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Fast zehn Jahre lebte Stephan Wackwitz in Krakau und Bratislava und unternahm von dort aus hunderte Reisen in ein europäisches Kernland, das uns erst seit Beginn der 90er Jahre zugänglich ist. Aber kennen wir es? Oder beginnt für uns hinter Wien noch immer das Loch in der Welt, der »Osten«, die Steppe, in der die sprichwörtlichen Böhmischen Dörfer liegen? Stephan Wackwitz führt uns durch die slowakische Boomtown Bratislava und gleich danach vor verwunschene Schlösser und Landstädtchen, in deren Museen riesige Gemäldesammlungen schlummern. Er führt uns an vergessene Orte, aus denen einst die…mehr

Produktbeschreibung
Fast zehn Jahre lebte Stephan Wackwitz in Krakau und Bratislava und unternahm von dort aus hunderte Reisen in ein europäisches Kernland, das uns erst seit Beginn der 90er Jahre zugänglich ist. Aber kennen wir es? Oder beginnt für uns hinter Wien noch immer das Loch in der Welt, der »Osten«, die Steppe, in der die sprichwörtlichen Böhmischen Dörfer liegen?
Stephan Wackwitz führt uns durch die slowakische Boomtown Bratislava und gleich danach vor verwunschene Schlösser und Landstädtchen, in deren Museen riesige Gemäldesammlungen schlummern. Er führt uns an vergessene Orte, aus denen einst die Welt aufbrach, eine andere zu werden, und begegnet Menschen, in deren Biographien die Katastrophen und Wunder des 20. Jahrhunderts noch immer lebendig sind.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Der Schamane des Ostens
Stephan Wackwitz’ Reisen
Es ist das Dilemma vieler literarischer Reisebücher, dass sie die Tradition der federleichten Flaneursliteratur fortsetzen möchten, denn heutzutage ist jeder, der durch fremde Städte, halbbekannte Regionen oder entlegene Landschaften schlendert, als Flaneur unterwegs. Das Resultat ist dann meistens ein mit sogenannter leichter Hand hingezaubertes Feuilleton über Zufallsbegegnungen, vermeintliche Stimmungen und Skurrilitäten der Einheimischen, kurz: Man bekommt eine Art Oberflächenliteratur zu lesen, die einem wenig hilfreich ist, wenn man in einen unbekannten Kosmos eindringen will.
Das Gegenteil dieser Art Reisefeuilleton ist die Erzähltechnik von Stephan Wackwitz, der schon seit vielen Jahren den Spagat zwischen verwaltender, repräsentativer Kulturarbeit und dem Schreiben belletristischer wie essayistischer Bücher macht. Wackwitz leitete zuletzt die Goetheinstitute in Krakau und Bratislava, bevor er seine Arbeit in New York fortsetzte. Und es ist jene aus lauter Grenzregionen bestehende Welt des Ostens, aus welcher, so schreibt Wackwitz, „die grundlegenden Erfahrungen und Beschreibungen unseres glänzenden und reichen westlichen Lebens” kommen. Für diese Tradition steht auch die Geschichte der Karpaten-Bäuerin Julia Warhola, deren exzentrischer Sohn Andy Warhol später in New York die Coladose zur Kunst neuformatierte. Der polnische Theaterregisseur Tadeusz Kantor nannte diese ins Künstlerische verlängerte Welt des Marginalen und Kleinen „die Realität des geringsten Ranges”, und es erscheint dem Reisenden Wackwitz wie eine Empfangsbestätigung der westlichen Welt, wenn er in einem kleinen Freiberger Hotel die Fotografie des Chrysler Building an der Wand der mährischen Gaststube entdeckt. Diese überraschenden Epiphanien betrachtet Wackwitz als Belege für die geistige Nähe jener Gegenden und Städte, auch wenn deren Namen uns nur zum Teil noch entfernt geläufig sind. „Unser ‘europäisches Körperschema’”, schreibt Wackwitz aber, „kann die Konferenzen von Jalta, Teheran und Potsdam noch nicht vergessen.”
Wackwitz gräbt sich tief in das Geflecht der östlichen Länder vor; er erzählt auf einem Fundament aus politischer Historie, Mentalitätengeschichte und persönlicher Erinnerung, und es gelingen ihm immer wieder schöne Bilder für sein melancholisches Reisegefühl: die Tragik des beruflichen Weggangs zu Lasten seines kleinen Sohnes, dem er nun über Jahre hinterherreisen muss; die Erinnerung an die eigene Kindheit und die überwältigende, ungehemmte Tränenbäche auslösende Schönheit einer Bachkantate während einer nächtlichen Autofahrt von München nach Krakau. Bratislava, das alte Pressburg, erscheint als eigentümliche Boomtown im Stil der stets sich wandelnden Metropolen Hongkong und Peking, andererseits tropft Wasser aus der Decke des Hochhauses, in dem der Reisende seine Bleibe hat.
Die Kulturleistungen des Ostens waren dem Westen über Jahrzehnte verschlossen – eine Mangelerfahrung, „die man unseren wiederaufgebauten Städten” ansehe, meint Wackwitz, dem es bei einer Promenade durch Kattowitz vorkommt, als seien „diese Straßen so deutsch wie in Deutschland selbst keine mehr.” Wackwitz stellt sich mit seinen Reflexionen in die Tradition jener großen
Reisenden der Empfindsamkeit; die Städte werden nicht einfach registriert und beschrieben, sondern auf eine schöne, altmodisch-gebildete Art erlitten und erlebt, Gelesenes und Gehörtes steht neben Architektur und Geschichte, und alles verdichtet sich zum Portrait einer Region, deren geschichtlicher und gegenwärtiger Reiz erst durch die konzentrierte Sprache des virtuosen Abschweifers Wackwitz geweckt wird. Die gelegentliche akademische Verstiegenheit seiner Exkurse kann man gut aushalten, denn sie werden vom Autor ironisiert, zum Beispiel wenn er erzählt, wie er seinen Sohn in immer weitere Sakralbauten schleppt, während dieser über seinen „uncoolen” Vater stöhnt. Als unbeteiligter Ethnologe habe er reisen wollen, schreibt Wackwitz, aber am Ende „war eine schamanische Geistreise daraus geworden”. HILMAR KLUTE
Stephan Wackwitz
Osterweiterung – Zwölf Reisen
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 224 Seiten, 17,90 Euro.
Diese Straßen hier sind so deutsch wie in Deutschland selbst keine mehr
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2010

Dass der Mensch was lernen muss

Wer hat schon einmal von Mikova gehört, von Ojcóv, Zamosc oder Petrjalka? Fast scheint es, als seien Orte mit solchen Namen wie diesen in irgendeiner fernen Welt gelegen, aber in Wirklichkeit braucht es - mit zeitgenössischer Geschwindigkeit - keinen halben Tag, um aus der Mitte Europas bis dorthin voranzukommen, wo heute - wieder - auch noch Europa ist. Allein daran zeigt sich, dass ein paar Jahrzehnte währender Kalter Krieg samt seinem Eisernen Vorhang genügte, um ganze Regionen fast völlig aus dem Bewusstsein zu löschen. Was damit hierzulande auch verlorenging, ist die Kenntnis von geistigen und politischen Zusammenhängen. Es ist deswegen ein besonderes Verdienst von Stephan Wackwitz, der lange Zeit in Krakau und Bratislava gelebt hat, dass er sich vor allem um die Restaurierung von "Beziehungen" bemüht und die zwölf Reisen seiner "Osterweiterung", die ihn unter anderem nach Pressburg, Krakau und Vilnius führen, in erster Linie der Horizonterweiterung dienen. Allerdings wären nicht so viel Bildungskoketterie mit zahllosen Zitaten und Querverweisen und etwas weniger manierierte persönliche Anmerkungen wie "Aber mein Sohn, dessen noch ungelenke vierzehnjährige Männlichkeit ich unterm Baum meiner Erinnerung an den Andric-Roman mit einer besonderen Fürsorglichkeit aus dem Augenwinkel betrachtete, war so begeistert von der Aussicht ..." gut gewesen, aber vielschichtig und vieldeutig sind die Geschichten dieses Autors auf jeden Fall.

tg

"Osterweiterung - Zwölf Reisen" von Stephan Wackwitz. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2009. 224 Seiten. Gebunden, 17,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Stephan Wackwitz ist weder ein oberflächlicher Flaneur noch ein Sachverwalter von Eindrücken, diagnostiziert Hilmar Klute. Auf eine "schöne, altmodisch gebildete Art" werde bei Wackwitz Osteuropa nicht bereist, sondern "erlitten". Mit diesem wiederum sehr anmutigen Ausdruck meint Klute wohl, dass Wackwitz nicht nur mit dem Auge sieht und beschreibt, sondern das Gesehene in ein Kulturgefüge ein- und zum Schwingen bringt, dass es dem Rezensenten eine reine Freude ist. Bildungshuberisch werde es nie, weil der Leiter diverser Goethe-Institute die Kunst der Selbstironie beherrscht. Und auf melancholischem Grund ansehnlich schöne Reisebilder heranzieht.

© Perlentaucher Medien GmbH