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Dass die momentane Krise der Finanzmärkte auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaften sei, liest man derzeit immer wieder. Der Marktliberalismus und seine Theorie der »effizienten Märkte« seien gescheitert, es gebe in der ökonomischen Orthodoxie kein Instrumentarium, um »wilde Märkte« zu verstehen - die offenkundig Realität sind. Wie aber lassen sich Instabilitäten im Systemverhalten erklären und prognostizieren?
Bereits Mitte der sechziger Jahre entwickelte der Ökonom Hyman P. Minsky eine Theorie finanzieller Instabilität, die zeigt, dass es im Finanzsystem auch ohne äußere Einwirkungen
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Produktbeschreibung
Dass die momentane Krise der Finanzmärkte auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaften sei, liest man derzeit immer wieder. Der Marktliberalismus und seine Theorie der »effizienten Märkte« seien gescheitert, es gebe in der ökonomischen Orthodoxie kein Instrumentarium, um »wilde Märkte« zu verstehen - die offenkundig Realität sind. Wie aber lassen sich Instabilitäten im Systemverhalten erklären und prognostizieren?

Bereits Mitte der sechziger Jahre entwickelte der Ökonom Hyman P. Minsky eine Theorie finanzieller Instabilität, die zeigt, dass es im Finanzsystem auch ohne äußere Einwirkungen oder Fehlverhalten regelmäßig zum Crash kommt - wofür weniger einzelne Erschütterungen verantwortlich sind als vielmehr die Logik der Finanzmärkte selbst. Gerade stabile Wirtschaftslagen setzen desaströse Finanzierungskreisläufe in Gang: Jedes ökonomische Wachstum erhöht den Bedarf an Liquidität und somit die Bereitschaft zur Kreditvergabe und Verschuldung. Die damit verbundene Risikoverlagerung führt zu Finanzierungsketten, deren Kollaps durch einen bloßen Funken ausgelöst werden kann. Auf den Finanzmärkten ist jedes Gleichgewicht nur eine Übergangsphase, und das gesamte System wird eben durch sein effizientes Funktionieren dysfunktional. Die Mechanismen und Institutionen moderner Finanzwelten sind von sich aus ruinös und produzieren ihr eigenes toxisches Arsenal. Der vorliegende Band versammelt zwei zentrale Texte Minskys, die seine Theorie verständlich und in komprimierter Form darlegen.
Autorenporträt
Hyman P. Minsky war ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Er studierte an der Harvard University bei Joseph Schumpeter und lehrte an der Washington University in St. Louis. Minskys Thesen wurden wesentlich geprägt von den Werken des britischen Ökonomen John Maynard Keynes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011

Warum die Börse im Kapitalismus nicht nur ein Barometer ist

Ein Ökonom, den die Finanzkrise durchaus nicht überrascht hätte: Zwei Aufsätze zeigen den 1996 verstorbenen Hyman Minsky auf der Höhe der Zeit.

Von Alexander Armbruster

Leider ist Hyman Minsky immer noch angesagt. Dass Bücher und Aufsätze des verstorbenen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers übersetzt und neu aufgelegt werden, lässt auf die Fortdauer der Krise schließen. Ungefähr so, wie ein größeres Angebot an Fieberthermometern sicherlich darauf hinweisen würde, dass mehr Menschen glauben, sie seien krank. Aber es vielleicht gar nicht sind.

Vielleicht aber doch. Der Beweis fällt schwer, wenn man nur die Fieberthermometer sieht, die Menschen jedoch nicht. Erst recht, wenn die Thermometer nur deswegen auf den Markt gekommen sein könnten, weil die Menschen glauben, sie würden sie vermutlich brauchen, wenn sie in Zukunft einmal krank geworden sein werden.

Deshalb ist Minsky immer noch angesagt. Er hat zeitlebens Finanzmärkte erforscht. Insbesondere hat ihn beschäftigt, wie Finanzmärkte auf die Gesamtwirtschaft wirken und umgekehrt - das zentrale Thema, das infolge der Finanzkrise nicht nur die Finanzfachwelt beschäftigt.

Unter dem Titel "Instabilität und Kapitalismus" sind nun zwei Aufsätze von Minsky erschienen. Der erste, über "Die Hypothese der finanziellen Instabilität", beginnt gleich mit einem starken Satz. "Finanzielle Instabilität und Finanzkrisen sind Gegebenheiten des Wirtschaftslebens", schreibt er da. Das klingt (heutzutage) fürchterlich selbstverständlich, enthält aber bereits den zentralen Punkt, auf den Minsky hinauswill: Es braucht keinen Schock von außen, um eine Wirtschaft aus einem angenommenen Gleichgewichtszustand zu bringen. Einer Marktwirtschaft mit entwickeltem Finanzsektor ist die Möglichkeit einer schweren Krise inhärent.

Damit unterscheidet sich Minsky von der mehrheitlichen Richtung insbesondere der angelsächsischen Wirtschaftslehre, die zumal in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vereinfacht gesagt davon ausging, dass Märkte automatisch das richtige Ergebnis liefern, wenn man sie nur lässt. Ihren Anhängern warf Minsky vor, unbotmäßig zu vereinfachen.

"Wenn die Vertreter der Mainstream-Theorie die Probleme einer kapitalistischen Wirtschaft untersuchen wollen, müssen sie ihre bisherige Vorgehensweise, das Entwerfen idyllischer Ökonomien, aufgeben und beginnen, Ökonomien abzubilden, in denen eine Wall Street existiert." Damit wollte er weder Banken noch Börsen verteufeln, sondern lediglich betonen, dass beide nicht nur Nebendarsteller sind, sondern gerne einmal in die Hauptrollen wechseln und sagen, wo's langgeht.

Es ist gerade nicht so, dass an den Börsen nur vorvollzogen wird, was die Anlegerschwarmintelligenz für die sogenannte Realwirtschaft erwartet. Ein Aktienkurseinbruch kann zum Beispiel auch erst dazu führen, dass Unternehmen überlegen, ob sie geplante Investitionen tatsächlich durchführen oder lieber aufschieben. Die Wirtschaftsaktivität verlangsamt sich also, weil die Börse lahmt. Man konnte genau das im Sommer in den Vereinigten Staaten verfolgen.

Hyman Minsky war auch ein vehementer Warner, nämlich vor zu vielen Schulden. Und vor zu komplizierten Schulden. Er unterschied dabei drei Arten von Wirtschaftseinheiten. Die einen, die immer genug Geld verdienen, um Zinsen zahlen und aufgenommene Kredite tilgen zu können. Die nächsten, denen die Einnahmen immerhin immer reichen für die Zinszahlungen, die sich aber zuweilen einmal neues Geld leihen müssen, um fällig werdende Kredite zu tilgen. Und die dritten, die geliehenes Geld hauptsächlich zurückzahlen, indem sie neues leihen. Je mehr Wirtschaftseinheiten des zweiten und vor allem des dritten Typs es gebe, so Minsky, desto störanfälliger sei ein Finanzsystem. Über die aktuelle Staatsfinanzenkrise in Europa hätte er sich sicherlich nicht gewundert. Er hätte, um im Fieberthermometer-Bild zu bleiben, vielmehr herausgestellt, dass wirklich eine Krankheit vorliegt und es nicht hilft, einfach das Thermometer wegzuwerfen, nämlich Rating-Agenturen und Finanzmärkte anzuklagen.

Und auch die durch Verpackung, Verbriefung und Vertrieb kurioser Wertpapiere in den Vereinigten Staaten ausgebrochene Finanzkrise hätte ihn vermutlich nicht überrascht. Wenn es der Wirtschaft über einen längeren Zeitraum relativ gut geht, dann steige, hat er beobachtet, infolge zunehmender Sorglosigkeit nicht nur die Höhe der Verschuldung, sondern werde auch das Instrumentarium, mit dem sie ermöglicht wird, immer innovativer. Seine Diagnosen haben an Aktualität nichts eingebüßt. Und glücklicherweise ist Hyman Minsky immer noch angesagt.

Hyman P. Minsky: "Instabilität und Kapitalismus".

Aus dem Englischen von Michaela Grabinger und Florian Oppermann. diaphanes Verlag, Zürich 2011. 160 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Alexander Armbruster begrüßt diesen Band mit zwei Essays des 1996 verstorbenen Wirtschaftswissenschaftlers Hyman Minsky. Er würdigt den Autor, der die Wechselwirkungen von Finanzmärkten und Gesamtwirtschaft intensiv erforscht hat, als einen der wenigen, der die unter angelsächsischen Ökonomen weit verbreiteten Ansicht, die Märkte würden schon das richtige Ergebnis liefern, wenn man sie nur ließe, schon damals nicht teilte. Minsky zeigt seines Erachtens überzeugend, dass kein Schock von außen nötig ist, um Marktwirtschaften mit weit entwickelten Finanzmärkten in die Krise zu führen. Die beiden jetzt erschienenen Aufsätze des Ökonomen bieten für ihn Diagnosen, die an "Aktualität nichts eingebüßt" haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Minskys 'Moment' ist gekommen« The Wall Street Journal