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"Hör auf zu lügen! Jeder weiß, dass es keine Juden mehr gibt." Mit diesem Kommentar seines Klassenkameraden beginnt für Yascha Mounk die Auseinandersetzung mit seinem Jüdischsein. Er, der als einer von zwei Juden (er und seine Mutter) in dem schwäbischen Nest Laupheim aufgewachsen ist, erlebte das verkrampfte Verhältnis vieler Deutscher zu Juden bereits in jungen Jahren. Ob es antisemitische Reaktionen sind oder das Gegenteil, betontes Wohlwollen - die meisten Deutschen behandeln Juden einfach nicht normal.
Yascha Mounk, mittlerweile unterrichtet er Politische Theorie in Harvard, fragt,
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Produktbeschreibung
"Hör auf zu lügen! Jeder weiß, dass es keine Juden mehr gibt." Mit diesem Kommentar seines Klassenkameraden beginnt für Yascha Mounk die Auseinandersetzung mit seinem Jüdischsein. Er, der als einer von zwei Juden (er und seine Mutter) in dem schwäbischen Nest Laupheim aufgewachsen ist, erlebte das verkrampfte Verhältnis vieler Deutscher zu Juden bereits in jungen Jahren. Ob es antisemitische
Reaktionen sind oder das Gegenteil, betontes Wohlwollen - die meisten Deutschen behandeln Juden einfach nicht normal.

Yascha Mounk, mittlerweile unterrichtet er Politische Theorie in Harvard, fragt, welches Licht seine Erfahrungen auf das heutige Deutschland werfen können. Denn einige Muster im Umgang mit der Vergangenheit sind weiterhin in der Politik erkennbar - eine Politik, deren Auswirkungen in Zeiten der Krise verhängnisvoller sind denn je.
Autorenporträt
Mounk, Yascha
Yascha Mounk, 1982 in München geboren, wuchs in Freiburg, Kassel, Maulbronn, Laupheim und Karlsruhe auf und verließ Deutschland für ein Studium in Cambridge. Mittlerweile lebt er in New York, unterrichtet politische Theorie an der Harvard University und schreibt als freier Publizist regelmäßig für Zeitungen wie »The New York Times«, »The Wall Street Journal«, »Foreign Affairs« und »Die Zeit«. »Echt, du bist Jude?« ist seine erste Buchveröffentlichung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2015

Laupheim ist nicht New York

Sehnsucht nach einem Leben in Normalität: Yascha Mounk blickt zurück auf seine Erfahrungen als Jude in Deutschland. Heikle Verallgemeinerungen inklusive.

Das Entscheidende an dem Lebensweg, den Yascha Mounk ist seinem Buch beschreibt, ist sein Geburtsjahr. Mounk kam 1982 in München zur Welt, wuchs in verschiedenen Orten Deutschlands auf - in Freiburg, Kassel, Laupheim (nahe Ulm), München und Karlsruhe - und war heilfroh, als er das Land mit Beginn seines Studiums in Richtung England und der Vereinigten Staaten verlassen konnte. Denn Yascha Mounk ist Jude und fühlte sich als solcher in Deutschland nicht zu Hause.

Woran lag das? In seinem Buch, das Mounk im vergangenen Jahr erst in den Vereinigten Staaten und nun in einer veränderten und erweiterten Version auf Deutsch veröffentlicht hat, führt er persönliche Erlebnisse an und wagt sich, von ihnen ausgehend, an allgemeinere Thesen über das deutsch-jüdische Verhältnis. Was seine unmittelbaren Erfahrungen angeht, reibt man sich manchmal die Augen: An einem seiner ersten Tage als Gymnasiast in Laupheim beispielsweise antwortet der junge Yascha auf die Frage des Lehrers, welcher Konfession er angehöre: "Ich bin Jude" - woraufhin die gesamte Klasse nicht nur in Gelächter ausbricht, sondern ein Schulkamerad ihm sinngemäß auch entgegnet: Erzähl keinen Mist, Juden gibt es keine mehr!

Nach dem Studium begegnet Mounk, wiederum in München, einem Gleichaltrigen, der sich wegen der deutschen Vergangenheit so schuldig fühlt, dass er zum Judentum übergetreten ist und sich nun ostentativ um Yaschas Freundschaft bemüht. Das sind also die beiden Pole, zwischen denen sich Mounks Erfahrungen bewegen: eine ressentimentgeladene Ablehnung, die sich im Falle von Fünftklässlern zwar noch nicht, bei anderen Gelegenheiten aber durchaus als Antisemitismus bezeichnen lässt. Und ein Philosemitismus, der, weil er aus einem Schuldkomplex entstanden ist, genauso verhindert, dass sich entwickeln kann, was Yascha Mounk nachvollziehbarerweise am meisten vermisst: Normalität zwischen Deutschen und Juden. Ein Zusammenleben, dass frei von Feindseligkeit und von Beflissenheit ist.

Nicht überraschend, dass Mounk die Möglichkeit eines solchen Zusammenlebens später in New York gefunden hat, einer Stadt, die sich, wie er - einen Essay von E. B. White zitierend - schreibt, "weit mehr über ihre Neuankömmlinge als über ihre Einheimischen" definiere. Dass Mounk sein Leben dort trotzdem mit seinem Leben in Deutschland vergleicht, ist schon erstaunlicher. Denn es liegt auf der Hand, dass seine jüdische Identität in New York anders wahrgenommen wird als in Laupheim, München oder Karlsruhe, und das dürfte nicht nur mit den unterschiedlichen Vergangenheiten dieser Orte zu tun haben. Sondern schlicht auch damit, dass in New York im Verhältnis deutlich mehr Juden als in Deutschland leben.

Mounk schreibt es selbst: "Nun mag es ironisch erscheinen, dass ich in eine Stadt mit anderthalb Millionen Juden ziehen musste, um mich nicht mehr als Jude zu fühlen. Aber es ist kaum ein Zufall. Da es hier so viele andere Juden gibt, kann mich der Umstand, es faktisch auch zu sein, kaum von anderen unterscheiden." Wozu aber dient dann sein Vergleich?

Als wenig erhellend erweist sich Mounks Methode auch an anderen Stellen. Im Vorwort beschreibt er seinen Text als, "mal erzählerisch und mal analytisch; mal persönlich und mal essayistisch". Diese Offenheit der Form führt aber immer wieder zu Ungenauigkeiten, die umso bedauerlicher sind, als es ihm neben seinen persönlichen Erfahrungen ja um nichts Geringeres geht als "die Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehungen seit 1945". Der Skizzierung dieser Geschichte widmet er rund vierzig Seiten. In ihnen geht es, von den Achtundsechzigern und der RAF über den Historikerstreit und Martin Walsers Paulskirchen-Rede bis zu den fahnenschwenkenden Fußballfans beim Sommermärchen 2006 und Günter Grass' Gedicht "Was gesagt werden muss", vor allem um Ereignisse und Diskussionen, die zeigen sollen, wie allmählich entstand, was Mounk als Forderung nach einem "Schlussstrich" bezeichnet - nach einem Ende des Betonens deutscher Schuld.

In diesem Zusammenhang geht er, um nur ein Beispiel zu nennen, auch auf das Buch "Der Brand" (2002) von Jörg Friedrich ein, das den alliierten Luftangriffen gewidmet ist. Er wirft dem Autor vor, "den Alliierten zusätzliche Schuld anlasten zu wollen", weil er "Nazibombenkampagnen herunterspielt oder verschweigt". Aber diese Darstellung lässt völlig außer Acht, dass sich Jörg Friedrich in früheren Werken (in "Freispruch für die Nazi-Justiz. Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948" oder "Das Gesetz des Krieges. Das deutsche Heer in Russland 1941 bis 1945") ausführlich mit deutschen Kriegsverbrechen beschäftigt hat. Ihn als eine treibende Kraft hinter dem Bemühen um "eine retroaktive Rehabilitation deutscher Täter" zu sehen ist eine Pauschalisierung, die diesem Umstand nicht gerecht wird.

Der Vorwurf irreführender Verknappung lässt sich auch dem zweiten, nur der deutschen Ausgabe angefügten Teil des Buches machen. In ihm versucht Mounk, "eine Vision für ein zukunftsgewandtes Deutschland" zu entwerfen. Die liest sich nun wie ein langer Leitartikel, in dem es vor allem um die jahrzehntelang geltenden Maximen deutscher Außenpolitik (Westbindung, Gewaltverzicht) sowie um die Frage geht, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Angesichts der aktuellen Entwicklungen mögen beide Diskussionen dringlich scheinen. Aber die behandelten Themen - vom Kosovo-Einsatz, der Griechenland-Krise und der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik bis zum Aufstieg der AfD, dem demographischen Wandel und dem richtigen Bildungssystem - sind so divers und komplex, dass Mounks Überlegungen über Annäherungen nie hinauskommen.

In diesen, der Verallgemeinerung anheimfallenden Teilen ist sein Buch folglich am schwächsten. Interessanter sind die persönlichen Erlebnisse, die ihn seine jüdische Herkunft im Deutschland der achtziger und neunziger Jahre hat machen lassen - und zwar nicht nur, weil man staunt, dass solche Zumutungen in der jüngeren Vergangenheit überhaupt noch möglich waren. Sondern auch, weil sie Mounks Wunsch nach Normalität erst verständlich machen und gleichzeitig zeigen, wie weit entfernt man von seiner Realisierung nach wie vor ist.

LENA BOPP.

Yascha Mounk: "Echt, du bist Jude?" Fremd im eigenen Land.

Aus dem Englischen von Simone Jakob. Verlag Kein & Aber, Zürich 2015. 272 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lena Bopp schüttelt mitunter den Kopf angesichts der Erfahrungen mit Antisemitismus und Schuldkomplexen, die Yascha Mounk in Deutschland machen musste. Was der Autor zum deutsch-jüdischen Verhältnis zu sagen hat, lässt sie aufhorchen, die gewählte offene Form birgt laut Bopp allerdings das Risiko der Ungenauigkeit und Pauschalisierung, etwa wenn Mounk den Autor Jörg Friedrich kritisiert und mittels Überlegungen zur AfD, zur Demografie und zum Bildungssystem nicht weniger als eine Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehungen seit 1945 anpeilt. Aufschlussreicher findet die Rezensentin Mounks persönliche Erlebnisberichte aus jüngerer Zeit.

© Perlentaucher Medien GmbH