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»Ich trete auf das Rad des Kessels, um mich hineinzuschwingen, stelle aber wieder mal fest, dass dort kaum noch Platz fu¨r mich ist, denn da steht schon die Gasflasche fu¨r die Flammen drin. In den Boden sind Lampen eingebaut, an die ich nicht rankommen darf, weil die viehisch heiß werden. Ich habe mich bei einer Probe mal darauf abgestu¨tzt und mir dabei fu¨rchterlich die Ha¨nde verbrannt, da blieb richtig meine Haut an dem du¨nnen Schutzgitter davor kleben. Es hat ganz eklig nach verbranntem Fleisch gerochen. Warum riecht es dann beim Grillen so lecker? Liegt es an dem Salz oder dem Bier?…mehr

Produktbeschreibung
»Ich trete auf das Rad des Kessels, um mich hineinzuschwingen, stelle aber wieder mal fest, dass dort kaum noch Platz fu¨r mich ist, denn da steht schon die Gasflasche fu¨r die Flammen drin. In den Boden sind Lampen eingebaut, an die ich nicht rankommen darf, weil die viehisch heiß werden. Ich habe mich bei einer Probe mal darauf abgestu¨tzt und mir dabei fu¨rchterlich die Ha¨nde verbrannt, da blieb richtig meine Haut an dem du¨nnen Schutzgitter davor kleben. Es hat ganz eklig nach verbranntem Fleisch gerochen. Warum riecht es dann beim Grillen so lecker? Liegt es an dem Salz oder dem Bier? Oder an der Fleischsorte?«

Flake erzählt in seinem zweiten Buch, wie es sein könnte, mit einer Band wie Rammstein einen Tag unterwegs zu sein.
Autorenporträt
Flake wurde 1966 in Ostberlin geboren. Er war u. a. Keyboarder der Bands 'Feeling B' und 'Magdalene Keibel Combo'. Seit 1994 spielt er bei 'Rammstein'. Sein erstes Buch 'Der Tastenficker' ist 2015 erschienen. Flake lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2017

Mach das Licht aus, wenn du gehst

Der Rammstein-Keyboarder Flake hat einen vorauseilenden Nachruf auf die eigene Lebensform geschrieben - und das ist ziemlich kurzweilig.

Hin und wieder haben auch Spaßpunker eine Eingebung. So die Toten Hosen, als ihnen der beste Refrain ihrer Karriere zufiel, zwei Zeilen, die alles zugleich sind, Trost und Aufruhr, Amoklauf und Requiem, zwei Zeilen, die ein ganzes Leben umreißen, das wattierte, sozialversicherte, leergelaufene Leben der Deutschen: "Fünfunddreißig Jahre lang / Haken für den Duschvorhang." Ob es aber erfüllender ist, all diese Zeit am Fließband des Grölschlagers zugebracht zu haben, könnte man die Düsseldorfer inzwischen selbst fragen, denn die Hosen gibt es seit exakt fünfunddreißig Jahren. Noch krasser fällt die Lebensbilanz wohl aus, wenn man auf der Bühne nicht nur berufsjugendlich die Weltverbesserung herbeikrakeelt, sondern wie die Band Rammstein in bubenhafter Freude an Ekel, Flammen, Lärm und Schockerei jahrzehntelang einen Höllenkarneval aufführt, der längst niemanden mehr schockiert, sondern als neudeutsche Marschmusik auch Helene-Fischer-Fans gefällt. Vom Business-Standpunkt aus handelt es sich einfach um ein erfolgreiches Exportprodukt, so wie die Scorpions, Tokio Hotel, Schwarzwälder Schinken oder der Kampfpanzer Leopard.

Seit dreiundzwanzig Jahren bieten die Virtuosen der barocken Teutonenoperette ihre kräftezehrende Frontunterhaltung feil; nimmt man die Vorausband Feeling B hinzu, kommt man auch hier auf die dreieinhalb Jahrzehnte. Wie hält man das aus? Um es kurz zu machen: mit Humor. Die Rammstein-Memoiren von Keyboarder Christian Lorenz, genannt Flake, sein zweites Buch nach dem "Tastenficker" von 2015, in dem es vor allem um seine Jugendjahre in der DDR (und die Zeit bei Feeling B) ging, sind so köstlich verdattert und unabgehoben lustig, dass sich allein dafür all der Aufwand mit Schminke, Kunstblut, Pernod-Ejakulat aus Gummipenissen, stumpf hingehämmerten Riffs und dem mit Grabesstimme sisyphoshaft durch die Arenen gerollten "R" gelohnt hat.

So unsinnig es ist, dass man Rammstein im Ausland für die Inkarnation alles Knüppeldeutschen hält, so deutsch ist dann doch wieder dieses lakonische Unterlaufen der eigenen Imago: eine Abbitte fast, die zeigt, wie richtig man immer schon damit lag, den Rammstein-Hokuspokus als reflektierte und nicht bloß kindische Ironie zu verstehen. Flakes Buch, das nicht verhehlt, was es bedeutet, "sich als fünfzigjähriger Halbopa harte neue Musik auszudenken", aber zugleich mit einnehmender Bescheidenheit der Welt dafür dankt, dass sie ihm ermöglicht hat, ein Leben als "bezahlter Urlauber" zu verbringen, ist eine Narretei klassischer Spielart, ein Schelmenroman mit Sprengkraft.

Die Melancholie der Erzählung, die mit dem Wissen um die Sinnlosigkeit einer Existenz als umworbener Aggressionsrocker zu tun hat, wird in Schach gehalten von der verschmitzten Einsicht, dass es einem schon sehr gut gehen muss, um sich über in der Garderobe lungernde Groupie-Mädchen zu beschweren. Vom Glück des Starruhms ist viel die Rede. Und doch treibt Flake die Frage um, ob er - immerhin derselbe Jahrgang wie David Cameron; ein "trauriger alter Mann, der vor einer hässlichen Wand steht" - wirklich bis zum Rentenalter sein Geld mit albernen SM-Kapriolen verdienen möchte. Der Zauber des Anfangs, die Anmut, ist längst dahin: "Da halfen auch keine ausverkauften Stadien und kein Privatjet." Im Gegenteil. Der Autor schildert mit großer (mitunter allzu großer, zum Slapstick neigender) Detailgenauigkeit einen vollen Tag seines Lebens als überschätzter Musiker und Bühnenclown: Konzert in Budapest, After Show, Hotelübernachtung, Weiterflug nach Zagreb, wo sich dieselbe Prozedur wiederholen wird. Große Teile dieses Lebens finden in gesichtslosen Hotels, stinkenden Bussen und Flugzeugen statt.

Eingeflochten in die Rahmenhandlung sind nostalgische Erinnerungen an den komplett unwahrscheinlichen Aufstieg der Band, an maßlosen Alkohol- und Frauenkonsum, an Bühnenunfälle und Jungenstreiche wie den Pinkelaufguss in der Sauna oder das Stinkfruchtverstecken im Hotel (überhaupt viele Geruchswitze). Allgemeine Lebensfragen kommen nicht zu kurz: Warum riecht es "beim Grillen so lecker", während am Scheinwerfer verbrannte Pfoten fürchterlich müffeln? "Ist siebzig das neue Fünfzig? Und achtzig das alte tot?" Und ein Visionär ist Flake offenbar auch noch. Filme mit Kevin Spacey nämlich schaut er sich seit "House of Cards" nicht mehr an: "Ein Mann, der so überzeugend darstellen kann, wie er lügt, betrügt und mordet, hat wahrscheinlich auch wirklich eine dunkle Seite in sich." Angesichts der stilistischen Schlichtheit muss man konstatieren, dass das alles mit hoher Literatur so viel zu tun hat wie der Song "Bück dich" - auf der Bühne wird dabei allabendlich Flakes blanker Hintern sodomisiert - mit einer Bach-Kantate.

Das einzige rhetorische Mittel, mit dem das Buch wuchert, ist der Kalauer, und der stürzt fast immer ab: "YouTube" mit "YouPorn" verwechseln, "einen Sack Rap" in Zagreb abliefern, die "Schwester Morgana" oder der "Micha Troniker", das ist so erbärmlich, dass einem die Ironie dahinter fast egal ist. Andererseits ist es gar nicht leicht, auf dieser Strecke die Pose des sympathischen Understatements so gut durchzuhalten: "So richtig Ahnung habe ich übrigens von überhaupt nichts." Flake inszeniert sich als naives, augenreibendes Kind aus dem Nimmerland (der DDR), dem Ruhm nichts bedeutet, ein eingebetteter Beobachter, der von den Fans, die sich um Sänger Till Lindemann scharen, auch stets übersehen wird, kurz: unser Verbündeter unter den Sternen. Als Tiefstapler wiederum ist der Autor krachend witzig.

Mit den Jahren jedoch wurde der Ruhm zu Stress. Der größte Sexappeal geht heute von gesundem Müsli aus (früher waren die "Müslis" der Feind: "Wir Punks hegten natürlich eine tiefe Verachtung für diese Leute, nicht ahnend, dass wir ziemlich bald ganz genauso werden würden"). Es ist aber nicht das Grüblerische eines von Flug-, Demenz-, Inkontinenz- und Versagensangst Heimgesuchten, das hier die stärkste Wirkung entfaltet. Gerade die minutiöse Beschreibung der durchgetakteten Abläufe in einer Großunterhaltungsindustrie packen den Leser bei der Ehre: Es wird nach der Lektüre kaum noch möglich sein, bei einem Rammstein-Konzert nicht dasselbe schlechte Gewissen zu haben wie bei einer Zirkusvorstellung mit tanzenden Bären. Alldieweil während der martialischen Show denkt dieser arme Tastenyogi (alles andere als ein "Ficker") ans Altern und Sterben? Alle Träume hätten sich für ihn schließlich bereits erfüllt, heißt es einmal, dabei habe er die meisten davon "nicht einmal geträumt".

So führt Flake das System Rock 'n' Roll von innen heraus ad absurdum. Obwohl alles zuzutreffen scheint, was man mit dieser heroischen Daseinsform verbindet - Drogen, Sex und Leben-für-den-Moment -, wächst sich die anfangs nur nebelhafte Ahnung, dass alles ein gewaltiges Missverständnis, ja: Lug und Trug ist, allmählich zur Gewissheit aus. Einzig Mick Jagger wird vielleicht noch durchkommen mit dieser Nummer. Allen anderen steht bevor, was der Autor - oder sein Alter Ego - hier mit Genuss ausbreitet: die Einsicht, dass die Zeit des Rock 'n' Roll einfach vorbei ist, weil wir alle nur noch Sicherheit wollen. Fünfunddreißig Jahre lang Haken für den Duschvorhang, das heißt heute Vollbeschäftigung und ist unser größtes Ideal. Für die wenigen, die anders denken, gibt es ja den Gangsta-Rap, das letzte Refugium für rhythmisch beschwingte Doofheit.

OLIVER JUNGEN

Flake: "Heute hat die Welt Geburtstag".

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 366 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die Rammstein-Memoiren von Keyboarder Christian Lorenz, genannt Flake [...], sind köstlich verdattert und unabgehoben lustig, eine Narretei klassischer Spielart, (..) ein Schelmenroman mit Sprengkraft. Oliver Jungen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20171123