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»Die Literatur ist eine Form des Exorzismus. Sie treibt die Dämonen aus, die wir in uns haben.« (Carlos Fuentes) Engel und Dämonen, Gespenster und Vampire treiben ihr Unwesen mit schönen Frauen und selbstbewussten Männern. Schmal ist der Grat, der Leben und Tod, Diesseits und Jenseits voneinander trennt. Das Unheimliche kommt mit leichtem Schritt, und das alltäglich Vertraute verliert den Boden unter den Füßen. Carlos Fuentes erzählt mit subtiler Grausamkeit und anspielungsreicher Ironie. Sechs phantastische Erzählungen, sechs Variationen des Bösen. Die Mythen Mexikos bilden den Hintergrund…mehr

Produktbeschreibung
»Die Literatur ist eine Form des Exorzismus. Sie treibt die Dämonen aus, die wir in uns haben.« (Carlos Fuentes)
Engel und Dämonen, Gespenster und Vampire treiben ihr Unwesen mit schönen Frauen und selbstbewussten Männern. Schmal ist der Grat, der Leben und Tod, Diesseits und Jenseits voneinander trennt. Das Unheimliche kommt mit leichtem Schritt, und das alltäglich Vertraute verliert den Boden unter den Füßen. Carlos Fuentes erzählt mit subtiler Grausamkeit und anspielungsreicher Ironie. Sechs phantastische Erzählungen, sechs Variationen des Bösen. Die Mythen Mexikos bilden den Hintergrund dieser geheimnisvollen Geschichten, die auf einen ganz und gar unvorhersehbaren surrealen Show down zulaufen.
Autorenporträt
Carlos Fuentes, am 11. November 1928 in Panama geboren, studierte Jura und schlug zunächst die diplomatische Laufbahn ein, um sich dann vor allem dem Schreiben und der Literatur zuzuwenden. 1975/76 mexikanischer Botschafter in Paris. Lehrauftrag in Harvard. Sein Werk umfasst zahlreiche literarische und politische Essays, Theaterstücke, Erzählungen und Romane. 1987 erhielt Carlos Fuentes die höchste Auszeichnung der spanischsprachigen Welt: den Cervantes-Preis. 2011 wurde Carlos Fuentes mit dem "Formentor"-Literaturpreis geehrt. Der Autor verstarb im Jahr 2012.

Lisa Grüneisen, 1967 geboren, arbeitet seit ihrem Studium der Romanistik, Germanistik und Geschichte als Übersetzerin. Sie übersetzte u.a. Carlos Fuentes, Miguel Delibes, Alberto Manguel und Frida Kahlo.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Graf Dracula residiert jetzt in Mexico City
Carlos Fuentes, der Phantast Von Hans-Martin Gauger

Als Richard Wagner die Händel-Klaviervariationen von Brahms hörte, soll er gesagt haben, es sei doch erstaunlich, was in den traditionellen Formen immer noch geschaffen werden könne. Ähnliches, allerdings ganz ohne die Herablassung in diesem Satz, möchte man im Blick auf dieses Buch von Carlos Fuentes sagen. Freilich ist dieser große mexikanische Schriftsteller, Jahrgang 1928, nicht einfach "traditionell". Aber eigentlich "modern", im Formalen und Inhaltlichen, ist er ebensowenig. Immerhin hat er aber, vor fünfzig Jahren, mit "Die durchsichtigste Gegend" (1958) den ersten Stadt-Roman der Riesenmetropole Mexiko-Stadt geschrieben, die nun noch weit riesiger und "undurchsichtiger" ist.

In diesem Buch, im Original 2004 erschienen, ist überall handwerklicher Glanz. Nie hat der Rezensent das Gefühl, das ihn bei Produkten aus unseren Landen gelegentlich doch übermütig beschleicht: könntest du das nicht ungefähr auch? Dies Buch führt subtil, durchaus spezifisch und für unsere Zeit eine alte Gattung meisterhaft weiter: die der phantastischen Erzählung. Schon insofern ist das Buch nicht bloß eine Sammlung von sechs Geschichten. Da ist thematische und formale Einheit. Und in jeder der Geschichten ist von den ersten Sätzen an Spannung. Wirklich: hier möchte man jederzeit wissen, wie es weitergeht, auch wenn man sich keinen bündigen Reim, aber ebendies gehört zu der Gattung, auf das Mitgeteilte machen kann.

Dann aber möchte man wissen: Was soll das? Was ist hier an Gemeintem möglich? Da bleibt vieles offen, besonders wohl in der fünften Geschichte, und läßt dem Leser Raum. Man erfährt oder erlebt dabei fasziniert, was Phantasie oder besser Imagination ist und zwar, in diesem Fall, verbunden mit Konstruktion. Das Konstruierte zeigt sich erst nachher überraschend oder überrumpelnd, und das Imaginierte leuchtet trotzdem noch immer ein: ,Ja, warum nicht?", fragt man sich zustimmend bloß. Unaufdringliche und natürlich mehrsprachige Weltläufigkeit ist da überall auch und diskrete, wahrlich unprofessoral eingesetzte Bildung, besonders literarische, ebenfalls - so unprofessoral entfaltet sie sich hier, daß kein Professor dies könnte (nicht einmal Eco).

Der Titel des Buchs lautet spanisch und etwas unterkühlt "Inquieta compañía". Vielleicht geht die Übersetzung mit "Unheimliche Gesellschaft" um eine Schraubendrehung weiter, denn inquieto heißt "unruhig", unheimlich wäre eher "inquietante". Doch soll hier nicht insistiert werden. Lisa Grüneisen hat das Buch sehr gut übersetzt; die zügige, direkte, verhalten poetische Schreibweise des Autors kommt auch in dieser Übersetzung gut "rüber".

Sechs Geschichten also, ungefähr gleich lang, spielend in Mexiko-Stadt, Paris, London; eine greift spezifisch (da ist ein Hitler-Anhänger in der Wüste von Chihuahua) nach Deutschland aus. Geld ist überall vorhanden. Sozialkritik gibt es hier allenfalls am Rande. So geht es also um Probleme, die sich auch dann und vielleicht dann besonders zeigen, wenn keine materiellen Probleme da sind: Psychologie, Metaphysisches. Eigentlich sind diese Geschichten alle Liebesgeschichten, wenngleich es stets um verfehlte Liebe geht: verfehlte Liebe zu einem Kind; verfehlte Liebe eines Manns zu einer Frau (die Frau flieht in definitiv sprachlos machende Krankheit, und es kommt am Ende zu einer merkwürdigen, aber einleuchtenden Himmelfahrt der Frau mit einem schönen und weisen muslimischen Diener); verfehlte Liebe einer Frau zu einem wiederum schönen Mann, einem Valentino-Typ, der sich zuletzt als grausam unheimlich zeigt.

Dann gibt es noch eine Wiederaufnahme (vielleicht ist Fuentes hier doch etwas ,akademisch" oder "klassisch") des Dracula-Stoffs: Ein Nachfahr des Unholds, Graf Vladu Radu, läßt sich überraschend in Mexiko-Stadt nieder und nimmt dem Erzähler seine geliebte Frau, schenkt ihm aber (das bleibt etwas offen) das verstorbene Söhnlein wieder. Am Ende die uns Deutsche speziell betreffende und zumindest für uns etwas schwierige Geschichte des Emil Baur aus Deutschland, der 1915 in Mexiko erscheint, rasch als "Minenbetreiber" sehr reich wird, sich dem Guerrillero Francisco (Pancho) Villa anschließt, Kaiser-Wilhelm- und dann Hitler-Anhänger wird und nun (die Geschichte spielt 1975) in seinem Gewissen leidet; Fuentes läßt ihn zu dem seltsamen Arzt, der hier erzählt, den seltsamen Satz sagen: "Begreifen Sie nicht, daß die Scham der Henker das Leid der Opfer bereits aufgewogen hat?"; aber bei dem bleibt es nicht . . .

Alle diese Geschichten beginnen sozusagen normal, realistisch, da ist überall fürs erste normale moderne Wirklichkeit, "Referenz". Dann, sich unmerklich ankündigend, plötzlich der seltsame Abhub ins Phantastische (nie ist es von Anfang an da). So zeigt Carlos Fuentes, abgesehen davon, daß dies alles fesselnd ist, durchaus, aber trocken poetisch - ja, was? Zumindest dies, daß das sogenannte "Reale" nicht alles, daß da noch etwas ist. Wer Carlos Fuentes noch nicht kennt, für den wäre gerade dieses Buch ein guter Einstieg.

Carlos Fuentes: "Unheimliche Gesellschaft". Sechs phantastische Erzählungen. Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 303 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2007

„Esteban, du bist deiner Frau unterlegen.”
Weltläufiger Literat: Carlos Fuentes erforscht in „Unheimliche Gesellschaft” seine mexikanische Heimat mit den Mitteln des Schauerstücks
„Die Einsamkeit schreckt uns Hispanier nicht”, verkündet „Der Theaterliebhaber” in der raffiniertesten dieser sechs Erzählungen mit einer ironischen Anspielung an „Das Labyrinth der Einsamkeit” von Octavio Paz: „Wir kultivieren sie, nennen sie beim Namen, heben sie auf die Titel unserer Bücher.” Mit Paz (1914-1998) und Juan Rulfo (1918-1986) bildete der 1928 in Panama geborene Carlos Fuentes das Dreigestirn der modernen mexikanischen Literatur. Als weltläufiger Jurist und Diplomat, der in den 1970er Jahren Botschafter in Paris war, seit 1954 zahlreiche Erzählungen und Romane veröffentlichte und in Harvard lehrte, spielt Fuentes auch in diesen 2004 publizierten Erzählungen souverän mit Motiven aus Alter und Neuer Welt.
Die Stadt und der Staat Mexiko sind bei ihm Palimpseste, auf denen seit präkolumbianischen Zeiten Kulturen ihre Zeichen hinterlassen, die Spuren ihrer Vorgänger verwischt und überdeckt haben. Wie die Fundamente von Mexiko-Stadt tief hineinreichen in die Trümmer des aztekischen Techochtitlan, so finden sich in den Häusern seiner Erzählungen die Spuren einer verdrängten Geschichte. Die mörderische, unheilige Inquisition, die den in Zeiten des Kolumbus aus Spanien vertriebenen Juden über den Atlantik folgte, war auch in Mexiko weit mehr an deren Vermögen als an deren Seelenheil interessiert, erfährt man in „Die Katze meiner Mutter”. In „Calixta Brand” deutet Fuentes die Vorgeschichte der Konquistadoren noch einen Schritt weiter aus, bis in Zeiten der Reconquista, die der muslimischen Herrschaft in Al Andalus ein blutiges Ende setzte. Ein anderes Kapitel sind die nationalsozialistischen Umtriebe in Lateinamerika, die in „Die schöne Schlafende” von dem um 1915 eingewanderten Minenbetreiber Emil Baur repräsentiert werden. Dabei schreibt Fuentes alles andere als historische Lehrstücke. Das Verdrängte kehrt bei ihm im phantasmagorischen Gewande wieder, das sein Erzählen mit Rulfos Beschwörungen des Llano, mit Marquez und den literarischen Labyrinthen eines Cortázar verbindet.
In „Calixta Brand” gerät das Selbstbewusstsein eines großbürgerlichen mexikanischen Ehemanns, der sein Geld längst bei VW verdient, in den Schatten der literarischen Produktion seiner „kleinen Gringa”, die er auf der Universität kennengelernt hatte. Nicht dass sie ihre Werke veröffentlichen würde. Sie liest sie nur ihrem Mann vor und vermittelt ihm die Erkenntnis: „Sie ist intelligenter als ich.” Noch niederschmetternder: „Esteban, du bist deiner Frau unterlegen.” Im Labyrinth seiner Mittelmäßigkeit stößt er am Elterngrab den Stoßseufzer aus: „Ach, Mama, warum bist du gestorben und nicht meine Frau Calixta?”
Eine blutige Rutschpartie
Hier liegt die erzählerische Wegscheide, wo es entweder als Ehe-Tragikomödie oder als subtile Studie über häusliche Machtspiele weitergehen könnte, doch Fuentes wählt einen dritten Weg, bei dem ein alter Muslim von einem geschwärzten Gemälde als engelhafter Liebhaber aufersteht. Ähnlich geht es zu in vier weiteren Geschichten, die vorderhand weniger die Ambivalenz des Phantastischen kultivieren als das Übernatürliche Ereignis werden lassen. In „Vlad” geht es um Vlad Tepes, den „Pfähler”, dessen mörderische Umtriebe in Transsylvanien die Geschichte vom Grafen Dracula hervorbrachten. Fuentes mischt Elemente der bodenständigeren Nosferatu-Gestalt mit Bram Stokers genialer Umsiedlung der Legende ins viktorianische England und verlegt seine Version ins moderne Mexiko. Freilich wird das subtile Spiel mit verdrängten Begierden leicht zur Rutschpartie, wenn man dabei zu tief im Blut watet. Eine raben- bis fledermausschwarze Romantik taugt nicht als Mittel der Aufklärung. Wo sich das Phantastische nicht mehr aus den Obsessionen einer Gestalt oder Epoche entwickelt, da droht Unverbindlichkeit. Das gilt auch im moralischen Sinne, wenn die Opfer der Inquisition als Ratten und Mäuse und die des Holocausts als „schöne Schlafende” verkörpert werden.
„Der Theaterliebhaber” wirkt hier subtiler und lässt offen, auf welcher Bühne er inszeniert wird. Ein Exilmexikaner, der einsam in London lebt, erliegt seiner Theatermanie, in die er schließlich auch eine junge Frau einbezieht, die er wochenlang am Fenster der gegenüberliegenden Wohnung beobachtet. Auch dieses Motiv ist nicht neu. In manch phantastischer Erzählung stellt sich heraus, dass solche Wohnung seit langem leer gestanden hatte, doch Fuentes gelingt eine geniale Wendung, indem er die Schöne am Fenster zur ihre Rolle probenden Ophelia einer Londoner Hamlet-Aufführung macht, die ein brillanter und selbstherrlicher Schauspieler sich selbst auf den Leib geschrieben hat. Ein Clou dieser Fassung ist, dass Ophelia darin stumm bleibt, und so verfolgt man ein Stück, ohne zu wissen, ob es sich am Fenster, auf der Bühne oder ganz in der überhitzen, eifersüchtigen Phantasie des Erzählers entwickelt hat.
Am Anfang hat dieser über den Ausdruck „Film” und dessen Assoziation mit der menschlichen Haut im Spanischen philosophiert: „Die Haut, mit der wir uns den Blicken der anderen präsentieren, denn ohne diese Hülle, die uns von Kopf bis Fuß umgibt, wären wir lediglich eine zur Schau gestellte Ansammlung vergänglicher Eingeweide, ohne ein anderes Gerüst als das Skelett – das Totengerippe.” Dass das Verletzlichste und das Illusionärste – die Haut und der Film – unsere Vergänglichkeit verbergen, ist ein schöner Gedanke, auch wenn ihnen dies nie lange gelingt. ULRICH BARON
CARLOS FUENTES: Unheimliche Gesellschaft. Sechs phantastische Erzählungen. Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 303 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Buch möchte Hans-Martin Gauger wärmstens empfehlen. All jenen, die den Autor noch nicht kennen (als Einstieg), und den Fuentes-Fans sowieso. Gauger schämt sich mitnichten seiner Bewunderung für die handwerkliche Tradition und das leicht Unmoderne dieses Textes, der 2004 auf Spanisch erschien. Warum auch. Die ehrwürdige Gattung der fantastischen Erzählung ist hier schließlich meisterhaft ausgeführt. Für Gauger bedeutet das eine gelungene Balance zwischen Konstruktion und Imagination, die Spannung erzeugt. Gelungen, meint er und klebt förmlich an den Seiten, die ihn mitunter unvermittelt vom Realistischen ins Obskure führen. Dass dies gelingt und noch dazu angenehm ist, liegt laut Gauger auch an der "zügigen" und "direkten" Sprache von Carlos Fuentes und der gelungenen Übersetzung.

© Perlentaucher Medien GmbH