WILHELM GRAF.

Rudolf Bultmann: "Theologie als Kritik". Ausgewählte Rezensionen und Forschungsberichte. Herausgegeben von Matthias Dreher und Klaus W. Müller. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2002. XIV, 638 S., geb., 104,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit 23 Jahren schon arbeitete Rudolf Bultmann als Rezensent "neutestamentlicher Neuerscheinungen" für die "Christliche Welt", mehr als 250 Buchbesprechungen und Forschungsberichte hat er im Laufe seines Lebens verfasst, 97 davon versammelt dieser Band. Zunächst stellt Friedrich Wilhelm Graf schlicht und ergreifend fest: "Die Auswahl überzeugt", ja, die Sammlung findet er "wunderschön". Die Texte scheinen ihm aus mehr als einem Grund lesenswert: zum einen lassen sich hier die diskursiven Kontexte von Bultmanns eigenem Werk nachvollziehen, zum anderen sind die Rezensionen, so Graf, in "glänzender Wissenschaftsprosa" geschrieben, fair im Umgang und stets so genau wie "luzide". Plakative Gegenentwürfe zum theologischen Historismus lehnte Bultmann ebenso ab wie Versuche, das Johannesevangelium der Nazi-Ideologie anzunähern - allem vermeintlichen Naturrecht hält er die "Autonomie des Individuums" entgegen. Das schön formulierte Fazit des Rezensenten: Bultmann hat es fertig gebracht, "selbst zu langweiligen Büchern geisteserotisch spannende Rezensionen zu schreiben".

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