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Produktdetails
  • Verlag: n/a
  • ISBN-13: 9783125176492
  • ISBN-10: 3125176492
  • Artikelnr.: 14407004
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2006

Du und deine Haarwürger
Karnevalslektüre für Junge: Ein Wörterbuch der Jugendsprache

Es scheint alles noch viel schlimmer zu sein. Jüngst noch mußten wir lediglich den allweil üblichen Unmut über die Jugend von heute hegen: Ein einziger unverständlicher Brei sei sie, ein Klump aus Unbildung und schlechten Absichten, eine in ihrer Gesamtheit zu spärlich bekleidete Generation in sprachlicher Schieflage.

Eben noch war der Herr von den UN da, um nach Botswana und Malawi auch das Bildungsnotstandsgebiet Deutschland abzumahnen. Und jetzt müssen wir auf einmal, denn dafür sind die Vergreisenden ja da, noch viel Übleres befürchten. Die Frage ist: Kann Jugend sprechen? Oder anders gesagt: Wenn der Jugendliche Leon etwas sagt, wird die blonde Linda ihn dann verstehen? Linda schüttelt den Kopf, der Kopf steckt unter einer weißen Strickmütze, und hübsch sieht Linda aus, aber vom Pons-"Wörterbuch der Jugendsprache" versteht sie nur Bahnhof.

Gemeinsam mit Michaela, 19, steht sie vor einem bunten Graffiti und schaut verdutzt in das kleine, grüne Brevier. Der "Berliner Zeitung" zu Protokoll gibt Michaela: "Wenn ich sagen will, daß etwas besonders gut ist, dann sage ich: Es ist besonders gut." Sie sagt gar nicht, es sei "porno". Auch Linda, auch zirka 19, resümiert das Werk: "So spricht kein Schwein."

Aber darf uns das stören? 20 000 Schüler bundesweit, teilt der Verlag mit, haben doch hier mitgearbeitet, haben die 358 Begriffe zusammengetragen, die in dem Bändchen versammelt sind und als Auslese präsentiert werden. Die Empirie mag ihre Tücken haben, der Inhalt aber des Buches soll darob nicht achtlos verworfen werden. Es hat uns gleich zu sein, wer wann warum welchen Begriff in die Welt setzte und ob der wirklich Verwendung im Alltag findet oder ob er doch bei allen Betroffenen dasselbe bedauernde Kopfschütteln hervorruft wie beim Azubi Gunnar, 17, der bei der Lektüre kapituliert: "Ich weiß ja gar nichts."

Die Jugendsprache entstammt echten Jugendköpfen, vielleicht wird erst dieses Buch sie in Umlauf bringen - was tut's. Die Jugendsprache ist da, sie will geprüft werden: Wo sonst wollen wir nach dem "Land der Ideen" suchen? Die Sprache indiziert die geistige Beweglichkeit einer Generation, auf deren Schaffensdrang unsereiner sich eines Tages gerne ausruhen möchte, sich in ökonomischer Geborgenheit durch den Ruhestand tragen lassen. Also - ist Hoffnung? Gibt es sie, die neuen, taufrischen Wendungen, die einen noch einmal jung sein und mittun lassen wollen?

Der Eindruck ist ein gemischter. Wenig überraschend ist der "Kopfgärtner", als der sich der Frisör präsentiert, und es würde einen nicht wundern, wenn er schon in Shakespeares Jugend so geheißen hätte. Auch der "Kackschrubber", welcher hier die Toilettenbürste vertritt, verdient aufgrund seiner uninspirierten Eindeutigkeit keine weitere Beachtung. Und schon gar nicht soll uns scheren, wenn der Haargummi als "Haarwürger" daherkommt - kein Aha-Moment erfreut hier den Leser mit dem flackernden Aufleuchten des lebendigen Geistes.

Wenig erbaulich sind auch "Kommunikationskeule" (Telefon), "Gehirnprothese" (Taschenrechner) oder "Gedankenmanifestator" (Stift) - sie gehören ins obskure Unterreich der Lehrer-Schüler-Sprache, welche immer nur in den Mündern von Pädagogen prosperiert, die sie mit spitzem Lächeln vortragen, während nie ganz klar wird, ob sie sich gerade über den Ausdruck belustigen oder über die Vergeblichkeit ihrer eigenen Annäherung an das, was sie für jugendlich halten. "Was sagt der Chronometer?" haben solche Witzbuben zu unserer Zeit gesagt, während ihnen der müde Blick aufs Handgelenk hinuntersackte; an aufgeräumteren Tagen hießen sie uns grinsend die vollgeschriebene Tafel "virginisieren" - puh. Witz, bleib drin. Niemals glauben wir, daß je ein Schüler das Wort "Schwitzrückenseminar" für "Sauna" verwendet hat - er hätte bald keine Gesprächspartner mehr.

Hübsche Wendungen finden sich auch. Sie übertölpeln, sie schwingen. Wenn etwa der "Diebstahl" als "Fünf-Finger-Rabatt" daherkommt. Wenn man, statt betrunken zu sein, "die Kurvenschuhe anhat". Und sich daraufhin nicht etwa "übergibt", sondern "Straßenpizza" produziert. Auch der Brachialeinsatz von "optisch" bereitet Vergnügen: Besonders attraktive Personen nämlich sind "voll optisch".

Hier ist ein Spaß am knappen Danebenliegen zu spüren, am bewußten Auslassen, ja, ein Hauch von Selbstironie, der das seelische Innenleben des Sprechers als quantifizierungsfreie Rückenmarksreflexzone entwirft. Auch die Internationalisierung und der politische Korrektheitswahn bescheren uns Momente von gesellschaftsrelevanter Ironie: Es heißt nicht mehr "Fettsack". Es heißt, aus dem Amerikanischen grüßend, "horizontal benachteiligt". Man muß nicht mehr dringend eine rauchen. Man verspürt ein "Lungenbedürfnis".

Hier funktioniert Jugendsprache nicht nur als Rüpelvergnügen, sondern sie führt das Florett der Ironie gegen die Dominanten der Gesellschaft, also gegen die Sphäre aus "Rennleitung" (= Verkehrspolizei), "Rauchmeldern" (= Pausenaufsicht) und "Biotonnen" (= Vegetariern). Wie in allen Zeiten haben wir Anlaß zur Hoffnung: daß eine Jugend heranwächst, die ihren eigenen Geist hat und nicht alles abkauft, was ihr als wichtig vorgekaut wird, seien es nun OECD-Studien, UN-Besuche, klassische Sprachen oder Literaturkanoniere jedweder Couleur. Verzeihung, gemeint war: -kanoniker.

KLAUS UNGERER

"Pons Wörterbuch der Jugendsprache". Ernst Klett Verlag, Stuttgart 2005. 124 S., br., 2,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Klaus Ungerer hat skeptisch nach dem "Pons Wörterbuch der Jugendsprache" gegriffen und legt es am Ende mit einem "gemischten Eindruck" aus der Hand. Zwar sind unter den 358 Begriffen, die nach Verlagsangabe unter Mithilfe von 20 000 Schülern ausgewählt worden sind, nicht wenige, die der Rezensent in das "obskure Unterreich der Lehrer-Schüler-Sprache" verweist, das ihm in der eigenen Schulzeit bereits unangenehm aufgestoßen ist. Hier nennt er Wörter wie "Schwitzrückenseminar" für Sauna oder "Haarwürger" als Umschreibung für Haargummi. Daneben aber gibt es diejenigen Begriffe, die "Momente von gesellschaftsrelevanter Ironie" verheißen oder sich gegen die "Dominanten der Gesellschaft" wenden, bemerkt Ungerer vergnügt, der eben in der darin demonstrierten Unabhängigkeit der Jugendsprache "Anlass zur Hoffnung" sieht.

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