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Im Kernland der islamischen Mystik, der Provinz Sindh in Pakistan, wird alljährlich ein dionysisches Fest gefeiert: ein einwöchiger Exzess rauschhafter Spiritualität zu Ehren des roten Sufi, des mythenumrankten Wunderheiligen Lal Schahbas Qalandar (gest. 1274). Der Islamwissenschaftler und Ethnologe Jürgen Wasim Frembgen macht sich von Lahore aus auf den Weg, das fremdartige Spektakel an den vor Menschenmassen brodelnden heiligen Stätten in Sehwan Scharif mitzuerleben. Sein Erzählbericht zeigt ein hierzulande wenig beachtetes, freudvolles Gesicht des Islam, geprägt von Toleranz,…mehr

Produktbeschreibung
Im Kernland der islamischen Mystik, der Provinz Sindh in Pakistan, wird alljährlich ein dionysisches Fest gefeiert: ein einwöchiger Exzess rauschhafter Spiritualität zu Ehren des roten Sufi, des mythenumrankten Wunderheiligen Lal Schahbas Qalandar (gest. 1274).
Der Islamwissenschaftler und Ethnologe Jürgen Wasim Frembgen macht sich von Lahore aus auf den Weg, das fremdartige Spektakel an den vor Menschenmassen brodelnden heiligen Stätten in Sehwan Scharif mitzuerleben. Sein Erzählbericht zeigt ein hierzulande wenig beachtetes, freudvolles Gesicht des Islam, geprägt von Toleranz, Gemeinschaftsgefühl, Rausch und Hingabe. Spannend und farbig schildert der Forscher seine Begegnungen mit skurrilen heiligen Männern, Trancetänzerinnen und Hidschra-Transvestiten, er berichtet von seinem strapaziösen Aufenthalt im Zelt der Wanderderwische, von Orten der Huldigung und Orten abseits der Pilgerströme und schließlich vom eigenen Hineingezogenwerden in den musikalischen, archaischen, spirituellen Sog der gemeinschaftlichen Ekstase. Es entsteht ein Sittengemälde islamischen Volksglaubens von bleibender Eindrücklichkeit.
Autorenporträt
Dr. Jürgen Wasim Frembgen ist seit 1987 Leiter der Orient-Abteilung am Staatlichen Museum für Völkerkunde in München. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Volksislam, zur Religions- und Sozialethnologie, zur Kunst und Kulturgeschichte des islamischen Orients.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2009

Pakistanische Ekstase
Jürgen Wasim Frembgen pilgert zum Schrein des roten Sufi
Rückzugsgebiet der Taliban, Atommacht, Terrorcamps, ein finsterer Geheimdienst und politische Morde – so lauten die Stichworte, die jeder, der die Medien verfolgt, mit Pakistan verbindet. Wie anders aber ist das Land, das uns der Münchner Ethnologe Jürgen Wasim Frembgen in einem der großartigsten Erfahrungsberichte zeigt, die die deutsche Völkerkunde in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Frembgens Teilnahme an der Pilgerfahrt zum Schrein des „Roten Sufi” Lal Schahbas Qalandar in der südpakistanischen Kleinstadt Sehwan zeigt einen Islam, der, wollte man ihn in westliche Vorstellungen übersetzen, sein Äquivalent im rheinischen Karneval oder dem anarchischen Potential des Flower-Power findet, gleichwohl jedoch, wie im Westen nirgendwo mehr, von Aberglauben, Askese und Spiritualität geprägt ist.
Dionysisch, schreibt Frembgen an einer Stelle, sei dieses alljährliche Pilgerfest, und doch nicht in der Üppigkeit – die Armut, ob gewählt oder notgedrungen, ist überall unübersehbar – sondern in der Ausgelassenheit und scheinbaren Regellosigkeit des Treibens.
Gedränge, Gerüche, Müdigkeit
Die dominierende spirituelle Tradition in Sehwan ist die Qalandaria der freien, ungebunden lebenden Wanderderwische, die mit den Normen des orthodoxen Islam, der so viele negative Schlagzeilen macht, nichts mehr gemein haben. Ekstatische Tänze, permanenter Genuss von Rauschmitteln während des Festes, vor allem Haschischzubereitungen , die Anwesenheit von Tänzerinnen oder Prostituierten und zumal die sich gezielt zur Schau stellenden sogenannten Hidschras, die Kaste der Hermaphroditen, Transsexuellen und Transvestiten, verwischen auf archaische Weise jede von Religionsgelehrten gezogene Grenze.
Frembgen, mit der pakistanischen Sufi-Tradition seit fast dreißig Jahren intensiv vertraut, ist ein sensibler, teilnehmender Beobachter. Alles Journalistische ist ihm und seinem Bericht ebenso fremd wie wissenschaftliche oder theoretische Sterilität, und daher verwandelt sich seine ethnographische Erkundung im Laufe des Buchs in wirkliche Literatur.
Es gelingt Frembgen, die Leser mitten hinein in das ekstatische Geschehen zu versetzen und sie das Gedränge, die aufdringlichen Gerüche, die Müdigkeit, Ergriffenheit und Verwirrung des sich keiner dieser Erfahrungen verschließenden Fremden erleben zu lassen. „Ganz Sehwan scheint zu vibrieren, ist erfüllt von Rausch, Erregung und überströmender Emotion, ein orgiastischer Reigen von Körpern in Bewegung, Farben, Klängen. Die Arena um uns herum pulsiert – wahrlich kein Ort kontemplativer Spiritualität, vielmehr ein Platz der Ausgelassenheit, die sich mitunter bis zur Raserei steigert. Mehr als hundert Frauen und Männer im Geviert des Hofes in ekstatischem Tanz, dazwischen Malangs, die ihre brennenden Haschischpfeife wie eine Huldigung an den Qalandar in die Höhe strecken.”
Im Freiluftlager
Authentisch wirkt Frembgens Bericht auch deshalb, weil ihm nichts zu trivial oder unwichtig erscheint, um aufgeschrieben zu werden: die Schwierigkeit, in dem riesigen, improvisierten Freiluftlager einzuschlafen, wie man in den provisorisch gezimmerten Zellen seinen Stuhlgang verrichtet, überbordende Müdigkeit und Hochgefühle, die Todesangst inmitten hysterisch drängender Menschenmassen.
Das Erhabene und das Abstoßende, Unverständliche bleiben als gleichberechtigte Erfahrungen nebeneinander stehen, Frembgen lässt sich ein, ohne zu urteilen. Seine Fragen richten sich schließlich nicht nur an die Kultur, die er beobachtet, sondern ebenso zurück an die eigene. Denn eine fremdere und zugleich faszinierendere Welt inmitten der medial doch scheinbar erschlossenen ist kaum vorstellbar, und wenn man das Buch zuschlägt, ist man beglückt, bereichert und auch ein bisschen neidisch auf die den Alltagsverstand weit hinter sich lassenden Erlebnisse dieses noch viel zu wenig bekannten deutschen Ethnologen und Verwandlungskünstlers.
STEFAN WEIDNER
JÜRGEN WASIM FREMBGEN: Am Schrein des roten Sufi. Fünf Tage und Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan. Waldgut Verlag, Frauenfeld 2009. 166 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2010

Am Schrein des roten Sufi
Die pakistanische Volksfrömmigkeit zeigt ein völlig anderes Gesicht des Islam

Der jüngste Anschlag auf den Schrein von Data Ganj Bakhsh im pakistanischen Lahore hat die meisten Muslime des Landes tief getroffen. Der an diesem Platz Verehrte heißt eigentlich Hujwiri und ist vielen Muslimen auch außerhalb des indo-pakistanischen Raumes wohlbekannt. Sein in persischer Sprache verfasstes Werk Kaschf al Mahdschub (etwa: "Die Entschleierung des Verhüllten") gilt als eines der grundlegenden Werke der islamischen Mystik, die sich schon kurz nach des Propheten Tod aus einer Bewegung der Frommen im Irak sowie in Ost-Iran herausgebildet hatte. Bis heute hat das Sufitum den Islam zwischen Marokko und dem indo-muslimischen Raum mitgestaltet. Der Volksislam ist ohne die Sufis und ihre besondere Form der Frömmigkeit, die viel offener ist als die des um die Scharia zentrierten Gesetzes-Islam, kaum denkbar. Der Sufismus prägte Sitten und Gebräuche, befruchtete Dichtung und Musik.

Seit vielen Jahren schon befasst sich der Islamwissenschaftler und Ethnologe Jürgen W. Frembgen mit dem Sufismus, seinen großen Persönlichkeiten und den verschiedenen Ausprägungen dieser "innerlichen", meist auch friedfertigen Nachfolge Mohammeds. Dieser gilt den Sufis ja gemeinhin als Stifter ihres mystischen Pfades, der in die Erfahrung der Allgegenwart und Liebe Gottes, in die unio mystica, münden soll.

Schon in seinem ersten Buch "Reise zu Gott. Sufis und Derwische im Islam" beschrieb Frembgen vor Jahren nicht allein die wichtigsten "Orden" (Tariqat) der Sufis und das Wirken ihrer Stifter; er ist auch bestrebt, den Sufismus von jenen Verleumdungen zu befreien, denen er immer wieder ausgesetzt war. Die Vorwürfe reichen von "Missachtung des Religionsgesetzes" bis zu "sexuellen Perversionen". Auch der Sufismus hat Höhen und Tiefen erlebt, erstarrte in Perioden der Dekadenz teilweise in Humbug und folkloristischem Mummenschanz oder wundersamen Gaukeleien; aber seine Substanz - das Streben der Gläubigen nach einer Verinnerlichung des Glaubens, nach dem Aufgehen in der göttlichen Liebe, wie der große Sufi al Halladsch es vor mehr als tausend Jahren vorgelebt hatte - blieb davon unberührt. Auch westliche Reisende haben gelegentlich durch Übertreibungen ein einseitiges, verzerrtes Bild von "Fakiren" und "heulenden Derwischen" gezeichnet, das Frembgen zu Recht korrigiert sehen möchte.

Dies festzustellen ist gerade heute besonders wichtig, da in den meisten Ländern des Islam solche Formen einer individualistischen, oft auch ekstatischen Religiosität von Islamisten und Dschihadisten vehement bekämpft werden. Das gilt gerade auch für Pakistan, in dessen islamischer Szene sich der Autor bevorzugt bewegt, die er auch am besten kennt. Dass militante Frömmler unter Berufung auf radikale, völlig lustfeindliche Auslegungen der Scharia den Schrein in Lahore angriffen, verwundert nicht. Sie sehen in den toleranten Formen des Sufitums nichts anderes als Verfall und Ketzerei.

Frembgens jüngstes Buch führt geradewegs hinein in die Erlebniswelt der Sufi-Gläubigen Pakistans. Im Stile von Bronislaw Malinowski hat der Autor das religiöse Treiben an einem Sufi-Schrein Pakistans durch die Methode des bewussten "Mitlebens" erforscht und beschrieben. In "Am Schrein des roten Sufi. Fünf Tage und Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan" begegnet dem Leser ein völlig anderer Islam: Frembgen ließ sich dort - nicht ohne körperliche Strapazen - mitnehmen und treiben vom Strom der Pilger, die alljährlich in der Provinz Sindh am Schrein des Qalandar-Derwischs Lal Schahbaz (gestorben 1274 n. Chr.), genannt der rote Sufi, ein dionysisches Fest feiern. Da wechseln Beschaulichkeit und Extase miteinander ab, da wird nicht nur gebetet, sondern es erklingt Musik. Es wird getanzt und auch geliebt. Sogar die Hidschras, die Angehörigen des "dritten Geschlechts", werden am Schrein von Lal Schahbaz in die Gemeinschaft der "fidèles d' amour" (Henry Corbin) integriert, nicht ausgegrenzt wie sonst. Doch den Terroristen und jenen Frömmlern, über deren Heuchelei sich schon der persische Dichter Hafis lustig machte, ist all dies ein Greuel. Leider wird auch das Verbot von 23 islamistischen Gruppierungen durch die Regierung nicht verhindern, dass Fanatiker diese Form der Volksfrömmigkeit gewaltsam bekämpfen.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Jürgen W. Frembgen: Reise zu Gott. Sufis und Derwische im Islam. C.H. Beck Verlag, München 2000. 218 S., 12,50 [Euro], und Am Schrein des roten Sufi. Fünf Tage und Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan. Waldgut Verlag, Frauenfeld/Schweiz 2008. 165 S., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als einen eindringlichen Erfahrungsbericht, dessen Ton weder journalistisch noch wissenschaftlich, sondern am Ende recht eigentlich literarisch ist, empfiehlt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner diesen Band. Die offensichtlich orgiastischen Wallungen der hier geschilderten Sufi-Rituale in einer pakistanischen Kleinstadt dürften zu jenen religiösen Traditionen gehören, die vom Islamismus zuallererst bekämpft werden. Drogen, Tanz, Musik, Prostitution spielen hier eine Rolle und führen nach Weidner zu einer kollektiven Ekstase, die Fremdgen ohne zu urteilen, in faszinierter Hingabe an das Fremde, zu schildern vermag. Der Leser von Weidners Kritik will sich sogleich aufmachen: wenn schon nicht nach Pakistan, dann wenigstens in den Buchladen!

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