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Neugier und Leidenschaft verbünden sich, wenn die Kritikerin und Philologin Ina Hartwig über Literatur nachdenkt. Ob es um zärtliche Männer geht, die Abgründe des 20. Jahrhunderts, um die amüsanten Seiten der '68er oder den Glanz der Libertinage: Ihre Essays verbinden analytische Klarheit mit sprachlicher Brillanz, intellektuelle Offenheit mit zeitgeschichtlichem Interesse. Nicht der literarische Kanon steht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, sondern die passionierte Suche nach den Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren in der Literatur. So bietet dieser Band das sehr persönliche…mehr

Produktbeschreibung
Neugier und Leidenschaft verbünden sich, wenn die Kritikerin und Philologin Ina Hartwig über Literatur nachdenkt. Ob es um zärtliche Männer geht, die Abgründe des 20. Jahrhunderts, um die amüsanten Seiten der '68er oder den Glanz der Libertinage: Ihre Essays verbinden analytische Klarheit mit sprachlicher Brillanz, intellektuelle Offenheit mit zeitgeschichtlichem Interesse. Nicht der literarische Kanon steht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, sondern die passionierte Suche nach den Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren in der Literatur. So bietet dieser Band das sehr persönliche Lektüreprotokoll einer herausragenden Kritikerin und gleichzeitig die erfrischend unkonventionelle Bestandsaufnahme einer Literatur, die hineinreicht in die unmittelbare Gegenwart
Autorenporträt
Hartwig, InaIna Hartwig studierte Romanistik und Germanistik in Avignon und Berlin. Neben Lehrtätigkeiten an der FU Berlin, in St. Louis und Göttingen war sie viele Jahre lang verantwortliche Literaturredakteurin bei der »Frankfurter Rundschau« und arbeitete ab 2010 als freie Kritikerin, Autorin und Jurorin. 2011 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und dem Caroline-Schlegel-Preis der Stadt Jena ausgezeichnet, 2015/16 war sie als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Seit 2016 ist Ina Hartwig Kulturdezernentin in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gegen die Literaturkritiken eines Alfred Kerr oder Marcel Reich-Ranicki, die ihrem Publikum nüchterne philologische Überlegungen und "ästhetisches Geheimwissen" ersparen, hat Rezensent Friedmar Apel gar nichts einzuwenden. Dennoch muss der Kritiker nach der Lektüre von Ina Hartwigs Kritikband "Das Geheimfach ist offen" feststellen, dass diese weniger auf Populismus und dafür umso mehr auf "elitäre Egalität" mit dem Leser zielenden Texte der früheren Literaturredakteurin der "Frankfurter Rundschau" eine erfreuliche Abwechslung sind. Denn Hartwig gelinge es ohne Arroganz und Fachjargon, aber mit philologischem Handwerk und Neugier gelösten und ungelösten Fragen und Entdeckungen der untersuchten Werke nachzuspüren. Und so erfährt der Kritiker etwa, weshalb Goethe seinen überzeugten Vegetarier Werther an das Schlachten und Braten von Schweinen denken lässt und wie weit sich dieses Motiv des Begehrens bis zum blutigen Ende des "Werthers" zieht. Hartwigs Texte sind klar geschrieben und zugleich eine wunderbare Herausforderung für den Leser, lobt der erfreute Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2012

Literatur als Passion
Für alle, die lesen wollen: Ina Hartwigs Essays

Die bedeutendsten Literaturkritiker der jüngeren Geschichte, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky, Friedrich Sieburg oder Marcel Reich-Ranicki, haben in der Regel den Standpunkt eines gebildeten Lesepublikums eingenommen, dem analytische Kategorien, trockene philologische Erwägungen und ästhetisches Geheimwissen erspart bleiben sollten, vielleicht gelegentlich sogar die eigene Lektüre des besprochenen Werks. Diese Form der Kritik herrscht heute vor, wogegen nichts einzuwenden ist, solange sie nicht zur Anbiederung ans Geistfeindliche wird, was aber gerade bei mit germanistischen Doktortiteln versehenen Kritikerinnen vorkommt. Da bleibt dann nicht selten alles Schwierige, Sonderbare und Widerständige auf der Strecke eines selbsterfundenen Durchschnittsgeschmacks.

Die langjährige Literaturredakteurin der "Frankfurter Rundschau" Ina Hartwig ist im Jahr 2011 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet worden. Sie wird in Kerrs Kritiken eine Tendenz zum konformistischen Phrasendreschen nicht übersehen haben, nicht nur deshalb widersteht sie dem "populistischen Übergriff". Spezialistenjargon vermeidet sie zwar auch, doch hat sie ihr Studium der Romanistik und der Germanistik nicht hinter sich gelassen. So ist für sie "das philologische Besteck die Basis der Kritik". Ihre Konzeption der Literaturkritik als Einheit von "Lesen, Deuten und Bewerten" ist im Kern klassisch hermeneutisch, doch weiß sie auch aus der postmodernen Literaturtheorie Funken zu schlagen. Selbstbewusst, aber niemals überheblich versucht sie, "eine elitäre Egalität" mit dem Leser herzustellen.

Ihr Interesse an den ungelösten wie den gelösten Fragen eines Werks und dessen persona hat sich vor allem an der intensiven Auseinandersetzung mit Marcel Prousts unermesslichem Romangebäude gebildet. So zeigt sich in den Stücken zu Proust im vorliegenden Band die ganze Gestalt ihrer literarischen Neugier und ihrer bewunderungswürdigen Fähigkeit, Komposition wie Kontext eines Textes von einem, oft kuriosen, Detail her darzustellen.

Marcel Prousts Albertine zum Beispiel ist in Liebesdingen ziemlich abgebrüht, an einer Stelle aber "hält sie sich die Hand vor den Mund und wird knallrot". Sie weigert sich auch auf Drängen, einen Satz zu Ende zu sprechen, den sie begonnen hat, weil das etwas furchtbar Vulgäres ergeben hätte. Der Erzähler kennt sein verdorbenes Liebchen und glaubt ihr deshalb nicht, nach einigem Kramen in der Erinnerung gelingt es ihm, das fehlende Wort selbst zu ergänzen. Unwillkürlich ruft er aus: "Horreur!"

Der uneingeweihte Leser des Originals wie der deutschen Übersetzung kann kaum verstehen, was daran so schlimm sein soll. Ina Hartwig hat nicht geruht, bis sie herausgefunden hatte, um welche sexuelle Praxis es da geht, und sie sagt es dem Leser in aller Klarheit einer "schmutzigen Poesie", um aus diesem Detail heraus Prousts Poetik des Begehrens, deren moderne Seite Albertine verkörpert, und die Herkunft seiner Kenntnisse höchst vergnüglich zu erläutern.

Aber auch in kanonisch entrückten Texten findet Ina Hartwig unfehlbar das "schräge" Detail, von dem aus sich eine frische Lektüre eröffnet. Goethes Werther isst kein Fleisch, trotzdem kommt ihm beim Zubereiten von Zuckererbsen im Topf mit einem Stich Butter die Stelle im Homer in den Sinn, in der "die übermütigen Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten". Von dieser scheinbar willkürlichen Koinzidenz her verfolgt ihr Essay die Textspur des Begehrens bis zum blutigen Ende der Leiden des jungen Werthers.

Ina Hartwig sagt oft "wir" und nur sehr selten "ich", dennoch ist in ihren Rezensionen immer ersichtlich, dass der Leser in der Gegenwärtigkeit der Texte als Individuum gefragt ist. Literarische Texte erscheinen bei ihr je als bestimmte Herausforderung an ein Ich, zuweilen als "schwierig schönes Geschenk", dann wieder als Enttäuschung und Zumutung. Und wenn die Lektüre nicht auf einen Nenner zu bringen ist, wird dem Leser das Widersprüchliche nicht vorenthalten. Aus jedem Text dieser klar denkenden und schreibenden Kritikerin aber leuchtet das "Entdeckerglück", das die Literatur auch oder gerade dann vermitteln kann, wenn die Lektüre mühselig oder gar qualvoll ist.

FRIEDMAR APEL.

Ina Hartwig: "Das Geheimfach ist offen". Über Literatur.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 336 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2012

Leser auf Tauchstation
Ina Hartwigs gesammelte Literaturkritiken bringen beglückende Funde und Befunde ans Licht
Wer heute am Nutzen der Literaturkritik seine Zweifel hat, sollte einfach zu diesem Buch greifen. Schnelle Meinung, kategorisches Urteil, Entweder-Oder-Reflex per Smiley-Click kommen darin so wenig vor wie das penetrante Ich, das sich aus den Blog-Communities heute schon ins kritische Gewerbe hineindrängt. Etwas erfrischend Unzeitgemäßes liegt in diesen Texten. Ein lesendes Ego taucht in andere Texte ab, und wir schauen ihm vom Rand aus durch die Lichtbrechung des Lesens hindurch zu, wie es in Nischen und Geheimfächern nach Kuriositäten, Raritäten, manchmal nach Perlen gräbt.
  Die Kritikerin und ehemalige Literaturchefin der Frankfurter Rundschau ordnet sich selbst im Vorwort in die Kategorie der lesenden Zwangstäter und Naivlinge ein, die bei jedem neu geöffneten Buch erwarten, gerade dieses würde ihre Welt gründlich verändern, die aber deshalb mitten im Lesegenuss stets auch darunter leiden, nicht gleich schon das nächste Buch in der Hand halten zu können. Denn das Problem der Berufsleser liegt darin, dass das nächste Buch immer das bessere ist.
  Die hier versammelten Kritiken und Aufsätze aus zehn Jahren spiegeln die Wende einer Literaturwissenschaftlergeneration, die aus dem Verglühen von Strukturalismus, Textimmanenz und Postmoderne während ihrer Studienzeit zurück zum Interesse am Biografischen fand. „Es hilft nichts: Das Werk drängt zur Biographie“, schreibt die Autorin in einer Kritik über Ingeborg Bachmanns autobiografisch geprägten Roman „Malina“. Dass hinter dem Tod der Erzählerin dieses Romans – „Es war Mord“ – zwangsläufig ein Mann stecke, wie die meisten Interpretationen annehmen, geleitet vom Roman-Ich und dessen Überzeugung, die Männer krankten an Liebesunfähigkeit, ist für die Kritikerin Hartwig nicht ganz so offensichtlich. Sie wagt eine Gegenthese: Krank sei die Frau, die hier erzählt – „wie konnte man es nur überlesen“ – mit ihrer Verstrickung in Schlaflosigkeit, maßlose Angst, psychotische Zustände, Alkohol, Tabletten, Zigaretten und der seltsam vorweggenommenen Todesart Bachmanns selbst. Mit einer – erst noch zu schreibenden – Biografie könnte den hermeneutischen, feministischen, historisierenden oder existentialistischen Auslegungen dieses Romans, so meint die Kritikerin, ein schockierendes Korrektiv gegenübergestellt werden.
  Solche Thesen kommen bei Hartwig jedoch nicht breitspurig daher. Sie schillern inmitten von viel Sachinformation. Das Spektrum der besprochenen Bücher umfasst im Wesentlichen das zwanzigste Jahrhundert, mit Gottfried Benn, Döblin, Kaschnitz, Grass, Kronauer, Yourcenar, Duras, Jelinek, Genet, Céline, Handke, Heiner Müller, Littell und einem ganzen Kapitel zu Marcel Proust. Das Vielgestaltige der für diesen Band überarbeiteten Texte wurde zu thematischen Kapitelbouquets gebunden. „Zärtliche Männer“ sind da etwa zu finden, vorab in Briefwechseln. Wenn Peter Handke und Nicolas Born antiautoritär sich über Kinderpflege und Vatersein austauschen, spürt die Kritikerin in den neuen männlichen Sprachformen nach ’68 einen beinah keuschen „Hauch von Jungem Deutschland“. Nach dem Schock des 11. September 2001 wundert sie sich hingegen unter dem Stichwort „Am Abgrund“ über eine bald sprachlos gewordene, bald geschwätzig in „rauschhafter Abgeklärtheit“ sich ergehenden Innerlichkeit.
  Man mag da und dort Einspruch erheben. Der Sprung von Marguerite Duras’ „Heften aus Kriegszeiten“ zu Genet, Céline und zum Papon-Freund François Mitterrand ist forciert. Der Vergleich zwischen der „erfüllten Sehnsucht“ bei Genet und der nicht erfüllbaren – als Vehikel der Kulturkritik – bei Arnold Stadler wackelt. Der Zusammenhang zwischen der obsessiv einfältigen Kindheitserinnerung Georges-Arthur Goldschmidts an die erotisch erregenden Schläge der Internatsleiterin und dem Sinnlichkeitsozean bei Marcel Proust erscheint fragwürdig. Doch machen solche flüchtig gezogenen Querverbindungen nicht selten gerade den Reiz dieser Texte aus. Die Autorin versteht es, dem Leser Epochenzusammenhänge, Lebenswerke, beiläufige Textdetails und besondere Motivfiguren – vorab dort, wo symptomatische Triebkräfte des Begehrens oder Abweisens sich regen – in einer lebensnahen Sprache ohne wissenschaftliches Begriffsklirren nahe zu bringen. Mehr als in den gefällten Urteilen bestätigen die gesammelten Kritiken dieser lesenden Zwangstäterin ihre Gültigkeit in der mitgelieferten Sachinformation, der produktiven Auslegungsassoziation und der auch bei der Wiederlektüre nicht ausgeschöpften Feinheit des Blicks.
JOSEPH HANIMANN
Lebensnahe Vermittlung
ohne alles wissenschaftliche
Begriffsklirren
  
  
  
  
  
Ina Hartwig: Das Geheimfach ist offen. Über Literatur. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 336 Seiten, 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Joseph Hanimann empfiehlt allen Zweiflern an dem Nutzen von Literaturkritik diese gesammelten Schriften von Ina Hartwig. Ihre Texte in "Das Geheimfach ist offen" beschreibt er als genaues Gegenteil von voreiligen Meinungen, des "Entweder-oder-Reflexes per Smiley-Click" oder eines aufdringlichen "Ich" des Kritikers. Die Kritiken der ehemaligen Literaturchefin der Frankfurter Rundschau umfassen vor allem Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, von diesen allerdings einige: unter anderem Benn, Döblin, Duras, Handke, Heiner Müller und Marcel Proust. Hier und da würde der Rezensent der Autorin nicht zustimmen, manche ihrer Querverbindung findet er wackelig. Insgesamt gehören für Hanimann aber auch sie zu dem besonderen Charme der Kritikerin. Der Rezensent sieht in Ina Hartwig eine Repräsentantin einer Generation von Literaturwissenschaftlern, die den Umbruch zum Poststrukturalismus und zur Textimmanenz miterlebt haben, die aber die Bedeutung des Biografischen wieder für sich entdeckt haben. Die Biografien könnten historisierenden und feministischen Interpretationen ein "schockierendes Korrektiv" gegenüberstellen, beschreibt Hanimann die Wirkung ihrer Perspektive, und das ganz ohne jedes "wissenschaftliche Begriffsklirren".

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