Marktplatzangebote
17 Angebote ab € 2,85 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Alain de Botton verwirklicht hier eine freche, verblüffende Idee: Aus einem der monumentalsten Werke der Weltliteratur, Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", destilliert er ein witziges, lebenspraktisches Ratgeberbuch, aus dem man nebenbei über Prousts Leben und Werk alles erfährt, "was man schon immer wissen wollte". Es setzt keine Proust-Lektüre voraus, macht aber Appetit darauf.

Produktbeschreibung
Alain de Botton verwirklicht hier eine freche, verblüffende Idee: Aus einem der monumentalsten Werke der Weltliteratur, Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", destilliert er ein witziges, lebenspraktisches Ratgeberbuch, aus dem man nebenbei über Prousts Leben und Werk alles erfährt, "was man schon immer wissen wollte". Es setzt keine Proust-Lektüre voraus, macht aber Appetit darauf.
Autorenporträt
Alain de Botton, geb. 1969 in der Schweiz, hat nach dem Studium der Geschichte und Philosophie rasch seinen Weg zur Literatur gefunden. Kosmopolit und phantasievoller Flaneur der Kultur- und Geistesgeschichte, hat er sich mit seinen mittlerweile sechs Büchern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, einen festen Platz in der jüngeren Literaturgeschichte erschrieben. De Botton lebt in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Sorge dich, lese!
Wie Alain de Botton auf 239 Seiten versucht, Proust auf fünfzehn Sekunden zu kürzen / Von Friedmar Apel

Von den ersten fünfzehn Titeln der augenblicklichen Sachbuch-Bestsellerliste gehören zehn offensichtlich in die Gattung der Ratgeberliteratur, fünf erst auf den zweiten Blick. Die heuschreckenartige Vermehrung dieser Texte beruht auf einer kreisschlüssigen Verknüpfung zweier Exponentialeffekte: Wer einen erfolgreichen Ratgeber aufmerksam gelesen hat, fühlt sich unmittelbar imstande, selbst eine Lebenslehre zu verfassen. Deren Publikation führt zu Glück, Reichtum und gesellschaftlicher Anerkennung, weil sie ihren eigenen Bedarf erzeugt, denn die Verbreitung von Glücksversprechen steht in genauer Korrelation zum Anwachsen von Unglück, Gewalt und Arbeitslosigkeit.

Alain de Botton, der 1996 schon den romantischen Zusammenhang von Sex und Shopping zartfühlend dargestellt hat, weiß das anthropologisch zu begründen: "Es gibt wenig, dem sich der Mensch mit größerer Hingabe widmet als dem Unglücklichsein." Die fatale Wirkung von Ratgebern beruht demgemäß darauf, daß sie mit der penetranten Beharrlichkeit von Gouvernanten oder Gurus vorschreiben, wie man glücklich wird, richtig atmet, sich treffend ausdrückt, seine Waschmaschine selbst repariert und was der Dinge mehr sind, die täglich nicht gelingen. Soll die daraus unweigerlich resultierende private und globale Vernichtung noch ein wenig aufgehalten werden, so gilt es zu lernen, "auf eine angemessene und möglichst produktive Art und Weise unglücklich zu sein".

Passionierte Ratgeberleser erinnern sich dabei an Paul Watzlawicks erfolgreichen Versuch, mittels einer Anleitung zum Unglücklichsein das eigene Einkommen und die Anzahl jener "Leidensdilettanten" zu vermehren, die, statt vernünftig zu leiden, "eine Reihe ruinöser Abwehrmechanismen entwickeln, die zu Arroganz und Selbsttäuschung, Grausamkeit und Härte, Bosheit und Zorn", vor allem aber dazu führen, daß sich Menschen wechselseitig Kommunikationsstörungen bescheinigen. Diesem verkehrten verhaltenspsychologischen Begriff des unglücklichen Bewußtseins tritt Alain de Botton nun erfreulicherweise literarhistorisch gerüstet entgegen.

Die wahre Art des Unglücklichseins ist dem Autor zufolge noch wenig verbreitet, obwohl sie in Marcel Prousts monumentalem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" allgemeingültig dargestellt worden ist. Das liegt vermutlich daran, daß sich heutzutage selbst der bereitwilligste Unglücksrabe selten mit einer Lungentuberkulose ins Sanatorium oder auf eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn begibt. De Bottons Buch ist für alle gedacht, die solche Erfahrungen vermissen. Man muß folglich nicht Proust gelesen haben, um es verständlich zu finden.

Ohne Grundfertigkeiten im Entziffern von zusammenhängenden Texten geht es aber nicht, obwohl de Botton mit Genuß die Anekdote von der schönen Amerikanerin erzählt, die Proust 1921 schrieb, sie habe volle drei Jahre in seinem Buch gelesen, ohne ein Wort verstanden zu haben, weshalb der verehrte Autor nun endlich zur Sache kommen solle. Diese unproduktive und unhöfliche Rezeption erklärt de Botton aus dem falschen Erwartungshorizont, "daß sich die Länge eines Buches aus der dem Geschilderten angemessenen Zahl von Wörtern zu ergeben" habe. Unangemessenes und vergebliches Leiden erzeuge andererseits ebenso der Anspruch, durch Lektüre dem Leben, wie es eben ist, oder gar sich selbst entkommen zu wollen: "Daß der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selbst erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit ebendieses Buches."

Richtiges Lesen birgt folglich die Erfahrung des richtigen Lebens vor allem in Form der eigenen Krankheit zum Tode. Mit de Bottons Hilfe lernt der angehende Leidensexperte, daß eine wohlmeinende Schöpfung die Erfahrung des Glücks, der Schönheit und der Klugheit meist nicht dort versteckt, wo man sie sucht. Daher ist es zum Beispiel falsch, sich in der Liebe nach Nähe, Dauer und Erfüllung zu sehnen oder sich die Zuneigung anderer durch Wahrhaftigkeit erwerben zu wollen. Statt dessen gebe man sich "der erhellenden Erfahrung des Mangels" und den Freuden der Ambivalenz hin. Das klingt verblüffend schlicht, jedoch folgen daraus einige recht aparte Alternativen. So darf sich der Leser überlegen, ob er lieber Prousts Bruder Robert gewesen wäre, der so gesund war, daß er problemlos überlebte, wäre er von einem tonnenschweren Kohllaster überfahren worden, oder der Dichter selbst, der sich in der Regel so krank fühlte, daß ihm sogar das gelungenste Soufflé nicht schmeckte.

Mittels einer derart sensibilisierten Einbildungskraft kann sogar die Lektüre der Kurzmeldungen in der Zeitung zu einem ausgedehnten und lohnenden Unglückserlebnis geraten: "Die Zeitung so zu lesen, als sei sie lediglich die Spitze eines komischen oder tragischen Romaneisbergs, und notfalls dreißig Seiten auf die Schilderung des Einschlafens zu verwenden", dient der Immunisierung gegen den verbreiteten "Stolz der Vielbeschäftigten", die keine Zeit für so etwas haben, so nutzlos oder schädlich ihre auf vordergründigen Erfolg ausgerichteten Tätigkeiten auch sein mögen. Zur Kunst des Lesens wie des Lebens gehört aber schließlich, es rechtzeitig bleibenzulassen. Ein übertriebenes Studium selbst der gerühmtesten Werke wird am Ende dazu führen, daß man sie als "dumm, eigenbrötlerisch, falsch und lächerlich" erkennt, entsprechend kann ein langes Leben in Überdruß und Langeweile oder auf dem Golfplatz enden.

Diesen neuartigen Ratgeber, den Thomas Mohr in ein Konversationsdeutsch übersetzt hat, das in dieser Eleganz auch nicht existiert, in Kürze referieren zu wollen hieße, seine Instruktionen und Exempel zu mißachten. Alain de Bottons Bericht vom "All-England-Proust-Zusammenfassungs-Wettbewerb", deren Veranstalter überzeugt sind, Prousts siebenbändiger Roman sei "in fünfzehn Sekunden angemessen und ohne allzu großen Verlust an Sinn und Form wiederzugeben", ist ein wahrhaft erschütterndes Beispiel der Unmöglichkeit der Kürze. Eine tiefsinnige Maxime sei dem postmodernen Ratsuchenden dennoch nicht vorenthalten: Distelfinken sollten sich bemühen, ihre Eltern nicht sklavisch zu imitieren.

Alain de Botton: "Wie Proust Ihr Leben verändern kann". Eine Anleitung. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Mohr. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 239 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Immer wieder angefangen und immer wieder zur Seite gelegt, hatte Matthias Altenburg den Proust, bevor er auf dieses kleine und feine Bändchen stieß, das ihm Tür und Tor öffnete und das er in seiner Besprechung enthusiastisch preist. Denn nicht Proust, sondern sein Vorwissen hatte ihm im Weg gestanden, und da kommt nun DeBotton und räumt bei Altenburg so richtig auf. Der verfällt fortan dem Zauber Prousts, und auch wenn er nicht verrät, was nun eigentlich genau bei DeBotton steht, erfahren die Leser, was bei ihm passiert: Wie Proust sein Leben verändert hat. Empfehlung!

© Perlentaucher Medien GmbH