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Produktbeschreibung
eine bitterbösen Polit-Satire über die USA
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2016

Guantanamo XXL
Als Comic-Reporter wurde Joe Sacco berühmt. Nun legt er mit „Bumf Vol. 1“ eine böse Travestie vor:
Das 20. und frühe 21. Jahrhundert als unentwegte Abfolge von Mord, Fressen und Kopulieren
VON THOMAS VON STEINAECKER
Als Richard Nixon aus unruhigen Träumen erwacht, findet er sich in Barack Obama verwandelt. Neben ihm schläft Michelle. Naturgemäß ist er anfangs ein wenig verwirrt. Aber dann hellt sich seine Stimmung auf: Denn im 21. Jahrhundert gibt es eine neue Art des Krieges, bequem von zu Hause zu führen, mit etwas, das „Drohnen“ heißt. So sitzt Nixon die ganze Nacht am Joystick, mit dem er nicht nur in den entferntesten Ländern potenzielle Feinde abknallen, sondern auch seine eigenen Leute überwachen kann. Doch es kommt noch besser: In der Andromeda-Galaxie wird ein Planet entdeckt, auf dem weder die physikalischen Gesetze noch die Genfer Konventionen und nicht einmal die zehn Gebote gelten! Der ideale Ort für einen Gefangenenplanet Marke Guantanamo XXL . . . und Gefangene gibt es viele, ist doch mittlerweile jeder verdächtig. Oder könnte es zumindest werden.
  Zu dick aufgetragen? Zu wirr? Die größte Verwirrung ruft vielleicht der Name des Autors hervor, der sich dieses Szenario ausgedacht hat: Joe Sacco. Jener Sacco, der nichts weniger als den Comic-Journalismus erfunden hat: Seit Anfang der 1990er reiste Sacco zu den Krisenherden der Welt, wo es oft unmöglich war zu fotografieren; allein mit Stift und Papier brachte er Dinge ans Licht, die, obwohl „nur“ gezeichnet, wirklicher und wahrhaftiger wirkten als in jeder klassischen Reportage. So gehören „Palästina“ über die erste Intifada oder „Bosnien“ über den Jugoslawienkrieg zu den großen Klassikern der Neunten Kunst.
  Wie viele seiner Comic-Kollegen begann jedoch auch Sacco seine Karriere in einem Satiremagazin. „Bumf Vol. 1“ schlägt also kein neues Kapitel auf, sondern ist letztlich eine Rückkehr zu den eigenen Ursprüngen, eine vom Autor selbst als solche bezeichnete Zwischenarbeit – die es aber in sich hat. Unmöglich, die surreale Handlung befriedigend nachzuerzählen: Sacco dreht von Anfang an alles, sich selbst in seiner Rolle als Reporter mit eingeschlossen, buchstäblich durch den Fleischwolf. Nach einer Kürzestweltgeschichte auf zwei Seiten, von der Idylle des Garten Eden zu einem Bild des Schreckens mit dem brennenden World-Trade-Center, vor dem ein Kardinal einen Jungen missbraucht, ein Bettler verhungert und eine Prostituierte ihren Rock hebt sowie der nicht zu leugnenden Feststellung „Irgendwas ging gründlich schief“, befinden wir uns auf einmal mitten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Mit wichtiger Miene vertraut hier ein General Sacco an, wie er „die Hunnen“ besiegen will. Er lässt seine Männer nackt übers Schlachtfeld laufen und den Feind sodomieren, oder, wie es im Buch heißt: „Ich fickte den Kaiser“. Parallel dazu verfolgt besagter Nixon als wiedergeborener Obama, unterstützt von seinem treu-doofen Stab, die Verwirklichung seines größten Traums: durch eine geheimnisvolle Zeremonie auf einem Gefängnisplaneten in den Messias verwandelt zu werden. Und auch hier als bestellter Hofschreiber oder besser –narr vor Ort: ein wegen seiner vermeintlichen Unbestechlichkeit gefeierter Comicautor namens Joe Sacco.
  Es liegt in der Natur dieser Travestie des 20. und frühen 21. Jahrhunderts als unentwegte Wiederholung von Mord, Fressen und Kopulieren, dass die Grenzen des guten Geschmacks überschritten werden. Am eindrücklichsten ist das Buch aber immer dann, wenn in Saccos realistisch gehaltenen Schwarz-Weiß-Zeichnungen die Zeiten miteinander verschmelzen und Ikonen des historischen Horrors der vergangenen 100 Jahre zu Tableaux verdichtet werden: von den nach einem Gasangriff erblindeten Soldaten im Ersten Weltkrieg über die vor Napalm fliehenden Kinder in Vietnam bis zu den Kapuzen von Abu Ghraib.
  Am Ende mag „Bumf Vol. 1“ zu unausgewogen sein, um wirklich zum großen weltgeschichtlichen Totentanz oder zur Abrechnung mit der enttäuschenden Ära Obama zu taugen, die Sacco im Sinn hatte. Das ist umso bedauerlicher, da es ihm in den brillantesten Passagen des Buches gelingt, das Gespenstische unserer Gegenwart in aller Kürze greifbar zu machen, eine Gegenwart, in der sich nicht mehr genau zwischen der Wirklichkeit und ihrer Parodie unterscheiden lässt. So sehen wir eine Frau kurz vor ihrer Verhaftung bei ihrer „Untat“; sie kauft Milch, unsichtbare Kommentatoren beobachten sie dabei: „Sie geht offenbar zurück. Sie bleibt stehen. Sie ist stehen geblieben! Sie steht einfach nur da! Vielleicht ist ihr was eingefallen. Vielleicht hat sie was vergessen. Oh Gott!“  
Joe Sacco: Bumf Vol. Aus dem Englsichen von Christoph Schuler. Edition Moderne, Zürich 2016. 120 Seiten, 19,40 Euro.
Von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zu Luftschlachten und den brennenden Türmen des World Trade Centers: Joe Saccos Geschichte der letzten hundert Jahre ist eine Geschichte des Horrors.
Foto: Edition moderne
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nein, einen großen Wurf zur Lage der Zeit kann Thomas von Steinaecker nicht erkennen in Joe Saccos wildgewordener Geschichte. Zu wirr, zu dick trägt der große Comic-Reporter nach Meinung des Rezensenten auf, wenn er Nixon sich in Obama verwandeln lässt, 9/11, Guantanamo und den Ersten Weltkrieg miteinander verwurstet und auch sonst alles unternimmt, um zurück zu seinen Anfängen bei einem Satiremagazin zu gelangen. So surreal Sacco, Mord und Totschlag und das große Fressen und Kopulieren mischt, so sehr geht er Steinaecker damit bald auf die Nerven, und der Rezensent kühlt seinen Schädel mit den eher realistisch gehaltenen Schwarz-Weiß-Zeichnungen und den Momenten im Buch, wenn das Gespenstische der Gegenwart durchscheint.

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