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»Keine Zeit verschwenden für Geschichte, Figurenentwicklung etc.; man ist von Anfang an mittendrin: im Leben selbst statt in seiner Beschreibung.« Mit hemmungsloser Wucht hat James Agee sich in die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben. Durch seine Kompromisslosigkeit riskierte er immer wieder, nicht veröffentlicht zu werden, wie etwa im Falle von »Brooklyn ist« - mittlerweile ein Klassiker der New-York-Literatur, der in diesem Band ebenso enthalten ist wie verschiedene Erzählungen, Prosaskizzen, Entwürfe.
Nichts Geringeres als einen »Angriff auf das Allgemeine durch
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Produktbeschreibung
»Keine Zeit verschwenden für Geschichte, Figurenentwicklung etc.; man ist von Anfang an mittendrin: im Leben selbst statt in seiner Beschreibung.« Mit hemmungsloser Wucht hat James Agee sich in die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben. Durch seine Kompromisslosigkeit riskierte er immer wieder, nicht veröffentlicht zu werden, wie etwa im Falle von »Brooklyn ist« - mittlerweile ein Klassiker der New-York-Literatur, der in diesem Band ebenso enthalten ist wie verschiedene Erzählungen, Prosaskizzen, Entwürfe.

Nichts Geringeres als einen »Angriff auf das Allgemeine durch den Einzelfall« wollte Agee mit seiner Literatur führen: einer Literatur ohne Rückendeckung, zwischen überscharfem Tatsachenbericht, entblößender Parodie und klassischer »short story«, die sich voller Emphase selbst aufs Spiel setzt und in Filmskizzen und Plänen für Bücher ganz anderer Art neue Wirklichkeiten sucht. Ein Schlüsseldokument ist der ideensprühende Stipendiumsantrag »Projekte; Oktober 1937«: ein noch im 21. Jahrhundert Staunen erweckendes Porträt des Schriftstellers als medienkünstlerischer Avantgardist und eine wahre Fundgrube an Ideen, die man sich sofort jede einzeln ausgeführt wünscht.
Autorenporträt
Agee, JamesJames Agee war Dichter, Journalist, Drehbuchautor und Schriftsteller. Er galt als einer der einflussreichsten Filmkritiker seiner Zeit und schrieb neben den Drehbüchern zu »The African Queen« und »The Night of the Hunter« u.a. den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman »A Death in the Family« (»Ein Todesfall in der Familie«, 2009). In Zusammenarbeit mit dem Fotografen Walker Evans entstand der Band »Let Us Now Praise Famous Men« (»Preisen will ich die großen Männer«), ausgehend von einem Auftrag der Farm Security Administration, über die Lebensbedingungen von Farmpächtern im Süden der USA zu berichten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2015

Das Korn der Wörter
Von einem, der auszog, im Kino das Schreiben zu lernen – der große James Agee ist, sechzig Jahre nach seinem Tod, zu entdecken
Er war ein junger Wilder, Jahre bevor dieser genialische Typus der amerikanischen Literatur durch die Beat Generation zu einem Markenzeichen wurde. Er rauchte und trank, war ungekämmt und schmuddelig gekleidet, ein Mann, der die Frauen liebte – und manchmal depressiv mit dem Gedanken an Selbstmord spielte. Er trieb sich auf Partys herum, wo er, wenn er zu erzählen und zu diskutieren anfing, alle verzauberte. „Er lächelt“, schrieb John Huston, „und es hört auf zu regnen, auf der ganzen Welt.“ Anfang der Fünfziger ließ Huston von ihm das Drehbuch zu „The African Queen“ schreiben. James Agee war schon zu krank, um mitzukommen zum Dreh nach Afrika. Er starb 1955. Zu einem anderen großen Film der Fünfziger hatte er noch das Drehbuch geschrieben, „Die Nacht des Jägers“ – der einzige Film, den der Schauspieler Charles Laughton drehen konnte, ein gespenstisches Nocturne mit Robert Mitchum. 1957 wurde der Roman „Ein Todesfall in der Familie“ veröffentlicht, der einen Pulitzerpreis zugesprochen bekam.
  Seit einiger Zeit sorgt der Diaphanes Verlag dafür, dass das Werk von James Agee in seiner ganzen Fülle auch auf Deutsch erkundet werden kann, nun mit dem Sammelband „Da mir nun bewusst wird“. Man spürt auch in seinen Texten die Faszination der Redseligkeit, die seine Mitmenschen in Bann zog, die Power seiner Konzentrationslosigkeit. „Mein Geist ist hoffnungslos schwach und vagabundierend“, wird kokett in einem seiner Texte geklagt. „Dennoch bin ich mir gelegentlich einer bestimmten Form und eines Rhythmus und einer Melodie des Daseins bewusst: . . . aus langen kontrapunktischen Passagen von quälenden und unvereinbaren Teilen entwickelt sich bisweilen ein ungeheuer klarer Akkord. Und in genau diesem Moment – oder besser: durch seinen Nachhall in unserem Gehirn – wird die ganze Alltäglichkeit des Daseins verklärt – wird ungeheuer mächtig und schön und bedeutsam – nimmt diese Qualitäten zu Recht, aber folgenlos an – und sinkt durch verzerrte Missklänge wieder zurück in die Alltäglichkeit, ohne dass es Antworten gäbe, dass etwas gewonnen und der Lauf der Dinge verändert wäre.“
  Solche Erfahrungen – gewissermaßen Ekstasen der Wahrnehmung – hat Agee zu seiner Technik gemacht, als die Zeitschrift Fortune Magazine ihn und den Fotografen Walker Evans nach Alabama schickte, im Rahmen eines Farm Security Administration Projektes für Roosevelts New Deal, um dort das leben weißen Farmpächter zu dokumentieren, die durch die Depression in extreme Armut gedrängt waren. Die beiden lebten einige Wochen mit einigen Familien, Agee schrieb eine Reportage, die Fortune aber nicht druckte. Also schrieb Agee weiter, und 1941 wurde daraus dann ein Buch, mit Fotos von Walker Evans, „Let Us Now Praise Famous Men/Preisen will ich die großen Männer“ (deutsch zuletzt in der Anderen Bibliothek, 2013), das damals kaum beachtet wurde, heute eines der großen Bücher des vorigen Jahrhunderts ist. Es geht um die soziale Misere, aber mehr noch, wie – und ob – sie darstellbar ist, um die Hilflosigkeit und Schuld des Schreibenden, der immer über der Realität steht, die er beschreibt. Um diese Überheblichkeit des Objektiven auszuschalten, muss Agee in die Subjektivität umschwenken, über seine Qualen des Schreibens schreiben. Und am Ende ist das Buch sehr viel lyrischer geworden als beabsichtigt.
  James Agees Werk ist Produkt der großen amerikanischen Krisen, der sozialen und ökonomischen, des Weltkriegs, aber auch der Formen der Reflexion, die durch die Kinematographie heftig erschüttert war. In den Vierzigern schrieb er fantastisch präzise Filmkolumnen und -kritiken für The Nation und für Time – sie sollten in einem der nächsten Diaphanes-Bände erscheinen.
  Agee war von Jugend an ins Kino verliebt, und er wollte selber unbedingt Kino machen. Im neuen Sammelband sind zwei (surreale) Scriptentwürfe abgedruckt, „Das Haus“ und „So lebt der Mensch“ (nach einer Passage aus Malrauxs Roman „La Condition humaine“). Ende der Vierziger schrieb er ein Script für Chaplin, den er kennen lernte, als er seinen allgemein verrissenen „Monsieur Verdoux“ verteidigte („Der Tramp und die Bombe“, in dem die Chaplinfigur in einem nach einem Atomschlag menschenleeren New York umherstrolcht, Diaphanes 2014). Die Scripts kaschieren nicht die Unmöglichkeit, mit der linearen Sprache die Komplexität filmischer Effekte und Erfahrungen zu notieren. Es ist ein wildes Denken, das Agee hier betreibt, purer Materialismus, das fängt schon beim richtigen Nebel an: „Nicht gemeint ist der sanfte romantische Nebel (so wie in ,Zoo in Budapest‘ oder ,Der Verräter‘), der zu vermeiden ist. Damit, dass darin die Glocke nachhallt, meine ich, dass der Rhythmus der Körnigkeit des Films so beschaffen sein sollte, als erzeuge er den Ton.“ Als Agee mit seinem Kritikerkollegen Manny Farber in den Vierzigern einen Film plante, zog der sich bald zurück: „Er hatte so viele russische Einstellungen drin, dass ich zu Tode erschrocken war.“
  Schon bevor er selber für Hollywood arbeitete, brauchte Agee die Techniken des Kinos auch für sein Schreiben. Seine Scripts geben mit peinlicher Akkuratesse die Kamerawinkel und Längen der Einstellungen an, auf Millimeter und Sekunden genau, darin erinnert die Beschreibung an die von Agee verehrten Proust und Conrad und nimmt den nouveauroman vorweg. Die wahre Befreiung im Schreiben erhoffte Agee sich vom Kino, das verraten in diesem Band auch die „Projekte: Oktober 1937“, die als Anlage zu einem Stipendienantrag bei der Guggenheim Foundation dienten. Hier gibt es enthusiastische Vorschläge für Bücher – zu Shakespeare, Sex, die Pathologie der Faulheit – und Kurzfilme, auch ein Cabaret, inspiriert von Erika Manns Pfeffermühle, Groucho Marx und W. C. Fields. Zum Schluss, ein „Notizbuch“, in dem alle möglichen Erfahrungen gesammelt sind, auch die Leser können mitmachen. Ein ganz frühes Google-Projekt, und James Agee weiß natürlich: Es wäre unabschließbar.
FRITZ GÖTTLER
James Agee: Da mir nun bewusst wird. Prosa, Skripte, Projekte. Aus dem Englischen von Sven Koch und Andrea Stumpf. Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2015.240 Seiten, 22,95 Euro.
Sein bekanntestes Werk: „Let
Us Now Praise Famous Men“,
mit Fotos von Walker Evans
Alle haben damals Chaplins
„Monsieur Verdoux“ verrissen,
nur James Agee verteidigte ihn
James Agee.
Foto: ASSOCIATED PRESS
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Hermann ist dankbar für die Erschließung der weniger bekannten Werke von James Agee. Mit diesem Sammelband bekommt er Storys und Fragmente, Projektnotizen, frühe Kurzgeschichten, Satire, Filmskripte sowie Reisenotizen. Am besten haben Hermann neben den mitunter fantastischen Projektierungen, die er beim Mittenreinlesen entdeckt, Agees Kurzgeschichten gefallen. Ein bisschen Hemingway, ein bisschen postmoderne Multiperspektivik, meint er. Dass Agee ein veritabler Tabubrecher war, kann er hier gut erkennen, auch wenn dessen journalistische Arbeiten und Lyrik im Band nicht vorkommen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Eine Art James Dean der Literatur.« Susanne Kippenberger, Tagesspiegel