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Es ist ein heißer Sommer, im Dorf kennt jeder jeden. Man sucht Abkühlung im Baggersee. Da entsteigt Miranda Schmid den Fluten, die mit ihrer Familie ins grüne Haus gezogen ist, und die Welt ist auf einmal eine andere für Rudolf Wolters, den Stilllebenmaler, Viktor Hoppe, den Englischlehrer, und auch für Asta Frey, die im Roadster quer durchs Land von Coaching zu Training saust. Im Hinterland der Natur liegt die Provinz, aber die Natur der Liebe, wie wir wissen, ist überall gleich. Da wird aus Nachbarschaft schnell Leidenschaft und Treue wird zur Tragik. Als dann der Wilde Mann auftaucht und…mehr

Produktbeschreibung
Es ist ein heißer Sommer, im Dorf kennt jeder jeden. Man sucht Abkühlung im Baggersee. Da entsteigt Miranda Schmid den Fluten, die mit ihrer Familie ins grüne Haus gezogen ist, und die Welt ist auf einmal eine andere für Rudolf Wolters, den Stilllebenmaler, Viktor Hoppe, den Englischlehrer, und auch für Asta Frey, die im Roadster quer durchs Land von Coaching zu Training saust. Im Hinterland der Natur liegt die Provinz, aber die Natur der Liebe, wie wir wissen, ist überall gleich. Da wird aus Nachbarschaft schnell Leidenschaft und Treue wird zur Tragik. Als dann der Wilde Mann auftaucht und wahllos Tiere tötet, muss endlich gehandelt werden. Die Hilfe naht von unerwarteter Seite: von Mr. Allyours, dem Hasen, und seinem Freund, dem Reiher Fledgling McFeather.
Autorenporträt
Henning Ahrens, geboren 1964, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Handorf, Niedersachsen. 2016 wurde er mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.05.2007

Sind Hasen Menschen und Menschen Hasen?
Als Schreckgespenst hat die Provinz ausgedient: Henning Ahrens und sein Roman „Tiertage”
Locker alternierend sagen sich hier Hasen und Menschen gute Nacht. Tatsächlich. Dieser Roman beginnt mit Mr. Allyours, von dem es heißt, er sei „ein treuer Rammler”. „Er hatte fast immer nur Augen für seine Frau”, der Anblick ihrer „flauschigen Blume konnte ihn noch immer berauschen”. Doch auf Mr. Allyours wartet, wie auf alle Liebenden, die Versuchung. Hier in Gestalt von „Lady Why”, einer sehr ansehnlichen jungen Häsin, in die sich Mr. Allyours verliebt.
Als der 1964 in Peine geborene Henning Ahrens vor bald zehn Jahren mit den Gedichten aus „Lieblied was kommt” debütierte, fiel sofort die in der Gegenwartslyrik ungewöhnliche Sprache auf, ihre kraftvolle Provinz- und Naturnähe. Das war kein Zufall, es war Programm, schon im ersten Gedicht: „Hiermit bekenne ich mich zur Herkunft / aus stickigen Stuben und Ställen in denen / die Mastbullen standen geschirrt an Ketten / auf Rosten und brüllten.” Ja, das klingt auch nach Rimbaud, den Henning Ahrens in seinem Text aktualisiert. Dieses Ich lobt den „scharfen Gestank von Sauerblatt, Kot, Zigaretten”, besingt den „kalten / Geruch von Metall und dem Muff alten / Öls.”
Tschüs – ich hab was vor!
Ahrens’ bislang letztes Buch „Langsamer Walzer”, zugleich sein zweiter Roman, hatte dann vor drei Jahren den intensiven Realismus der ersten Lyrik ganz abgelegt. Als literarische Science-Fiction spielt es parabelartig „in der Winterstadt”, nach einem Krieg, unter Überlebenden. Sie tragen Namen wie Commander Coursledge, werden als „Räuberhauptmann” bezeichnet oder Wulfedrin, „Besitzer einer Bar namens Terrain Taboo.” Mit „Tiertage” ist nun Ahrens’ dritter Roman erschienen, und wenn man so will, hat er darin eine Art literarische Schnittmenge aus allem gezogen, was bisher von ihm zu lesen war – und doch dabei wieder einen ganz neuen Ton gefunden. Denn einerseits ist „Tiertage” ein locker ironischer Roman im realistischen Setting eines Baggerseesommers (der freilich durch einen unheimlichen Tiermörder gestört scheint, was dem Roman eine stets gegenwärtige Krimispannung beimischt); andererseits ist die wirklichkeitsnahe Szenerie, in der vom ICE über die Volkshochschule allerlei Wiedererkennbares vorkommt, zugleich von flirrender Irrealität.
Das hat mit der Tier-Mensch-Mischung im Figurenpersonal zu tun, mit dem riskanten Versuch, zwei Wirklichkeitsebenen gleichwertig nebeneinander zu stellen. Es hat aber zugleich und vor allem mit der Sprache zu tun. Die Sätze in diesem Roman fliegen schön leicht. Gerade in der ersten Hälfte des Buchs macht es besonders Spaß, diese verspielte, souverän-temporeiche Prosa zu genießen, die alles wie selbstverständlich und nebenher, aber deshalb nicht weniger einprägsam präsentiert.
Auf der Tierseite der Geschichte ist man in einer alten Fabel, physiologische Besonderheiten werden hier kleinen Scherzen dienstbar gemacht. Bei den Menschen geht es hingegen, ebenso flapsig-eloquent, um durchaus vorstellbare Typen. Asta Frey etwa, eine erfolgreiche Managertrainerin, Mitvierzigerin, die gerade grußlos die DB-Lounge verlässt. Sie wird von Fred, ihrem Ex angerufen, bei dem die beiden Töchter leben. Er möchte, dass Asta sie fürs Wochenende übernimmt: „Sie würden sich freuen, dich zu sehen, und ich habe was vor.” Doch Asta kann Loser Fred und seine neue Freundin auf den Tod nicht ausstehen. „Ich komme”, sagt sie, „wie vereinbart in drei Wochen” – und das ist ihr letztes Wort.
Asta, das wird schnell klar, ist die spiegel- oder auch geschlechtsverkehrte Variante des handelsüblichen Mannes, der sich mehr um die Arbeit und sich selbst als um die verlassene Fortpflanzungsfamilie kümmert. Asta wohnt in Sursum, einem Kaff in der niederdeutschen Tiefebene, das zugleich das Zentrum des ganzen Romans bildet.
Ebenfalls dort gestrandet sind: Viktor, Übersetzer und Volkshochschullehrer, depressiv, weil von der Freundin mit Schwangerschaftsbehauptung verlassen; Rudolf Wolters, gescheiterter Avantgarde-Maler, mit Emmi, seiner alternden Frau. Madsack, ein grimmiger Einzelgänger, der sich sonntags einen Puffbesuch gönnt. Und schließlich Miranda Schmid, ein klassisches Weibchen, von zwei Kindern umkreist, dennoch für alle feinsinnigen männlichen Sursumer die wahre Lady Who.
Und während man bestens unterhalten von Seite zu Seite zieht, versteht man allmählich, dass die Umkehrung gewöhnlicher Rollen und Verhältnisse nicht nur bei Asta Frey von Bedeutung ist. Die Umkehrung ist das leichtfüßig-locker verwirklichte Stilprinzip des gesamten Romans. Mr. Allyours geht es um bürgerliche Liebe, nicht etwa um Hasensex, während die Menschen-Männer angesichts von Miranda zu witternden Tieren werden. Aber Hasen sind Menschen und Menschen Hasen? Das allein wäre nicht besonders originell. Miranda steht jedoch auch für jenes „etwas mehr” im eigenen Leben, das bei ihrem Anblick alle Figuren immer deutlicher vermissen.
Und das ist dann die zentrale Umkehrung des Romans: Dass die heitere Szenerie des Anfangs ebenso unmerklich wie konsequent in eine immer traurigere Geschichte mündet. Asta Frey fährt nach Berlin, um ihre Töchter wiederzuholen, die jedoch beim Vater bleiben wollen. Viktor versinkt vor dem Foto-Poster der Ex-Freundin in immer jämmerlicheres Selbstmitleid, und selbst Mirandas Mann kommt am Wochenende nicht mehr her.
Alle Figuren, die man in diesem Sommer auf dem Lande als eher schrullig kennengelernt hat, verwandeln sich in potentiell tragische Lebensverlierer. Bis sich ganz am Ende wieder etwas Hoffnung breitmacht. Maler Wolters etwa, der sogar von seiner Emmi verlassen wurde, denkt daran, der Provinz-Avantgarde adé zu sagen: „Vielleicht sollte ich die Menschen hier malen, wie sie sind. In all ihrer betörenden Geschmacklosigkeit.”
Ende eines Landmörders
Das tut Henning Ahrens nicht, dazu schätzt er seine Figuren zu sehr, die Betonung liegt eher auf „betörend”, doch es geht Ahrens, der einst als neu-alter Naturdichter mit dem Lob der Provinz begann, hier offensichtlich um die Revision eines überlebten Bildes. Die Leute, die heute in der Provinz leben, sind meist keine ursprünglichen Bauern. Die Land-Provinz, sagt Ahrens aus Handorf bei Hannover, ist zunehmend eine Fiktion, schon deswegen kann sie den Menschen, die glauben, in ihr Probleme verstecken zu können, nicht helfen.
Das müssen sie eben einsehen. Es braucht vielleicht etwas Bewusstsein, wie auch bei Madsack, der einzigen wirklichen Provinzler-Hauptfigur alten Zuschnitts. Er nimmt schließlich doch Abschied vom Bild seines gewalttätigen Vaters, und hat es daher wohl nicht mehr nötig, tiermordend durch die Gegend zu streifen. HANS-PETER KUNISCH
HENNING AHRENS: Tiertage. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 283 Seiten, 18,90 Euro.
Wie, was sagten Sie? Hasen sind harmlos?!? Lesen Sie keine Romane, gehen Sie nie ins Kino, kaufen Sie nie ein Hochglanzmagazin? Wir leben seit hundert Jahren in der Epoche der Entharmlosung der Hasen! Foto: vario images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz hingerissen zeigt sich Rezensent Hans-Peter Kunisch von Henning Ahrens' Roman über einen Sommer in der Provinz. Er hat sich bei der Lektüre des Romans, der atmosphärisch zwischen seinen ironisch-realistischen, wirklichkeitssatten Beschreibungen einerseits und einer "flirrenden Irrealität" andererseits schwankt, bestens unterhalten. Die "Irrealität" führt er zurück auf die Mischung des schrulligen Personals, das den Roman bevölkert: neben mehrheitlich gestrandeten menschlichen Existenzen treten auch redebegabte Tiere auf, etwa der Rammler Mr. Allyours. Ein "riskanter Versuch", zwei Wirklichkeitsebenen gleichwertig nebeneinander zu stellen, den Kunisch offensichtlich gelungen findet. Ein Genuss ist für den Rezensenten auch die Sprache des Romans, die sich durch Leichtigkeit, Verspieltheit und Temporeichtum auszeichnet. Als "leichtfüßig-locker verwirklichtes" Stilprinzip des Romans erscheint ihm die Umkehrung. So gehe es etwa Mr. Allyours um bürgerliche Liebe, während die Menschen-Männer angesichts der Attraktivität Mirandas zu Tieren werden. Auch die allmähliche Wendung des Romans von heiter zu tragisch fällt für ihn unter dieses Prinzip.

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