Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 14,59 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Ein Befreiungsschlag, ein neues Leben - souverän und sprachgewaltig erzählt von Frankreichs neuem literarischen Star Édouard Louis
"Ich rannte weg, ganz auf einmal. Gerade hörte ich meine Mutter noch sagen 'Was soll der Scheiß jetzt wieder?'. Aber ich wollte nicht bei ihnen bleiben, ich weigerte mich, diesen Moment mit ihnen zu teilen. Ich war schon weit weg, ich gehörte nicht mehr zu ihrer Welt, der Brief besagte es. Ich kam zu den Feldern und wanderte einen Großteil der Nacht herum, auf den Feldwegen, in der Kühle Nordfrankreichs, in dem zu dieser Jahreszeit so intensiven Geruch der…mehr

Produktbeschreibung
Ein Befreiungsschlag, ein neues Leben - souverän und sprachgewaltig erzählt von Frankreichs neuem literarischen Star Édouard Louis

"Ich rannte weg, ganz auf einmal. Gerade hörte ich meine Mutter noch sagen 'Was soll der Scheiß jetzt wieder?'. Aber ich wollte nicht bei ihnen bleiben, ich weigerte mich, diesen Moment mit ihnen zu teilen. Ich war schon weit weg, ich gehörte nicht mehr zu ihrer Welt, der Brief besagte es. Ich kam zu den Feldern und wanderte einen Großteil der Nacht herum, auf den Feldwegen, in der Kühle Nordfrankreichs, in dem zu dieser Jahreszeit so intensiven Geruch der Rapsfelder. Die ganze Nacht über entwarf ich mein neues Leben fern von hier."

Mit unglaublicher Sprachgewalt erzählt der junge französische Autor Édouard Louis die Geschichte einer Befreiung aus einer unerträglichen Kindheit: inspiriert von seiner eigenen.
Autorenporträt
Louis, Édouard
Édouard Louis wurde 1991 geboren. Sein autobiographischer Debütroman »Das Ende von Eddy«, in dem er von seiner Kindheit und Flucht aus prekärsten Verhältnissen in einem nordfranzösischen Dorf erzählt, sorgte 2015 für großes Aufsehen. Das Buch wurde zu einem internationalen Bestseller und machte Louis zum literarischen Shootingstar. Sein zweiter Roman »Im Herzen der Gewalt« erschien 2016 und wird verfilmt. Édouard Louis' Bücher erscheinen in 30 Ländern. Im Sommer 2018 war er Samuel Fischer-Gastprofessor an der Freie Universität Berlin, wo er den Begriff der »konfrontativen Literatur« prägte. Zur selben Zeit adaptierte Thomas Ostermeier den Roman »Im Herzen der Gewalt« für die Schaubühne Berlin. Édouard Louis lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2015

Es gibt Dinge, die man nicht wollen darf

Édouard Louis hat einen Roman über den schwulen Sohn einer Arbeiterfamilie geschrieben, der den Ausstieg wagt und den Aufstieg schafft. Es ist seine eigene Geschichte.

Was ist "ein echter Kerl"? Das ist die Frage, die Eddy seit Kindertagen beschäftigt und auf die er, anders als seine Umgebung, keine Antwort zu geben weiß. Ein echter Kerl, sagt seine Familie, säuft und prügelt sich durch die Jugend, spielt Fußball und beleidigt seine Lehrer. Ein echter Kerl verlässt die Schule so früh wie möglich und schwängert seine Freundin. Er ist stolz auf den kargen Fabrikarbeiterlohn, mit dem er seine Familie ernährt, auch wenn das Geld nur bis zum zwanzigsten eines Monats reicht. Später schaut er gerne fern, isst Pommes und will bei beidem von seinen Kindern nicht gestört werden. Vielleicht ahnt der echte Kerl, in welcher Misere er steckt, aber er hat gelernt, dass es leichter ist, die anderen zu verachten als sich selbst. Die anderen, dass sind die, die nicht so sind wie er.

Eddy, dessen Geschichte vor einem Jahr in Frankreich erschienen ist und eine unerwartet große Zahl von Lesern gefunden hat, ist nicht nur anders als die Männer in seinem Heimatdorf - er ist das Gegenteil von ihnen. "Als ich begann, mich zu äußern, geriet meine Stimme spontan in feminine Lagen, deutlich heller als die der anderen Jungen. Jedes Mal, wenn ich etwas sagte, flatterten meine Hände." Eddy interessiert sich für die Kleider seiner Schwester und sanftere Musik als den Hip-Hop seiner Brüder. Er ist offensichtlich mit der Liebe zu Männern geboren, aber bevor er seiner sexuellen Orientierung nachgehen und einfach sagen kann, dass er schwul ist - etwas, was sein Land und seine Zeit längst zu gewährleisten scheinen -, erlebt er eine Kindheit, die er als Ritt durch die Hölle beschreibt und die, eben weil sie in krassem Gegensatz zum Selbstverständnis seiner Leser stehen dürfte, viel von deren Interesse erklärt. Eddy Bellegueule trägt im Buch denselben Namen wie der Autor, bevor dieser sich in Édouard Louis umbenannte. Beide, der Autor und seine Figur, wurden Anfang der neunziger Jahre geboren und sind in der Picardie aufgewachsen.

Kann das, was Eddy alias Èdouard über seine Kindheit schreibt, also überhaupt ein Roman sein? Diese Frage spielte bei der Rezeption des Buches in Frankreich eine wichtige Rolle. Denn Èdouard Louis, der jetzt zweiundzwanzig Jahre alt ist, macht keinen Hehl daraus, dass die Geschichte von Eddy seine eigene und gerade keine autofiction ist, die sich der ein oder anderen wahren Begebenheit nur bedient, um eine fiktionale Erzählung zu grundieren. Er habe, sagte er in einem Interview, das Buch auch geschrieben, weil er glaubte, sein Studium an der Pariser Eliteschule École Normale erklären zu müssen - weil er also glaubte, erklären zu müssen, wie ausgerechnet er, der schwule Spross einer mittellosen Arbeiterfamilie aus der Provinz, an einen solch prestigeträchtigen Ort gelangen konnte. "Meine Existenz rechtfertigen" nannte er das.

Auch ohne dieses Bekenntnis versteht der Leser indes schnell, wie stark der Anspruch auf Wahrhaftigkeit ist, den "Das Ende von Eddy" erhebt. Denn die Erzählung ist immer wieder durchsetzt mit kursiv gedruckten Passagen, die jenseits des Fortgangs der Handlung dazu dienen, Überzeugungen, Werte und die zu ihnen gehörende Ausdrucksweise der Figuren zu vermitteln. "Ich reg mich eben leicht auf, ich lass mir nichts gefallen, und wenn ich mich aufreg, dann reg ich mich auf", pflegt etwa Eddys Vater zu sagen, wenn wieder einmal die Wut mit ihm durchgegangen ist. Zuweilen, wenn sich die Bedeutung dieses von ferne an Zola und Céline erinnernden Argot aus dem Kontext erschließt, hat der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel die entsprechenden Absätze erfreulicherweise auch im französischen Original belassen. So lernt man etwa, wie viele Ausdrücke das Französische für Schwule bereithält, nämlich mehr als ein Dutzend.

Sie alle gehören zum Grundrauschen von Eddys Leben. Genauso wie die Schläge in der Schule, die Demütigungen auf dem Fußballplatz, das monatelang aus Geldmangel nur notdürftig mit Pappkarton zugeklebte Loch im Fenster seines Zimmers, durch das die Feuchtigkeit zieht. "Keine Sorge", sagt sein Vater, wieder in kursiv gesetzter Schrift, "nur bis ich eine neue Scheibe kaufe, nur so lange, das wird nicht lang dauern." Aber die Pappe bleibt kein Provisorium. Und zwar, wie die Leser zu diesem Zeitpunkt, also kurz vor Eddys Flucht aus seinen Verhältnissen, schon wissen, nicht nur, weil es an Geld fehlt. Sondern weil mit den mangelnden finanziellen Möglichkeiten ein Mangel an Phantasie, Ehrgeiz und Widerstandsvermögen einherzugehen scheint, den Èdouard Louis mit soziologisch anmutender Sorgfalt herausarbeitet. Auch dabei hilft ihm das grafische Absetzen der direkten Rede: Es macht die Figuren zu Studienobjekten, die er auf Distanz hält, um sie besser sezieren zu können.

Auf diese Weise macht Louis sichtbar, wie die sozialen Umstände eine Verhaltensweise hervorbringen, die letztlich dazu führt, dass sich die Umstände nicht ändern können. Man erkennt hier den Bourdieu-Schüler wieder, als der Èdouard Louis sich mit der von ihm herausgegebenen, noch vor diesem Buch erschienene Studie "Pierre Bourdieu: L'insoumission en héritage" (2013) hervorgetan hat. Bei den Verhaltensmustern, um die es ihm zu tun ist, geht die Scham über verpasste oder nicht wahrgenommene Chancen eine unselige Verbindung mit dem Stolz darüber ein, es doch, wenn auch nur im Rahmen des schon Vorgefundenen, zu etwas gebracht zu haben. Ein Beispiel liefert der Teppichboden, den die Familie sich im Haus nicht leisten kann und den die Mutter folglich mit der Begründung für überflüssig erklärt, er schade Eddy doch sowieso nur, weil er Asthmatiker ist: "Die Unmöglichkeit, es zu tun, verhinderte die Möglichkeit, es zu wollen, was wiederum das Mögliche verhinderte." Nach dieser Logik bleibt die Familie nicht nur arm, es bleiben Mütter und Väter, Töchter und Söhne auch in den Rollen gefangen, die das dörfliche Leben seit Jahrhunderten und bis heute für sie bereithält.

Diese Rollen und Muster hat Èdouard Louis in seinem Buch zu dem Porträt einer sozialen Klasse verdichtet, vor deren Hintergrund Eddys Identitätsfindung in umso hellerem Licht erscheint. Dieser Eindruck ist das Ergebnis einer präzisen und absolut literarisch zu nennenden Auseinandersetzung mit der Sprache - der vom Umfeld übernommenen, der im Bemühen um einen sozialen Aufstieg angelernten und natürlich auch jener, die der junge Eddy in den Romanen entdeckt hat, die er sich irgendwann beschaffen konnte. Deswegen lässt sich auch "Das Ende von Eddy" sehr wohl als Roman begreifen - und sei es auch einer, der einen Gutteil seiner schrecklichen Kraft aus der bleibenden Ungewissheit über seine genauen Anteile von Wahrheit und Dichtung zieht.

LENA BOPP

Èdouard Louis: "Das Ende von Eddy". Roman.

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 206 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Matthias Hennig ist sehr beeindruckt von diesem Debüt des Franzosen Edouard Louis. Dass es dem jungen Autor gelingt, seine eigene Geschichte als homosexueller Jugendlicher in einer dörflichen Welt aus Gewalt und sozialer Not nur leicht verklausuliert in scharfer, für den Leser laut Hennig mitunter schmerzhafter Genauigkeit zu erzählen und die Wirksamkeit sozialer Rollen herauszuarbeiten, scheint ihm stark. Als Abrechnung mit der alltäglichen Gewalt und Aufbegehren gegen Heimat liest er den Text, an dessen Ende die sexuelle Befreiung der Hauptfigur steht. Dass einige Figuren im Buch ein wenig reißbrettartig geraten sind, kann der Rezensent verzeihen, zumal sie ihm "lebensfrisch" genug erscheinen. Die Sprache allerdings findet er außerordentlich: schneidend, hart und direkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2015

Schöne Fresse
In seinem Debütroman „Das Ende von Eddy“ erzählt Édouard Louis,
der neue Star der französischen Literatur, von seiner schwierigen Jugend
VON INA HARTWIG
Selten geschieht es, aber es geschieht: Ein Kind findet seinen Weg heraus aus dem häuslichen Unglück. Viele Talente schlummern unerweckt in diesem Kind, doch es bedarf der Förderung, um die Poesie als schiere Daseinsberechtigung zu erkennen und zu behaupten. Im Falle von Édouard Louis, dem neuen Wunderkind der französischen Literatur, war es eine kluge Lehrerin, die ihm geholfen hat. Sie wies ihn hin auf ein Internat mit Theater-Schwerpunkt, wo der zarte Unterschichtsjunge dem „ewigen Fernsehen“, der Sprachlosigkeit und der Gewalt entkam. „Das Ende von Eddy“ heißt der schmale, dichte und sehr bewegende Debütroman des gerade einmal zweiundzwanzigjährigen Autors.
  „An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung“, beginnt der radikal autobiografische Roman, mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Und weiter: „Das soll nicht heißen, ich hätte in all den Jahren niemals Glück oder Freude empfunden. Aber das Leiden ist totalitär: Es eliminiert alles, was nicht in sein System passt.“ Man sieht sogleich: Es wird mit analytischem Besteck erzählt. Hier schaut einer zurück, der begriffen hat. Ein Befreiter. Was nicht bedeutet, dass die Prosa von Édouard Louis emotionslos wäre, ganz im Gegenteil. Gerade die Mischung aus soziologischer Deutung und fiktionalisierter Erfahrung macht seine Kunst aus. Über die brutalen Exzesse, die komatösen Besäufnisse, die alltägliche Gehässigkeit, den Groll der Unzufriedenen, den Rassismus seines Herkunftsdorfes in der Picardie werden wir bestens unterrichtet. Wie das Dorf heute über den Aufsteiger und Aussteiger denkt, den kleinen „Eddy“, der sich plötzlich im unvorstellbar fernen Paris bewegt, als Literat und Intellektueller, aber auch als Verräter, das vermag man sich kaum auszumalen.
  Eddy Bellegueule – was „schöne Fresse“ bedeutet, und mit diesem Namen wurde der Autor wirklich geboren – kommt nach langem Leiden zu folgender Erkenntnis: „Das Verbrechen besteht nicht darin, etwas zu tun, sondern etwas zu sein.“ „Weinend“ schreibt er, dass er sich unbedingt habe verbiegen wollen, um einer zu sein, der er nicht war. Jeden Morgen, noch vor Unterrichtsbeginn, lauern ihm zwei Jungen auf: „Bist du der Schwule?“ Die Jungen schlagen ihn, rotzen ihm ins Gesicht. Drei Jahre lang geht das so.
  Niemals beschwert Eddy sich darüber, nicht einmal bei seiner Mutter, der das seltsame „Gehabe“ (ausladende Bewegungen, hohe Stimme) des Sohnes auch schon unangenehm aufgefallen ist. Im Dorf muss man entweder „ein richtiger Kerl“ sein, oder: Pech gehabt. Eddy hat Pech; die tägliche morgendliche Tortur im Schulflur ist erst der Anfang. Nein, in diesem Dorf ist von Toleranz und solchen Sachen nichts angekommen. Wenn die Lehrer versichern, jeder sei gleich, hören die Kinder weg.
  Natürlich kennt ein Autor wie Édouard Louis die Romane Jean Genets, in denen sich Unterklassejungen ebenfalls Kämpfe liefern um die bedrohte Männlichkeit. Aber Genet überhöht die verbotene schwule Sehnsucht, indem er den Dreck, in den sie gezogen wird, einfach zu Gold erklärt. Das war in den Vierzigerjahren ein ungeheurer Akt, der in Frankreich längst zum Kanon zählt. Wer heute so schriebe, würde Homofolklore produzieren, und das weiß Louis eben auch. Sein früheres Ich, Eddy Bellegueule, gehört vollkommen in unsere Gegenwart, einschließlich der stehen gebliebenen Werte seiner proletarischen Herkunft. Einer Herkunft, die der Autor nicht denunziert.
  Ein weiterer Einfluss, den man deutlich spürt, ist der Strukturalismus. Man sieht es daran, wie Édouard Louis seine Geschichte zerlegt, geradezu seziert, man sieht es an der resümierenden Ordnung der Kapitelüberschriften, die beispielsweise lauten: „Die Rolle der Männer“, „Porträt meiner Mutter am Morgen“, „Das Schlafzimmer meiner Eltern“, „Der andere Vater“, „Das Misstrauen der Leute gegenüber den Ärzten“. Man staunt über die originell komponierten Anekdoten, die illusionslose Stilsicherheit, das fehlende Bedürfnis, sich die eigene Biografie schönzureden.
  „Eine gute Erziehung“ heißt ein weiteres Kapitel, und was Eddys Eltern sich darunter vorstellen, entspricht nicht gerade dem Programm lenkender Fürsorge. „Du kannst kommen und gehen, wie du willst, aber wenn du am nächsten Tag in der Schule müde bist, ist es deine Sache.“ So spricht der Vater zu seinem Sohn. Der ehemalige Fabrikarbeiter hat einen kaputten Rücken und liegt den ganzen Tag auf der Couch, vor sich die dröhnende Glotze, und wehe, jemand läuft ihm durchs Bild. Eine weitere Folge seiner „guten Erziehung“ sind Eddys schlechte Zähne. Als er nach der Mittelschule eintaucht in das neue, andere Milieu, schämt er sich, und verleugnet seine Herkunft. Seine Eltern, behauptet er, seien kulturbeflissene Bohemiens, die eben nicht aufs Zähneputzen geachtet hätten.
  Diese Lüge zuzugeben wirkt so souverän, wie sie einen die tiefe Traurigkeit des sozialen Grenzübertritts erahnen lässt. Tatsächlich liegt die Stärke des Romans darin, dass gleich zwei Dramen parallel geführt werden; das eines von Armut gepeinigten, chancenlosen, ressentimentgeladenen Milieus. Und das Drama eines sensiblen Jungen mit mädchenhaften Anwandlungen, der den rohen Sitten nicht gewachsen ist und seine Kindheit mehr oder weniger in Angst verbringt; in diffuser, existenzieller Angst genauso wie in konkreter Angst.
  Der Zenit wird durch einen Verrat erreicht, ein klassisches literarisches Sujet. Eddy und sein Cousin plus ein Nachbarsjunge sind erst neun oder zehn Jahre alt, aber Bruno ist schon fünfzehn. Es kommt, wie es kommen muss: „Der Schuppen“ heißt das Kapitel, denn dort, im Schuppen werden kleine, frühreife Orgien abgehalten, mit klar verteilten Rollen: „Während mein Cousin meinen Körper in Besitz nahm, tat Bruno dasselbe mit Fabien, nur wenige Zentimeter neben uns.“ Sie nennen das „Mann und Frau spielen“; nur Eddy spielt nicht. Er „brannte vor Erregung“.
  So hat man das noch nicht gelesen: das Falsche und das Echte, das Fiese und das Schöne hart ineinandergeschnitten. Da sind also diese Dorfburschen und probieren Pornosätze aus, und Eddy erscheinen sie wie die „schönsten, die ich je gehört hatte“. Bruno gibt den Chef: „Ich folgte jedem seiner Befehle in dem Bewusstsein, endlich zu verwirklichen und zu werden, was ich war.“
  „Das Ende von Eddy“ kündigt sich bereits hier an, jenes Eddy, der für die Schande steht, das Stigma, auch wenn es noch eine schmerzliche Weile dauern wird, bis aus Eddy Bellegueule der Schriftsteller Édouard Louis geworden ist. Für das Unglück sorgt schließlich Eddys Cousin, der, obwohl selbst involviert, den Verrat begeht und die Spiele im Schuppen herumerzählt. Eddy, dem Gespött preisgegeben, erlebt seine schlimmsten Wochen.
  Später, im Gymnasium in Amiens, wird Eddy bemerken, dass sich die Schüler mit Küsschen rechts, Küsschen links begrüßen, die „femininen Körper der intellektuellen Bürgerkinder“ verblüffen ihn. Zwar fällt er in der neuen Umgebung auf mit seinen aufgetragenen Kleidern, den schlechten Zähnen. Zwar wird er auch hier geneckt: „Na, Eddy, immer noch so schwul?“ Aber es klingt fast zärtlich. Der Hass ist weg, das ist entscheidend. Eddy kann jetzt sogar darüber lachen. Eine andere Welt tut sich auf, aus der es kein Zurück mehr geben wird. Dass er dies nicht als Geschichte eines Triumphs erzählt, sondern der Verlust spürbar bleibt, verleiht dem Buch seine ergreifende, traurige Poesie.
Edouard Louis: Das Ende von Eddy. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015, 206 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Für den schwulen Jungen
aus der Unterschicht ist das Leben
im Dorf die reinste Hölle
Édouard Louis,
geboren 1992, stammt aus einem Dorf in der Picardie. Heute studiert er Soziologie in Paris und hat 2013 einen Band über Pierre Bourdieu veröffentlicht. 
Foto: Verlag
Jean-Pierre Léaud in François Truffauts Film „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959).
Foto: Kinowelt Home Entertainment
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
Wie er seine Geschichte aufschreibt, wie er kühl und genau auf sein Unglück blickt, das nimmt einem tatsächlich den Atem. Die Welt 20150309