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Berlin, 1989. DJ Darky geht ins Solarium und erklärt das Ende der Blackness obwohl er mit unzähligen rassistischen Projektionen konfrontiert wird. »Slumberland« ist ein furioser, gnadenlos komischer Roman und eine Liebeserklärung an die Musik und ihre vereinigende Kraft.
DJ Darky hat ein phonographisches Gedächtnis. Nachdem er in Los Angeles den perfekten Beat kreiert hat, begibt er sich auf die Spuren des legendären, in Ostdeutschland abgetauchten Jazz-Avantgardisten Charles Stone, genannt Schwa, seinem musikalischen und spirituellen Doppelgänger. Die Suche führt ihn nach Berlin zur Zeit…mehr

Produktbeschreibung
Berlin, 1989. DJ Darky geht ins Solarium und erklärt das Ende der Blackness obwohl er mit unzähligen rassistischen Projektionen konfrontiert wird. »Slumberland« ist ein furioser, gnadenlos komischer Roman und eine Liebeserklärung an die Musik und ihre vereinigende Kraft.
DJ Darky hat ein phonographisches Gedächtnis. Nachdem er in Los Angeles den perfekten Beat kreiert hat, begibt er sich auf die Spuren des legendären, in Ostdeutschland abgetauchten Jazz-Avantgardisten Charles Stone, genannt Schwa, seinem musikalischen und spirituellen Doppelgänger. Die Suche führt ihn nach Berlin zur Zeit des Mauerfalls, wo er eine Stelle als Jukebox-Sommelier in der Bar »Slumberland« antritt. Er entdeckt seine sexuelle Macht, lernt den Musikgeschmack eines Neonazis kennen und vergleicht die Situation der Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung mit der der Afroamerikaner nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Paul Beatty spielt virtuos mit den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern, zwischen Schwarz und Weiß, Ost und West, Jazz und Techno, und mischt daraus einen mitreißenden neuen Sound.
Autorenporträt
Paul Beatty, geboren 1962 in Los Angeles, lebt in New York City. Er war der erste Preisträger des Grand Poetry Slam des Nuyorican Poets Café.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2009

Gesunder Selbsthass
Paul Beatty begibt sich nach Berlin: „Slumberland”
Zum Brüllen komisch! Das Attribut erscheint regelmäßig in den Kritiken zu Paul Beattys Büchern, auch wenn das Gebrüll eine tiefe Verstörung über das kranke Herz der Gesellschaft ausdrückt. Das galt für das Debüt des jungen Afroamerikaners, das 1999 unter dem Titel „Der Sklavenmessias” in Deutschland erschien, und gilt auch für seinen neuen Roman „Slumberland”. Der Schriftsteller verlegt diesmal den Schauplatz von den amerikanischen Ghettos nach Berlin. Sein Thema aber ist geblieben: Die Suche eines schwarzen Mannes nach sich selbst. Eine von Coolness grundierte Ironie auf festgelegte Identitäten. Und der Versuch, die Klischees, wenn schon nicht zu überwinden, dann doch durch absurde Überziehung zu enttarnen.
Auch in den Grundzügen seiner Hauptfigur ist sich der Autor treu geblieben. Wieder mal gerät ein intellektueller, übertalentierter Zweifler in eine ihm fremde Welt. Und sucht mit den richtigen Worten – oder auch Beats – seinen Weg durch den Dschungel. „Ich gebe es ja selber zu, ich bin nicht der technisch versierteste DJ, der je die Nadel in die Rille schob. Akute Linkshändigkeit, Angst vor Menschenmassen und das, was ich meinen gesunden Selbsthass nenne, fügen sich zu meinem einprägsamen Künstlernamen: DJ Darky . . . und so kombiniere ich meinen Mangel an Handwerk und Negritude mit einem Übermaß an gutem Geschmack.”
Dabei gibt die Geschichte von DJ Darky vor allem den Rahmen ab für Beattys popkulturelle Exkurse, seine hippen Auflistungen und Querverweise. Der Plot? Ein schwarzer DJ mit unfehlbarem Musikgedächtnis ist nach Berlin gekommen, um die Plattentruhe des Slumberland mit 100 esoterischen Höhepunkten des schwarzen Pop neu zu bestücken. Sein eigentliches Ziel aber ist ein mythenumrankter Musiker. Daheim in Los Angeles hatte Darky die Angebote der Gangstarap-Mafia abgelehnt, ihm seinen perfekten Beat abzukaufen. Nun möchte er in Berlin den einzigen Musiker finden, dessen Free-Jazz-Voodoo-Improvisationen es wert sind, sein Stück zu vollenden: Charles Stone, genannt der Schwa. Von Deutschland hat Darky allerdings nur ein paar vage Ideen, verbunden mit der Hoffnung, hier endlich er selbst sein zu können, ohne die Blickfilter des weißen Amerika.
„Wissen sie denn nicht, dass es nach eintausendvierhundert Jahren aus ist mit der Scharade des Schwarzseins?” verkündet er gleich zu Anfang des Romans. „Dass wir Schwarzen, die einstmals ewig Hippen, die Typen, die so hier und jetzt waren wie die Zeitansage, ab heute genauso von gestern sind wie der Faustkeil, das Veloziped und der Strohhalm aus Papier? Der Neger ist jetzt offiziell Mensch.” Doch er hat das Ende des Schwarzseins zu früh ausgerufen. Die Deutschen erinnern ihn ständig an seine Hautfarbe, er wird ihnen zum Objekt von Lust, Verehrung, Solidarität und Abgrenzung, verdammt, ein Anderer zu bleiben.
Beatty, der 1996 ein Jahr als Stipendiat in Berlin lebte, erweist sich dabei als scharfer Beobachter. So hat Sex bei ihm grundsätzlich die Funktion sozialer und rassischer Demaskierung – und das Slumberland, ein von weißen Frauen und schwarzen Männern bevölkerter Abschleppschuppen, spielt ihm die Pointen zu. Während die Dialoge oft im Slapstick stecken bleiben, ist es die Musik, die eine wirklich gemeinsame Sprache schafft und das Absurde erträglich macht. Wie verloren wäre DJ Darky ohne die zärtliche, spirituelle Kraft seiner Musik?
Beatty, ein Schüler von Allen Ginsberg, der manchmal zu Unrecht als „HipHop-Literat” klassifiziert wird, teilt immerhin einige Qualitäten mit seinem DJ-Protagonisten: Die Respektlosigkeit etwa, mit der er Hochkultur und Straßenjargon mischt. Goya und Graffiti, Boleros und Breakdance, Tupac und Edgar Allan Poe prallen da in aberwitzigen Metaphern aufeinander, Heidegger bekommt bewusstseinserweiternde Party-Pillen verpasst und der schwarze Wachmann des Amerikahauses – „Deutschland ist der Himmel des schwarzen Mannes, du musst dich einfach von ihnen lieben lassen” – wird dem „schwarzen Freakshow-Vermächtnis” zugeordnet, „wie vor ihm die Hottentotten-Venus, der im Zoo der Bronx als missing link zur Schau gestellte kongolesische Pygmäe Ota Benga . . . die ersten beiden Afroamerikaner bei The Real World auf MTV und ich”. Der Wasserfall der Wortspiele wird da selbst zu einer Art Comicbuch-Jazz.
Beatty, der zuletzt „Hokum”, einen Reader zu afroamerikanischem Humor zusammengestellt hat, schlägt mit kindlicher Begeisterung seine komischen Haken. Kitzelt den Nerd aus der afroamerikanischen Trickster-Figur des Brer Rabbit. Lässt die Doppeldeutigkeiten mit derselben Freude platzen wie Kinder ihre Wasserbomben: Etwa als Darky durch kuriose Umstände als DJ in einer Neo-Nazi-Demo landet, um die Versammlung mit Schwas radikaler Coverversion des Horst-Wessel-Lieds zu ehrfürchtigem Schweigen zu bringen. Oder als er und sein Free-Jazz-Idol schließlich die Berliner Mauer zumindest akustisch wiedererrichten.
Bisweilen droht die Geschichte in ein von bekifften Musikern auf Barhockern herbeiphantasiertes Hipstermärchen zu kippen. Doch will man das Beatty wirklich vorwerfen? Wenn DJ Darky hier durch eine Reihe ziemlich zusammenhangloser Vignetten von Pointe zu Pointe stolpert, entspricht das nicht nur dem Sample-Prinzip des Hip Hop. Sondern auch der Sprunghaftigkeit des Lebens: „Menschen treten die ganze Zeit in mein Leben”, hat Beatty einmal erklärt, „verändern mich, und verschwinden wieder. Dasselbe passiert in meinem Schreibprozess.” Mit DJ Darky gibt er oft gerade das, was er am meisten verehrt, der Lächerlichkeit preis. Hat der Schwa doch sein bestes Stück auf einer von der Stasi produzierten Videokassette versteckt - als Hintergrundmusik zu einem Hühnerfick. JONATHAN FISCHER
PAUL BEATTY: Slumberland. Roman. Übersetzt von Robin Detje. Blumenbar, München 2009. 317 Seiten, 19,90 Euro.
Ein Abschlepp-Schuppen spielt ihm die Pointen zu: Der Ginsberg-Schüler Paul Beatty. Foto: Doris Poklekowski
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2010

Hausparty in Lummerland
Paul Beatty schickt einen DJ-Sommelier nach Berlin

Welche Farbe hat der fast perfekte Beat? Welche der Klang einer Bratsche? Letzterer ist hellmalachitgrün. So glaubt zumindest Ferguson W. Sowell alias DJ Darky, der behauptet, ein phonographisches Gedächtnis, ja bionische Ohren zu besitzen. Er sieht sich als "schwarzes Kind, hineingeboren in eine verbrauchte Welt von gestern". Der amerikanische Autor Paul Beatty hat für seinen diskursgesättigten Roman "Slumberland" diesen Intellektuellen auf die Reise ins Berlin der Wendezeit geschickt, wo eine Utopie als Diktatur endet und ein neues Wunschbild entsteht.

DJ Darky sucht nach einem mysteriösen Freejazzer namens Charles Stone, genannt "Der Schwa". Um über die Runden zu kommen, hat er den Beruf des Jukebox-Sommeliers erfunden, den er in der titelgebenden Bar ausüben darf - was allemal besser ist, als weiterhin Pornofilme mit einem verqueren Soundtrack zu versehen, wie er es früher getan hat. Was mit dem Aufbau einer Berliner Klangmauer endet, die von Ost und West jeweils unterschiedlich wahrgenommen wird, ist im Kern ein sarkastisches und hellwaches Spiel mit den Zuschreibungen von Identität. Beattys Ich-Erzähler erklärt zwar schon zu Beginn des Romans das Konzept der "Blackness" für erledigt, doch nur unter dem Vorwand, sich an diesem Thema anschließend erschöpfend abzuarbeiten. Dabei führt er eine Diskussion über Rassismus und Nationalismus, über Sexismus und Nonkonformismus, wobei er den eigentlichen Plot gelegentlich aus den Augen verliert. Doch immer wieder gelingt es ihm, seine klugen, manchmal satirischen Erörterungen zur Quelle des Romans zurückzuführen, zu der allumfassenden, wandlungsfähigen Kraft der Musik, einem "Beat, so vollkommen, dass seither sämtliche musikalischen Genreeinteilungen null und nichtig sind. Eine Melodie, so überirdisch, dass Schwarzsein offiziell passé ist."

Im Zentrum von Beattys Erzählwerk steht also ein buntes Tonreich mit einem ungeheuren utopischen Potential. Die Möglichkeit zur Abgrenzung, zur Behauptung einer Individualität, die in der Musik jeder Subkultur angelegt ist, wäre damit obsolet. Doch Beatty ist ein viel zu gewiefter Schriftsteller, um diese Möglichkeit außer Acht zu lassen. Seine musikalische Farbenlehre, die des Öfteren an die als Romane getarnten popkulturellen Magisterarbeiten eines Thomas Meinecke erinnert, lädt im Laufe des Geschehens zu zahlreichen synästhetischen Metaphern ein. So über einzelne Platten, Interpreten und den Klang der Welt an sich zu schreiben erweitert die Gefäße der Sprache, macht sie durchlässiger, biegsamer und aufnahmefähiger. Vor allem aber entsteht dabei ein sinnlicher, humorvoller und spielerischer Sound von ganz eigener Qualität, der von Rap, Techno und Jazz ebenso geprägt ist wie von William Faulkners "Schall und Wahn". Die deutsche Band "Tocotronic", die ihr jüngstes Album danach benannte, könnte vielleicht ein Liedchen davon singen.

In Beattys Schlummerland, einem Zwischenreich zwischen Tag und Nacht, zwischen Schwarz und Weiß, Ost und West, gibt allerdings die Methode des Samplings den Ton an. Beatty mischt die Sprache neu ab, so dass daraus eine rhythmische, vielschichtige und widerständige Komposition entsteht. Sein literarisches DJ-Set ist unerhört komisch und lesenswert.

ALEXANDER MÜLLER

Paul Beatty: "Slumberland". Roman. Aus dem Englischen von Robin Detje. Blumenbar Verlag, München 2009. 319 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Dieser Stimme ist Rezensent Ekkehard Knörer sofort verfallen: Hochmusikalisch sei sie, von sprachlich unglaublicher Virtuosität und einfach umwerfendem Witz. Dass Paul Beatty das absolute Gehör besitzt, steht für den Rezensenten ganz klar fest. Denn dass es in dem Roman um einen DJ geht, der kurz vor dem Mauerfall von New York nach Berlin kommt, um nach einem verschollenen Jazzmusiker zu suchen, scheint nur einen ungefähren Anhaltspunkt davon zu geben, worauf es in diesem Buch ankommt. Denn in seinem DJ-Mix bringe Beatty zusammen, was bis dahin nicht zusammengehörte: Nazis und Schwarze, Soul und Horst Wessel und "außerdem den perfekten Beat und Vokuhila-Frisuren". Das Ganze folge einer wahnwitzigen "Hybridisierungslust", wie Knörer frohlockt, der es selbst auf die gutgelaunte Formulierung bringt, bei diesem Buch gehe es darum, Identitäten und ihre Festschreibungen "durch kühnes Mixen in einen Zustand polymorpher Rekombinationsgeilheit" zu bringen. Und dass dies von Robin Detje ohne größere Reibungsverluste aus dem Amerikanischen übersetzt wurde, grenzt für den euphorisierten Rezensenten an ein Übersetzungswunder.

© Perlentaucher Medien GmbH