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Eine deutsche Familiengeschichte und ein ungewöhnlich persönlicher Bericht über die Konfrontation mit der NS-Vergangenheit in der eigenen Familie. In ihrer Auseinandersetzung damit kann Katrin Himmler auf zahlreiche unveröffentlichte private Dokumentezurückgreifen, auf Erinnerungen, Fotos und Briefe aus den Familiennachlässen, und eröffnet damit auch der historischen Forschung einige neue Perspektiven.

Produktbeschreibung
Eine deutsche Familiengeschichte und ein ungewöhnlich persönlicher Bericht über die Konfrontation mit der NS-Vergangenheit in der eigenen Familie. In ihrer Auseinandersetzung damit kann Katrin Himmler auf zahlreiche unveröffentlichte private Dokumentezurückgreifen, auf Erinnerungen, Fotos und Briefe aus den Familiennachlässen, und eröffnet damit auch der historischen Forschung einige neue Perspektiven.
Autorenporträt
Katrin Himmler, geboren 1967 in Dinslaken am Niederrhein, hat Politikwissenschaft studiert und an verschiedenen Projekten zur Zeitgeschichte, zum Thema Rassismus und Interkulturalität mitgearbeitet. Sie lebt mit ihrem Sohn in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2005

Boden- und Blutsverwandte
Gebhard und Ernst Himmler profitierten vom Bruder Heinrich

Respekt vor den Vorgängergenerationen ist ein in der Natur des Menschen tief verwurzeltes Gefühl. In Deutschland kann dem nicht mehr uneingeschränkt Raum gegeben werden, schon gar nicht von denen, aus deren Familien Initiatoren und Täter der nationalsozialistischen Verbrechen stammen. Nach einer Phase des Verschweigens oder Leugnens innerhalb der Familien setzte sich seit Ende der achtziger Jahre die zweite und die dritte Generation öffentlich mit den Taten ihrer Väter oder Verwandten auseinander - ein Prozeß, der noch nicht abgeschlossen scheint. Die Bandbreite reicht von stark emotionalisierten Abrechnungen (Hans Frank) bis zu nichtssagend unergiebigen Darstellungen (Robert Ley). Auch die Psychologie nahm sich der vermeintlich "schuldig Geborenen" (so ein Buchtitel) und deren Identitätskonflikten an.

Die Politologin Karin Himmler, eine Enkelin von Ernst, dem jüngsten Bruder des Reichsführers-SS, verwebt die Beschreibung ihrer eigenen Spurensuche mit der von ihr rekonstruierten Familienbiographie und bietet Einblick in die Beziehungen innerhalb der Nazi-Eliten. Ausgangspunkt ist die Legendenbildung innerhalb der Familie: Die Untaten des Großonkels werden nicht bestritten, doch die stets unpolitischen Brüder Gebhard und Ernst seien, von Heinrich Himmler gedrängt, erst spät der Partei beigetreten und hätten nach 1933 kaum Kontakt mit dem Reichsführer-SS gehalten. Obwohl ihre Recherchen ursprünglich von ihrem Vater angeregt wurden, war das Echo auf ihre Nachforschungen bei der Verwandtschaft keineswegs enthusiastisch, doch kam es später bei den meisten Familienmitgliedern zu einer zwiespältigen Bereitwilligkeit, sie zu unterstützen: "Der Wunsch nach Aufklärung und die Angst vor dem, was da ans Licht kommen könnte", konkurrierten miteinander. Als die Autorin herausfand, daß die Brüder Gebhard und Ernst früher als in der Familienlegende verbreitet in die NSDAP eintraten und der SS angehörten, war ihre Neugier endgültig geweckt. Auch der Kontakt zwischen den Brüdern war immer eng und wurde nach 1933 von allen gepflegt.

Urgroßvater Himmler hatte es als Gymnasiallehrer vor dem Ersten Weltkrieg aus eigener Kraft zu gesellschaftlicher Anerkennung und durch Heirat zu Wohlstand gebracht. Das Streben nach stetiger Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit war ein Ziel, daß er seinen drei Söhnen vermittelte. Daß dabei zeitgenössische Wertmaßstäbe, wie der der Pflichterfüllung, überbetont wurden, war nichts ungewöhnliches in Deutschland. Stark monarchistisch orientiert, verlor er durch den Untergang der Monarchie seine politische Heimat. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er jedoch nach dem Ersten Weltkrieg. 1922 wurde er zum Schulleiter des renommierten Wittelsbacher-Gymnasiums ernannt. Dem breiten Publikum ist er als "Vater eines Mörders" durch die stark verzerrende Brille von Alfred Andersch bekannt. Nach 1933 traten auch er und seine Frau der NSDAP bei. Obwohl es ihm peinlich gewesen sein muß, verwandte er sich bis zu seinem Tode stets für Verfolgte, deren Familienangehörige an ihn herangetreten waren, bei seinem mittlerweile mächtigen Sohn Heinrich.

Der älteste der Himmler-Kinder, Gebhard, einziger Frontsoldat der drei Brüder, studierte nach dem Ersten Weltkrieg Maschinenbau. Ebenso wie Heinrich engagierte er sich in der Revolutionszeit in den bayerischen Wehrverbänden und nahm 1923 am Hitler-Putsch teil. Nach vergeblichen Versuchen, in der Industrie Fuß zu fassen, fand er seine eigentliche Berufung als Gewerbelehrer und engagierte sich daneben in der Verbandsarbeit. Seine Stunde kam mit der "Machtergreifung" von 1933. Obwohl er nicht in der ersten Reihe stand, häufte er in der Folgezeit einige Ämter an: Er war Leiter der Hauptstelle Berufsfragen im Hauptamt für Technik der NSDAP, Reichsberufswalter im NS-Bund Deutsche Technik und erreichte sogar die Position eines Referenten im Reichserziehungsministerium. In diesen Funktionen setzte er die Vergabe des Ingenieurstitels nach politischen, nationalen und rassischen Gesichtspunkten durch. Als Reserveoffizier nahm er am Überfall auf Polen teil. 1945 bis 1948 war er interniert. Als Gewerbelehrer konnte er anschließend nicht mehr tätig werden.

Der jüngste, Ernst, studierte Elektrotechnik. In der Weltwirtschaftskrise verlor er mehrere Anstellungen und konnte im Sommer 1933, wohl mit Hilfe seines Bruders Heinrich, eine Stelle beim Reichsrundfunk antreten, wo er es bis zum Oberingenieur brachte. Aus den spärlichen Quellen geht hervor, daß er Kontakte mit dem SD pflegte. Bei den Kämpfen um Berlin 1945 kam er als Volkssturmmann unter nicht geklärten Umständen wahrscheinlich ums Leben.

Die Brüder Heinrich Himmlers waren aktive Anhänger des Nationalsozialismus, die sich in ihren Aufgabenbereichen als politisch Handelnde begriffen, sie waren Unterstützer und Profiteure des Regimes, vom Ausmaß der Verbrechen die ihr Bruder beging, waren sie aber weit entfernt.

Karin Himmler rundet ihre gelungene Darstellung mit der Einbeziehung weiterer Verwandter und Bekannter der Brüder Himmler mit einem häufig vernachlässigten Blick auf das Beziehungsgeflecht innerhalb des Regimes ab, das neben Hierarchie, Rang und Dienststellung wirksam war. Natürlich ist diese Familiengeschichte in erster Linie durch Heinrich Himmler von breiterem Interesse. Quellen aus der Familie ergänzen auch seine Biographie.

KLAUS A. LANKHEIT

Karin Himmler: Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 320 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2006

Eine ganz normale Familie?
Die Großnichte des Reichsführers SS Heinrich Himmler widerlegt in einem neuen Buch Mythen über ihre Verwandtschaft
Von Elisabeth Höfl-Hielscher
Vor 25 Jahren erregte Alfred Anderschs autobiografische Erzählung „Der Vater eines Mörders” Aufsehen. Im Mittelpunkt stand sein Lateinlehrer, Gebhard Himmler, 1928 Direktor des Wittelsbacher-Gymnasiums, Vater des späteren Reichsführers SS und Organisators des Holocaust Heinrich Himmler. Ein Sadist, so schilderte ihn Andersch. Ein Proteststurm brach los. Am heftigsten regte sich der Münchner Anwalt Otto Gritschneder über den „Rufmörder” auf: Die Himmlers waren „hochanständig” und „völlig normal” - bis auf Heinrich, „das schwarze Schaf”. Doch nun ist ein Buch erschienen: „Die Brüder Himmler” (S. Fischer Verlag), das ein anderes Licht auf die Familie wirft. Geschrieben hat es die Großnichte des SS-Führers.
Die Politologin Katrin Himmler, 38, begann 1997 mit der Spurensuche in deutschen, polnischen, israelischen Archiven und machte „die irritierende Entdeckung, dass die meisten der in der Familie kursierenden Erzählungen nicht mit dem übereinstimmten, was die dünnen Akten verrieten”. Nie hatten sich die Himmlers von Heinrich distanziert. Vater Gebhard beschäftigte sich als Student neben klassischer Philologie an der Münchner Universität mit „Anthropologie und Ethnografie der Urvölker” - eine verschleiernde Bezeichnung für Rassenforschung. Nach 1933 lobte er Heinrich für „die herrlichen schwarzen Kolonnen, die Dein Werk sind”.
Gebhard Himmler junior marschierte 1923 neben Heinrich mit beim Hitler-Putsch. Gemeinsam waren sie beim Freikorps Epp, dem „Sammelbecken für das künftige NS-Führungskorps”, so Katrin Himmler. 1933 war Gebhard Gewerbelehrer. Nun wurde er Direktor des Oskar-von-Miller-Polytechnikums und bald entschied er als „Reichsberufswalter” im Hauptamt für Technik, „wer den Ingenieurtitel tragen durfte und wer nicht”. Das hing ab von der „rassischen Zugehörigkeit” und „ politischen Zuverlässigkeit”. 1942 war er Standartenführer der Waffen-SS, Inspekteur der Wehrmachts- und der Waffen-SS-Schulen.
Karriere machte auch Katrin Himmlers Großvater Ernst, der jüngste Bruder, von Beruf Diplom-Elektroingenieur. Ein alter Kamerad Heinrichs vom Freikorps Epp und vom Marsch auf die Feldherrnhalle, Klaus Hubmann, war technischer Direktor des Reichsrundfunks. 1935, nach dem gemeinsamen Eintritt in die SS, wurde Ernst Himmler sein Vize-Chefingenieur, später technischer Vizedirektor. Er sorgte für die störungsfreie Übertragung der Olympischen Spiele, und später, nachdem er dem Stab des SS-Personal-Hauptamtes zugeordnet worden war, für das Funktionieren von Propaganda, Funkverkehr und Frontnachrichten - im totalen Krieg eine Schlüsselposition. Nebenher begutachtete er heimlich für Bruder Heinrich die ideologische Zuverlässigkeit der Kollegen - wohl auch für Hermann Behrends, den Leiter des SS-Sicherheitsdienstes in Berlin, denn der war sein Freund, mit dem er sogar das Eigenheim teilte.
Zum engsten Familienkreis gehörte Schwager Richard Wendler, Bruder der Frau von Gebhard junior. Er war als Stadthauptmann von Tschenstochau verantwortlich für die Ausplünderung polnischer Juden und beteiligte sich als Gouverneur von Krakau und Lublin an ihrer Deportation. Als SS-Obergruppenführer setzte er die „Erziehungsmaßnahmen” durch, die aus den Polen ein Volk von analphabetischen Arbeitssklaven machen sollten. Dann war da noch ein Cousin, der schon den jungen Heinrich Himmler in religiösen Krisen beraten hatte: August Wilhelm Patin. Von dem war bisher nur bekannt, was Ernst Klee in seinem Buch „Euthanasie im NS-Staat” behauptet hatte. Danach war der Dominikaner und Stiftskanonikus der Theatinerkirche „insgeheim SS-Hauptsturmführer”. 1967 habe ihn vor dem Frankfurter Schwurgericht Albert Hartl, der Leiter des „Amtes IV B” im Reichssicherheitshauptamt belastet: Patin habe vor Beginn der „Aktion T4”, des Massenmordes an Behinderten und Psychiatrie-Patienten, ein von Hitler verlangtes theologisches Gutachten abgegeben. Das Schwurgericht habe Hartls Aussage „glaubwürdig” befunden. Offenbar kannte Katrin Himmler diese Angabe Klees nicht; sie weiß nur, dass Patin in der Terrorzentrale des SS-Staates „Referent” war.
Was wurde aus ihnen nach dem Krieg? Heinrich schluckte Gift. Ernst wurde 1955 für tot erklärt, sein Freund Behrends 1948 wegen Kriegsverbrechen in Jugoslawien hingerichtet. Gebhard junior, zunächst als „Belasteter” eingestuft, war lange arbeitslos, bekam aber Anfang der 50er Jahre eine Stelle im Europäisch-Afghanischen Kulturinstitut und bezog ab 1959 eine Staatspension. In den 70er Jahren schrieb er Erinnerungen: Er sei anders als der Romantiker Heinrich „nicht dem Götzendienst am Führer erlegen und deshalb immer auf der richtigen Seite gestanden”. Schwager Wendler wurde als „Hauptschuldiger” eingestuft, später herabgestuft zum „Belasteten”. 1955 war der SS-General nur mehr „Mitläufer” und arbeitete in München als Rechtsanwalt. 1971 wurde er doch noch als Kriegsverbrecher angeklagt, starb aber bald.
Die „SS-Sippengemeinschaft” blieb aber durchaus lebendig. Dazu trugen auch die Frauen der Familie bei. Ernsts Frau hatte vor der Ehe die Meisterprüfung als Hutmacherin gemacht. Nach der Flucht aus dem „Warthegau”, wo sie mit Kindern und Arbeitssklaven auf einem Gutshof gelebt hatte („dessen polnische Besitzer vertrieben oder ermordet worden waren”, so die Enkelin), hielt sie die Familie zusammen und „war auch noch Jahre nach 1945 Teil eines Netzwerks alter Nationalsozialisten, die sich gegenseitig unterstützten”.
Es gab nicht nur ein solches Netzwerk. Vor einigen Jahren geriet der Kriegsverbrecher-Hilfsverein „Stille Hilfe” in die Schlagzeilen, in dem Tante Gudrun, Heinrich Himmlers Tochter, aktiv ist. Als das vor einigen Jahren publik wurde, verteidigte Anwalt Otto Gritschneder auch sie vehement: „Geh, lasst’s doch das Madel in Ruh”, antwortete er auf eine SZ-Anfrage, „die hat’s doch eh schon schwer genug mit ihrem Namen.”
Und Katrin Himmler selber? Sie lebt in Berlin, ist mit einem jüdischen Israeli verheiratet und hat einen Sohn. Freilich: „Himmler” heißt er nicht.
Hitlers alte Kämpfer versammeln sich vor dem Bürgerbräukeller. Rechts Heinrich Himmler.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Von diesem Buch, in dem Katrin Himmler der Geschichte ihres Großvaters Ernst Himmler und seiner beiden Brüder Heinrich und Gebhard nachforscht, ist Alexander Jürgs beeindruckt. Entgegen der in der Familie stets aufrechterhaltenen Überzeugung von den "unpolitischen" Brüdern des Massenmörders Heinrich Himmler, kann die Autorin bei ihren Recherchen nachweisen, dass alle Geschwister Himmler in einem "ideologischen Einverständnis" standen, die sich in der begeisterten Anhängerschaft zu Adolf Hitler ausdrückte, so der Rezensent. Jürgs hat Verständnis dafür, dass Kathrin Himmler zunächst durchaus "familiäre Sympathie" für ihren Großvater hegt, betont jedoch, dass für die Autorin mit einem "ideologiedurchtränkten" Brief von Ernst Himmler, womit er einen gewissen Major Schmidt aus der beruflichen Stellung jagt und so sein "Todesurteil" unterschreibt, jede "Empathie" endet. Jürgs sieht als die größte Stärke dieser Familiengeschichte die Akribie und den "scharfen Blick" für Details, mit der die Autorin die Quellen auswertet, und er preist das Buch als ein "bemerkenswert lebendiges und neues Bild" der Himmler-Familie.

© Perlentaucher Medien GmbH