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Rebellion erzählt die Geschichte einer Nacht. Eine Mietwohnung, ein Mann im Fernsehsessel, allein, arbeitslos seit Geburt, einer, dem das große Sozialexperiment seines Lebens misslungen ist. Von oben, unten, seitlich die Störgeräusche der Nachbarn, dieser »Höllenbewohner«, mit denen man - wenn überhaupt - Feindberührung hat. Zwischen lauter Apparaten hockend, die ihm pausenlos Bruchstücke angeblicher Aktualität vermitteln, blickt er mal in die Flasche, mal in den Fernseher, mal aus dem Fenster auf die Straße - und Algier, Kairo, Berlin verschmelzen zu einem einzigen Erinnerungs- und…mehr

Produktbeschreibung
Rebellion erzählt die Geschichte einer Nacht. Eine Mietwohnung, ein Mann im Fernsehsessel, allein, arbeitslos seit Geburt, einer, dem das große Sozialexperiment seines Lebens misslungen ist. Von oben, unten, seitlich die Störgeräusche der Nachbarn, dieser »Höllenbewohner«, mit denen man - wenn überhaupt - Feindberührung hat. Zwischen lauter Apparaten hockend, die ihm pausenlos Bruchstücke angeblicher Aktualität vermitteln, blickt er mal in die Flasche, mal in den Fernseher, mal aus dem Fenster auf die Straße - und Algier, Kairo, Berlin verschmelzen zu einem einzigen Erinnerungs- und Abenteuerparcours. Jochen Beyse imaginiert die Arabellion als Ego-Shooter-Szenario und die heimische Samstagnacht als grotesken Aufstand gegen die Gespenster einer medialen Welt.
Autorenporträt
Beyse, JochenJochen Beyse lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht, darunter »Der Ozeanriese« und »Larries Welt«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erstaunlich gern lässt sich Nicole Henneberg vom Autor in das existentielle Labyrinth einer vergammelten, allein von Gamekonsolen und Flachbildschirm erhellten Großstadtwohnung mitnehmen, um Jochen Beyses Beckettschem Antihelden beim Ausagieren einer tragisch-komischen Couch-Rebellion zuzusehen. Für Henneberg eine Versuchsanordnung mit Witz und Erkenntnispotenzial, nicht zuletzt da die Figur ein abgehalfterter Schriftsteller ist, dem die Sätze und Ideen immer noch im Kopf rumspuken und der sich dauernd inmitten literarischer Anspielungen bewegt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2013

Ich rebelliere, also bin ich
In seiner Erzählung "Rebellion" schickt Jochen Beyse einen medienmüden Helden auf eine nächtliche Höllenfahrt

Von einem radikalen Experiment mit offenem Ausgang erzählt Jochen Beyse in seinem tragisch-komischen Buch "Rebellion", und er tut das mit so viel Eleganz und klugem Witz, dass diese Reise ins Herz der Finsternis zu einem Lesevergnügen mit Erkenntnisgewinn wird. In seiner halbdunklen, einsamen Wohnung verbringt ein Arbeitsloser die Tage vor diversen Bildschirmen, bis ihn an einem ganz normalen Nachmittag die Verzweiflung packt und er wütend nicht nur Fernseher und Computer ausschaltet, sondern auch die geliebte Spielekonsole, vor der er unzählige Stunden verbracht hat. Dann holt er tief Luft und tritt auf den Balkon, um zu rauchen und zu prüfen, ob es dort draußen wirklich noch eine Welt gibt, die er wiedererkennt - doch die leere, abendliche Straße und die Laserfinger, die den Himmel abtasten, scheinen Teil eines unbekannten Landes zu sein. Was ihn nicht wirklich überrascht, denn alles ringsum scheint ihm inzwischen verrückt und abgedreht.

Wie die meisten Figuren in Jochen Beyses Büchern ist auch die Hauptfigur ein Außenseiter, dem in seinem Leben nicht nur die elementaren "Sozialexperimente", sondern auch alle intellektuellen Vorhaben misslungen sind, obwohl er sich früher zur politischen und literarischen Avantgarde zählte. Zwar hat er viel und leidenschaftlich gelesen und Bücher geschrieben, von denen er recht und schlecht heute noch lebt. Doch inzwischen hat er das Lesen aufgegeben und sich ganz den neuen Medien gewidmet - mit verheerenden Folgen: keine inneren Bilder mehr, keine Phantasiespiele, keine Träume - alles zerschreddert in der medialen Endlosschleife. Und in besonders schwachen Momenten glaubte er sogar, in dem anbrandenden Informationsstrom versteckte Befehle von Außerirdischen zu empfangen.

In präzisen, fein austarierten Sätzen erzählt "Rebellion. Zwischenbericht" von der melancholischen, selbstmitleidigen und zynischen Selbsterkundung eines einsamen, älteren Mannes, der sich immer deutlicher als ein heutiger Bruder von Becketts Krapp zu erkennen gibt. Und während er wie ein Junkie auf Medienentzug durch die düstere Wohnung tigert, wo ihn die Stand-by-Lämpchen der Apparate verführerisch anblinken, springen ihn aus den schattigen Ecken seines Arbeitszimmers heraus hohnlachend die unerledigten Schreibprojekte und alten Phantasien an und beginnen, in seinem Kopf ein magisches und sehr körperliches Eigenleben zu führen.

Gekonnt hat der erfahrene Autor Beyse, der 1949 in Bad Wildungen geboren wurde und seit langem in Berlin lebt, seinen sympathischen Antihelden in das emotionale Spannungsfeld zwischen Becketts tieftrauriger Altersclownerie und den brennenden Ohnmachts- und Fremdheitsgefühlen von Camus' Meursault gestellt: Ein wirkliches Leben ist ihm längst abhandengekommen, und auch stimmige, zupackende Sätze gelingen ihm nicht mehr. Aus seinem Mund quillt nur formelhafte Leere, und während er sich dafür selbst verspottet, wird das Schweigen ringsum immer drückender. In einer letzten Kraftanstrengung versucht er vor dem schwarzen Fernsehbildschirm den ägyptischen Aufständischen, deren Bilder ihn tags zuvor beeindruckt haben, beizustehen, findet sich aber ständig als Terminator in Szenen seines Lieblingscomputerspiels "Tod in Kairo" wieder. Wie Jochen Beyse seinen Helden danach geknickt in die Küche schlurfen und eine Flasche Rotwein öffnen lässt, ist ein clowneskes Kabinettstückchen.

Beyse macht aus der vergammelten Single-Großstadtwohnung ein eindrucksvolles Universum. Hier genießt der Grübelnde "die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt", die schon Camus' Helden kurz vor der Hinrichtung glücklich gemacht hat, berauscht sich an herabfallenden Eisstücken im grün leuchtenden, abtauenden Kühlschrank und dokumentiert freudig überrascht das Sammelsurium im Flurregal, als wäre es Orhan Pamuks "Museum der Unschuld". Die ganze Geschichte steckt voller literarischer Anspielungen, vor allem die berühmte Forderung Rimbauds, man müsse zeitkritisch und "absolut modern sein", blitzt immer wieder spöttisch auf - sie ist unverkennbar der Motor dieses amüsanten und gelungenen Erzählens.

Jochen Beyses Hauptfigur ist radikal gegenwärtig in ihrer verzweifelten Selbstauflösung, und die Gespensterangst, die sie quält, verweist auf ein heutiges Lebensgefühl in einer vernetzten Welt, die in ihrer bildlichen Verdoppelung und den Techniken der Beschleunigung vor unseren Augen ständig zu zerfallen oder zu verschwinden scheint. Gleichzeitig verdampfen auf allen Ebenen verlässliche zwischenmenschliche Strukturen - übrig bleiben die Einzelnen in ihren Wohnhöhlen, die bestenfalls noch so viel Widerstandsgeist haben wie unser Erzähler, der ein ähnlich provokantes Manifest schreiben will wie das Kommunistische: "Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des wiederauferstandenen Menschen! Arbeitslose aller Länder, vereinigt euch, um es zu begrüßen. Macht hin! Wehrt euch!" - so soll es anfangen.

Doch noch entlässt uns dieser listige Autor nicht aus seinem existentiellen Labyrinth. Denn sein selbstversunkener Erzähler landet zuletzt wieder in jener prekären Realität, vor der er in den Krieg, in die brennende Sonne des Mittelmeers und in sein Notizheft geflohen war. Am Ende schließt er vorläufig Frieden mit der geisterhaft-magischen Welt ringsum (schließlich handelt es sich hier ja um einen "Zwischenbericht") und bekennt sich zu seinem Status als Gespenst - denn nur als Gespenst, so seine sarkastische Logik, lässt sich etwas Genaues über die geistige Situation der Zeit erfahren.

NICOLE HENNEBERG

Jochen Beyse: "Rebellion". Zwischenbericht.

Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin 2013. 176 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Dieser Autor entfaltet in seinen Prosawerken einen Kosmos von verschlungenen Paradoxien. Dass in all seinen Wunschverlusten so viel an ästhetischem Gewinn abfällt, ist einer der erstaunlichsten Effekte von Beyses gegenwärtig ziemlich allein dastehender Kunst.« Bruno Steiger, NZZ