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Die Fifth Avenue im Herzen New Yorks ist die Hauptstraße des 20. Jahrhunderts. Schnurgerade geht ihr Lauf durch die Kulturgeschichte der Moderne. Einige der berühmtesten Museen der Welt liegen an ihr und epochale Bauwerke wie das Empire State Building. Stephan Wackwitz folgt ihr von einem unscheinbaren Verkehrskreisel in Harlem bis in die Künstlerwelten von Greenwich Village. Er trifft die mächtigen Kuratoren des Metropolitan Museum, erhält Zugang zu den Wohnungen der Superreichen am Central Park und beschreibt die exaltierten Bewohnerinnen von Midtown Manhattan. Und zeichnet in einzigartig…mehr

Produktbeschreibung
Die Fifth Avenue im Herzen New Yorks ist die Hauptstraße des 20. Jahrhunderts. Schnurgerade geht ihr Lauf durch die Kulturgeschichte der Moderne. Einige der berühmtesten Museen der Welt liegen an ihr und epochale Bauwerke wie das Empire State Building. Stephan Wackwitz folgt ihr von einem unscheinbaren Verkehrskreisel in Harlem bis in die Künstlerwelten von Greenwich Village. Er trifft die mächtigen Kuratoren des Metropolitan Museum, erhält Zugang zu den Wohnungen der Superreichen am Central Park und beschreibt die exaltierten Bewohnerinnen von Midtown Manhattan. Und zeichnet in einzigartig persönlicher Weise das Bild eines von Erinnerungen, Träumen, Sehnsüchten und Visionen unaufhörlich belebten Weltboulevards.
Autorenporträt
Stephan Wackwitz, geboren 1952 in Stuttgart, verbrachte 26 Jahre im Ausland und lebt heute wieder in Berlin. Neben zahlreichen Essays erschienen von ihm Romane (»Die Wahrheit über Sancho Pansa«, »Walkers Gleichung«), kulturhistorisch-autobiographische Bücher über Tokio, Osteuropa und den Kaukasus sowie historisch-biographische Bücher über seinen Großvater (»Ein unsichtbares Land«) und seine Mutter (»Die Bilder meiner Mutter«).Literaturpreise:Wilhelm-Müller-Preis 2010Samuel-Bogumil-Linde-Preis 2012Wilhelm Lehmann-Literaturpreis 2016
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2010

Diese Straßen haben immer neue Gedanken
Verwandlung des Klassenkampfs in Kulturkämpfe: Stephan Wackwitz spaziert durch New Yorks Fifth Avenue
Gut, also die Fifth Avenue diesmal. Von Norden her abgewandert und erzählt. Wäre hier ein anderer unterwegs als Stephan Wackwitz, einer jener profan erleuchteten Flaneure womöglich, dann läse sich das Ganze entweder wie die mit viel Zivilisationskritik abgeschmeckte Topographie einer für Europäer irgendwie undurchdringlichen Metropole, oder als verdammt witzige Betriebsanleitung für New York-Besucher, vulgärsoziologische Einwohnerporträts inklusive.
Man darf für diesen fulminant vielschichtigen personal essay von Wackwitz durchaus solche Varianten populärer Reiseliteratur als Vergleich heranziehen, zumal Wackwitz dies an mehreren Stellen seines Buches selbst tut. Etwa in der Mitte ist von der Pausanias-Tradition der Reiseschriftstellerei die Rede, der ethnographisch, soziologisch und geographisch präzisen Ortskunde. Ihr gegenüber steht eine irgendwie surrealistische Beschreibungskultur, in der das Gesehene poetisiert und mystifiziert wird.
Stephan Wackwitz hat sich aus diesen Modellen herkömmlicher Reiseliteratur fast ein ganz neues, jedenfalls sehr eigenes Genre gebastelt, zu dem bereits sein vorangegangenes Buch über die Metropolen und Landschaften Osteuropas zählte und das nun in „Fifth Avenue“ eine Meisterschaft gefunden hat. Es gilt, in diesem Buch die Strecke von der sozialen Urbarmachung Amerikas hin zur Abdankung der spätmodernen Boheme abzugehen. „So kann man“, schreibt Wackwitz, „die Geschichte New Yorks im 20. Jahrhundert schreiben als die Verwandlung des Klassenkampfs in Kulturkämpfe.“
Wenn man es in Personalien ausdrücken möchte, spannt sich der Bogen vom schwarzen Soldaten Henry Lincoln Johnson hin zu den Weltdemokratisierern durch Kunst, zu Andy Warhol also, zu Jackson Pollock und dem Lyriker Frank O’Hara. Johnson, die Geschichte erzählt Wackwitz als Beispiel für den endlosen Albtraum der Mordmonate des Ersten Weltkriegs, der Soldat Johnson gerät zwischen die Fronten und wird von einem deutschen Spähtrupp schwer verwundet. Er erlangt das Bewusstsein zurück und massakriert in einem spontanen Blutrausch vier deutsche Soldaten mit seinem Armeemesser. Ruhm und Ehre retten ihn nicht vorm Vergessenwerden, erst Bill Clinton verleiht dem Mann 1996 das Purple Heart. Und doch lässt sich im Gestrüpp der Geschichtsfäden auch in dieser trostlosen Episode ein kleiner Strang finden, der wieder in den großen Strom der kulturellen Erzählung zurückführt: In ebenjenem 369ten Infanterieregiment Johnsons leitete ein Mann die Militärkapelle, der den Jazz in Europa populär gemacht hat: James Reese Europe, der Erfinder des Ragtime.
So wie sich die Geschichte New Yorks nicht ohne die Schicksale jener Migranten erzählen lässt, zu denen auch Wackwitz’ Urgroßmutter 1892 gehörte, lässt sich die Fifth Avenue nicht ohne die Erfahrungen aus dem alten Europa vermessen. Überhaupt schwingt bei Wackwitz immer die Erinnerung an die Landschaften und Metropolen des europäischen Ostens mit, gelegentlich sogar so etwas wie „Heimweh nach den aus langen historischen Albträumen erwachten Städten Polens, Ungarns oder der Slowakei in den späten Neunzigern“. Im Übergang zwischen Harlem und der Upper East Side fühlt sich Wackwitz sogar an die Grenzlandschaft im Deutschland vor der Wende erinnert.
Stephan Wackwitz ist ein Liebhaber der Epiphanie, und er findet für seine Liebhaberei verlässlich die richtigen Orte. In New York, der Hauptstadt der Moderne, sind das vor allem jene Terrains, in denen der kunstutopische Zauber des 19. Jahrhunderts wirkungsmächtig geblieben ist, der Central Park als magisches Zentrum einer Stadtlandschaft, die ihre Suggestivkraft John Delano Rockefeller verdankt – mit den Parks, Naturlandschaften, dem County Home als Fortführung alteuropäischer Behaglichkeit. Wackwitz’ architektonischer und ideeller Bernstein ist jedoch das Museum of Modern Art, das für den Essayisten nicht nur ein gesamtkultureller Gedächtnisspeicher ist, „sondern auch mein bisheriges Leben zusammenzufassen scheint“.
Stephan Wackwitz’ Erzählen lebt von der Feier seines obsessiven Bildungshungers, dem beständigen Abrufen von Kunsttheorien und soziokulturellem Wissen. Und weil all dies so elegant und souverän in seine jeweilige Wirklichkeitserfahrung einfließt, gerät Wackwitz nur ganz selten in Gefahr, allzu verstiegen und bildungsbeflissen zu wirken. Zumal derlei Anwandlungen auch hübsch konterkariert werden mit der Erinnerung an die eigene Selbstüberschätzung früher Jahre.
In seinem „lebensgeschichtlichen Pleistozän“, also mit zweieinhalb Jahren, war Wackwitz bereits mit seiner Mutter in New York gewesen, die damals den Wunsch hegte, hier als Modezeichnerin zu reüssieren. Somit ist dieses Buch auch die Geschichte des deutschen Intellektuellen Stephan Wackwitz, der nach Jahren in Krakau nun die Stelle des Programmleiters beim New Yorker Goethe-Institut innehat; der in den Starbucksläden in Harlem, in den Pizzerien am Washington Square seinem permanenten Nachschlagereflex nachgeht: Alles, was in den Straßen New Yorks sichtbar wird, lässt sich mit einer Theorie nachbetonieren: „Diese Straßen haben jede Woche einen neuen Gedanken.“ Und Wackwitz hat zu jedem dieser Gedanken das passende geistesgeschichtliche Fundament – ein Verfahren, das dann besonders unterhaltsam wird, wenn es unversehens in Frage gestellt wird.
Zum Beispiel durch Wackwitz’ mühsame Liebe zu der aufsehenerregend schönen wie nervtötenden Amerikanerin Carmen, deren sinnstiftendes Trostgebäude nicht wie bei Wackwitz Rem Koolhaas und Hegel als Architekten hat, sondern Dale Carnegie und seinen Ratgeber „Sorge dich nicht – lebe“. Und dem Leser mag es am Ende dieser Liaison wie eine gnädige Entlassung in den Vernunftbereich vorkommen, wenn Carmen dem Essayisten wegen seiner angeblich kalten Intellektualität per Abschieds-E-Mail kündigt: „The energy has changed. Life has spoken.“
Diese Art von postbohemialer, überwiegend weiblicher Gesellschaft findet Wackwitz weniger in der Weltliteratur, sondern vorzüglich in der Fernsehserie „Sex and the City“ widergespiegelt, „Frauen zwischen erotischer, beruflicher und intellektueller Überqualifikation“, nennt er sie. Eine Übersteuerung, die – wenn man es nur komödienhaft deuten möchte – vor allem die echten Männer abgeschafft hat, aber das Problem ist vermutlich doch gewichtiger.
Es ist mit der sozialen Umstrukturierung legendärer Viertel wie Greenwich Village – einstmals „Spielfläche soziokultureller Arrivierung“ – auch etwas einhergegangen, das Wackwitz eine Kontinentalplattenverschiebung nennt: In dem inzwischen viel zu teuren einstigen Künstlerviertel können nur noch Anzugträger überleben, die sich Tag und Nacht in ihren Büros einrichten. Die neu erworbene und vom einstigen Bürgermeister Rudolph Giuliani erkämpfte Sicherheit und Sauberkeit hat ihren Preis: Die Halbwelt der Kleinkriminellen ist zwar weg. Aber mit ihr auch jene sagenhafte New Yorker Bohème, die von der Demokratisierung der Kultur geträumt hat.
Somit ist Wackwitz’ Essay vor allem ein wuchtiger Nachruf auf sein eigenes inneres New York, das nun nicht mehr dasjenige des Soldaten Lincoln Johnson ist, sondern eben seines, eben unser New York. Und deshalb schließt das Buch tröstlich mit einem hübschen subjektoutopischen Schlenker: Mag das alte wilde Manhattan auch verschwunden sein, so hat es doch zumindest in Stephan Wackwitz und wer weiß, womöglich in uns allen, nachhaltig gewirkt. HILMAR KLUTE
STEPHAN WACKWITZ: Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert. 265 Seiten, S. Fischer Verlag Frankfurt, 2010. 18,95 Euro.
Dieses Erzählen lebt vom
Bildungshunger, vom ständigen
Abrufen der Kunsttheorien
„Frauen zwischen erotischer,
beruflicher und
intellektueller Überqualifikation“
Hauptstadt des zwanzigsten Jahrhunderts: Die Hochhäuser von Manhattan im Jahr 1927 aus der Vogelperspektive betrachtet, am unteren Bildrand rechts ist ein Teil des Central Park zu sehen. Foto: Knorr + Hirth
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Auf eine Wanderung entlang der New Yorker Prachtmeile begibt sich Rezensent Dirk Knipphals in Stephan Wackwitz' Essay "Fifth Avenue". In Erwartung eines gemütlichen Spaziergangs muss der Rezensent schnell feststellen, dass der Autor sich einiges vorgenommen hat: Die Fifth Avenue ist für ihn Hauptstraße der Moderne und des zwanzigsten Jahrhunderts, an der sich die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ablesen lasse. So erzähle Wackwitz bei seinem Streifzug durch Harlem von den Anfängen des Ragtime in einer schwarzen Regimentskapelle und der Bedeutung des Jazz für die Anerkennung der schwarzen Kultur. Oder er bemerke in den Wohnungen der "Superreichen" an der Upper East Side, wie sehr die Innenarchitektur Manhattans an den britischen Landhausstil des 18. Jahrhunderts angelehnt sei. Wackwitz schildere seine Erlebnisse einerseits mit einer an Verliebtheit reichenden "Wahrnehmungsemphase", so der Kritiker, andererseits mit einem außergewöhnlichen Intellekt, der jeden Winkel inneren Erlebens ausleuchte. Dies zeige auch der Versuch anhand der Beschreibung einer Liebesgeschichte die Mentalität der Bewohner Manhattans nachzuvollziehen. Mit "gedanklicher Lässigkeit und Beweglichkeit" erschaffe der Autor ein kleines Kunstwerk, so der hingerissene Rezensent.

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Andrea Köhler preist Stephan Wackwitz' Essay über die New Yorker Fifth Avenue, der unter der Feder des Autors ganz neue Tiefe abgewonnen wird, wie sie feststellt. Über die "berühmteste Einbahnstraße der Welt" ist schon viel geschrieben worden, Wackwitz beweist aber einen höchst eigenwilligen Blick, indem er in der Fifth Avenue nicht nur eigene Kindheitserinnerungen, sondern die historischen und kulturgeschichtlichen Aufbruchs- und Verfallserscheinungen des 20. Jahrhunderts aufspürt, so die Rezensentin eingenommen. Insbesondere die "höchst reflektierte Anteilnahme", mit der der Autor sich den Museen und Kunstsammlungen widmet, offenbart ein zwiespältiges Verhältnis zur Kunst, das sich Wackwitz zweieinhalbjährig einpflanzte, als er mit seiner Mutter, einer aufstrebenden Modezeichnerin, nach New York zog, erfahren wir. Köhler ist dem Autor sehr gefesselt auf seinen Streifzügen durch New York gefolgt und seine Erzählung sendet für sie ein "betörend romantisches Echo" aus, besonderes wenn sie sich den Kontrast von Wackwitz' Stadtbild zum zeitgenössischen New York vor Augen führt.

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