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Die an drei Flüssen gelegene Stadt Passau ist nicht nur der Schauplatz, sondern die eigentliche Protagonistin dieser Erzählung. Dem Leser öffnet sich die Stadt als ein Raum, der erfüllt ist von den Stimmen und Bildern der verschiedensten Jahrhunderte, inmitten derer der Held dieses Buches die Anfänge seiner eigenen Geschichte zu ergründen versucht. Getragen von der Vorstellung, dass selbst die Taten eines frühmittelalterlichen Missionars oder der Faltenwurf einer hölzernen Marienfigur mit seinem eigenen Leben in Zusammenhang stehen könnten, verknüpft der Erzähler im Durchwandern der Stadt…mehr

Produktbeschreibung
Die an drei Flüssen gelegene Stadt Passau ist nicht nur der Schauplatz, sondern die eigentliche Protagonistin dieser Erzählung. Dem Leser öffnet sich die Stadt als ein Raum, der erfüllt ist von den Stimmen und Bildern der verschiedensten Jahrhunderte, inmitten derer der Held dieses Buches die Anfänge seiner eigenen Geschichte zu ergründen versucht. Getragen von der Vorstellung, dass selbst die Taten eines frühmittelalterlichen Missionars oder der Faltenwurf einer hölzernen Marienfigur mit seinem eigenen Leben in Zusammenhang stehen könnten, verknüpft der Erzähler im Durchwandern der Stadt Beobachtungen, Erinnerungen und geschichtliches Wissen zu einer komponierten, traumwandlerisch schönen Erzählung.
Autorenporträt
Klaus Böldl, 1964 in Passau geboren, debütierte 1997 mit dem Roman "Studie in Kristallbildung", für den er im selben Jahr den TukanPreis der Stadt München erhielt. Er ist wissenschaftlicher Assistent am SkandinavistikInstitut der Universität München und übersetzt auch mittelalterliche isländische Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2006

Gebadet in Geschichte
Passauer Ewigkeitsmoment: Klaus Böldls Erzählung

Irgendwann, vor mehr als zweihundert Jahren, sind die religiösen Sicherheiten geschwunden. Die Menschen begannen zunehmend ihrer Vernunft zu folgen. Die Welt wurde kälter, komplizierter, widersprüchlicher. Man war nicht mehr selbstverständlich Teil eines alles umschließenden Sinns. Seither versuchen die Dichter, den verlorenen Weltzustand in der Poesie wiederherzustellen, in der Kunst das zu schaffen, was die moderne Existenz kaum mehr verbürgt: ein Leben, das eins ist mit sich und der äußeren Welt.

In dieser langen, mal schöpferischen, mal schwierigen Tradition steht das Werk des Erzählers Klaus Böldl. Seine ersten Romane "Studie in Kristallbildung" und "Südlich von Abisko" sprachen, immer in Nordeuropa angesiedelt, die Sehnsucht nach dem ganzen Leben aus. Die wunderbare Sprache, die diese beschwor, drängte die Figuren, ihre Unternehmungen und Konflikte bereits an den Rand. Seit seinem Island-Reisebericht "Die fernen Inseln" bekennt sich Böldl zu einem Erzählen, das auf narrative Strukturen weitgehend verzichtet und an deren Stelle Beobachtung und mystische Betrachtung setzt.

Im neuen Buch ist es nicht mehr der fremde Norden, den Böldl beschreibt, sondern es ist der Ort der eigenen Herkunft: Passau, die Stadt, umflossen von der finsteren Ilz, dem Fluß aus den Tiefen des Bayerischen Waldes, der von Frachtkähnen befahrenen Donau und dem Inn mit seinen Strudeln und Stromschnellen. Die Stadt, in der sich die historischen Schichten über Jahrhunderte abgelagert haben, St. Severin, St. Gertraud, St. Achatius, bröckelnde Torbögen: "Manchmal weht die Vergangenheit einen als Moderduft an, manchmal auch als Kindergeschrei; manchmal ist sie nur ein kälterer Luftzug aus einem steinernen Treppenhaus, eine verwitterte Greisin mit schlotternden Strümpfen oder eine seltsam verformte Hausmauer in der Abendsonne." Die Gegenwart mit ihren Mobiltelefonen, Mountainbikes und dem Rauschen des Feierabendverkehrs genügt dem Erzähler nicht. Er will den "Kokon aus Alltagsgeräuschen" durchbrechen.

In den "Passauer Momenten" - "so hatte ich für mich diese Momente zu nennen begonnen, die mir wie gereinigt schienen von allem Augenblicklichen und Austauschbaren" - steht die Zeit still. Die Gedanken wandern nicht nur zurück zum Bau der Kirchen, zum großen Brand des Jahres 1662, der die Stadt binnen einer Stunde in Flammen setzte und die Menschen vor die Tore trieb, der das Zinn von den Orgeln herabtropfen und auf den Steinen zu sinnlosen Formen erstarren ließ. Nein, der Erzähler will mehr, er will eins werden mit der Vergangenheit, "in einen Zusammenhang verwoben. In eine Geschichte hineingestellt, in der der einzelne, wenn sie auch hundert Bände füllte, kaum mehr wäre als ein Halbsatz." Hier zeigt sich auch gleich die Kehrseite dieser Sehnsucht: Sie blättert über das Individuum einfach hinweg.

Zeitlos sind auch die Flüsse, die Ilz mit ihrem dunklen Wasserspiegel, die Donau auf dem Weg durch Europa, der gletschergrüne Inn. Sie erscheinen dem Betrachter als Urströme, und er wünscht sich ein Leben, bestimmt und geleitet von diesen Flüssen. Er sucht die Verbindung mit der Natur, an deren Promenade heute die gleichgültigen Spaziergänger ihre Hunde ausführen und ältere Damen in der Sonne sitzen. Aber auch das Aufgehen in der Natur hat einen hohen Preis. Die Gewalt der Elemente zeigt sich mit jedem Hochwasser. Und wer ein Buch über Island geschrieben hat, kennt die brutale Gleichgültigkeit der Natur gegenüber dem Menschen sowieso.

Die Sprache selbst ist es, die den verlorenen Weltzustand wiederbringen soll. Auf seinen Gängen durch Passau bleiben Blick und Gedanken des Gegenwartsflüchtlings oft an der Kunst des Mittelalters hängen. Gemälde, auf denen ein Nebeneinander verschiedener Begebenheiten herrscht, ohne Abfolge, ohne Anfang und Ende, werden zu Vorbildern dieses Buches: "Alles eben noch voneinander Ferngehaltene berührte sich mit einem Mal und geriet in den Erzählfluß." Es ist die alte Suche nach dem Zauberwort, das alles verbindet, die romantische Suche, die auch Peter Handke betreibt. Mit ihm ist Böldl einmal verglichen worden, und in seinen besten Momenten ist der Münchner Skandinavist nahe an Handkes reizvollen Übersteigungen der Realität. Seine Beschreibungskraft ist groß, seine oftmals parallel geführten Sätze wirken suggestiv. Doch manchmal gerät er an die Grenze zu rückwärtsgewandter Beschaulichkeit, in der "Pferde glänzen", "Omnibusse" fahren, sich Felder und Weiden zu einem "Prospekt" vereinigen.

Blinkende Alufolie erinnert den Erzähler an eine Monstranz. Ausführlich beschreibt er nicht nur jede Kirche der Stadt, sondern auch die Hoffnungen derer, die auf der Wallfahrtsstiege zum Bildnis der Muttergottes pilgerten. Warum kann die Religion seine Sehnsucht nach Sinn nicht mehr stillen? Die Bedürfnisse sind geblieben, aber neben ihnen lauert die Religionskritik. Der Erzähler erinnert sich an den Rigorismus katholischer Klosterschwestern und profaniert die Zeugnisse des Wunderglaubens durch einen Kontrast: "Ein Pudel kackte in den Schnee." Also braucht er zur Erfüllung seiner Wünsche die Kunst. Bleibt die zweihundert Jahre alte Frage, ob sie diese Bürde tragen kann.

Klaus Böldl: "Drei Flüsse". Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 112 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wiederverzauberung der Welt, so ließe sich nach Ansicht der Rezensentin Sandra Kerschbaumer das Projekt des Erzählers Klaus Böldl beschreiben. Er stehe damit etwa Peter Handke recht nahe, ohne doch insgesamt an dessen Qualitäten heranzureichen. Im Detail allerdings - so viel Lob muss sein - gelegentlich schon. Vor allem die Sprachkunst des Autors hat es Kerschbaumer angetan, eine Kunst, die sich gegenüber der Erzählung in den letzten Werken Böldls zunehmend verselbständigt. Die zusehends in Richtung Mystik tendierende Beschreibung der Welt sei an die Stelle von Handlung und Narration getreten. Wenngleich die Sympathie der Rezensentin nicht zu übersehen ist - auf die Gefahren dieses Verfahrens macht sie auch aufmerksam. Gelegentlich werde die Distanz zur Wirklichkeit von heute doch zu groß und auch zu bequem. Das Ergebnis ist dann ein Hang zur "rückwärtsgewandten Beschaulichkeit".

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