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Im Januar 2009 wurde Dietmar Dath vom Spiegel gefragt, ob er für die "Beseitigung des kapitalistischen Systems" sei. Seine Antwort: "Absolut." Mit diesem Beitrag zu Karl Marx' 200. Geburtstag hat Dath nicht nur ein äußerst persönliches Buch über Marx geschrieben, sondern eines, das in seiner Klarheit und Dynamik gleichzeitig eine brillante Einführung in die Marx'sche Lehre und deren Nachwirkung bietet. So zeigt er unter anderem, dass Marx das zu Bekämpfende immer zuerst einmal verstehen will und sich stets an der Praxis orientiert - zwei der vielen Gründe für seine anhaltende Aktualität.

Produktbeschreibung
Im Januar 2009 wurde Dietmar Dath vom Spiegel gefragt, ob er für die "Beseitigung des kapitalistischen Systems" sei. Seine Antwort: "Absolut." Mit diesem Beitrag zu Karl Marx' 200. Geburtstag hat Dath nicht nur ein äußerst persönliches Buch über Marx geschrieben, sondern eines, das in seiner Klarheit und Dynamik gleichzeitig eine brillante Einführung in die Marx'sche Lehre und deren Nachwirkung bietet. So zeigt er unter anderem, dass Marx das zu Bekämpfende immer zuerst einmal verstehen will und sich stets an der Praxis orientiert - zwei der vielen Gründe für seine anhaltende Aktualität.
Autorenporträt
Dietmar Dath, geb. 1970, ist Autor von Romanen, Comics sowie Theaterstücken und arbeitet als Journalist und Übersetzer.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2018

Kalte Wut erkennt
das Übel
Ohne Abrechnungsfuror und ohne Heiligenverehrung:
Der Feuilletonist Dietmar Dath über Karl Marx
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Die großen Jubiläen haben es an sich, dass die Bücherflut zum Thema längst vorbei ist, wenn der Jubeltag tatsächlich ansteht. Karl Marx’ Geburtstag jährt sich erst in einem knappen Monat, am 5. Mai, zum 200. Mal. Diverse voluminöse Biografien und Einzelstudien erschienen aber schon im vergangenen Jahr und mehr braucht eigentlich kein Mensch. Außer vielleicht noch dieses neue kleine, graue Reclam-Bändchen des Schriftstellers, FAZ-Feuilletonisten, Popkritikers, Essayisten und erklärten Kommunisten Dietmar Dath.
Anders als die Kollegen setzt Dath keinen weiteren literarischen Ziegelstein in die Welt. Im Gegenteil. Er will auf gerade einmal hundert Seiten alles sagen, ganz so wie es die „100-Seiten“-Essay-Reihe Reclams inzwischen schon verlangte für auch fast alles andere zwischen Reformation und Resilienz, Asterix und Antike und Bud Spencer und David Bowie.
Die dabei leider zu oft gewählte Strategie ist der beflissene lexikalische Aufriss, also die Lieferung der persönlichen Eckdaten und einiger liebloser, phrasenhafter Zusammenfassungen der wichtigsten Texte und Gedanken, fertig. Die andere, seltenere Möglichkeit ist, ein bisschen selbst zu denken, und dann mutig und munter zu schreiben, bereit, den vornehmen Schein gelehrsamer Vollständigkeit aufzugeben.
Daths Buch gehört in die zweite Kategorie, und ist ein kleiner Glücksfall, denn trotz der aktuellen Marx-Bücherflut hatte eben dies ja doch noch gefehlt: ein paar Worte irgendwo zwischen Biografie (der Paris-Jahre hat sich Jan Gerber angenommen, der Algerien-Reise Uwe Wittstock, vom ganzen Leben im großen Format erzählen Jürgen Neffe oder Gareth Stedman Jones) und Einzelstudie (über Marx als Philosoph schrieb gerade Kurt Bayertz, über die „Poesie der Klasse“ Patrick Eiden-Offe, über das liberale Fundament seines Denkens Urs Marti-Brander).
Dath tritt dazu ein paar Ausfallschritte zurück und liest die Schriften und Ideen von Marx im Kern als „eines der größten Dokumente kalter Wut in der Menschheitsgeschichte“. „Heiße Wut“ ist für Dath dagegen die „Erregung, die zwar die Quelle des Übels erkennt, das sie reizt, aber nicht weiter denken kann als bis zum unmittelbaren Gegenschlag“. Diese Wut, so Dath, habe freilich auch Marx gekannt auf seinem krummen, finanziell unsicheren und gesundheitlich fordernden Weg. Die kalte Wut habe ihm jedoch immer näher gelegen, dieser „Zustand der Unzufriedenheit über Leiden und ausbleibendes Vergnügen, der zum kühlen, auf langfristigen Erfolg angelegten Plan aushärtet“. Die heiße Wut schreie wider das Übel, die kalte lerne und verstehe, um das zu ändern oder abzuschaffen, wodurch sie provoziert wurde.
Wie in so vielen guten Essays ist diese Analyse des Analytikers auch hier intellektuelles Selbstporträt: „Verständnis muss nicht versöhnlich gemeint sein. Im Gegenteil, so lerne ich später, sind es oft die allerunversöhnlichsten Gegnerinnen und Gegner eines Missstandes, die sich ums Verständnis der Situation, ihre logische Zergliederung und historische Erklärung die allergrößten Verdienste erwerben, weil kalte, aber große Wut ihnen die Kraft dazu verleiht.“ Die kalte Wut zeichnet oft auch die Romane und Essays Dietmar Daths selbst aus. Sie dürfte der wesentliche Grund sein dafür, dass er als Kommunist in der FAZ und erstaunlich weiten Teilen der übrigen liberal-konservativen deutschen Öffentlichkeit sehr geschätzt wird.
Klar ist damit, dass auf diesen 100 Seiten keine Fundamentalkritik an Marx folgt – aber eben auch alles andere als blinde Heiligenverehrung. Insbesondere die ersten beiden der insgesamt drei Kernkapitel sind eindrucksvoll, das dritte, das sich Marx’ kühlen ökonomischen Analysen widmet, ist höchst instruktiv, wirkt aber nicht ganz so rund, sein Gegenstand ist natürlich auch noch etwas sperriger. Im ersten und zweiten Kapitel skizziert Dath nicht allein Marx’ politiktheoretische Aussagen, sondern auch den ideen- und zeitgeschichtlichen Hintergrund, dicht und präzise, und doch auch lässig anschaulich. Wie ein sehr cleverer Lehrer, der die Sache selbst so durchdrungen hat, dass er in der Lage ist, sie formvollendet an die Frau und den Mann zu bringen.
Ein echtes argumentatives Künststück vollbringt Dath in der Mitte des Buches. Er erklärt da nicht nur die idealistische hegelsche Dialektik und ihre Bedeutung für die Materialisten Marx und Engels. Er beantwortet auch die theoretische Gretchenfrage, warum die beiden auf ihrem Weg vom Idealismus zum Materialismus eben diese Dialektik doch nicht „mit verschrotten“ mussten.
Das gelingt ihm mit zwei Beispielen zum dynamischen Wesen der Dialektik etwa, also der ewigen Entfaltung von Widersprüchen in allem Lebendigen. Werde etwa eine Raupe zum Schmetterling, so sei sie während des Prozesses zwar nicht mehr Raupe, aber auch noch nicht Schmetterling. Und auch der Unterschied, so Dath im zweiten Beispiel, zwischen Quantität und Qualität sei in diesem Sinn nicht starr: „Zwei Haare sind noch keine Frisur, auch wenn Homer Simpson sich das wünscht.“ Aber von einer gewissen Menge an Haaren an habe man es „selbst dann mit einer Frisur zu tun, wenn niemand sie schneidet und kämmt“. Dann natürlich mit einer nicht allzu guten.
„Übergänge“ oder „Kippmomente“ wie diese, so Dath, seien das Salz des Denkens und der Debatte. Während allerdings Homer Simpsons Frisurprobleme nur davon abhingen, wie Menschen einen Sachverhalt nennen würden, zeige sich am Fall der Raupe, dass „dialektische Tatbestände“ nicht grundsätzlich ideenvermittelt sein müssten. Aus dem Umstand, dass die Raupe (noch) kein Schmetterling ist, folgt nicht, dass sie keiner werden kann: „Und aus dem Umstand, dass Hegel sich irrte, als er schrieb, die menschliche Geschichte richte sich nach Ideen wie etwa dem Bewusstsein der Freiheit (. . .), folgt eben nicht, dass die menschliche Geschichte sich niemals dahingehend verändern könnte, dass sie sich plötzlich nicht doch nach Ideen richtet.“
Es seien, so Dath, in fortschrittlichen Epochen schließlich die Menschen selbst, die ihre Geschichte, geleitet von Ideen, neu einrichten könnten.
Nach kaum zwei Seiten steht so in aller Klarheit der Grund im Raum, warum Marx’ Denken aus dem 19. Jahrhundert auch im 21. noch so interessant ist. Es ist nicht die allzu gern behauptete ewige Evidenz bestimmter marxscher Analysen. Als idealistischer Materialist verkörpert Marx vielmehr die Versöhnung des Widerspruchs, der uns in unserem Zeitalter der radikalen Abklärung mehr denn je quält. Des Widerspruchs nämlich zwischen der Tatsache, dass alle Probleme offen daliegen, und der Tatsache, dass sie so unlösbar wie noch nie erscheinen.
Dietmar Dath: Karl Marx. 100 Seiten. Reclam Verlag, Ditzingen, 2018. 100 S., 11 Abb. 10 Euro.
Es gibt eine Erregung, die nicht
weiter denken kann
als bis zum Gegenschlag
Übergänge und
Kippmomente sind
das Salz des Denkens
Berlin, September 2010: Versuch, Marx vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Foto: Fritz Engel / laif
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