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"Kaum hat der Mensch seinen Schreibtisch aufgeräumt, so glaubt er schon, es sei Ordnung möglich", sagt Arnold Stadler, aber "Ordnung ist wohl nur eine Charakterfrage und beweist gar nichts." Das Unaufgeräumte ist das Ordnungsprinzip von Stadlers Literatur. In 'New York machen wir das nächste Mal' erzählt er traurige und verträumte Geschichten: Es gibt ein unverhofftes Wiedersehen mit den alten Bekannten aus Stadlers großen Romanen, den schmerzhaft Verliebten und mit großer Geste Schüchternen. Es sind die, die ankommen und trotzdem nicht bleiben, die abreisen, um zu leben, die Ordnungs- und…mehr

Produktbeschreibung
"Kaum hat der Mensch seinen Schreibtisch aufgeräumt, so glaubt er schon, es sei Ordnung möglich", sagt Arnold Stadler, aber "Ordnung ist wohl nur eine Charakterfrage und beweist gar nichts." Das Unaufgeräumte ist das Ordnungsprinzip von Stadlers Literatur. In 'New York machen wir das nächste Mal' erzählt er traurige und verträumte Geschichten: Es gibt ein unverhofftes Wiedersehen mit den alten Bekannten aus Stadlers großen Romanen, den schmerzhaft Verliebten und mit großer Geste Schüchternen. Es sind die, die ankommen und trotzdem nicht bleiben, die abreisen, um zu leben, die Ordnungs- und Glückssucher, die sich in diesen Denkbildern und Episoden wiedertreffen und so einen Empfang bereiten für ein weiteres Kapitel des einen, großen Werkes, an dem Arnold Stadler unermüdlich schreibt.
Autorenporträt
Arnold Stadler wurde 1954 in Meßkirch geboren. Er studierte katholische Theologie in München, Rom und Freiburg, anschließend Literaturwissenschaft in Freiburg, Bonn und Köln. Er lebt und schreibt in Berlin, in Sallahn unweit der Elbe und in Rast über Meßkirch. Arnold Stadler erhielt zahlreiche bedeutende Literaturpreise, darunter der Georg-Büchner-Preis. Zuletzt erschienen die Romane »Rauschzeit« und »Am siebten Tag flog ich zurück« sowie der Künstleressay »Mein Leben mit Mark«.Literaturpreise:- 1989 Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung für »Ich war einmal«- 1994 Hermann-Hesse-Preis - Förderpreis für »Feuerland«- 1995 Nicolas-Born-Preis für Lyrik der Hubert-Burda-Stiftung- 1996 Thaddäus-Troll-Preis- 1996 Kulturpreis "Der Feldweg" von der Museumsgesellschaft Wald- 1997 Märkisches Stipendium für Literatur- 1998 Marie-Luise-Kaschnitz-Preis- 1998/1999 Stadtschreiber von Bergen-Enkheim- 1999 Alemannischer Literaturpreis- 1999 Georg-Büchner-Preis, für seine autobiographisch gefärbten Romane- 2002 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg- 2004 Stefan-Andres-Preis- 2004/2005 Stipendiat des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg- 2006 Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin (FB Geschichts- und Kulturwissenschaften, Seminar für Katholische Theologie- 2009 Kleist-Preis - 2010 Johann-Peter-Hebel-Preis, der besonders Stadlers autobiographisch geprägte Trilogie »Feuerland«, »Ich war einmal« und »Mein Hund meine Sau mein Leben« würdigt- 2014 Bodensee-Literaturpreis
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Erinnerungen sind Schnee von gestern

Arnold Stadler reist in die Provinz und zeichnet von deren Rändern aus das Trauma eines ganzen Landes nach.

Von Pia Reinacher

Mit dem neuen Buch ist Arnold Stadler zurück in seiner alten Welt. Von der süddeutschen Provinzlandschaft zwischen Schwackenreute, Messkirch und Rast aus vermaß er schon in der autobiographischen Trilogie "Ich war einmal" (1989), "Feuerland" (1992) und "Mein Hund, meine Sau, mein Leben" (1994) die Welt. Aus der spöttischen Beobachtung des Kleinen kam er zu bestürzenden Einsichten über die Mechanik des großen Ganzen. Die Heimatsüchtigkeit dieses einsilbigen Selbstbezichtigungskünstlers vom Bodensee war schon immer die Quelle seiner literarischen Inspiration - ein schier unerschöpfliches Stoffreservoir, das ihm Flügel verlieh und Sprache gab.

Jetzt ist er mit "New York machen wir das nächste Mal. Geschichten aus dem Zweistromland" zurück im alten Territorium. Wer jetzt meint, mit Nachrichten aus der Provinz mit ihrer typischen Kleinräumigkeit, ihrer geistigen Kurzatmigkeit, ihrer moralischen Verknorztheit und ihrer Sprachlosigkeit ließe sich nichts zur grundsätzlichen Befindlichkeit des Menschen sagen, der täuscht sich. Gerade die präzise Kenntnis der übersichtlichen Verhältnisse des "Mutterlandes" erlaubt es Arnold Stadler, exemplarische Geschichten zu erzählen über die Träume und Albträume des Zeitgenossen.

Auch die zehn Kapitel von "New York machen wir das nächste Mal" feiern die Wiederauferstehung der Kindheit im Text. Von Anfang an ist die gleichzeitig warme, leicht ironische und ziemlich lakonische Erzählstimme da, die wir schon aus der Trilogie kennen und die den Leser vom ersten Satz an einlullt. Wenn Arnold Stadler erzählt, geht es zu wie im Märchen, genauso böse und entlarvend, so komisch und abgründig. Fast wirkt es, als würde er jedes Mal ritualartig anheben mit einem "Es war einmal, vor langer, langer Zeit" und mit dem bedeutungsvollen "Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch" enden. Uralte Formeln, die alles möglich machen und die Zeit ins Unendliche dehnen. Kein Wunder, spricht Stadlers Erzähler schon auf den ersten paar Seiten von "Kinderträumen", denen er nachhänge, aber "die Zeit schien, unweit vom Himmelreich damals schon Ewigkeit zu sein, als wäre die Ewigkeit ein Stück von ihnen. Doch aus jenem ersten Leben wurde bald Schnee von gestern. Was waren schon Kinderträume! Waren sie nicht wie die Erinnerungen Schnee von gestern? Und auch das Kapitel von Schriftstellern und Verliebten, die ihre große Zeit hinter sich hatten?"

Sein Buch kennt keinen kohärenten Erzählfaden und keinen zusammenhängenden Plot. Es ist eher ein erzählerischer Mahlstrom, der Bilder und Erinnerungen an die Oberfläche spült und durcheinanderwirbelt. Die zehn Kapitel zerfließen in viele Einzelbeobachtungen, tagebuchartige Notizen, Textminiaturen, Kurzkommentare und Sentenzen. Es gibt Löcher darin, Leerräume, Pausen und Auslassungen. Aber fast immer kreisen seine Erzählungen um die Suche nach dem Glück und um die Vergänglichkeit.

Einmal taucht aus dem Nebel der Erinnerung die alte Dorle auf. Es ist die Zeit der Rübengeister vor Allerheiligen, in der mit einem grausigen Spiel an Tod und Sterblichkeit erinnert wird. Die Kinder haben Rüben vom Feld geholt und eine Maske daraus geschnitzt mit Augen, Nase und Mund. Jetzt wandeln sie geisterhaft durchs Dorf, stellen die hohlen Schädel, in deren Innerem Kerzen flackern, auf Fensterbänke und Treppenabsätze. Vor allem die alte Dorle, die allein lebt, wollen sie erschrecken mit dem grinsenden Rübenkopf. Die Alte aber hat längst begriffen, dass die Kinder vor dem Haus lauern. Sie öffnet die Türe und schreit "hu, hu" in die dunkle Nacht hinaus, wo die Kinder vor Freude kreischen - genauso, wie die Frau im Hause drinnen unbändig lacht vor Vergnügen, dass sie die Kinder täuschen konnte.

Macht und Ohnmacht spiegeln sich in vielen dieser Texte, die das Leben schrieb. Etwa in jener der Geometrielehrerin Assunta Himmelheber, deren Vater noch Ritterkreuzträger und SS-General gewesen war und die jetzt die Kinder an der Wandtafel tüchtig maßregelt. Oder in der Geschichte von der Mutter, die eines schönen, klaren Tages im Sommer mitten auf dem Feld steht mit nichts als einer Heugabel in der Hand. Sie denkt nichts und weiß von nichts. Bis ein Tiefflieger kommt mit einem einzelnen Menschen darin, dem sie in die Augen sehen könnte und der vergebens versucht, sie zu treffen. Die Erinnerung an Onkel Anton steigt auf, der Priester werden sollte - und dann spurlos im Osten verschwand. Und wie der andere Bruder, ein schöner Mann, noch nicht einmal erwachsen, im Frühjahr 1945 starb, während den letzten Kriegstage, ein Kindersoldat. Wie sich die Großmutter jetzt mit ihrer Schwester zu einer Wallfahrt nach Altötting aufmacht, weil sie glaubt, eine solche Reise könne etwas ausrichten gegen das Unglaubliche, das sie sich zu glauben weigert. Wie sie bis zu ihrem frühen Tod noch viele Rosenkränze betet, weil sie hofft, das könnte die Kinder zurückholen.

Oder die Erinnerung an den Vater, der durch das kalte, schwere Wasser der Elbe schwimmt, um sich zu retten, während ein paar Soldaten von der Landseite her auf ihn schießen - und wie er, weil er ja den Lebensretterschein der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft besitzt, tatsächlich überlebt. Wobei die Mutter erst später erzählt, wie ihr Mann, der nie ein Wort über den Krieg verlor, noch mit 86 Jahren, von Albträumen gequält, im Schlaf "Nicht schießen!" schreit und wie der Doktor rät, ihn nicht aufzuwecken. "Das Leben geht weiter", meint Stadlers Erzähler sanft, "aber nicht sofort. Man konnte auf Sekunden noch etwas hören, als wäre es verhallender Donner."

Das sind die Erfahrungen, die das Leben den Menschen aufzwingt. Arnold Stadler berichtet uns davon in dieser unnachahmlichen Mischung aus Harmlosigkeit und Naivität, die unversehens umschlägt in erbarmungslosen, tieftraurigen Schmerz. Wieder enthüllt er gnadenlos das Unaussprechliche unter der dünnen Schicht des Ausgesprochenen. Wieder zeichnet er von den Rändern der Provinz aus die verborgene Vergangenheit des Landes nach - sein Schicksal, sein Trauma. Und Schwackenreute fungiert dabei als Nabel zur Welt. Arnold Stadler erspart den Lesern nicht die unauflösbare Mischung aus Glück und Unglück. Die heile Welt der Kindheit beschwört er in seinem neuen Buch ein weiteres Mal herauf, um sie mit einem Ruck vom falschen Glanz der Idylle zu befreien und die Ränder des Schmerzes zu entblößen.

Arnold Stadler: "New York machen wir das nächste Mal". Geschichten aus dem Zweistromland.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 210 S., geb., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eben, von wegen New York - Schwackenreute lebt! Rezensentin Pia Reinacher ist es gleich, wo Arnold Stadler zu schreiben anhebt. Dass er den Leser zurückführt in die Heimat und die Kindheit, weiß sie doch sicher. Und auch der Ton ist der gleiche nach längerer Pause: märchenhaft, warm, komisch, lakonisch. Stadlers Kniff aber ist ein anderer. Dass dieser Strom aus Bildern und Erinnerungen, Kommentaren und Sentenzen vor den Augen der Rezensentin wenn nicht zu einem kohärenten Plot, so doch zu einer Erkundung des Schmerzes und des Unausgesprochenen wird, macht Stadlers Texte für sie so welthaltig, gültig weit über Schwackenreute hinaus.

© Perlentaucher Medien GmbH