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Ein Dorf im Odenwald, ein Kind, das mit seinen Brüdern, Eltern und Großeltern dort die Sommer verbringt. Doch diese äußerlich noch unversehrte Welt der Sicherheit und stillen Schönheit ist von feinen Rissen durchzogen, aus denen Ängste und Träume steigen. Unheimlich sind die Keller unter den Häusern, das "Teufelsgrab" am Ortsrand, der dunkle Wald, durch den der Jäger geht. Unverständlich sind die Gebräuche und Gespräche der Erwachsenen. Und auch die eigene Familiengeschichte führt tief in eine Zeit der Vertreibung und des Schreckens, wenn die Großmutter erzählt. Katharina Hackers behutsame und…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Dorf im Odenwald, ein Kind, das mit seinen Brüdern, Eltern und Großeltern dort die Sommer verbringt. Doch diese äußerlich noch unversehrte Welt der Sicherheit und stillen Schönheit ist von feinen Rissen durchzogen, aus denen Ängste und Träume steigen. Unheimlich sind die Keller unter den Häusern, das "Teufelsgrab" am Ortsrand, der dunkle Wald, durch den der Jäger geht. Unverständlich sind die Gebräuche und Gespräche der Erwachsenen. Und auch die eigene Familiengeschichte führt tief in eine Zeit der Vertreibung und des Schreckens, wenn die Großmutter erzählt.
Katharina Hackers behutsame und eindringliche "Dorfgeschichte" hat ihren ganz eigenen Ton. In der dichten Darstellung der kleinen Welt des Dorfes stellt diese Autorin die Frage nach den großen Dingen - nach Geborgenheit und Einsamkeit, nach Liebe, dem Leben und dem Tod.
Autorenporträt
Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, studierte ab 1986 Philosophie, Geschichte und Judaistik an der Universität Freiburg. 1990 wechselte sie an die Hebräische Universität Jerusalem. Seit 1996 lebt sie als freie Autorin in Berlin. 1997 debütierte sie mit 'Tel Aviv. Eine Stadterzählung', es folgten der Erzählungsband 'Morpheus oder Der Schnabelschuh' und die Romane 'Der Bademeister'
und 'Eine Art Liebe'. Für 'Die Habenichtse' erhielt Katharina Hacker 2006 den Deutschen Buchpreis. Zu ihren
Werken zählen weiterhin der Gedichtband 'Überlandleitung' sowie die Romane 'Alix, Anton und die anderen' und 'Die Erdbeeren von Antons Mutter'. Zuletzt erschien 'Eine Dorfgeschichte'.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2011

Dieses diffuse Wir-Gefühl
Katharina Hacker beschwört in ihrer „Dorfgeschichte“ den ewigen Sommer der Kindheit
Nicht weit hinter Darmstadt, vielleicht sogar schon unmittelbar hinter der ersten Höhenlinie des Odenwalds, muss eine magische Pforte liegen. Wer sie durchschreitet, gelangt, wenn nicht in ein Märchen, so doch in ein Idyll aus vorindustriellen Zeiten: „In dem Sommer, an den ich mich als ersten erinnere, flogen die Schwalben hoch“, heißt es gleich zu Beginn von Katharina Hackers schmalem Buch „Eine Dorfgeschichte“, „sie bauten ihre Nester unter unserem Dach; im Dorf gab es ein Gasthaus, in dem wir manchmal aßen, dann wurde es zugemacht, man musste ins Nachbardorf, um Eis zu kaufen. Das Sträßchen, das aus dem Dorf führte, war nicht asphaltiert und nicht begradigt. Es schlängelte sich bis zum Wald.“ Bis zum Schluss behält die Autorin diesen Rhythmus von Bewegung und Gegenbewegung bei, in manchmal langen, manchmal kurzen Perioden, in oft knappen Teilsätzen. Gäbe es eine literarische Entsprechung zum Kreuzstich in der Handarbeit – Katharina Hacker hätte sie gefunden.
Gegen Kreuzstiche ist nichts zu sagen, weder in der Dichtkunst noch beim Verfertigen von Decken und Tüchern. Und gewiss löst Katharina Hacker das Versprechen ein, das Titel und Umschlag des Buches – eine dörfliche Szene von Camille Pissarro aus dem Jahr 1867 – geben: In einer langen Reihe von Bildern aus dem ländlichen Leben, das eine Frankfurter Familie mit ihren Kindern in einer ehemaligen Schule im Odenwald führt, die nun als Ferienhaus dient, wird das Panorama einer magischen Einrichtung entfaltet. In dieser Einrichtung fallen Klima, Geographie und Kultur, Familiengeschichte, freundliche und vor allem unheimliche Anekdoten, gute und schlechte Kindheitserinnerungen sowie einige Sentimentalität zusammen. Sie heißt: „der Sommer“ und umfasst viel mehr als die sechs Wochen hessischer Schulferien im Juli oder August und dazu noch eine Woche im Herbst. So mächtig ist diese Einrichtung, dass in ihr sogar die Geschichte verschwindet. Denn es müssen – was der Leser weiß, weil dieses Buch erkennbar autobiographisch inspiriert ist – auch die Sommer der späten siebziger und frühen achtziger Jahre gemeint sein müssen: Aber nur an einer gelegentlich vorkommenden Autobahn, an einem Opel, am Flughafen und an Turnschuhen erkennt man, dass die ländlichen Szenen in eine bestimmte Zeit gehören.
Die „Dorfgeschichte“ ist also weniger eine Geschichte als vielmehr eine Beschwörung. Dazu gehört, dass die Erzählerin meist in Gestalt eines diffusen „Wir“ auftritt, wobei dieses „Wir“ changiert zwischen einem erweiterten „Ich“, dem Ensemble der von allen Pflichten befreiten und durch Wald und Wiese stromernden Kinder, und der Erinnerung selbst: „Wir wuchsen im Sommer. Wir wurden länger, schlanker auch, und wenn ich die Fotos anschaue, sehe ich wie ernst wir waren. Auf irgendeine Weise waren wir im Dorf ernster als in der Stadt, obwohl wir tobten, obwohl wir freier waren, denn meine Mutter ließ uns verdreckt und abwesend sein, duldete unsere Gewohnheiten und Geheimnisse.“ Selbstverständlich ist dieses „Wir“ auch eine Einladung an den Leser: sich hineinzufinden in diese abwechselnd hellwarme wie dunkel-bedrohliche Kinderwelt auf dem Lande. Auch wenn sie bei weitem nicht jeder erlebt hat, so gibt es sie doch immer in der Erinnerung, tausendfach erlebt und vor allem: tausendfach erzählt, beschrieben und verfilmt.
Mit diesem „Wir“ aber beginnt das Zweifelhafte des Unternehmens „Dorfgeschichte“. Denn wer ist das? Wie sieht dieses „Wir“ aus, was unterscheidet es von anderen „Wirs“, wie ist sein Charakter? „Wir dösten“, „wir fürchteten uns“, „wir lauschten“. Dieses „Wir„ – und auch sein engster Verwandter, das nicht weniger diffuse „Ich“ – ist die Grundfigur des autobiografischen oder halb-autobiografischen Schreibens, das seit Jahren einen großen, vielleicht zu großen Teil der deutschen Literatur ausmacht. Denn es ist so bequem: Dass man mit sich selbst etwas anfangen könne, dass man sich selbst respektiere oder gar liebe – das ist ihre Voraussetzung. Und umso selbstbewusster und scheinbar selbstverständlicher dieses „Wir“ (oder dieses „Ich“) auftritt, desto mehr scheint es sich selbst die Evidenz zu liefern. Es muss sich nicht für andere interessant machen. Es ist doch schon interessant genug für sich selbst.
Nichts gegen autobiografisches Schreiben, und auch nichts gegen das „Ich“, wo es zu berichten und zu erklären weiß. Aber wenn sich alles Erzählen ins (echte, halbechte oder auch nur scheinbare) Autobiografische auflöst, entsteht ein Problem: Denn wer seine Figuren erfinden muss, der muss sich Mühe geben mit ihnen. Das erfundene Personal ist eben gerade nicht evident, sondern muss interessant gemacht werden und lebendig genug, um den Leser für sich zu gewinnen und zu behalten. Und selbstverständlich muss es leiden und schmerzhafte Ereignisse überstehen – während das heitere, offene Gesicht eines offensichtlich unversehrt gebliebenen Autors eines autobiografischen Werkes vor allem anderen davon zeugt, dass mit ihm (oder ihr) nichts wirklich Schlimmes geschehen ist. Und weil das so ist, verbindet sich zweierlei: das Autobiografische und das oft wiederholte Verlangen nach „einer Geschichte“. Das weiß Katharina Hacker, und darum steht am Ende dieses Buches der Satz: „Was in diesem Buch geschieht, ist erfunden.“ Das dazugehörige Dementi ist das „Wir“.
„Die Erinnerung“, heißt es auf den letzten Seiten, „gibt (in all ihrer Unzuverlässigkeit) Indizien, die eine Geschichte entstehen lassen, wo bisher alles verborgen oder ohne Geheimnis schien.“ Was hat diese Reflexion in der Beschwörung des Sommers verloren? Sie ist von derselben Art wie die Auskunft, die Autorin ziehe sich später manchmal „zum Schreiben“ in das Schulhaus im Odenwald zurück. Denn Erinnerung und Geschichten gehören keineswegs notwendig zusammen – dazu sind die meisten Erinnerungen viel zu gewöhnlich, so etwa die unmittelbar auf dieses Bekenntnis folgende Erinnerung an Rock, Strümpfe und Schuhe der Großmutter. Wobei es das Bekenntnis zur Erinnerung ist, was diese Erinnerung dann doch noch bemerkenswert machen soll. Und was dabei entsteht, entstehen muss, ist nicht „Schreiben“, sondern ausgestelltes Schreiben, etwa in Gestalt von poetischen Kreuzstichen und demonstrativer Genauigkeit: „Es war die einzige Gelegenheit, überhaupt ihre Beine zu sehen, in Strumpfhosen, aber eben kenntlich Beine, Frauenbeine, die zögerten, zu dem Mann ins Auto zu steigen und es dann mit einem kleinen, ruckhaften Schwung taten.“ Aber gibt es das überhaupt, einen „ruckhaften Schwung“?
THOMAS STEINFELD
KATHARINA HACKER: Eine Dorfgeschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011.126 Seiten, 19,95 Euro.
Tausendfach erlebt, aber auch
tausendfach beschrieben
und verfilmt ist diese Erinnerung
Die Emphase des Bekenntnisses
verwandelt das Schreiben
in ausgestelltes Schreiben
Katharina Hacker wurde 1967 in Frankfurt am Main geboren und lebt in Berlin. Foto: Ulf Andersen/StudioX
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2011

Und einmal im Sommer wurden uns die Haare geschnitten
Zurück zu den Anfängen der Familie und des Erzählens: Katharina Hacker schildert "Eine Dorfgeschichte"

Auf Karten nimmt sich ein Dorf, je nach Maßstab, vergleichsweise nichtig aus, ein stecknadelkopfgroßer Punkt, neben rotem Großstadtquadrat. Auf der Landkarte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur scheint es sich derzeit indes auffällig zu vergrößern. Andreas Maier arbeitet sich mit seinem auf mehrere Teile angelegten Großprojekt "Ortsumgehung" an der hessischen Wetterau ab; Michael Stavaric beschwört archaische Rituale in seinem Roman "Brenntage"; Peter Kurzeck umkreist erzählend Staufenberg bei Gießen, und Maja Haderlap, die aktuelle Bachmann-Preisträgerin, nähert sich in "Engel des Vergessens" Kärntens Provinzgeheimnissen. Die Reihe ließe sich fortsetzen. So unterschiedlich all diese Werke sind, so gibt es doch einen gemeinsamen Nenner: Die Beobachtung, dass das Schweigen im Dorf ein anderes ist als in der Stadt. Und auch das literarische Hervorbringen dieses dörflichen Schweigens geschieht leiser als in Prosa, die großstädtisch unterwegs ist.

Katharina Hacker zwingt dieses Schweigen schon in ihren ersten, minimalistisch gebauten, provozierend in Großbuchstaben ausholenden Satz: "ANGEBLICH hatten wir einen Onkel." Da steckt schon alles drin: das familiäre "wir", dessen Perspektive die Erzählerin berücksichtigen wird; eine misstrauisch beäugte Vergangenheit; vor allem aber die Kindheit als grenzenloser Möglichkeitsraum, in dem man Dinge eine Zeitlang glaubt, nur, weil sie einem erzählt werden - bis diese Informationen ein Eigenleben zu führen beginnen. Das Nicht-Mitgeteilte, die Leerstelle muss notgedrungen ausstaffiert, der "angebliche" Onkel in eine vorstellbare Passform gebracht werden. Er sei "sehr klein, kaum größer als eine Seele, in meinen Sessel passe er leicht hinein", erklärt das kleine Mädchen einer neugierigen Nachbarin selbstbewusst.

Natürlich könnte sich eine ähnliche Szene auch in der Großstadt abspielen. "Eine Dorfgeschichte" - so heißt Katharina Hackers neues Buch - wird daraus erst im Zusammenhang. Hacker arrangiert ein eher allgemeines Dorf aus gläsernen Erinnerungen. Sie könnten zerbrechen, falls man sie mit dem kontrollierenden Blick aus der Gegenwart zu lange anstarrt, und dann kann man sich an ihnen schneiden. Sie transportieren "das schier körperliche Wissen", das seit der Kindheit wie eingewachsen ist: was die Füße spüren beim Gang über den Dorffriedhof auf den "kinderkopfgroßen" Sandsteinen; das Gefühl beim Aufwachen nach nächtlichem Zelten im Garten, "elendig gelagert ins regennasse Gras"; das auf Jahrzehnte eingeprägte Wissen, "wo auf dem Feldweg eine Pfütze war, wo der Weg abschüssig wird".

Geschrieben wird aus der Perspektive der melancholischen Heimkehrerin, eine Ortswechslerin ohne Missgunst gegen das Dorf der Kindheit. Es gibt allerdings Jahre der Abwesenheit, sogar einen erschreckenden Generationsriss: Die Kinder der Erzählerin kennen, wenn sie im Dorf Urlaub machen, ihre Großeltern nur vom Friedhof. Die dörfliche Ordnung einer festen Gemeinschaft, in welcher die Generationen zusammenbleiben, ist gestört, die Familien längst abgewandert in die Stadt. Wollten nun die Kinder Familiengeschichte betreiben, hätten sie sich auf die Eltern zu verlassen, die aber ihrerseits nur Bruchstücke davon besitzen.

Es ist freilich keine neue Erkenntnis der Katharina Hacker, dass Erinnerung nur ein Amalgam aus Realität und Fiktion ist. Ihre Auseinandersetzung mit dem Schweigen, mit dem Verschwommenen der Vergangenheit hat Farbe, weil sie auf dem Schauplatz subjektiver, vitaler, sinnlicher Bilder ausgetragen wird. Dahinter steht der Versuch, Geschichte nicht als natürliche Folge von Ursache und Wirkung zu begreifen, sondern als Netzwerk. Das gibt die Stoßrichtung für diesen Text vor. Die Erzählerin ist weder Archäologin noch Erfinderin. Eher setzt sie Beweisstücke zusammen, ohne dazu eines Motivs zu bedürfen: "Die Erinnerung gibt (in all ihrer Unzuverlässigkeit) Indizien, die eine Geschichte entstehen lassen, wo bisher alles verborgen oder ohne Geheimnis schien."

Es passiert nicht viel in diesem Dorf, für das Katharina Hackers eigenes Kindheitsdorf Breitenbuch im Odenwald Modell gestanden haben dürfte. Im Wald lagern noch Helme und Patronenhülsen aus dem Krieg. Das Mädchen spielt mit ihren beiden Brüdern Hungern und Flüchtlingszug aus dem Osten. Sie haben den Krieg nicht selbst erlebt, nur "eine Art" Angst, aufgeschreckt etwa durch rote Tollwutschilder, durch Namen statt wirkliche Gefahren. Der Totenkopf, der Geiersberg, ein Galgenhügel - Stätten einer allgemeinen Dorf-Topographie, unheimlich in der kindlichen Phantasie aufgeplustert. Fast bildet sich eine verschwörerische Gemeinschaft mit all diesen anderen Texten, die ums Dorf kreisen und oft die gleichen Bestandteile aufzählen: Löschteich, Brunnen, Kirche; Dorfdepp, Milchfahrer, Hund. Und die wie auf ein geheimes Zeichen den Wandel registrieren: Es gibt noch Mühlen, aber sie mahlen nicht mehr. Die Hausnummern haben sich mehrmals geändert.

Katharina Hacker ist nah beim Kind, ohne die Erwachsenen aus den Augen zu verlieren. "Es kam vor, dass zwar der Tisch gedeckt war, aber nur für uns Kinder, es kam vor, dass die Erwachsenen alle verschwunden, dass wir wie zum Märchen ausgesetzt waren, keiner, der nach uns schaute." Wie das Gefühl von Bedrohung allein in der Sprache nachklingt, in einer trostlos herabfallenden Satzmelodie, ist meisterhaft. Das geschwisterliche "wir" kennt aber auch Sorglosigkeit. Zum Heimatfilmkitsch wird das trotzdem nie, weil Hacker neben einer Bilderwucht einen kurzweiligen, kecken Stil pflegt, der jede Gelassenheit einschränkt. "Wir wuchsen im Sommer. Wir lachten oft, aber ernst. Wir übernachteten im Freien. Wir spielten unsere Spiele. Ein Mal im Sommer wurden unsere Haare kurz geschnitten."

In der Schlichtheit liegt der Reiz dieses Textes. Mehr und mehr überlässt er sich, statt nach Notwendigkeiten des Erzählens zu fragen, seiner Umgebung. Ein jahreszeitliches, wetterfühliges Erzählen setzt ein, "bei Regen", "bei Nacht", "im Sommer". Und während in der Dämmerung alles größer wird, "so als atme die Höhe tatsächlich im letzten Licht", ändern sich mit dem Erinnern auch die Größenverhältnisse. Katharina Hacker zieht uns mit betörender Ruhe in das magische Zwischenreich, dem Kinder ausgesetzt sind, wenn die Erwachsenen schweigen wollen oder müssen.

In ihrem Dorfporträt hat die Autorin außerdem eine Geschichte untergebracht, die ein Nachhall ist auf die Allgegenwärtigkeit des Todes, wie sie schon aus früheren Romanen der 1967 geborenen Autorin schien. Simon, der jüngste der drei Geschwister, weiß noch vor den Geschwistern von einer Krankheit, an der er viel später sterben wird. Im Rückblick scheint der gesamte Text nicht nur um ein Dorf, seine Fundamente und Erinnerungsbrösel zu kreisen. Das Erzählen und Zusammensetzen der Fundstücke, die das Gedächtnis und Gespräche hergeben, bewirkt eine Verschiebung der Geschwisterfolge: "Es war, als wäre er plötzlich der Älteste von uns." "Eine Dorfgeschichte" erzählt auch von der Zukunft und Vergangenheit des Sterbens.

Katharina Hacker geht es um Korrespondenzen - zwischen innerem und kartographiertem Dorf; zwischen Vergangenheit und Gegenwart; zwischen Erinnerungssplittern und zusammenhängenden Geschichten. Letztere unterscheidet sie auch in der Schrifttype. Ein Druckbild, äußerlich längst nicht so irritierend wie in "Alix, Anton und die anderen" (2009), der erste Band eines größeren Projekts, der sich in zwei Spalten präsentierte. "Eine Dorfgeschichte" fällt heraus aus dem seit 1997 beständig wachsenden Werk der Schriftstellerin. Sie ist unspektakulärer in ihrer Zurückgezogenheit, dabei aber in ihrer poetischen Dichte von großer Intensität.

ANJA HIRSCH

Katharina Hacker: "Eine Dorfgeschichte".

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 176 S., geb., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Rezensentin Anja Hirsch ist Katharina Hackers neuer Roman "Eine Dorfgeschichte" eine Werk von großer "poetischer Dichte und Intensität". Begeistert ist sie einer melancholischen Heimkehrerin in das Dorf ihrer Kindheit gefolgt und hat in lebendigen und sinnlichen Bildern einiges über deren kindliche, aus Realität und Fantasie zusammengesetzte Erinnerungen an eine Nachkriegskindheit erfahren. Dass die heraufbeschworenen, wuchtigen Bilder nie zum "Heimatfilmkitsch" werden, liegt für die Kritikerin nicht nur an Hackers erfrischendem und frechen Erzählstil, sondern auch an dem Schweigen, welches in dem beschriebenen Dorf allgegenwärtig spürbar ist. Meisterlich, so Hirsch, gelinge es der Autorin dieses Gefühl von Bedrohung in der Sprache erklingen zu lassen.

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