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Volker Hages Buch bietet ein abschließendes Resümee der von W. G. Sebald ausgelösten Debatte: es waren die Literaten, die den Luftkrieg thematisierten, bevor die Historiker ihn entdeckten.
W. G. Sebalds These, dass die deutsche Literatur dem Luftkrieg, seinen Opfern und Ruinen gegenüber blind und taub geblieben sei, hat in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten und fruchtbarsten literarischen Debatten geführt.
Volker Hage hat sich von Anfang an intensiv mit diesem Thema beschäftigt und kommt in seinem ausführlichen und abschließenden Essay zu dem überraschenden Befund, dass nicht
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Produktbeschreibung
Volker Hages Buch bietet ein abschließendes Resümee der von W. G. Sebald ausgelösten Debatte: es waren die Literaten, die den Luftkrieg thematisierten, bevor die Historiker ihn entdeckten.
W. G. Sebalds These, dass die deutsche Literatur dem Luftkrieg, seinen Opfern und Ruinen gegenüber blind und taub geblieben sei, hat in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten und fruchtbarsten literarischen Debatten geführt.

Volker Hage hat sich von Anfang an intensiv mit diesem Thema beschäftigt und kommt in seinem ausführlichen und abschließenden Essay zu dem überraschenden Befund, dass nicht die Literatur, sondern ihre Rezeption den Luftkrieg unterschlug.
Volker Hage führte zudem zahlreiche Gespräche mit Schriftstellern über ihre traumatische Erfahrung des Luftkrieges, die unser Band zum ersten Mal zusammenträgt: Wolf Biermann, Dieter Forte, Rolf Hochhuth, Walter Kempowski, Alexander Kluge, Monika Maron, Harry Mulisch, Marcel Reich-Ranicki, Gerhard Roth, W. G. Sebald sowie Kurt Vonnegut.

Autorenporträt
Volker Hage, 1949 in Hamburg geboren, arbeitet seit 1992 als Literaturkritiker beim "Spiegel". Zuvor war,er (1975 -1986) im Literaturblatt der "Frankfurter Allgemeinen" und im "FAZ-Magazin" tätig, anschließend (1986 - 1992) als verantwortlicher Literaturredakteur der "Zeit". Herausgeber zahlreicher Anthologien und Auswahlbände.
Rezensionen
literaturtest.de

"Die Sühne beginnt"

Seit Jörg Friedrichs Der Brand und Anthony Beevors Berlin 1945. Das Ende hat die Thematik des Bombenkriegs in Deutschland eine breite Öffentlichkeit erreicht. Schon länger an dem Thema arbeitet Volker Hage, Literaturredakteur beim "Spiegel". Er wollte wissen, wie sich die Literaten erinnern, er hat ihre Werke studiert und sie nach ihrem persönlichen Erleben befragt. So notierte Thomas Mann aus dem Exil im Mai 1942 zum Luftangriff auf Köln: "Vernichtung und Panik. Erschütternd, aber die Sühne beginnt." Bertolt Brecht, ebenfalls im Exil, ordnete die Ereignisse anders ein: "Da sie nicht mit militärischen Operationen verknüpft sind, sieht man kein Ende des Krieges, nur ein Ende Deutschlands."

"Ein gewisser Punkt der Grausamkeit"

Neben vergessenen Büchern wie Gert Ledigs "Vergeltung" bleiben heute noch die jüngeren Autoren, die den Krieg vielleicht im Kindesalter erlebt haben, als Kronzeugen. Sie hat Hage interviewt. Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge war 13 Jahre alt, als seine Heimatstadt Halberstadt angegriffen wurde. Seine Schilderung schließt mit dem Satz: "An einem gewissen Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: sie soll nur aufhören." Auf wohltuende Weise entschärft Hage mit seinem Buch die Debatte um eine vermeintliche (oder tatsächliche) Tabuisierung des Themas. Er begreift die Beschäftigung damit als kleinen Teil der Annäherung an die Wahrheit. Lesenswert ist dieser "kleine Teil" aber allemal.
(Mathias Voigt)

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2003

Die Rezeption der Bomben
Sammeln nach Sebald: Texte zum Luftkrieg in der Literatur

Die Vernichtung Hamburgs war das Ziel der in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 von der Royal Air Force und amerikanischen Fliegern durchgeführten "Operation Gomorrha". Seine kleine Lebensuhr, sagt Wolf Biermann, der den von den alliierten Streitkräften durch den Abwurf von zehntausend Spreng- und Brandbomben entfachten Feuersturm, dem Tausende von Menschen zum Opfer fielen, mit sechseinhalb Jahren an der Hand seiner Mutter wie durch ein Wunder überlebte, sei in jener Juli-Nacht festgebrannt.

Das erzählt Wolf Biermann in einem Interview mit dem Spiegel-Journalisten Volker Hage. Einen Roman darüber könne er nicht schreiben. Er ahnt aber, wo der "raffinierte Drehpunkt" eines solchen Romans liegen könnte: Er würde aus der Perspektive eines Jungen und einer Arbeiterfrau erzählen, die weiß, "daß ihr Mann gerade durch den Schornstein in Auschwitz gegangen ist und als Rauch in diesem verrauchten Himmel schon zuckt, von oben". Seine Mutter, so Biermann weiter, habe sich über die Bombenangriffe gefreut, "weil sie Kommunistin gewesen war - und weil nicht allein mein Vater, sondern unsere gesamte jüdische Familie ermordet worden war. Die alliierten Bomber waren unsere Freunde, wie man es kindisch sagt: unsere Verbündeten, die uns befreien sollten, von den Nazis."

Volker Hage hat zum sechzigsten Jahrestag des Feuersturms in Hamburg - eine in der Geschichte der Menschen bis zu jener Sommernacht ungeahnte Katastrophe, die der Historiker Jörg Friedrich in seinem vor einem Jahr erschienenen Buch über Deutschland im Bombenkrieg als einen "Austritt aus Land und Zeit, aus dem Vertrauensschutz der Welt" beschrieb - zwei Bücher vorgelegt: zum einen eine Sammlung vor allem literarischer Texte von unterschiedlicher Qualität, deren Autoren den Untergang Hamburgs im Juli 1943 zu beschreiben versuchen, zum anderen eine kleine Studie über die literarischen Zeugen der Zerstörung als Nachtrag zu W. G. Sebalds berühmten Züricher Vorlesungen aus dem Jahr 1997 über die deutsche Literatur und den Luftkrieg sowie zu der sich daran anschließenden Debatte.

Der Leser findet in dieser zweiten Publikation auch einige Interviews, die Hage in den Jahren nach Sebalds Vorlesungen führte - mit Wolf Biermann, Dieter Forte, Rolf Hochhuth, Walter Kempowski, Alexander Kluge, Monika Maron, Harry Mulisch, Gerhard Roth, W. G. Sebald -, leider viel zu kurz - mit Kurt Vonnegut und schließlich mit Marcel Reich-Ranicki. Sie lohnen die Lektüre, weil sie alle von der Not des Schriftstellers vor der Geschichte handeln.

Der Schriftsteller Dieter Forte überlebte als Kind die Bomben auf Düsseldorf und hat darüber einen Roman geschrieben ("Der Junge mit den blutigen Schuhen", 1995). Er habe zahlreiche Leserbriefe dazu erhalten - vor allem von Frauen. Die Bombardierungen, so Forte, seien ja doch "ein Erlebnis der Frauen" gewesen - während die meisten Schriftsteller nach 1945 aus dem Krieg gekommen seien. Er zitiert einen Brief Wolfgang Hildesheimers, der sich 1952 über die Gruppe 47 erregt, die in seinen Augen eine, so Hildesheimer, "mehrheitlich konservative Versammlung von Kriegsheimkehrern" gewesen sei, ganz "auf Selbstlegitimation und Integration im System bedacht". Der Krieg nun, so Forte, den die Erinnerungen an seine Erlebnisse während des Bombenfalls und an das Leben in den Ruinen für eine durch Reichtümer und Glanz abgeschottete und gesicherte und ihm deswegen Angst einjagende Gegenwart völlig untauglich gemacht haben, sei ein traditionelles literarisches Thema, für das es einige Vorbilder gebe. Wie aber hätte ein Schriftsteller den "Zivilisationsterror" der Bombardierungen beschreiben sollen?

Der bei einem Autounfall vor zwei Jahren in England ums Leben gekommene Schriftsteller W. G. Sebald hatte in seinen Vorlesungen beklagt, daß der Luftkrieg über Deutschland in der deutschen Literatur keinen Widerhall gefunden habe. Er hatte "die Unfähigkeit einer ganzen Generation deutscher Autoren, das, was sie gesehen hatten, aufzuzeichnen und einzubringen in unser Gedächtnis", konstatiert und in der gähnenden Lücke der Literatur nur zwei kleine Texte gefunden, der eine unmittelbar nach dem Angriff auf Hamburg 1943 von Hans Erich Nossack, der andere in den siebziger Jahren von Alexander Kluge verfaßt. Sebald lobte sie vor allem deshalb, weil sie, und zwar wegen ihrer dokumentarischen und synoptischen Darstellung, Worte für die Katastrophen in zwei deutschen Städten gefunden hätten, die nicht zum Wort- und Stimmungsfeld der Verdrängung gehören.

Verstünde man nun Sebald - ganz falsch - dahin gehend, er wäre schon zufrieden gewesen, wenn er einfach mehr literarische Texte zum Luftkrieg gefunden hätte, und zwar unabhängig von deren ästhetischen Qualitäten, die sie ja erst zu einem literarischen Gedächtnisspeicher machen - dann könnte man Hages Textsammlung zum Hamburger Feuersturm 1943 als eine Widerlegung Sebalds durch pure Masse verstehen. Hage aber weist selbst darauf hin, daß Sebald durch Masse nicht beizukommen ist. Seine Sammlung versteht er als einen kleinen Beweis für eine These, die er eigenständig in seinem zweiten Buch zum Bombensommer aufstellt. Er schreibt über die deutsche Literatur und den Luftkrieg: "Heute steht für mich fest: die Lücke, die nicht nur von Sebald empfunden worden ist, war und ist weniger eine der Produktion als der Rezeption - es sind viele Romane und Erzählungen über den Luftkrieg publiziert worden, doch sie fielen schnell und gründlich dem Vergessen anheim, wenn sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen wurden" - und für den letzten Fall erwähnt er immer wieder gerne den in den fünfziger Jahren erschienenen und schnell vergessenen Roman von Gerd Ledig, "Vergeltung".

Doch eben auch schon die in der Sammlung über den Feuersturm in Hamburg 1943 vorgestellten Texte - darunter als berühmtester auszugsweise Hans Erich Nossacks "Der Untergang", aber auch ein Brief Hermann Hesses vom 16. August 1943 an einen Herrn Basler und, nach einer auffälligen Textleere zwischen den Jahren 1949 und 1963, ein 1993 erschienenes Buch von Uwe Timm - können uns von dieser Rezeptionsthese nicht überzeugen. Hage versucht sich nach zwei Seiten hin abzusichern, stopft auf der einen Seite die Luftkriegslücke in der deutschen Literatur mit zahlreichen Texten, die oft und im besten Falle nur Dokumente sind, und stellt auf der anderen Seite in die Lücke einige literarische Texte von Autoren, die sich von dem Tabu gegenüber diesem Thema, das in der kanonischen deutschen Literatur der frühen Nachkriegszeit gewirkt haben soll, nicht mehr zum Schweigen bringen ließen.

Von Sebald, der den Roman Dieter Fortes ignorierte und Kempowskis "Echolot" in den hohen Rang der Literatur aufzunehmen sich weigerte, hat Hage den Eindruck gewonnen, daß er das, "was er angeblich suchte, eigentlich gar nicht finden wollte, schon weil es im Grunde gar nicht existieren konnte". Sebald habe nur Texte beachtet, die seinen eigenen ästhetischen Idealen entsprachen. Daß die Debatte nicht aufgekommen wäre, wenn die Luftkriegslücke in der deutschen Literatur nur eine fixe Idee Sebalds vor dem Hintergrund eines ästhetischen Rigorismus gewesen wäre, scheint Hage in seinem vorgeblichen Finderglück aus dem Sinn zu geraten - obwohl er doch selbst Günter Grass mit einem Zitat an Sebalds Seite rückt: In der Nachkriegsliteratur habe die Erinnerung an die Bombennächte nur "wenig Raum" gefunden. Die Folge bleibt, was Sebald bei einem Blick auf die lebendige, also nicht in Bibliotheken untergegangene oder schlicht wirkungsarme deutsche Literatur nach 1945 feststellte: Das kollektive Gedächtnis war und ist angesichts des Luftkriegs obdachlos, wenn es sich auf die deutschen Schriftsteller verlassen muß.

Was bewegt, fiel im Gespräch. In seinen Augen, sagt der Schriftsteller Gerhard Roth, der 1942 in Graz geboren worden ist und in einem Roman erzählt, wie er, seine Mutter und seine zwei Brüder einen Fliegerangriff auf einen Personenzug überlebten - in seinen Augen sei nun einmal, was die Generation seines Vaters "angestellt" habe, doch sehr viel entsetzlicher gewesen als die Bombardierung Deutschlands, die er sogar immer als "richtig" empfunden habe. "Es hätte", erklärt Gerhard Roth, der mit diesem Empfinden nicht nur neben der Mutter Wolf Biermanns sitzt, ohne daß er deswegen ein Kommunist sein müßte, "nicht sein dürfen, daß alle ungeschoren davonkommen".

Den Gedanken der Vergeltung teilt mit ihm auch der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, der zu sich selbst sagte, als er im zerstörten Dresden stand und sich umsah: "Ja, das kommt davon!" Er veröffentlichte 1959 den Roman "Das steinerne Brautbett", in dem er auch beschreibt, was deutsche Schriftsteller damals nicht beschrieben: die Bombardierung Dresdens. Die Deutschen, die Schriftsteller hätten, so Harry Mulisch, Scham empfunden, sich selbst als Opfer darzustellen. Ein Zeuge der Bomben auf Dresden wurde ebenfalls der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut, der erst 1969 den Dresden-Roman "Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug" veröffentlichte. Er habe unmittelbar nach dem Krieg darüber nicht schreiben können: "Das Thema war zu groß für mich - wie für jeden anderen." Er fand den "Dreh" eben nicht.

Literatur brauche Zeit, sagt Harry Mulisch und greift damit nicht nur Kurt Vonnegut unter die Arme. Man müsse warten können. Manche Themen seien zu groß - wenn man unmittelbar vor ihnen, das heißt unter ihrem Eindruck, steht: "Die napoleonischen Kriege sind auch erst sechzig Jahre danach von Tolstoi in ,Krieg und Frieden' beschrieben worden. Es muß lange vorbei sein. Sechzig Jahre nach 1945 - wo sind wir dann? Im Jahre 2005, vielleicht kommt so ein Roman 2005 heraus." Wir werden sehen. Wenn es soweit ist, wird Volker Hage, hoffentlich, ein Interview mit dem Autor führen.

EBERHARD RATHGEB.

Volker Hage: "Zeugen der Zerstörung". Die Literaten und der Luftkrieg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 288 S., geb., 18,90 [Euro].

Volker Hage (Hrsg.): "Hamburg 1943". Literarische Zeugnisse zum Feuersturm. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 320 S., br., 12,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Volker Hages Buch versteht sich als Antwort auf W.G. Sebald und den "Schlusspunkt" unter die von diesem angestoßene Debatte über das Schweigen der deutschen Literatur zum Luftkrieg. Hatte Sebald Recht oder nicht? Er hatte nicht unrecht, konstatiert Uwe Schütte nach der Lektüre dieser verdienstvollen Veröffentlichung, die im ersten Teil ausführliche den Bestand des literarischen Verarbeitungen des Luftkriegs aufnimmt. Ergebnis: Es gab viel, auch in deutscher Literatur, aber die Qualität war oft sehr gering, und die ausführlichsten Auseinandersetzungen mit dem Thema stehen in den Werken ausländischer Autoren. Deutsche Schriftsteller dagegen "schwiegen oft aus moralischer Scham". Aber: "Die mangelnde Präsenz des Luftkriegs in der Literatur", zitiert Schütte den Autor, "ist weniger ein Problem der literarischen Produktion, sondern eines mangelhafter Rezeption." Im zweiten Teil, informiert Schütte, schließen sich Gespräche mit Autoren - Zeitzeugen wie Nachgeborenen - an, in denen "die moralische Komplexität derartiger Kriegsführung anhand konkreter Lebensläufe deutlich" werde. Fazit: Ein aufschlussreiches und angesichts der immer häufigeren Bombardierung von Städten in der Gegenwart ein ungemein aktuelles Buch.

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