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Die Beziehung zwischen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Schweiz ist viel beschrieben und wenig untersucht. Dieses Buch widmet sich den verschiedenen Dimensionen der Beziehung. Der Autor konzentriert sich nicht auf Kriege, sondern fragt nach der Beziehungsentwicklung in Zeiten des Friedens. Er identifiziert den Zeitraum von 1919 bis 1939 als einen Schlüsselzeitraum für die einzigartige Nähe des IKRK zur Schweiz, der den Handlungsspielraum der Verwandtschaft in Weiss und Rot im Zweiten Weltkrieg mit erklärt. Konstant war das Geben, Nehmen und Erwidern zwischen dem IKRK…mehr

Produktbeschreibung
Die Beziehung zwischen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Schweiz ist viel beschrieben und wenig untersucht. Dieses Buch widmet sich den verschiedenen Dimensionen der Beziehung. Der Autor konzentriert sich nicht auf Kriege, sondern fragt nach der Beziehungsentwicklung in Zeiten des Friedens. Er identifiziert den Zeitraum von 1919 bis 1939 als einen Schlüsselzeitraum für die einzigartige Nähe des IKRK zur Schweiz, der den Handlungsspielraum der Verwandtschaft in Weiss und Rot im Zweiten Weltkrieg mit erklärt. Konstant war das Geben, Nehmen und Erwidern zwischen dem IKRK und der Schweiz. Die Bedeutung des IKRK für die Schweiz wuchs ab dem Ersten Weltkrieg bis in die Zeit der geistigen Landesverteidigung, die beide Institutionen fest aneinander band.
Autorenporträt
Brückner, Thomas
ist in Basel aufgewachsen. Magister Artium in Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie an der FU Berlin, Erasmus-Jahr an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. Master of Science in «Theory and History of International Relations» an der London School of Economics, gefördert durch die Kurt-Tucholsky-Stiftung. Doktorstudium an der Universität Zürich, Promotion 2015
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2017

Weißes und Rotes Kreuz
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem IKRK in der "Zwischenkriegszeit"

Die Bezeichnung "Zwischenkriegszeit" für den Zeitraum von 1918/19 bis 1939 ist ein eigentümlicher Begriff. Es liegt in der Natur der Sache, dass er nicht zeitgenössisch war - auch wenn manche damals bereits hellsichtig vom Versailler Vertrag als einem Waffenstillstand für zwanzig Jahre (Ferdinand Foch) oder einem zweiten dreißigjährigen Krieg (Charles de Gaulle) sprachen. Darüber hinaus war die sogenannte "Zwischenkriegszeit" keineswegs friedlich: Gerade in Osteuropa zogen sich die Kämpfe länger hin, in vielen Staaten herrschte nach 1918 im Innern ein Klima der Gewalt, und in den dreißiger Jahren brachen in Ostasien, Afrika und Europa neue Konflikte aus.

Die "Zwischenkriegszeit" bildet auch die Folie der hier anzuzeigenden Untersuchung von Thomas Brückner über die Beziehung zwischen der Schweiz und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) - der Begriff wird verwandt, obwohl es eine solche für die neutrale Schweiz nicht gab. Dennoch bildeten die Jahre 1919 bis 1939 auch für das Verhältnis zwischen dem offiziellen Bern und dem Genfer IKRK eine eigene Epoche. Humanitäre Hilfe und Spendenaufrufe etwa mit Blick auf die Hungersnot in Russland infolge des Bürgerkriegs sowie später in Äthiopien und Spanien gab es zwar weiterhin, sie standen aber nicht mehr so stark im Fokus.

Inhaltlich bildete die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ein wichtiges Ziel der schweizerischen Diplomatie, wie sich früher bereits bei der Erarbeitung der Genfer Konventionen sowie auf den Haager Friedenskonferenzen gezeigt hatte. Nun jedoch sollten die Lehren aus den Erfahrungen der Jahre 1914 bis 1918 gezogen werden. Schweizer Regierung und IKRK agierten dabei Hand in Hand, insbesondere bei der Einberufung und Durchführung einer internationalen Konferenz 1929 in Genf, auf der ein verbesserter Schutz von Kriegsgefangenen beschlossen wurde; hingegen scheiterte der Versuch, selbiges für den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten zu erreichen.

Organisatorisch standen die Berner Regierung und das IKRK vor einer besonderen Herausforderung, denn in der humanitären Bewegung zeigte sich seit Beginn der 1920er Jahre der Spaltpilz. Die von den Vereinigten Staaten ausgehende Liga der Rotkreuzgesellschaften machte dem IKRK direkt Konkurrenz, indem es die Vertretung der nationalen Rotkreuzverbände für sich reklamierte. Als ihren Sitz wählte die Liga Paris und machte damit auch räumlich die Entfremdung vom Genfer IKRK deutlich. Den von der Liga aufgeworfenen institutionellen Fragen stellte die Eidgenossenschaft den Geist Henri Dunants entgegen. Im Jahre 1926 lud die Schweizer Regierung Vertreter von Liga und IKRK nach Bern zu einer Spezialkonferenz ein.

Ein Durchbruch gelang nicht, doch 1928 kam es schließlich zu einer Einigung, durch die das IKRK seine Sonderstellung in Teilen bewahrte. Das überragende Interesse der Schweiz - das wird nicht recht deutlich - bestand dabei darin, vom humanitären Image der Genfer zu profitieren, weißes und rotes Kreuz sollten zusammengedacht werden. Bis heute ist es für die Schweiz vorteilhaft, dass das Rote Kreuz sich in der Regel unterschiedslos allen Parteien eines Konflikts zuwendet, so dass diese Art humanitärer Hilfe mit der Neutralität des Landes kompatibel ist und diese aus der Sicht ihrer Befürworter sogar sinnvoll ergänzt.

Personell trug das "Schisma" innerhalb der humanitären Bewegung dazu bei, die Bande zwischen der offiziellen Schweiz und dem IKRK weiter zu festigen. An der Spitze des IKRK stand bereits seit 1910 der Genfer Politiker Gustave Ador, der 1917 bis 1919 Mitglied des Bundesrates war und in seinem letzten Amtsjahr zudem das Amt des Schweizer Bundespräsidenten versah. Von seinem Renommee und Einfluss profitierte das IKRK in der Auseinandersetzung der 1920er Jahre. Auf den nicht ganz unberechtigten Vorwurf, das IKRK sei ein Club von reichen Genfer Patriziern, wurde mit einer Öffnung im nationalen Rahmen reagiert. Mit dem aus dem Tessin stammenden Außenminister Giuseppe Motta und dem Deutsch-Schweizer Völkerrechtsexperten Max Huber wurden 1923 zwei Prominente aus den anderen Landesteilen neue Mitglieder des IKRK. Huber folgte Ador 1928 als Präsident nach.

Insbesondere mit Blick auf die internen Konflikte sowie auf das Selbstverständnis der Rotkreuzbewegung kann Brückner interessante Details liefern. Die Form, in der das geschieht, ist gleichwohl nicht durchweg ein Lesegenuss, was mit der - heute häufig erwünschten - Theorielastigkeit zusammenhängt; dabei lehnt sich der Autor an die Theorie des Gaben-Tausches des französischen Soziologen Marcel Mauss an. Man muss ja nicht unbedingt so weit gehen wie Leopold von Ranke, der Geschichtsschreibung - auch - als Kunst verstand, jedoch würde man sich als Leser zuweilen mehr Lebendigkeit wünschen.

Einen schönen Beleg dafür, welchen Wert die Quellen an sich besitzen, bietet die Eröffnungsrede des Schweizer Bundespräsidenten Robert Haab auf besagter Genfer Konferenz zur Verbesserung der Lage von Kriegsgefangenen im Jahre 1929, in der er - einer damals verbreiteten Grundstimmung Ausdruck verleihend - die Frage aufwarf, ob es überhaupt opportun sei, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, schließlich erscheine der Krieg heute nur noch als weit entfernte, unwahrscheinliche Möglichkeit. Er sollte sich irren.

PHILIP ROSIN

Thomas Brückner: Hilfe schenken. Die Beziehungen zwischen dem IKRK und der Schweiz 1919-1939. Verlag Neue Züricher Zeitung, Zürich 2017. 272 S., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Philip Rosin erfährt bei Thomas Brückner Aufschlussreiches über die Beziehung zwischen der Schweiz und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz während der Jahre 1919 bis 1939. Laut Rosin durchaus eine Epoche, die besondere Beachtung verdient, da sich die Schwerpunkte der schweizerischen Diplomatie in dieser Zeit verlagerten. Dazu und zum Selbstverständnis des Roten Kreuzes liefert ihm der Autor spannende Details. Leider stellt die theorielastige Form der Untersuchung den Rezensenten beim Lesen auf eine harte Probe. Mehr Lebendigkeit, etwa durch größere Wertschätzung der Quellen an sich, lautet sein Ratschlag an den Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH