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Zwei Jahrzehnte lang belebte Henry Glass, mitirischem Sinn fürs Skurrile und Absurde, den Kultur- und Wissenschaftsteil des Spiegel. Er berichtete über die Prozedur des Alkohol-Entzugs bei süchtigen Eseln, die alljährlich in England ausgetragene Weltmeisterschaft der »Wurmklopfer« und porträtierte die 1000-jährige Ir(r)en-Metropole Dublin. Dazu gesellten sich Artikel über abgründige Forschungsgegenstände wie »Fremdkörper im Rektum«, »Wurzelgleichung beweist Murphy's Law« oder »Die Gasdynamik des Darms«. Lange bevor der Spiegel Autorenzeilen unter den Artikeln einführte, erkannte man die…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Jahrzehnte lang belebte Henry Glass, mitirischem Sinn fürs Skurrile und Absurde, den Kultur- und Wissenschaftsteil des Spiegel. Er berichtete über die Prozedur des Alkohol-Entzugs bei süchtigen Eseln, die alljährlich in England ausgetragene Weltmeisterschaft der »Wurmklopfer« und porträtierte die 1000-jährige Ir(r)en-Metropole Dublin. Dazu gesellten sich Artikel über abgründige Forschungsgegenstände wie »Fremdkörper im Rektum«, »Wurzelgleichung beweist Murphy's Law« oder »Die Gasdynamik des Darms«. Lange bevor der Spiegel Autorenzeilen unter den Artikeln einführte, erkannte man die Beiträge des Heimweh-Iren und Kopfweh-Briten Glass. In ihrer stilistischen Originalität und ihrem Einfallsreichtum sind sie unerreicht und genießen Kultstatus. Die vorliegende Sammlung feiert den findigen Kopf und stellt einige seiner besten Texte vor.
Autorenporträt
Henry Glass, 1951 als Sohn einer rumänisch-deutschen Mutter und eines nordirischen Geschäftsmannes in München geboren, arbeitete von 1978 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 im Wissenschaftsressort des Spiegel. Er war ein liebenswürdiger Chaot, der seinen angelsächsischen Spleen mit dem Tragen von knielangen Shorts, James-Joyce-Brillen und Capes darzutun pflegte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2009

Zu betrunken, um die Hostie zu schlucken
Bitte stellen Sie die Tiere mit Namen vor: Zwei Bücher, die in der Welt des Wissens den Menschen so ernst nehmen wie das Tier
Henry Glass, der von 1978 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Redakteur im Wissenschaftsressort des Spiegel war, gehörte wie Tiziano Terzani zu jenen Spiegel-Autoren, die man nach dem Namen las. So grundverschieden ihre Themen auch waren, bei beiden schien immer noch ein Interesse an Sprache durch, das etwas von der Magie spüren ließ, sich im Schreiben von den ödipalen Zwängen der Muttersprache befreien zu können. Während aber der in Italien geborene Terzani ein philosophisch nervöser Geist war, der allem Fernöstlich-Asiatischen offen gegenüberstand, war für Glass die Welt zu einem Un-Ort geworden, durch die man sich am besten hindurchtrank.
Trinkfest wie James Joyce oder Flann O’Brian, mit denen Glass über seinen nordirischen Vater in unterirdischer Verbindung stand, soll Glass gewesen sein. Das berichten jedenfalls noch heute ehemalige Kollegen mit nachhaltiger Bewunderung. Man kann das jetzt in einem kleinen Band seiner besten Spiegel-Texte, „Weltquell des gelebten Wahnsinns”, bis in die kleinsten Verästelungen seiner Wissenschaftsskizzen nachvollziehen.
„Der Whisky wirft mehr Fragen auf, als man von ihm trinken kann”, zitiert Glass in einem für seine Schreibweise exemplarischen Text mit dem Titel „Seele vom Holz” einen Chemiker, der über Jahre im Auftrag der schottischen Whisky-Industrie die Geschmacksingredienzien des Stoffes untersuchte. Bei Glass wird die Geschichte um die heutigen Whisky-Forscher, deren einziger Zweck darin besteht, einen Instant-Whisky zu schaffen, der die Reifezeit des alten Schnapses verkürzen soll, zu einem kurzen Gang durch die Geschichte des britischen Imperialismus.
Als im sechsten Jahrhundert irische Mönche ausgezogen waren, um dem Morgenland den dreifaltigen Gott zu verkünden, brachten sie einen Fusel mit, der bald Anlass zu strengen Gesetzen gab. 40 Tage musste demnach ein Bischof, „der so besoffen ist, dass er bei der Messe die Hostie auswürgt”, bei Wasser und Brot verbringen. Glass schafft es mühelos, so nicht nur die Geschichte des Whiskys zu erzählen, der aus dem Fusel nach Jahrhunderten der Verfeinerung geworden ist, sondern auch einen Blick auf die Erziehungsmaßnahmen zu werfen, die die Einführung des Whiskys in Britannien mit sich brachte und die keineswegs jeden Missbrauch verhindern.
Whisky gefällt nämlich nicht nur Menschen. In einer andern Geschichte erzählt Glass von zu Alkoholikern gewordenen Eseln. Michel, ein Esel, der in einer schottischen Whisky-Destille arbeitete, hatte so ausgiebig von der Maische genascht, die er in seinem Verdauungsschlauch zu Alkohol vergor, dass er zum Alkoholiker geworden war. Das Tier war damit nicht allein in Großbritannien – und so gibt es heute dort eine ernstzunehmende Forschung zum Alkoholproblem bei Tieren. Glass ist dabei schon so weit post-human, dass er die Esel natürlich mit ihren Namen vorstellt.
Ein Subjekt, das sterben kann
Mit Namen auch stellt die vielleicht wichtigste Publikation dieses Herbstes zum Mensch-Tier-Verhältnis ihre Protagonisten vor. „Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte” ist ein von Künstlern und Wissenschaftlern bestrittener Sammelband, den man gleichzeitig als hervorragende Einführung in die „Animal Studies” lesen kann. Das Anliegen der Animal Studies ist es, Tiere als Subjekte ernst zu nehmen. Um das zu können, ohne in einer beliebigen Betrachtung des Tieres zu enden, die dann nichts weiter als die gängige, ewige und fabelhafte narzisstische Projektion von Menschen auf Tiere wäre, muss man allerdings ein paar Begriffe und Sachverhalte klären. Das tut der in den USA lehrende Japanologe Akira Mizuta Lippit exemplarisch in seinem Beitrag „Der Tod eines Tieres”. Nach der angestrengten Logik der westlichen Metaphysik kann das Tier nicht sterben. Und zwar einfach deshalb nicht, weil das Tier sein Sein nicht sprachlich reflektieren kann. Lippit, der auch Filmwissenschaftler ist, sieht nun in einem in einem Film sterbenden Tier die Auflösung dieser alten Metaphysik auf uns zukommen. „Das Tier stirbt und wird sterbend gesehen – und dies an einem Ort jenseits der Erreichbarkeit von Sprache”, schreibt er an einer entscheidenden Stelle seiner Reflexion. Wer es also nicht schon von seiner Katze wusste, weiß spätestens, seit es Film gibt, dass das Tier einen Tod hat.
Um den Tod eines Tieres geht es auch im schönsten Text des Bandes: „Die abwesende Freundin: Laikas kulturelles Nachleben” von Amy Nelson. Laika, jene Mischlingshündin, die im November 1957 als erstes Lebewesen in der Sputnik 2 die Erde umkreiste, ist nämlich bereits wenige Stunden nach dem Abschuss der Kapsel an Überhitzung und Panik gestorben. Das weiß man aber erst seit sechs Jahren. Vorher hat die Sowjetbehörde immer behauptet, dass Laika erst nach ein paar Tagen im Orbit gestorben sei, ohne gelitten zu haben. Nicht nur durch diese Lüge wird Laika für Nelson zu einem Vermittler über die fließenden Grenzen von Menschen- und Hundeidentität hinweg. Im Leid vereint Laika „den Widerspruch zwischen der grausamen Realität ihres Lebens und Sterbens und der idealisierten Vorstellung der Leute von Hunden”, schließt Nelson ihren tollen Text. Und um diesen Widerspruch kreisen alle Texte, von dem aus man das Mensch-Tier-Verhältnis anfangen kann, neu zu denken. CORD RIECHELMANN
HENRY GLASS: Weltquell des gelebten Wahnsinns. Skurriles aus der Welt der Wissenschaft. Kein & Aber, Zürich 2008. 174 Seiten, 16,90 Euro.
Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte. Hg. von Jessica Ulrich, Friedrich Weltzien und Heike. Reimer Verlag, Fuhlbrügge 2008. 319 Seiten, 29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cord Riechelmann bespricht zwei Bücher in einer Doppelkritik, deren gemeinsamer Nenner darin zu bestehen scheint, dass darin Tiere mit Namen vorkommen. Henry Glass, von 1977 bis zu seinem Tod 2000 Wissenschaftsredakteur beim "Spiegel", stellt uns der Rezensent als "trinkfesten" Sprachverehrer dar, dessen Affinität zu Hochprozentigem sich auch in den gesammelten "Spiegel"-Beiträgen niederschlägt. Beeindruckend findet es Riechelmann, wie es Glass gelingt in einem Beitrag über die neuere Whisky-Forschung den Bogen zur "Geschichte des britischen Imperialismus" zu schlagen. Auch der Text um den in einer schottischen Whiskybrennerei arbeitenden Esel Michel, der zum Alkoholiker wurde, weitet sich unter der Feder von Glass zur Betrachtung über die durchaus "ernstzunehmende" Erforschung von tierischem Alkoholismus, stellt der Rezensent gefesselt fest.

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