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Seit 30 Jahren präsentiert das "Jahrbuch der Lyrik" die deutschsprachige Gegenwartspoesie in all ihren Facetten und Spielarten. Auch 2009 stellen renommierte und bisher unentdeckte Autoren ihre neuesten Arbeiten vor: Friederike Mayröcker, Herta Müller, Harald Hartung, Marcel Beyer und viele andere.
Seit dem ersten Band, 1979, bittet Christoph Buchwald einen Mitherausgeber für das "Jahrbuch der Lyrik" an seine Seite und durchforstet mit ihm die zugesandten Gedichte namhafter Autoren und unbekannter Stimmen. In lebhafter Diskussion, gemeinsamer Begeisterung und wechselseitiger
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Produktbeschreibung
Seit 30 Jahren präsentiert das "Jahrbuch der Lyrik" die deutschsprachige Gegenwartspoesie in all ihren Facetten und Spielarten. Auch 2009 stellen renommierte und bisher unentdeckte Autoren ihre neuesten Arbeiten vor: Friederike Mayröcker, Herta Müller, Harald Hartung, Marcel Beyer und viele andere.

Seit dem ersten Band, 1979, bittet Christoph Buchwald einen Mitherausgeber für das "Jahrbuch der Lyrik" an seine Seite und durchforstet mit ihm die zugesandten Gedichte namhafter Autoren und unbekannter Stimmen. In lebhafter Diskussion, gemeinsamer Begeisterung und wechselseitiger Überzeugungsarbeit wählen sie die "besten", die repräsentativsten und die singulärsten Gedichte aus. So entsteht ein weit gespannter Überblick zur aktuellen Lyrik, und zugleich ergeben sich in jedem Jahr neue Perspektiven von experimenteller Poesie über Naturlyrik bis zur jungen Dichtung. Im 30. Jahr geht die 1979 geborene Uljana Wolf mit auf Entdeckungsreise durch die poetischen Sprachwelten der Gegenwart.
Autorenporträt
Christoph Buchwald, geboren 1951 in Tübingen, ist seit 1979 ständiger Herausgeber des Jahrbuchs der Lyrik. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und experimentellen Komposition war er als Lektor tätig und hat dabei zahlreiche Lyriker begleitet. Heute ist er Verleger des literarischen Verlags Cossee in Amsterdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2010

Alle Tage ein gutes Gedicht - und manchmal auch mal zwei

Lyrische Inventur: Zwei Bände bilanzieren den Ertrag gegenwärtiger Gedichtproduktion. Trotz etwas problematischer Kriterien lässt sich so manche Entdeckung machen.

Geht es Ihnen gut? Oder lesen Sie moderne Gedichte? Und das auch noch haufenweise? Das wäre allerdings bedenklich, ja besorgniserregend! Daran sind schon manche großen Geister irre, krank oder aggressiv geworden. Man braucht nur an den Bertolt Brecht zu denken, der, als er es 1927 anlässlich eines Preisausschreibens mit vierhundert (!) jungen Lyrikern zu tun bekam, ernsthaft daran zu zweifeln begann, ob es angesichts der vollständigen Harmlosigkeit und des "unbeschreiblichen persönlichen Unwerts dieser Leute meines Alters" überhaupt und immer noch nützlich wäre, "mehrere Generationen schädlicher älterer Leute totzuschlagen oder, was besser ist, totzuwünschen". Dieser Wunsch beherrschte ihn offenbar so lange, bis er die, wie er meinte, belanglosen Gedichte seiner eigenen Generation lesen musste.

Aber bei aller Brechtschen Lust an der Provokation und Unlust an der mediokren Masse - so weit muss man heute gewiss nicht gleich gehen, wenn man gegenwärtige Gedichte liest. Schließlich handelt es sich ja bei den Lyrikern, die uns in den Anthologien begegnen, nicht um gemeingefährliche Individuen, sondern nur um mehr oder weniger begabte, gutwillige Zeitgenossen, die Gedichte schreiben. Andererseits geben Lyriker, wenn sie in größeren Mengen auftreten, ein mindestens komisches, mitunter abschreckendes Bild ab. Mit nicht weniger als 129 Gedichtverfassern wartet das "Jahrbuch der Lyrik" des Jahrgangs 2009 auf, und immerhin 50 Autoren vertreten die "Lyrik von jetzt zwei", wobei die "zwei" auf die erste Sammlung dieser Art aus dem Jahr 2003 zurückverweist, die zu Recht hoch gelobt wurde (F.A.Z. vom 19. Juli 2003), weil sie erstmals einen Generationswechsel im Felde der Lyrik öffentlich dokumentierte.

Beide Anthologien ziehen eine Art Bilanz. Sie wollen die interessantesten, lesenswertesten, merkwürdigsten, kurz: die besten Gedichte aus einer viel umfangreicheren Masse hervorheben und vorzeigen. Jahr für Jahr (seit 1979) tut das das "Jahrbuch der Lyrik", zum zweiten Mal tut das die "Lyrik von jetzt". Das Jahrbuch vereinigt ältere und jüngere Autoren (die Älteste wurde 1924, die beiden Jüngsten 1985 geboren), die ihre Gedichte der Redaktion eingereicht haben; zur "Lyrik von jetzt" versammeln die Herausgeber Autoren, auf die sie durch eigene Recherchen aufmerksam geworden sind und die um das Jahr 1975 herum geboren wurden.

Die Frage, welche Gedichte Aussicht haben, sich im Kanon des Aufhebenswerten zu etablieren, ist müßig. Darum kann es auch nicht gehen. Dass nur die allerwenigsten Gedichte auf längere Sicht "bleiben" werden, steht ohnehin fest, und eine Prognose, welche das sein werden, gliche einem todsicheren Lottotipp. Darauf sollte man sich nicht einlassen. Doch im Sinne einer Empfehlung für Neugierige seien wenigstens einige Namen genannt, die man sich für alle Fälle schon einmal vormerken kann. Da ist beispielsweise die übermütige, sprachgläubige Ann Cotten mit ihrer "Extraversion in Tomi" ("ich arbeite daran, / alles, was weh tut, zu kürzen"); oder Nora-Eugenie Gomringer, deren Besuch der indianischen "Sonnenstadt" gewiss auch selbstkritisch zu lesen ist ("Ich nahm einen Skalp /Auf dem Heimweg"); oder die erinnerungssüchtige Nadja Küchenmeister oder der Spaßvogel Herbert Hindringer an der Orgel ("ein falscher ton / und ich bin tot") oder - nein, keine weiteren Namen! Es wären zu viele, und das heißt: Es gibt in der Tat eine höchst lebendige vielstimmige Lyrikszene, auf der sehr begabte Akteure ihren ganz eigenen Part spielen. Mehr will der Band "Lyrik von jetzt zwei" gar nicht zeigen, aber das zeigt er überzeugend.

Dagegen wird das "Jahrbuch der Lyrik" dem selbstgewählten Anspruch, die besten Gedichte eines Jahres vorzustellen, nur sehr bedingt gerecht. Das liegt an seiner Herstellungsmethode: Wer - ausdrücklich aufgefordert oder unaufgefordert - der Redaktion des Jahrbuchs nichts einsendet, kann darin auch nicht gedruckt werden. Das hört sich ganz selbstverständlich an und ist doch höchst fragwürdig. Denn es ist nicht nur denkbar, sondern sogar sehr wahrscheinlich, dass sich eines der schönsten oder bemerkenswertesten Gedichte eines Jahres nicht in der Manuskriptzusendung eines Autors, sondern in einem Gedichtband oder in einer literarischen Zeitschrift findet; wenn der Autor selbst es dem Jahrbuch nicht anbietet, sei es aus Bescheidenheit, Unkenntnis oder Arroganz, hat es keine Chance, bekannt gemacht zu werden.

Dieser Usus hat dazu geführt, dass manche Lyriker, deren Gedichte längst einen geradezu kanonischen Rang erreicht haben und die in den gängigen Anthologien und Lyrikgeschichtsdarstellungen selbstverständlich und regelmäßig berücksichtigt werden, in den bisher 26 Bänden des "Jahrbuchs der Lyrik" nicht ein einziges Mal vorkommen. So konnte man hier noch nie ein Gedicht von beispielsweise Reiner Kunze, Doris Runge, Dagmar Nick, Günter Grass, Heiner Müller und Wolf Wondratschek lesen; und Ulla Hahn, die mit ihren Gedichten seit 1981 Epoche gemacht hat, ist im neuen Jahrbuch zum ersten Mal vertreten mit einer langen "Elegie auf einen Dichter" voller nachdenklich stimmender Fragen ("Sprach er so / wie man das Korn sät für das Brot?").

Die erstmals im Jahrbuch vertretenen Autoren sind darin unauffällig nach thematischen Gesichtspunkten unter die bereits Arrivierten eingereiht. Das bekommt ihren Gedichten gut. Sie sind von vornherein gleichberechtigt, werden nicht namentlich besonders herausgestellt. Im "Lyrik von jetzt"-Band dagegen sind die Autoren allesamt als Generationsgenossen markiert. Man kann sich ein erstes, vielleicht vorläufiges Bild von ihnen machen, man kann sich fragen, von welchen Autoren man mehr lesen möchte oder auf welche man eher verzichten würde. Es sind überwiegend Autoren, die bereits ihre ersten Bücher in Kleinverlagen oder in Zeitschriften publiziert haben, Bücher, die man leider kaum noch in einer Buchhandlung findet. Jeder ist exakt mit vier Gedichten vertreten. Sie werden im Anhang nicht nur (wie im "Jahrbuch der Lyrik") mit äußerst dürren Daten aufgelistet, sondern mit Hinweisen auf ihre bisherigen Publikationen, Aktivitäten und beruflichen Tätigkeiten sowie mit einem Lob aus Freundes- oder Rezensentenmund kurz charakterisiert.

Will man die Anthologie "Lyrik von jetzt zwei" dazu nutzen, sich ein wenigstens vorläufiges Bild der Generation der heute dreißig- bis vierzigjährigen Lyriker zu machen, so kann man vielleicht Folgendes sagen: Ihre Gedichte verraten im Allgemeinen sehr sorgfältige Spracharbeit, sie sind im besten Sinne artifiziell, vermeiden den Gestus der Spontaneität, der Alltäglichkeit und Zufälligkeit, der einst die Lyrik der Neuen Subjektivität auszeichnete. Sie begnügen sich nicht mit bloßen Befindlichkeitsbeschreibungen oder mit Beziehungsbekenntnissen, sondern geben sich souverän, welterfahren, eigenwillig. Sie beherrschen die poetischen und rhetorischen "Materialien" der Sprache, wissen Metaphern zielsicher einzusetzen, spielen leichthin und ohne Habtachtpose mit Redeformeln und Zitaten und gehen unbefangen mit fremdsprachlichen Sprachpartikeln um. Die herkömmlichen Endreime und die bekannten Strophen- und Gedichtformen findet man nur noch selten, und auch der vertraute Wohlklang und die Sprachmelodie lyrischer Gedichte spielen keine herausragende Rolle mehr. Häufig - wohl typisch für Anfänger - wird das Gedicht selbst thematisiert, das Schreiben und Reden darüber, wie man beginnen kann, zu reden und zu schreiben: "Ich schreibe jetzt im neuen Stil, / kein Wort mehr von dir. / Ich schreibe vom Wetter" (Stephan Turowski).

Wer Serlos Bildungsprogramm aus "Wilhelm Meisters Lehrjahren" - "Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen" - nicht für völlig antiquiert hält, der könnte sich mutig daranmachen, Tag für Tag ein gutes Gedicht nicht nur im herkömmlichen Kanon, sondern auch in den hier angezeigten Anthologien zu suchen. Es lässt sich darin durchaus finden, auch wenn ein ganzes Jahr vielleicht zu lang ist für ein solches alltägliches Abenteuer. Aber übers Jahr kommen ja ohnehin schon wieder neue Anthologien für Leser, die es sich gutgehen lassen bei der Lektüre moderner Gedichte.

WULF SEGEBRECHT

"Jahrbuch der Lyrik 2009". Hrsg. Christoph Buchwald und Uljana Wolf. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 255 S., geb., 18,- [Euro].

"Lyrik von jetzt zwei. 50 Stimmen". Hrsg. Björn Kuhligk und Jan Wagner. Berlin Verlag, Berlin 2008. 288 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wulf Segebrecht macht uns auf das problematische Herstellungsverfahren der seit 1979 erscheinenden Jahrbücher aufmerksam. Wer nichts einsendet (ob aufgefordert oder nicht), kommt nicht hinein. Dass auf diese Weise nie auch nur ein Gedicht von Reiner Kunze oder von Wolf Wondratschek Aufnahme in ein "Jahrbuch der Lyrik" gefunden hat, kommt Segebrecht doch ziemlich spanisch vor. "Eine Art Bilanz" des Jahres ist ihm der Band dennoch. Und wenn aufgrund der thematischen Ordnung des Bandes noch unbekannte Autoren neben den Arrivierten stehen, so lobt Segebrecht dies als Gleichberechtigung, die den Gedichten gut bekommt. Wahrscheinlich auf beiden Seiten.

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