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Heinrich Manns Briefwechsel mit Félix Bertaux ist ein außergewöhnliches Zeugnis der politischen, intellektuellen und literarischen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, er ist »das einzigartige Dokument einer deutsch-französischen Freundschaft in schwierigen Zeiten.« (Wilfried F. Schoeller, Süddeutsche Zeitung). Seit dem ersten Weltkrieg versuchte Heinrich Mann Deutschland nach dem Beispiel Frankreichs zu höherer geistiger und damit sozialer Sittlichkeit zu drängen. Der Germanist Félix Bertaux war seit 1923 der einzige Freund, der dieses ideale Frankreich für ihn verkörperte. Von ihm fühlte…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Manns Briefwechsel mit Félix Bertaux ist ein außergewöhnliches Zeugnis der politischen, intellektuellen und literarischen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, er ist »das einzigartige Dokument einer deutsch-französischen Freundschaft in schwierigen Zeiten.« (Wilfried F. Schoeller, Süddeutsche Zeitung).
Seit dem ersten Weltkrieg versuchte Heinrich Mann Deutschland nach dem Beispiel Frankreichs zu höherer geistiger und damit sozialer Sittlichkeit zu drängen. Der Germanist Félix Bertaux war seit 1923 der einzige Freund, der dieses ideale Frankreich für ihn verkörperte. Von ihm fühlte er sich zudem als Schriftsteller verstanden, und ihm öffnete er sich bis in seine Selbstzweifel und seine privaten Bedrängnisse. Zur Sprache kommen in ihrem Briefwechsel das Bemühen um die deutsch-französische Verständigung in den zwanziger Jahren und der anschließende Versuch, den Widerstand gegen den Faschismus in Deutschland und gegen den drohenden Krieg so einheitlich, so militant undso humanitätsfördernd wie möglich zu gestalten. Beides waren aber schließlich Erfahrungen des Scheiterns. Zu lesen ist auch vom Entstehen der Bücher Heinrich Manns - vor allem über die beiden Exil-Romane über den König »Henri Quatre«. Es wird deutlich, welche Faktoren das alltägliche Leben eines deutschen Schriftstellers bestimmten, der ins Exil getrieben schließlich immer mehr vereinsamte.
»Die Bedeutung dieses Briefwechsels für unsere Kenntnis Heinrich Manns ist kaum zu überschätzen. An Aufschlußkraft für Heinrich Manns Leben und Schreiben steht sie demjenigen mit seinem Bruder Thomas nicht nach.« (Heinrich Detering)
Autorenporträt
Mann, HeinrichHeinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, begann nach dem Abgang vom Gymnasium eine Buchhhandelslehre, 1891/92 volontierte er im S. Fischer Verlag. Heinrich Mann hat Romane, Erzählungen, Essays und Schauspiele geschrieben. 1933 emigrierte er nach Frankreich, später in die USA. 1949 nahm er die Berufung zum Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Künste in Ost-Berlin an, starb aber 1950 noch in Santa Monica/Kalifornien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2003

Wahlbrüderschaft
Auf verlorenem Posten: Der Briefwechsel zwischen Heinrich Mann und Félix Bertaux 1922 bis 1948
„Der Bruder” hieß vor gut einem Jahrzehnt die Heinrich-Mann-Biographie von Willi Jasper provozierend. Dieser Titel einer schon lange fehlenden ersten Biographie war ein bitterer Reflex darauf, dass Heinrich Mann sich noch im posthumen Stadium des unendlichen Zwistes mit dem vier Jahre jüngeren Bruder in aussichtsloser Lage befand. Auch die Nachwelt scheint den von faustischen Tiefen wie den Höhen des Zauberbergs angezogenen Nobelpreisträger immer viel lieber gemocht zu haben als den stolzen Zivilisationsliteraten, der sich an die sozialen Mittellagen und Halbwelten gehalten hat, in denen er die autoritären Charaktere von Kaiserreich und Republik fand, aber wohl auch die „erotische Erregbarkeit”, in der er schon 1906 die romanischen Demokratien wurzeln sah.
Nie besaß der politisch und literarisch gradlinigere Heinrich Mann die abgründige Aura des jüngeren Bruders. „Lebende Soziologie, Kritik als Leben, Erkenntnis, die sich abspielt und jedermann angeht, Vergeistigung des langen Alltags” – was Heinrich Mann mit Blick auf die französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts für sich reklamierte, hat im Land der tiefgründigen Dichter immer den Charakter nüchterner Arbeit behalten, die ohne Aura und meist auch ohne großen Nachruhm auskommen muss. Dass Heinrich Mann bei allen Differenzen zum Bruder jedoch keine weniger imposante Gestalt eines bürgerlichen Schriftstellers war, zeigt sein Briefwechsel mit Félix Bertaux.
Der französische Germanist Félix Bertaux, zum Kreis um die „Nouvelle Revue Francaise” gehörend und mit Größen der französischen Literatur wie André Gide oder Roger Martin du Gard befreundet, war zehn Jahre jünger als Heinrich Mann, in der zweiten Lebenshälfte aber sein wichtigster Freund und Korrespondent. „Für uns Nichtgläubige ist die Freundschaft unsere Kommunion”, schrieb ihm Bertaux kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, eine überraschend inbrünstige Geste in einer Korrespondenz, die nicht nur an die stilistische Eleganz, sondern auch den kühlen Rationalismus eines Montaigne anknüpfte. Die sich schnell einstellende Freundschaft, nachdem Heinrich Mann 1922 von Bertaux zu einem der Sommertreffen des literarischen Gesprächskreises von Pontigny eingeladen worden war, haben beide als Glücksfall empfunden. Für Mann war sie dies in mehr als einer Hinsicht.
Es muss für ihn wie Balsam auf den Wunden des seit Herbst 1914 eskalierten Bruderzwistes gewirkt haben, als Bertaux ihn 1922 in der „Nouvelle Revue Francaise” als maßgeblichen Repräsentanten einer diesseits des Rheins sonst nur wenig entwickelten „politischen Kultur” würdigte und wohlwollend vom „im Germanismus versteinerten” Bruder abhob. Dieses Urteil aus Heinrich Manns heimlicher Heimat war ein solides Fundament ihrer literarisch-politischen Freundschaft, die bis zu Bertaux’ frühem Tod im Herbst 1948 alle äußeren Turbulenzen unbeschadet überstand. Selbst die Okkupationszeit hat die Korrespondenz zwar unterbrochen, weil Mann seit 1940 wie ein verirrter Alt-Europäer im sonnigen Kalifornien lebte, aber nicht die Hoffnung zerstört, die sie von Anfang an verband: dass die deutsch-französische Verständigung zum Bollwerk der Vernunft gegen Europas Hang zur Selbstzerfleischung werden möge.
Die Vorbildlichkeit ihres Gegenentwurfs wird keineswegs dadurch gemindert, dass Heinrich Mann – wie Félix Bertaux’ Sohn Pierre in seinem Vorwort anmerkt – einem recht idealisierten Bild von Frankreich anhing, das er „kultivierte, weil er es brauchte.” Gebraucht hat er es wohl vor allem als existenzielles wie literarisches Gegengewicht zur deutschen Misere, die ihn nach 1933 weit elementarer traf als den Bruder. Doch ohne eine Sympathie, die ja stets vor allem die Vorzüge der anderen Seite im Auge hat, wäre es in dieser Zeit der exzessiven Nationalismen wohl kaum möglich gewesen, nicht an den Widerständen gegen die in der Freundschaft antizipierte Verständigung zu verzweifeln.
Vielleicht haben sich Mann und Bertaux sogar ein wenig zu gut verstanden. Ihre fast makellose Überstimmung in literarischen und politischen Fragen hat in diesem Briefwechsel jedenfalls ihren Preis. Es fehlt darin manchmal ein Moment jenes Widerspruchsgeistes, der ihrem Austausch über die entstehenden Romane Heinrich Manns wie ihren Reflexionen über die politischen Verwerfungen eine andere Tiefendimension hätte geben können. Allerdings wussten beide genau, wie verloren der Posten war, auf dem sie sich als anti-nationale Republikaner des Geistes befanden. „Wir Männer der Linken werden besiegt, obwohl wir Recht haben, denn Recht zu haben ist nicht genug”, schrieb Bertaux 1933, und so blieb ihnen oft nichts übrig, als sich wenigstens in einem „Optimismus des Pessimismus” zu bestätigen.
Diese Eintracht scheint gerade Heinrich Mann, von dem gut vier Fünftel der Briefe stammen, weil die meisten von Bertaux verloren gingen, besonders geschätzt zu haben. Nicht erst im Exil erhielt er von Bertaux einen Zuspruch, der ihn für das auch nach der Versöhnung untergründig stets heikel bleibende Verhältnis zum Bruder entschädigt haben mag. Immerhin ist manchmal auch zu ahnen, wo Differenzen höflich übergangen wurden. „Faschismus und Bolschewismus sind nur die Kehrseiten derselben Politik”, hatte Félix Bertaux im März 1933 geschrieben, und von dort führte eigentlich kein Weg zur Volksfrontpolitik, um die sich Heinrich Mann vor den Märzwahlen noch in Berlin und später im Exil bemüht hat.
Nach 1933 erhielt die Freundschaft zusätzlich eine sehr alltagspraktische Note. Plötzlich von allen deutschen Publikationsmöglichkeiten abgeschnitten, war es für Heinrich Mann ein Glücksfall, in Frankreich ein beträchtliches Renommee und einen einflussreichen Freund wie Bertaux zu haben, der mit seinen Kontakten zu seinem wichtigsten Wegbereiter wurde. Heinrich Manns glänzendes Französisch tat ein übriges, ihm auch im Exil politischen Einfluss und die materielle Existenz zu sichern. Sein Vertrauter in privaten Dingen war Bertaux schon länger, was die erstaunlich offenen Briefe Manns zeigen, als er sich 1928 unter großer Anteilnahme der Berliner Boulevardpresse von seiner ersten Frau getrennt und mit der Schauspielerin Trude Hesterberg liiert hatte.
Bertaux wurde Manns Vertrauter auch bei der Arbeit an den beiden Teilen des „Henri IV”, seinen bedeutendsten Romanen derExilzeit, und überdies sein Finanzverwalter. Die Fülle biographischer Details, bis hin zu genauen Konspekten seiner Vermögensverhältnisse, ist so groß, dass jede künftige Heinrich Mann-Biographie gut daran tun wird, diesen Briefwechsel und seinen vorzüglichen Apparat auszuschöpfen. Doch zeigt er auch das Dilemma, in dem Heinrich Manns Nachbild bis heute steckt. Als die Drucklegung dieser Korrespondenz fast abgeschlossen war, wurden in Prag fünfzehn Kästen mit Manuskripten, Dokumenten und 1200 Briefen an ihn entdeckt, darunter auch einige von Félix und Pierre Bertaux, die dieser Ausgabe noch angefügt sind. Man kann zwar hoffen, dass so auch andere, ebenfalls lückenhafte Briefwechsel ergänzt werden könnten, etwa der mit dem Bruder. Aber die lückenhafte Überlieferung seines Nachlasses dürfte nachhaltig dazu beigetragen haben, dass Heinrich Mann „der Bruder” geblieben ist. „Man muss trotz allem seinen Garten bestellen”, heißt es in seinem letzten Brief an Bertaux. Voltaires „Candide”, an dessen Schluss das steht, war eine Satire auf den Optimismus.
UWE PRALLE
HEINRICH MANN und FÉLIX BERTAUX: Briefwechsel 1922 – 1948. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 799 Seiten, 49,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2003

Eiseshauch und Feueratem
Grenzgänge: Der Briefwechsel Heinrich Mann und Félix Bertaux

Im Krieg 1870/71 wurde ein junger Franzose aus Lothringen von preußischen Soldaten als Geisel verschleppt. Er hatte Glück und kehrte unversehrt zurück. Seinem jüngeren Bruder aber gab er einen Rat fürs Leben: "Die da, die kommen wieder! Lern du Deutsch!" Der Bruder lernte Deutsch und wurde erster Germanistikprofessor der Universität Lille. Auch der Sohn lernte Deutsch, wurde Germanist und Lehrer in Paris; vor allem aber wurde er der beste Freund des Schriftstellers Heinrich Mann. Und noch der Enkel lernte Deutsch und wurde ein bedeutender Hölderlin-Forscher. Pierre Bertaux war sein Name (er starb 1986), und er erzählt die Gründungslegende einer Germanistendynastie mit ihrer grenzübergreifenden Versöhnungsmusik im Vorwort des Briefwechsels von Heinrich Mann und Félix Bertaux. Es handelt sich um die wichtigste Korrespondenz in Manns zweiter Lebenshälfte; bisher war sie verstreut und nur in Auszügen veröffentlicht. Jetzt ist sie nach langer Vorbereitungszeit als Denkmal dieser großen deutsch-französischen Freundschaft in sorgfältig kommentierter Ausgabe erschienen.

Das besondere Interesse des 1881 geborenen Félix Bertaux galt einer literarischen Pflanze, die in Deutschland lange nicht gedeihen wollte: dem sozialen Roman. Daß Heinrich Mann, der die großen Gesellschaftsdarsteller der französischen Literatur zu seinen Lehrmeistern gemacht hatte, zum Autor seiner Wahl wurde, ist kaum erstaunlich. "Er legte die deutsche Gewohnheit ab, den Roman in Herzensergießungen und lyrische Beschreibungen zerfließen zu lassen", schreibt Bertaux in seinem vorzüglichen Porträt des Autors von 1924, das im Anhang des Bandes abgedruckt ist.

"Der Untertan", 1916 noch in einer Privatauflage von zehn Exemplaren erschienen, wurde nach dem Ersten Weltkrieg zum Bestseller; es war das Buch der Stunde, der Roman zum Systemwechsel, eine musterhafte Selbstkritik Deutschlands, die, sollte man denken, in Frankreich auf Zustimmung stoßen mußte. Indes hielt man dort, so kurz nach Kriegsende, die enthusiastische Rezeption des "Untertan" für ein Täuschungsmanöver: Es solle wohl so scheinen, als sei das kaiserliche Deutschland bereits überwunden. Bertaux dagegen bewunderte das Buch und wollte ihm in Frankreich Geltung verschaffen. Für die Bemühungen bedankt sich Heinrich Mann 1922 im ersten Brief: "Ich hoffe, daß Sie unserer gemeinsamen Sache, der Verständigung damit nützen werden . . . Längst ist meine Überzeugung, daß, im Geistigen wie im Materiellen, die Länder Europas, besonders aber Frankreich und Deutschland, sich annähern und ausgleichen müssen, wenn unser Erdtheil lebendig erhalten werden soll."

Das klingt heute immer noch schön, auch wenn es selbstverständlich geworden ist. Damals war es alles andere als das. Heinrich Mann ist ein Pionier der deutschfranzösischen Verständigung. Die Leichtigkeit des Mediterranen war ihm zum Lebenstraum, zum Gegenbild der autoritären wilhelminischen Gesellschaft geworden - muffige Romantik hier, lächelnder Rationalismus dort. Gegen die von der Propaganda gehätschelte Erbfeindschaft, gegen die Revanchegelüste, Siegesfeiern und Sedantage setzte er seine Frankophilie durch.

Im Jahr 1923 beteiligte er sich am ersten offiziellen Intellektuellen-Treffen der beiden Länder nach dem Krieg und lernt Bertaux persönlich kennen. Weder der Ruhm noch der Altersunterschied - Bertaux war ein Jahrzehnt jünger - hinderten, daß bald ein geradezu liebevolles Verhältnis entstand. Zwei Jahre später folgte der Gegenbesuch in München. Auch die Familien kamen zusammen. Man traf sich in den Pyrenäen, Heinrich Mann führte den Studenten Bertaux ins Berliner Kulturleben ein, machte Golo Mann mit ihm bekannt - eine weitere Lebensfreundschaft war gestiftet. Man sah sich öfter, als Mann 1933 ins Exil ging und seinen Wohnsitz in Nizza nahm.

Heinrich Manns Engführung von Literatur und Moral, von Geist und Tat ist viel gerühmt und viel gescholten worden. Wie überlebt klingt heute seine hochherzige Formel des "Geistes", womit die Literatur, die Gesellschaftskritik, das Gute an sich gemeint ist. "Gutgesinnte" müssen "zum Guten bereit sein" - das ist die Quintessenz seiner Ästhetik der Intervention. Über seine Kaiserreich-Trilogie wollte er das Motto "Die gute Lehre" stellen, wie aus einem der Briefe hervorgeht. Diese Wendung zum Grundgütigen irritiert bei einem Autor, der in seinen Romanen vor allem scharf-satirische Kritik an einer Zivilisation übte, "die 20 Jahrhunderte lang die Beutelschneiderei vervollkommnet hat". Noch in den ersten Jahren des Briefwechsels ist er sehr kapitalismuskritisch gestimmt: "Die wirthschaftliche Weltauffassung ist unser Verderben geworden." Das sind Begleitreflexionen zur expressionistischen Dämonisierung des Großindustriellen, wie man sie in der Stinnes-Novelle "Kobes" findet.

Als repräsentativer Kulturträger der Weimarer Republik wurde Mann gelobt, mit seinen Werken wußten die Rezensenten indes oft wenig anzufangen. "Mit der literarischen Kritik steht es hier schlimm", klagt der Autor nicht nur einmal. Sie gebe ihm "im Grunde nur Kälte und nie tiefes Eingehen". Bertaux gab ihm, was er brauchte. "Dank des Feuers Ihres Atems, der Materie wie Lava schmilzt, wird der historische Roman ein Roman von brennendstem unmittelbaren Interesse", meinte er 1939 über den zweiten Band des "Henri Quatre". Insbesondere die französischen Passagen hatten es ihm angetan: "Von den Moralités bin ich hingerissen . . . Hier ist eine Prosa, die der französischen Sprache höchste Ehre macht: sie wiederholt nicht einfach das Beste des sogenannten ,klassischen' Stils - sie steigert es." Diese Bewunderung für Manns Lebenswerk hat die Freundschaft sehr beflügelt.

Ein zentrales Thema der Briefe ist die Politik. Mit gemischten Gefühlen beobachten die beiden Freiheitsfreunde, "wie das hundertjährige System des Liberalismus vor unseren Augen abstirbt". Die Demokratie habe ein unerlaubtes Maß übler Eigenschaften gezeigt, schreibt Mann. Da habe dann selbst die Diktatur keinen Schrecken mehr. "Noch rechts- und gesetzloser, räuberischer und mörderischer kann sie nicht sein." Andererseits bemerkt er 1926 mit Sorge: "Von der Diktatur halte ich auch wegen der Diktatoren nichts. Besonders erwarte ich in Deutschland immer nur von üblen Menschentypen, daß sie Diktatoren werden."

Er sollte recht behalten. Zunehmend wurde Mann zur Haßfigur der Rechten. In einem Brief von 1932 berichtet er von einem Angestellten, der als "Heinrich Mann" im Berliner Telefonbuch stehe und deshalb fortwährend beleidigende Anrufe erhalte. "Geist hassen sie wirklich", urteilt er über die Nazis, "während die Juden ihnen nur Anlaß für populäre Späße sind." So ergeht er sich in Prognosen, die oft hellsichtig und noch öfter realitätsblind erscheinen. Bertaux spricht einmal von jenen engagierten Linken, "bei denen guter Wille und Edelmut mit so viel Unwissenheit gepaart sind". Nein, er meint nicht den Freund, aber der Leser bezieht es unwillkürlich auf ihn, der die Politik nach 1933 zunehmend von der kabarettistischen Seite nehmen möchte: Es handele sich "nicht einmal um Barbarei, sie würde ich gern alles hinwegfegen sehen. Nein, es ist vielmehr, was ich die Herrschaft der Verkrachten nenne. (. . .) Gut, daß man sich mal amüsieren darf!"

So schrieb er denn angestrengt komische Aufsätze, in denen er Hitler als Politclown zu entlarven suchte. "Ihm ist es bloß um die Wirkung zu tun, die erzielt werden soll, und er bricht zusammen angesichts jeder wirklichen Kraft . . ." Er übertrug auf Hitler jene Psychologie des Schauspielers an der Macht, die Wolfgang Buck im "Untertan" anhand von Wilhelm II. entwickelt: prahlerische Rhetorik, Wirkenwollen um jeden Preis, Fassadenwirtschaft, Kriegsgeschrei - ohne wirkliche Fähigkeit zur "Tat". Intuitiv hat Mann damit früh viel Zutreffendes am Phänomen Hitler erfaßt; andererseits entgeht ihm auf diese Weise der blutige Ernst, auf den dieser es anlegte.

Die merkwürdigen Urteile häufen sich mit zunehmendem Abstand von Deutschland. Im Juni 1934 schreibt er: "Vor allem bilde ich einen Kontrast zu anderen Emigrantenstimmen, die sich alle Mühe gegeben haben, die Größe der Gefahr zu übertreiben. Ich nicht." Die Emigranten seien die einzigen, die an den Bestand des Regimes glaubten. Überhaupt gebe es keine Nazis mehr "außer jenen, die dafür bezahlt werden, daß sie es sind", meint er 1935.

Ende 1937 ist ihm das faschistische Getöse nichts als ein "Versuch von Leuten, die am Ende sind". Die Ereignisse "werden von uns ausgelegt, und sie werden immer die Bedeutung annehmen, die unser Mut oder unsere Verzagtheit ihnen beilegen". So tritt Mann denn unverzagt dem "leider verbreiteten Eindruck entgegen, die faschistischen Staaten würden immer stärker. Im Gegenteil, sie werden immer schwächer." Nun spielte er sogar die unmittelbare Weltkriegsgefahr herunter: "Ich setze Vertrauen in den Mangel an Ernsthaftigkeit, der überall herrscht, und besonders in Berlin. Die Lügner werden sich nicht schlagen."

Die Exiljahre bis 1940 waren eine gute Zeit in Manns Leben. Er war eine Größe in Frankreich und konnte in zwei Sprachen publizieren. Er selbst spricht von den "acht glücklichen Jahren in Frankreich", wobei die Arbeit am Henri-Roman "die Freuden meines französischen Exils noch mehrte". Dies alles ist sicher ein Grund dafür, daß der "Hindenburg des Exils", wie Ludwig Marcuse spottete, die aufziehende Katastrophe ungeachtet seines regen Antifaschismus nicht recht in den Blick bekam.

Bertaux ist für ihn Korrekturleser, Lobredner, Finanzberater und Geldverwalter. Aber ungeachtet solcher Pragmatik hat diese Freundschaft, je länger man in den Briefen liest, etwas Anrührendes. Der Leser nimmt Anteil an der gegenseitigen Fürsorglichkeit der beiden Herren, die ihr nächstes Treffen immer wie ein Labsal herbeisehnen, und man leidet beinahe mit, wenn Mann den Freund einmal knapp verpaßt: "Wir waren auf eine Stunde zu einem Nachbarn gegangen - als ich bei unserer Rückkehr Ihren Zettel im Kasten fand, hätte ich mir die Haare raufen mögen."

Zwischen August 1940 und April 1945 bricht der Briefwechsel ab; Heinrich Mann war in letzter Minute zu Fuß über die Pyrenäen aus dem besetzten Frankreich geflohen. Er überstand den Weltkrieg in Kalifornien. Die Sehnsucht nach Frankreich und dem Freund spricht schmerzhaft aus den letzten Briefen nach Kriegsende. Die Lage erscheint hoffnungsloser denn je. "Kafkas neuer Ruhm" kündigt ihm - Lukács hätte seine Freude gehabt - den "Erfolg des Neofaschismus" an. "Meine Welt ist nur noch ein Totenacker", schreibt er 1947. Ein Jahr später starb Bertaux; sie haben sich nach 1940 nicht mehr wiedergesehen.

256 Briefe und Karten sind überliefert; 217 von Mann, 39 von Bertaux. Die Korrespondenz wurde vor 1933 gelegentlich, danach durchgehend auf französisch geführt; der Band bietet nach jedem französischen Brief eine deutsche Übersetzung. Den großen Autor Heinrich Mann, der eine moderne Prosa der harten Kanten und syntaktischen Verkürzungen schuf wie sonst nur noch Döblin, trifft man in diesen privaten Texten mit ihrem familiären Ton nur selten. Manche Briefe mögen, für sich gesehen, wenig belangvoll erscheinen. Aber als Ganzes ist diese - zuletzt noch um die jüngsten Funde aus dem Prager Archiv ergänzte - Korrespondenz nicht nur eine erstrangige Quelle zum Spätwerk Heinrich Manns, sondern auch ein eminentes Kapitel der deutsch-französischen Kulturgeschichte, ein Jahrhundertdokument, ein Ereignis.

Heinrich Mann / Félix Bertaux: "Briefwechsel 1922 - 1948". Mit einer Einleitung von Pierre Bertaux. Auf der Grundlage der Vorarbeiten von Sigrid Anger, Pierre Bertaux und Rosemarie Heise bearbeitet von Wolfgang Klein. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 799 S., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ausgesprochen beeindruckt ist Rezensent Uwe Pralle von diesem Briefwechsel, den er vor allem mit sehr viel Sympathie für den "stolzen Zivilisationsliteraten" Heinrich Mann gelesen hat. Denn dieser habe vielleicht nicht die abgründige Aura seines jüngeren Bruders Thomas besessen, dafür ein wenig mehr an politischer und literarischer Gradlinigkeit. Und dass er eine ebenso "imposante Gestalt eines bürgerlichen Schriftstellers" war, belegt der Briefwechsel mit Felix Bertaux für ihn auf eindrucksvolle Weise. Mit dem französischen Germanisten verband Mann eine tiefe politische und private Freundschaft, die seiner Emigration aus Deutschland im Jahr 1933 eine sehr alltagspraktische Note bekam - bekommen musste. Ein wenig bedauert der Rezensent jedoch die makellose politische Übereinstimmung dieser beiden "anti-nationalen Republikaner", auch wenn sie für den in Deutschland weniger gut gelittenen Mann von großer Bedeutung gewesen war, denn ein wenig Widerspruchsgeist hätte dem gedanklichen Austausch der beiden vielleicht noch etwas mehr Tiefendimension gegeben. Lob geht schließlich an die Editoren, die den Band mit einem "vorzüglichen Apparat" ausgestattet haben.

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